Burgfrieden mit dem BAK Shalom?

Print Friendly, PDF & Email

Kritischer Bericht von der Nahost-Tagung der niedersächsischen LINKEN am 5. September 2015. Von Heino Berg, Edgar Schu und Eberhard Schmidt

Mit knapp 40 TeilnehmerInnen ist die landesweit beworbene und innerparteilich sehr umstrittene Tagung zum Nahost-Konflikt und zum angeblichen „Antisemitismus“ in der LINKEN unter den Parteimitgliedern auf eher geringes Interesse gestoßen. Der Geschäftsführende Landesvorstand hatte dazu den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke sowie den Bundessprecher des BAK Shalom, Benjamin Krüger in die Jugendherberge Hannover eingeladen, ohne diese Planung mit der Linksjugend, der AKL und der LAG Nahost abzusprechen.

Die Tagung wurde unter der Leitung des Landesvorsitzenden Behrens durch ein gutes Referat von Hans-Georg Hartwig zu den historischen Wurzeln und Hintergründen der Palästina-Frage eröffnet. Eine Plenumsdebatte darüber zu den Grundlagen des Nahostkonflikts durfte auf Anordnung des Landesvorsitzenden jedoch leider nicht stattfinden. Der sofortige Übergang zum sogenannten „Streitgespräch“ zwischen Gehrcke und Krüger förderte eine Vermischung der komplizierten Sachfragen des Nahost-Konflikts mit dem Problem ihrer innerparteilichen Instrumentalisierung. Die Veranstaltung spiegelte und verlängerte damit das niedrige Niveau vieler Palästina-Debatten in der LINKEN, anstatt mit dem Landesparteitagsantrag A7 von AKL, Solid und LAG Nahost die Voraussetzungen für eine solidarische und von Verleumdungen befreite Sachdebatte zu schaffen.

„Streitgespräch“?
Das angekündigte „Streitgespräch“ der Referenten entpuppte sich als Austausch von gegenseitigen Nettigkeiten, anstatt die fundamentalen Gegensätze zwischen den Anhängern der israelischen Regierung und den Gegnern ihrer Politik offen auszusprechen: Wolfgang Gehrcke bekannte sich zu eigenen Fehlern in der Palästina-Frage, betonte vermeintlich sozialistische Ansätze im Zionismus trotz der Koppelung von Religion, Nation und Staat und appellierte an die Konfliktparteien im Nahen Osten, miteinander zu verhandeln und einander anzuerkennen. Die sozialen Gegensätze in Israel und in Palästina und die Notwendigkeit, über religiöse Unterschiede hinweg für gemeinsame Klasseninteressen gegen die Herrschenden und ihre Gesellschaftsordnung einzutreten, fehlten weitgehend in seinen Ausführungen.

Benjamin Krüger gab sich – in krassem Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen beispielsweise anlässlich des israelischen Überfalls auf die „Mavi Marmara“ und ihre Passagiere – betont diplomatisch und übte sich im berüchtigten „Kreidefressen“. Er bemühte sich, einer Verurteilung der Kriegsverbrechen der israelischen Regierung sowie der notwendigen Solidarität mit ihren Opfern auszuweichen und rechtfertigte die Bombardierung von Schulen im Gaza-Streifen mit der Behauptung, dass die Hamas von dort aus Raketen auf Israel abgeschossen habe. Gleichzeitig äußerte er akademische Mutmaßungen über den angeblich „antisemitischen Charakter“ des Kampfes gegen das Finanzkapital und leitete aus Demo-Plakaten wie „Kindermörder Israel“ einen judenfeindlichen Grundtenor von Solidaritätsaktionen ab, an denen sich auch Mitglieder der LINKEN beteiligt hätten.

Plenumsdebatte
Widerspruch gegen diese erneute Gleichsetzung von Kritik an der israelischen Regierung mit judenfeindlichem „Antisemitismus“ konnte erst in der sehr lebhaften Plenumsdiskussion nach dem sog. „Streitgespräch“ der Referenten erhoben werden. Krüger und Gehrcke stellten einen Schulterschluss zwischen den Flügeln in der LINKEN zur Schau, anstatt die vorhandenen politischen Gegensätze offen auszutragen.

