Die Ukraine: Schauplatz eines Machtkampfes zwischen verschiedenen nationalen und internationalen Interessengruppen

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Ein Positionspapier von Inge Höger

Der Konflikt in und um die Ukraine spitzt sich gefährlich zu. 100 Jahre nach Beginn des ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges ist die Gefahr eines Krieges so drohend wie schon lange nicht mehr. Die Ukraine ist zum Schauplatz eines weltpolitischen Machtkampfes
geworden, in dem die westlichen Industrienationen den Einfluss Russlands immer weiter zurückzudrängen wollen. Nach dem Sturz der Regierung Janukowitsch droht nun die Spaltung des Landes.

Das ursprüngliche Anliegen der Revolte auf dem Majdan, die Macht der Oligarchen zurückzudrängen, spielt faktisch keine Rolle mehr. In der Ukraine ist ein Kampf zwischen verschiedenen nationalen wie internationalen Interessengruppen ausgebrochen. Dieser wird auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen. Mit deutscher Unterstützung wurden faschistische Kräfte gestärkt und stellen nun Minister in der neuen, von einer rivalisierenden Oligarchenclique getragenen Regierung in Kiew. Deutsche Medien stilisieren die Bundesrepublik zur selbstlosen Vorkämpferin gegen Putins Russland; dabei könnte die Geschichte des deutschen Kampfes um Kiew, der in zwei Weltkriegen blutig geführt wurde, zumindest zu ein wenig Selbstreflektion raten.

