Postkoloniale Attitüde

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Abendländische Aufklärung gegen morgenländische Religiosität? Über die Problematik des nach den Terroranschlägen von Paris verbreiteten Slogans »Je suis Charlie«. Von Hannes Hofbauer

Selbst in Wien, einem Ort, in dem das Französische mit dem Ende des Kaiserhauses vor fast 100 Jahren die letzten Reste seiner Umgangssprachlichkeit verloren hat, prangen vereinzelt »Je suis Charlie«-Poster an Auslagenscheiben von Geschäften, deren Besitzer sich offensichtlich für progressiv halten. Seit ein paar Tagen hängt ein großes Transparent an der Fassade der Magistratsabteilung 7 gleich hinter dem neugotischen Rathaus. Diese Abteilung ist für die Kultur der Stadt und die Verteilung der entsprechenden Gelder zuständig. Ein fortschrittliches Image haftet auch ihr – fast definitionsgemäß – an.

Die Ausstrahlung der Parole »Je suis Charlie« vom 11. Pariser Bezirk in sich linksliberal gebende westeuropäische Szenen hat ungeahnte Ausmaße erreicht: Sieben Millionen Mal ging die nach der Tragödie publizierte Ausgabe der Satirezeitschrift Charlie Hebdo über die Ladentische, so viele Menschen wollten die neue Mohammed-Karikatur auf dem Titelbild sehen. Ein Bekenntnis zu Fortschrittlichkeit und Weltoffenheit, die man damit zur Schau zu stellen vermeint, muss allerdings kritisch hinterfragt werden.

Wer die Kurzformel »Je suis Charlie« als progressive Losung begreift, hat etwas missverstanden. Denn der Terrorangriff der zwei Attentäter von Paris auf die satirische Wochenzeitung am 7. Januar zielte mitnichten auf die Linke. Diese politische Schlagseite war und ist dschihadistischen Radikalen vollkommen egal. Zugegeben, die Forschung nach dem Motiv für das Attentat gegen Charlie Hebdo ist mit der Liquidierung der Mörder nicht leichter geworden. Aber die Verkürzung auf »rechtsradikale Gotteskrieger töten linksradikale Karikaturisten« ist nicht nur unzulässig, sondern führt auf die falsche Fährte.

Womit solidarisiere ich mich unter dem Slogan »Je suis Charlie«? Mit der Meinungsfreiheit, lautet der gängige Tenor. Diese Abstraktion klingt gut, inhaltlich ist damit freilich noch nichts ausgesagt. Für welche Meinung steht dann also der Slogan? Im Kontext mit den Anschlägen, und nur die haben im Anschluss zum Motto »Je suis Charlie« geführt, ist es die Verulkung eines Religionsgründers, die inhaltlich auf der Agenda steht. Der Spaß darüber, sich über ein Tabu im Zusammenhang mit religiösen Gefühlen von Menschen hinwegzusetzen, wird zur Meinungsfreiheit. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Und Charlie Hebdo hat in seiner langen Publikationsliste oft genug bewiesen, dass seine Zeichner nicht nur den muslimischen, sondern auch den christlichen Gläubigen (weniger den jüdischen) respektlos und despektierlich entgegentreten. Die Frage ist, an welchem Punkt der Spaß für Linke aufhören sollte. Öffentlichkeit findet ja nicht im luftleeren Raum statt, sie existiert nicht fernab einer historischen und aktuellen Situation, sondern äußert sich in einem konkreten sozialen, (geo)politischen und kulturellen Kontext. Und das gilt es in Erinnerung zu rufen.