Der BAK-ShalomSprecher Krüger wollte den Eindruck erwecken, dass er mit den Schmutzkampagnen seiner BAK-Mitglieder nicht das Geringste zu tun hätte. So überraschte er die Handvoll seiner Anhänger im Saal mit der Bemerkung, dass er jeden von ihnen „ohrfeigen“ werde, der den (ebenfalls anwesenden) Genossen Diether Dehm immer noch als „Antisemiten“ zu bezeichnen wage. Mit diesem Angebot bedankte sich Krüger nach unserem Eindruck für seine umstrittene Einladung aufs Podium und dafür, dass alle anderen Opfer der antideutschen Verleumdungskampagnen (und sogar tätlichen Übergriffe) vom Landesvorstand seit Monaten im Regen stehen gelassen wurden. Hintergrund: Der von Krüger nun überschwänglich gelobte Bundestagsabgeordnete hatte beim Landesparteitag im Februar die Vertagung eines Antrags durchgesetzt, der u. a. auch AKL-VertreterInnen wie Inge Höger gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen und ihn für Mitglieder der LINKEN und der Linksjugend als parteischädlich zurückweisen sollte. Die Unterstützung für Diether Dehm bei dieser Veranstaltung ändert jedoch nichts an der Hexenjagd, der die Mitglieder des antikapitalistischen Parteiflügels und der Linksjugend durch das Bündnis zwischen BAK Shalom, FdS und EmaLi nicht nur in Niedersachsen weiter ausgesetzt sind.

Es gibt keinen Antisemitismus in der LINKEN
Obwohl mit Ausnahme von Benjamin Krüger alle RednerInnen gemeinsam feststellten, dass es in der LINKEN überhaupt keine „Antisemiten“ gibt, weil rassistische oder gar judenfeindliche Äußerungen zum sofortigen Parteiausschluss führen würden, ist der oben genannte, an den Landesvorstand überwiesene Antrag A7 dort seit mehr als 6 Monaten immer wieder vertagt und verschleppt worden. Herbert Behrens und Hans-Georg Hartwig rechtfertigten diese Form einer Duldung von Diffamierungskampagnen nach der Kritik vieler TeilnehmerInnen mit dem Argument, dass eine „administrative Ausgrenzung“ der BAK-Shalom-Anhänger in der Partei unbedingt vermieden werden müsse. Mehrere Redner entgegneten, dass dieser Antrag eben keine administrativen Maßnahmen gegen die Antideutschen, sondern lediglich eine POLITISCHE Absage an die Beschimpfungen von Parteimitgliedern verlangt, die den Opfern der israelischen Besatzungspolitik die Solidarität von SozialistInnen nicht verweigern wollen.

Die Tagung hat die Chance verpasst, den Antisemitismuskampagnen in unserer Partei den Boden zu entziehen, um sich gegen die wirklichen Gefahren von Rassismus und Antisemitismus in der kapitalistischen Gesellschaft endlich gemeinsam engagieren und Die LINKE auf ihre eigentlichen Aufgaben fokussieren zu können. Der Auftrag des Landesparteitags, den parteischädlichen Behauptungen entgegenzutreten, dass ausgerechnet Die LINKE ein Hort des Antisemitismus sei, wurde durch die Berufung eines BAK-Shalom-Vertreter für das Veranstaltungspodium in das exakte Gegenteil, also die Aufwertung und Legitimierung solcher Kampagnen gegen die „Linke in der LINKEN“ verwandelt. Die von Herbert Behrens angekündigten Folgeveranstaltungen zu diesem Thema sind nach unserer Ansicht erst dann sinnvoll, wenn die betroffenen Arbeitsgemeinschaften dabei berücksichtigt werden und der Landesvorstand seine satzungsmäßigen Pflichten zur Behandlung von Anträgen erfüllt, die der Landesparteitag an ihn überwiesen hat.