Sonst bleibt alles beim Alten

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Von den Medien totgeschwiegene Wahlsiegerin: DIE LINKE. Thies Gleiss über die Bürgerschaftswahl in Hamburg

Die Ergebnisse der Hamburger Bürgerschaftswahlen sind ziemlich eindeutig, umso krasser steht die Berichterstattung der großen bürgerlichen Medien dazu im Gegensatz. Sie sprechen allen Ernstes von drei Wahlsiegern: Der SPD und ihrem amtierenden Bürgermeister Olaf Scholz, der FDP und ihrer Kandidatin Katja Suding und der AFD. Wie schon in der Wahlkampfberichterstattung, taucht DIE LINKE auch in den Berichten zum Ausgang der Wahl so gut wie nicht auf. Dabei sind die Fakten eindeutig:

Wahlsieger sind auch bei dieser Wahl die Nichtwähler_innen. Die Wahlbeteiligung sank auf knapp 57 Prozent und ist damit seit 2001 von 71 Prozent auf jetzt gerade noch gut die Hälfte der Wählenden gesunken. Auch in Hamburg – die sozialökonomisch am stärksten zwischen Arm und Reich polarisierte Stadt Deutschlands – ist die Verteilung der Wahlbeteiligung fast deckungsgleich mit dem Atlas der Armutsverteilung bei Einkommen und Bildung. DIE LINKE sollte diese Wahlenthaltung nicht verteufeln und sich nicht an unpolitischen Appellen „Geht wählen“ beteiligen. Das Nichtwählen ist vitaler Ausdruck der politischen Legitimationskrise der politischen Elite auch in dem scheinbar so stabilen und ökonomisch prosperierenden Deutschland. Es ist nicht von vorn herein eine „linke“ Haltung, aber es auch ein Protest gegen die so genannte „Alternativlosigkeit“ der Merkel-Gabriel-Scholz-Politik. Diese Haltung kann auch und muss nach links gewendet werden – das ist die große Herausforderung der LINKEN

Die SPD hat 2,7 und die CDU sogar 6,1 Prozent der Stimmen verloren. Die Koalitionsparteien von Berlin sind keine Siegerinnen, sondern klare Verliererinnen der Hamburg-Wahl. Zwischen ihnen ist offensichtlich kein Unterschied mehr auszumachen. Der CDU-Wahlverlierer Wersich, die Kanzlerin Merkel und mit ihnen fast die gesamte Wahlschreiberzunft „erklären“ den Absturz der CDU schlicht damit, dass es nicht möglich sei, „gegen einen Kandidaten im Amt zu punkten, der nichts falsch gemacht hätte“. Die Mehrheit der Wahlberechtigten ist bei dieser Grundhaltung zurecht der Meinung, SPD und CDU machen keine, sondern sie sind der Fehler.
Die CDU hat es fertiggebracht im Jahrzehnt 2004-2015 ihren Wähleranteil von 47 auf 16 Prozent zu dritteln. Das freut das Herz des Antikapitalisten.
Gleichzeitig hat die CDU, ähnlich wie bei den letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, der FDP mit „Leihstimmen“ zum Verbleib in der Bürgerschaft und Wiederholung ihres Wahlergebnisses von 2011 verholfen.
Der rechts-nationalistische Flügel – der in Hamburg schon mehrfach bei Wahlen spektakuläre Erfolge einheimsen konnte – hat mit der AFD und ihren 6,1 Prozent für die nächste Zeit eine neue Heimat gefunden.
Die vor 2011 mit der CDU regierenden Grünen sind in Hamburg sind seit langem am dem rechten Flügel der Grünen und haben ihrerseits vom Niedergang der CDU profitiert, aber auch an die LINKE Stimmen abgegeben, insbesondere in den Stadtteilen mit krasser sozialer Ungerechtigkeit, aber auch in Moorburg, wo eine von den Grünen ermöglichte Kohlekraft-CO2-Dreckschleuder errichtet wurde. Jetzt wollen die Grünen gerne mit der Scholz-SPD zusammen regieren und werden ihre angeblichen Differenzen in Sachen Olympia-Bewerbung und Elbvertiefung wahrscheinlich schnell bei einem Gläschen Rotwein beim Italiener „überwinden“.