Der Kontext, in dem die Mohammed-Karikaturen erscheinen, ist so geläufig wie er gerne verschwiegen wird. Frankreich steht – wie viele Länder der NATO – seit über 20 Jahren im Krieg gegen Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Nachdem dort seit den 1980er Jahren laizistische Organisationen und Regierungen mit westlicher Hilfe niedergerungen und in den vergangenen Jahren weggebombt wurden, entstand ein neues Feindbild: der von der westlichen Allianz mitgeschaffene, nun mit dem sich davon distanzierende »-ismus« versehene Islamismus. Französische Kampfjets und fallweise Bodentruppen löschten in den vergangenen Jahren Tausende Leben in muslimisch geprägten Ländern aus. Vom Irak 1991 und 2003 über Libyen 2011 bis Mali 2013 zieht sich eine Blutspur, bei Freunden und Verwandten der Getöteten wurde Verzweiflung und Hass gesät.

Das imperiale Gehabe in der muslimischen Welt spiegelt sich in der französischen Innenpolitik. Auch in ihr sehen dschihadistisch indoktrinierte Muslime Anlässe, zur Waffe zu greifen. Diese reichen von einer Gesetzgebung wie der »Loi Mékachéra« von 2005, die die Beleidigung von Angehörigen französischer Hilfstruppen während der Kolonialzeit in Algerien unter Strafe stellt, über Verbote, islamische Kleidervorschriften zu verfolgen, bis hin zur weit verbreiteten antimuslimischen Stimmung. Ausdruck davon sind u.a. die Hetze der Partei »Front National« und die Respektlosigkeit gegenüber religiösen Tabus, die sich eben in der Publikation von Propheten-Karikaturen äußert.

Die Abbildung Mohammeds wird von gläubigen Muslimen als Gotteslästerung empfunden. Fernab der muslimischen Welt, also z.B. in der Redaktion von Charlie Hebdo, kann man nur darüber lachen. Das ist verständlich, allerdings nur dann, wenn die Redakteure meinen, wirklich fernab der muslimischen Welt agieren zu können. So weltfremd wollen wir sie nicht einschätzen. Jedem in Frankreich ist bewusst, dass Milliarden von Euro budgetiert sind, um in der muslimischen Welt zu intervenieren. Militär, Geheimdienste und Außenministerium unterhalten Hunderte, ja Tausende Beschäftigte in Abteilungen, die dem sogenannten »Kampf gegen den Terror« ihre ganze Aufmerksamkeit widmen. Und einem Leser von Charlie Hebdo ist es wohl auch zumutbar, hinter dieser Begrifflichkeit einen Euphemismus zu erkennen. Es geht um die »Eindämmung« einer als bedrohlich empfundenen muslimischen Welt, militärisch gegen die Radikalen im Ausland (und seit den Anschlägen von Paris auch in Frankreich selbst), und juristisch gegen missliebige Lebensentwürfe im Inneren des Landes.

Die Rechte spielt schon seit geraumer Zeit die antiislamische Karte. In Frankreich sowieso, dort agiert der »Front National« rassistisch gegen nordafrikanische Immigranten, die seit dem Ende von Sozial- und Wohlfahrtsstaat ihr Heil in der – muslimischen – Religion suchen. Auch in Deutschland und Österreich haben Parteien wie die AfD oder die Bewegung Pediga bzw. die FPÖ »den Moslem« als dankbaren Feind erkannt. Als billige Arbeitskräfte ins Land geholte Menschen aus Jugoslawien/Bosnien und neuerdings auch per NATO-Bomben zwangsmobilisierte Araber werden von ihnen als »Parasiten am Sozialstaat« bezeichnet, so ausgehöhlt dieser auch sein mag. Mit dem Slogan »Je suis Charlie« können sich nun auch – vermeintlich – Linke im Gefühl einer kulturellen Überlegenheit suhlen: abendländische Aufklärung gegen morgenländische Religiosität.

Noch vor 20 Jahren wäre ein solches Verhalten als ein orientalistisches im Sinne des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward Saids enttarnt worden. Heute kann man sich in Huntingtonscher Manier ohne Gewissensbisse einer postkolonialen Attitüde hingeben. »Je suis Charlie« ist die eurozentrische Antwort im Verteilungskampf der Kulturen.

Zuerst veröffentlicht in: Junge Welt, 3. Februar 2015

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