Der Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch wurde mit massiver Unterstützung aus der EU und insbesondere aus Deutschland durchgeführt. Die Praktiken der Bundesregierung und ihres ukrainischen Personals zeigen, dass Deutschland seinen neuen geopolitischen Gestaltungsanspruch ernst nimmt. Inzwischen schlägt der Konflikt auf die Wirtschaft sowohl in Russland als auch in der EU durch und es könnte sein, dass nicht nur in der Ukraine ein Zusammenbruch der Geschäfte folgt. Die Börsen sind verunsichert, die Öl- und Gaspreise steigen und einige Aktienkurse gehen in den Keller bzw. schwanken erheblich. Die Kurse der Aktien von Rüstungskonzernen hingegen steigen. Die Rüstungsindustrie wittert gute Geschäfte. Das bedeutet nichts gutes.
Es gab viele gute Gründe für die Bevölkerung in der Ukraine, gegen die korrupte Regierung von Janukowitsch zu demonstrieren. Aber es gab auch gute Gründe für die Regierung Janukowitsch, dass Abkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Und es gibt nach dem Regierungswechsel in der Ukraine gute Gründe für Russland, sich den Zugang von der Krim zum Schwarzen Meer für seine Schwarzmeerflotte zu sichern, Russland nicht weiter von der EU und der NATO einkreisen zu lassen.
Die EU verlangt in dem Assoziierungsabkommen den Abbau von Handelsschranken und neoliberale Strukturreformen.  Die Annahme der Vorgaben hätte u.a. zu einer Steigerung der Gas- und Heizkosten für Privathaushalte um 40 % geführt. Zudem würde die Ukraine durch eine Assoziierung mit der EU wegen der Rückständigkeit der eigenen Industrie dramatische wirtschaftliche Einbrüche verzeichnen. Die Löhne würden sinken, Arbeitslosigkeit und Armut massiv zunehmen. Einen Aufschwung würde es nur für wirtschaftlich starke EU-Unternehmen geben, die großes Interesse an neuen Absatzmärkten und Zugang zu Rohstoffen haben. Und geostrategisch ist die Ukraine mit Zugang zum Schwarzen Meer und an der Grenze zu Russland gelegen, ein Filetstück für die schrittweise Durchdringung der ehemaligen Sowjetunion. Die Einkreisungspolitik durch EU und NATO wird Schritt für Schritt, Land für Land fortgesetzt.
Bei den Verhandlungen mit der EU und Russland über EU-Assoziierung oder Zollunion mit Russland ging es letztlich darum, ob die Ukraine 600 Mio. Euro von der EU oder 15 Mrd. Dollar von Russland gegen eine drohende Pleite bekommt. Auf dieser Grundlage wurde das Abkommen mit der EU nicht unterzeichnet, sondern auf Eis gelegt. Es entwickelte sich eine Protestbewegung, die aus unterschiedlichen Intentionen und Gründen gespeist war. Den einen ging es um die Abschaffung der Visapflicht und Reiseerleichterungen, anderen um Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage, vielen um eine Ende der Korruption, eine Ende der Bereicherung durch Oligarchen und eine Öffnung des Landes nach Europa.
Allerdings wurden diese Proteste schon bald von Parteien und Organisationen beeinflusst, die Unterstützung und Geldzahlungen aus den USA und aus Deutschland bekamen. So ist die Partei „Vaterland“ der Oligarchin Julia Timoschenko seit 2008 mit Beobachterstatus bei der Europäischen Volkspartei registriert, in der die CDU und CSU stark vertreten sind. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat nicht nur dieser Partei schon lange praktische Hilfe geleistet. Die Adenauer-Stiftung hat auch der Partei UDAR von Vitali Klitschko beim Aufbau geholfen und massive Unterstützung geleistet. Und dass diese beiden Parteien mit der faschistischen Partei Swoboda und dem sog. „Rechten Sektor“ eng kooperieren, störte weder die CDU noch SPD-Außenminister Steinmeier bei seinen angeblichen Verhandlungen.
Bei den Verhandlungen mit den drei Außenministern Frankreichs, Deutschlands und Polens ging es am 21. Februar noch um ein Übereinkommen zwischen Regierung und Opposition. Darin waren eine Übergangsregierung, eine Verfassungsänderung, vorgezogene Präsidentenwahlen und die Entwaffnung paramilitärischer Gruppen vorgesehen. Dies Abkommen war schon Makulatur, ehe es unterzeichnet war. Niemand hat sich dran gehalten bzw. für die Umsetzung eingesetzt.
Janukowitsch wurde von einer Mehrheit im Parlament, die bis dahin niemand für möglich gehalten hatte, abgesetzt. Diese Mehrheit kam zustande, weil eine ganze Reihe von Abgeordneten seiner Partei zur Opposition gewechselt waren. Die EU hat den Beschluss der Amtsenthebung trotz der am Vortag beschlossenen Vereinbarung über die Bildung einer Übergangsregierung rasch anerkannt.  Janukowitsch wurde durch einen Nachfolger aus der Partei von Julia Timoschenko ersetzt. In der neuen Regierung sind drei Minister der faschistischen Partei Swoboda vertreten. Auch der neu ernannte Generalstaatsanwalt ist Mitglied der rechtsradikalen Swoboda-Partei. Das hindert weder die BRD noch andere EU-Mitgliedsstaaten daran, diese illegitime Regierung anzuerkennen und über die rasche Ratifizierung des EU-Abkommens zu verhandeln. Für die Bevölkerung ist das ein Regierungswechsel von Pest zu Cholera, da sowohl Janukowitsch als auch Timonschenko zu den Oligarchen gehören, die für Korruption und Bereicherung stehen.
Die neue Regierung legte als erstes ein Gesetz vor, dass Russisch als zweite Amtssprache und den Minderheitenschutz für weitere Sprachen (z.B. Rumänisch und Ungarisch) abschaffen sollte. Dies Gesetz wurde zwar nach Protesten der russischsprachigen Bevölkerung und der EU auf Eis gelegt, aber nicht endgültig versenkt.