Die SPD hat 2,7 Prozent verloren, die meisten davon an DIE LINKE und an die Zuhausegebliebenen. Olaf Scholz – der auf Knopfdruck druckreif Sprechblasen produzierende und mit dem Charisma einer Schlaftablette ausgestattete „Scholzomat“ – hat zwar die absolute Mehrheit an Parlamentssitzen eingebüßt, darf sich aber dennoch als Wahlsieger und alter und neuer Bürgermeister feiern lassen. Das tut seine Partei – ja, auch wenn es nicht auffällt, Scholz ist Mitglied der SPD – umso ausgiebiger, weil sie bundesweit im 25-Prozent-Käfig gefangen bleibt, obwohl (oder vielleicht doch weil?) sie gerade die Politik betreiben will, die Scholz macht.
Diese Art der prokapitalistischen, wie die Kanzlerin sagen würde, „marktkonformen“ Politik der Sozialdemokratie wird in Hamburg aus zwei Gründen nicht so abgelehnt wie im Rest der Republik: Erstens ist die personelle Alternative der CDU seit Jahren zum Davonlaufen und – wichtiger noch – zweitens kann diese sozialdemokratische Politik nur funktionieren, wenn noch ein Minimum zum Verteilen und Rosinen da sind, die vom Tisch der Reichen herunterfallen. So konnte die Scholz-Regierung bundesweit Aufsehen erregen, dass er sozialen Wohnungsbau wiederauflegte. Nicht annähernd genug, aber immerhin. Auch Investitionen im Bildungsbereich waren so viel besser als die Verschlechterungsreformen, die sonst von der SPD-CDU-Grüne-FDP-Einheitspartei erfahren wird. Das hat die soziale Schieflage in der Stadt, die sich ausbreitende Armut und auch die skandalöse Flüchtlingspolitik im Sinne der SPD ein wenig vergessen lassen. Wenn Scholz erfolgreich war, dann in dieser Kunst, das Kleine groß zu reden. Damit konnte er selbst die Polizeiskandale mit den „Gefahrengebieten“ und die Verarsche gegenüber den Lampedusa-Flüchtlingen und ihrer Solidaritätsbewegung übertünchen.

DIE LINKE ist die eigentliche Wahlsiegerin mit einem Plus von 2,1 Prozent. Sie hat gut 10.000 Stimmen gegenüber der letzten Wahl hinzugewonnen – obwohl die Aussagekraft von absoluten Stimmen beim Hamburger Wahlsystem etwas relativiert wird. Die LINKE in Hamburg hat ebenso wie in anderen Landesverbänden starke Tendenzen, die parlamentarische Arbeit auf allen Ebenen zu wichtig zu nehmen, und die jeweiligen Vertreter darin nehmen sich zu wichtig. Aber – mit dem Vorteil eines Stadtstaates ausgestattet – war die LINKE in allen sozialen Protestbewegungen präsent: Für die Flüchtlinge und deren Lampedusa-Solidaritätsbewegung; gegen die Bürgerrechtseinschränkungen und die Gefahrengebiete; für die Mieter und die Bewegung „Recht auf Stadt“; gegen die Energiepolitik des Senates und für den fahrscheinlosen Nahverkehr; in der Bewegung für eine Gemeinschaftsschule und in den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen, mit dem Streik bei Neupack an der Spitze. Wer in Hamburg eine solche Politik macht, der ist fast automatisch Opposition und energischer Gegner von Olaf Scholz und seiner SPD. Für die Glaubwürdigkeit und innere Ruhe der Partei ist dies sicherlich ein großer Vorteil. Insofern wurde die LINKE in Hamburg für ihre konsequente Haltung auch bei den Wahlen belohnt.
Es kommt jetzt darauf an, aus diesem Vertrauensvorschuss etwas zu machen und noch mehr zu einer bewegungsorientierten, sozialistischen Mitgliederpartei zu werden.

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