Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit

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DIE LINKE steht vor der Herausforderung, unterschiedliche Demokratieansätze zu vereinen. Von Tilman Rosenau

Die Listenaufstellung der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern führte zur Nichtwahl „unbequemer“ KandidatInnen. Der Listenvorschlag des Landesausschusses wurde durch das Votum des Landesvorstandes nicht bestätigt. Die Vorsitzende des Landesausschusses van Loh: „Es war unser Bestreben, demokratisch, basisnah und regional ausgewogen bei der Listenaufstellung vorzugehen. Konkret wurden diese Maßgaben dadurch durchgesetzt, dass die Kreisverbände ihre Voten für ihre KandidatInnen abgaben. Gewählt wurden schließlich KandidatInnen die aus Vorstandssicht erklärtermaßen dem erwünschtem Koalitionspartner SPD freundlich zugewandt sind. In einem in der Jungen Welt veröffentlichten Brief eines parteilosen Linken konnte man folgende Analyse lesen: dass: „unsere Landespartei in der Hand karrieregeiler, machtbesessener Autokraten ist, die sich nicht scheuen, für die Durchsetzung ihrer Ambitionen sämtliche Standards der politischen Kultur, die unsere Partei, auch in Hinblick auf ihre Geschichte einmal ausgezeichnet haben, für die Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen mit Füßen zu treten. … Warum sollen Wähler eine Weichgespülte SPD wählen, wenn sie das Original haben können?“

Hier werden konkret Fragen von antikapitalistischem Selbstverständnis aufgeworfen. Zum einen das innerparteiliche Demokratieverständnis und zum anderen die objektiven Widersprüche zwischen Fraktionsarbeit (Realpolitik) und Parteiarbeit (Systemveränderung).

Der Anspruch der Partei auf einen Richtungswechsel in der Politik zugunsten der Ausgebeuteten und Marginalisierten wird in diesem Spannungsfeld auf die Probe gestellt.

Mit welchen gesellschaftlichen Kräften ist ein derartiger Wechsel in der Politik umsetzbar?

In ihrem Beitrag der Zeitschrift Sozialismus (9/11) haben Horst Arenz und Werner Dreibus festgestellt: „DIE LINKE ist die einzige Partei mit unmissverständlich antikapitalistischer Orientierung. Daran darf es keine Abstriche geben.“ Sie verweisen auf einen Mangel im Programmentwurf der Partei: „Zunächst vermisst man eine Analyse der politischen Kräfteverhältnisse. In welcher Verfassung sich die gewerkschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Kräfte heute befinden und welche Widersprüche hier relevant sind, wird ausgeklammert.“

Wir befinden uns in einer Phase, in der sich die herrschenden Entscheidungsträger durch den Verkauf staatlichen bzw. öffentlichen Eigentums das zunehmende Politikdefizit verschärfen. Damit einher geht in der Regel ein Verlust an öffentlicher Kontrolle. Die Menschen brauchen aber eine starke Verfasstheit ihrer Lebensräume; ohne einen starken Rechts- und Sozialstaat kann keine Demokratie funktionieren. Er sichert die materiellen Grundlagen seiner Bürger. Der Rechtsanspruch auf staatliche Leistungen für sozial Schwache verschafft diesen Menschen ein Stück Selbstwert zurück, dass durch die ungleiche Reichtumsverteilung verloren ging. Die logische Folge ist, dass wer soziale Rechte privatisiert und damit die Lebensumstände jedes Einzelnen präfabriziert sich der Enddemokratisierung schuldig macht. Es bedarf einer neuen Gewaltenteilung, die sich nicht nur auf die politische, sondern auch auf die soziale und ökonomische Seite der Gesellschaft bezieht. Denn genau so wie die politische Demokratie nicht ohne soziale Demokratie auf Dauer aufrecht zu halten ist, ist soziale Demokratie nicht ohne Wirtschaftsdemokratie durchsetzbar.

Was der Mensch als Subjekt, wie die Menschheit allgemein, zum Überleben braucht, ist  eine Demokratie der direkten Partizipation in allen Belangen des gesellschaftlichen Lebens. Die fortschreitende wissenschaftlich-technische Entwicklung bietet uns hier die Möglichkeit und Notwendigkeit eines verkürzten Arbeitstages, damit zum einen die Arbeit gerechter verteilt und zum anderen genügend Zeit vorhanden ist, uns um unsere eigenen Angelegenheiten selbst kümmern zu können.

DIE LINKE steht vor neuen Herausforderungen unterschiedliche Demokratieansätze zu vereinen. Das Kompetenzdemokratische, nachdem personelle Entscheidungen durch die Vorschläge der Vorstände zustande kommen und das Repräsentationsprinzip, bei dem sich unterschiedliche Personenkreise vertreten sehen wollen, sowie das Basisdemokratische, bei dem eine Vollversammlung „spontan“ entscheidet. Das praktizierte Verfahren der  Mitglieder  hat  maßgeblichen Einfluss auf das Verhältnis von denjenigen Akteuren, die zwischen den kapitalismusüberwindenden Zielen und den kurzfristig umsetzbaren Forderungen, agieren.

Eine flächendeckende Parlamentsarbeit fördert objektiv eine Schicht von Profis, die sich aufgrund der unterschiedlichen Art und Weise der Alltagspolitikgestaltung von den anderen Parteimitgliedern entfernt. Es entsteht ein  Wissens- und Erfahrungsvorsprung derer, die als Mandatsträger oder Hauptamtliche der Fraktionen  rechtliche und finanzielle Möglichkeiten besitzen, die die ehrenamtlichen Parteimitglieder niemals erreichen können.

Die herrschenden Massenmedien gelten für Fraktionen, vor allem für die Abgeordneten, die in der Öffentlichkeit bekannt sind, als das wichtigste Instrument ihrer Außenwirkung. Medienpräsenz wird so zum wichtigsten Maßstab erfolgreicher parlamentarischer Arbeit.

Die Politprofis lernen, dass Pressearbeit ein Instrument ist, das seine stärkste Wirkung bei den eigenen Parteimitgliedern erzielt, da diese am aufmerksamsten die Veröffentlichungen über ihre Fraktion verfolgen.

Auch den hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Fraktionen, die nicht selten auch örtliche Parteifunktionen übernehmen, hat die Partei in Puncto Logistik, Zeit und Finanzen nichts Vergleichbares entgegen zusetzen. Sie bilden mit ihren Abgeordneten, die ihre Geldgeber sind, einen eigenständigen Machtfaktor in der Partei. Daraus entwickelt sich die Tendenz, dass nicht die Partei ihre Fraktion, sondern umgekehrt die Fraktion ihre Partei führt.

Das führt zu innerparteilicher Enddemokratisierung. Nach außen fordert die Partei mehr Demokratie, während sie selbige nach innen immer weiter abbaut. Dies führt zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust nach außen und einer inaktiver werdenden Parteibasis.

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