Delegierte des Europarlamentes unter der Führung des CDU-Europaabgeordneten Elmar Brock, der sich bereits seit längerem zusammen mit der Bertelsmann- und der Konrad-Adenauer-Stiftung massiv in die Entwicklung in der Ukraine einmischt, reisten zu Gesprächen über die weitere Entwicklung nach Kiew. Die neue Regierung wies auf leere Staatskassen hin und forderte finanzielle Unterstützung von der EU. Deutschland und die EU lehnten zunächst ab, den Umsturz noch mit weiteren Milliarden zu unterstützen. Sie übergaben an den Internationalen Währungsfonds (IWF). Der ist für seine harten Auflagen bekannt und forderte die Freigabe der Wechselkurse und die Einstellung der Subventionen der Gaspreise für Privathaushalte. Beides würde die Lebenshaltungskosten für die Menschen in der Ukraine drastisch verteuern.
Inzwischen hat ein Sondergipfel der EU doch Hilfen in Höhe von 15 Mrd. Dollar (11 Mrd. Euro) an die Ukraine angekündigt, damit diese ihre Schulden bei europäischen Banken bezahlen kann. 11 Milliarden Euro an ein Land, dass bisher weder das Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat und noch lange nicht Mitglied der EU ist. Da stellt sich schon die Frage, ob das Land gekauft werden soll. Das alte und immer wieder neue Spiel beginnt. Es geht in der Ukraine um wirtschaftliche und geostrategische Interessen, das lässt sich die EU nun doch noch was kosten. Banken und Konzerne werden mit Milliarden gerettet, während die Finanzzocker und die ukrainischen Oligarchen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sinnvoller wäre ein Schuldenschnitt für die Ukraine und die Konfiszierung der riesigen Vermögen aller Oligarchen, sowohl von Janukowitsch als auch von Julia Timoschenko, um nur einige zu nennen.
Insgesamt haben sich die deutschen und EU-Player auf ein riskantes Spiel eingelassen. Eine Mehrheit der Bevölkerung insbesondere im Osten der Ukraine lehnt die neue Regierung ab und auf der Halbinsel Krim ist von einer Abspaltung von der Ukraine die Rede. Inzwischen hat das Regionalparlament auf der Krim sich für einen Beitritt zu Russischen Föderation entschieden und eine Volksabstimmung darüber beschlossen. Dies wird von Merkel und Steinmeier, der EU und auch den USA als unannehmbar hingestellt und mit Drohgebärden beantwortet.
Es ist zwar richtig, dass das Völkerrecht die Souveränität und territoriale Integrität eines Landes und damit auch der Ukraine garantiert. Allerdings sind gerade die USA, Deutschland und die EU wenig geeignet, hier auf das Völkerrecht zu verweisen. Schon die NATO-Osterweiterung war ein gravierender Rechtsbruch gegen alle Abmachungen und Versprechungen bei der Auflösung des Warschauer Vertrages und der Zusammenführung Deutschlands. Diesen Rechtsbruch hat auch Deutschland zu verantworten. Hinzu kommt die EU-Osterweiterung.
Und bei der Aufspaltung des ehemaligen Jugoslawien und später bei Unabhängigkeitserklärung des Kosovo haben Deutschland und die EU das Völkerrecht mit Füßen getreten und die Sezession unterstützt. Sie haben noch jede Zersplitterung von Staaten hingenommen oder befördert, wenn es in ihre geostrategischen Pläne passte. DIE LINKE hat die Abspaltung des Kosovo für unvereinbar mit dem geltenden Völkerrecht gehalten und sieht das heute im Fall der Krim ähnlich. Eine Loslösung aus der Ukraine geht nur einvernehmlich aber nicht einseitig. Aber militärische Drohgebärden bringen keine Lösung.
Inzwischen erleben wir ein Säbelrasseln von beiden Blöcken. Russland hat ein großangelegtes Manöver an der Grenze zur Ukraine durchgeführt. Und die deutsche Kriegsmarine schickte parallel dazu ein Spionageschiff in Richtung Mittelmeer. Im Mittelmeer sind bereits zwei deutsche Kriegsschiffe innerhalb eines NATO-Verbandes unterwegs und zwei weitere im Rahmen von UNIFIL im Einsatz. Die USA haben in den vergangenen Tagen mehr als ein Dutzend Kampfjets zu den NATO-Verbündeten Polen und Litauen beordert. Ein US-Zerstörer ist auf dem Weg ins Schwarze Meer. Die US-Marine hat mitgeteilt, das Schiff mit einer Besatzung von etwa 300 Mann wolle an einer Übung mit der rumänischen und bulgarischen Marine teilnehmen. Am Dienstag waren bereits zwei russische und ein ukrainisches Kriegsschiff auf dem Weg in das Schwarze Meer eingefahren.
Die Krise auf der Krim wird von einem Flottenaufmarsch rund ums Mittelmeer und Schwarze Meer begleitet. Die Ukraine ist ein Testfall für die neue europäische Außenpolitik, die sich einmischt, Risiken eingeht und nicht wegschaut, wie von den handelnden Politikern immer wieder betont wird.
Von Seiten der USA und der EU werden inzwischen Sanktionen gegen Russland angedroht, um ein Einlenken Moskaus in dem Konflikt zu bewirken. Allerdings sind Teile der deutschen Wirtschaft dagegen, weil es ihre Geschäfte behindert und Deutschland von russischen Gaseinfuhren abhängig ist. Konkret beschloss die EU dann erst mal nur eine Aussetzung der Gespräche über Visafreiheit und eine Stopp der Vorbereitungen zum G-8-Treffen. Sanktionen sind auch aus Sicht der LINKEN kontraproduktiv, sie würden weitere Gräben aufreißen und die wirtschaftlichen Beziehungen insbesondere zwischen Deutschland und Russland massiv stören.
Ein Ausstieg aus dieser Eskalationsspirale wird nur möglich sein, wenn die EU und die USA Moskau anbieten, zu einer – strikten – Interpretation des Nichteinmischungsgebotes zurückzukehren. Die neue Kalte-Kriegs-Logik muss durchbrochen werden. Dazu gehört, mit dem Säbelrasseln gegenüber Russland aufzuhören und eine Neuausrichtung der EU-Ostpolitik. Es muss Schluss sein mit einer Politik der geopolitischen Hegemonie und neoliberaler Wirtschaftspolitik der EU. Die Menschen in der Ukraine dürfen nicht zum Spielball der Großmächte werden.

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