Bremen: Alles gut mit der LINKEN?

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Bundesweit herrscht Katzenjammer in der LINKEN. Umso größer ist der Jubel über das Wahlergebnis in Bremen. Warum gewinnt DIE LINKE in Bremen, ist der Erfolg ein Modell für die Bundespartei, oder spricht nicht doch einiges gegen den Regierungskurs?

Von Sebastian Rave, Bremen

Kaum irgendwo ist der Unterschied zwischen Arm und Reich so groß. Bremen ist sowohl ein starker Industriestandort mit der höchsten Produktivität pro Einwohner*in als auch das Armenhaus der Republik. Alleine, dass Bremen ein Stadtstaat mit hoher Bevölkerungsdichte ist, spricht dagegen, dass das „Bremer Modell“ bundesweit nachgeahmt werden kann. Aber es gibt auch weitere Gründe:

Linke Regierungserfolge

Die Krise der letzten Jahre hat paradoxerweise Spielräume für DIE LINKE an der Regierung eröffnet. In der Pandemie konnte die Gesundheitssenatorin mit einer ordentlichen Impfkampagne punkten, die auch ärmere Stadtteile in den Blick nahm. In der Energiekrise wurde die Schuldenbremse ausgesetzt und ein drei-Milliardenpaket zur Abfederung der Krise verabschiedet. Die Krise hat die Dominanz des Neoliberalismus infrage gestellt, DIE LINKE konnte das nutzen.

Dazu kommt, dass die Regierungspartnerin SPD im bundesweiten Vergleich eher links steht. So konnten der höhere Mindestlohn für öffentliche Aufträge ebenso umgesetzt werden wie die Ausbildungsumlage. Konkrete Verbesserungen, für die DIE LINKE bei der Wahl scheinbar belohnt wurde.

Allerdings auch nur unter diesen Umständen – und nur von einem bestimmten Klientel. So fällt auf, dass der höchste Berufsanteil der LINKEN Beamt*innen sind. Ein Hinweis darauf, dass eine Regierungspartei irgendwann auch Staatspartei wird und damit einen automatischen Bonus dadurch bekommt, dass das Staatspersonal näher an einen heranrückt. Bei Menschen mit höherem Bildungsabschluss gewinnt DIE LINKE mehr (14%) als bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss (6%). Nur bei den Grünen ist dieses Verhältnis noch krasser – und bei den „Bürgern in Wut“ (BiW) ist es umgekehrt: 16% Wähler*innen mit einfacher Bildung, 6% mit höherer Bildung.

DIE LINKE konnte gute Ergebnisse in innenstadtnahen Stadtteilen erzielen, in der Neustadt 19,2%, in der östlichen Vorstadt 24,1% und wurde im Steintor sogar stärkste Kraft. In den prekären Vorstädten – Osterholz 7,8%, Huchting 7,4%, Bremen-Nord 6,9% – schnitt sie deutlich schwächer ab. Es überrascht nicht, dass auch die Wahlbeteiligung in den Stadtteilen niedriger ist, in denen der Anteil von SGB-II-Bezieher*innen höher ist.

Absturz und Aufstieg in Bremerhaven

Besonders deutlich ist der Kontrast zwischen Bremen und Bremerhaven: In der Stadt Bremen holt DIE LINKE 11,6 %, in Bremerhaven 6,1%. Krass ist in Bremerhaven der Vergleich zur letzten Wahl: 2019 holte DIE LINKE hier noch 17.267 Stimmen – 2023 waren es nur noch 10.103, ein Absturz um 42%. Die rechten BiW kommen in Bremen auf „nur“ 7,4%, in Bremerhaven dagegen werden sie mit 22,7% zweitstärkste, im kleinbürgerlichen Vorort Weddewarden und in der Hochhaussiedlung Leherheide-West sogar stärkste Kraft.

Aber warum wählen ausgerechnet ärmere Stadtteile eher rechts, wenn doch das Gegenteil in ihrem Klasseninteresse wäre? In Leherheide-West lag die Wahlbeteiligung bei knapp über 25%, die große Mehrheit wählte weder rechts noch irgendwas. Für BiW-Wähler*innen waren „Sicherheit und Ordnung“ sowie „Flüchtlinge“ wahlentscheidende Themen. In den prekären Stadtteilen werden soziale Verwerfungen deutlich, bei denen der bremische Reformismus an absolute Grenzen stößt. Einmal, weil es globale Krisen sind, die zu Flucht und Migration führen – nichts, was man in Bremen lösen könnte. Zum anderen drängen aber alle psychosozialen Folgen der Verelendung in den armen Stadtteilen – aber auch am „Brennpunkt“ Bahnhofsplatz – besonders deutlich in den sichtbaren Alltag.

Die Zunahme von psychischen Krisen, Gewalt, Kriminalität und Drogenabhängigkeit sind ein deutlicher Indikator für die gesellschaftliche Krise. Mehr Polizei, mehr Abschiebungen und Verdrängung lösen das Problem natürlich nicht. Dass diese Law-and-Order-Politik aber für diejenigen attraktiv scheint, die beklaut, belästigt und angeschnorrt werden, ist leider Fakt – übrigens ist das aber auch eine Politik, die unter Rot-Grün-Rot weiterging.

Enttäuschung und Demobilisierung

Es ist richtig, dass es für eine andere Politik, eine, die sich um die ganz Abgehängten kümmert und ihnen aus ihrer elenden Situation hilft, auch geduldige Sozialarbeit braucht, die gut ausgestattet sein muss. Ein Argument fürs Regieren? Naja. Leider ist es so, dass die geduldige Regierungsarbeit mit den erkämpften Brosamen eher zu Enttäuschung und Demobilisierung unter der ärmeren Bevölkerungsteilen geführt hat. Für sie hat sich nichts Grundlegendes in ihrem Leben verändert. Ein Ausbildungsfonds und ein Sozialticket für Wohngeld-Beziehende sind schön, aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein für die Menschen in Osterholz-Tenever, Huchting oder Leherheide-West.

Dabei sind es nicht die ganz Armen selbst, die rechts gewählt haben, sondern die, die mit ihnen in den gleichen Stadtteilen wohnen, dort aber etwas besser gestellt sind und um ihre „Privilegien“ fürchten – wie die, die immerhin noch ein Auto besitzen. Der Wahlkampf der BiW war ein absoluter Auto-Wahlkampf.

Denjenigen, die im Kapitalismus unter die Räder kommen, muss DIE LINKE ein Kampfziel anbieten, das ihr Leben konkret und spürbar verbessern würde: Kostenloser ÖPNV, nicht „perspektivisch“, sondern dieses Jahr, wäre so etwas. Der Bau von tausenden bezahlbaren Wohnungen durch die Stadt selbst wäre so etwas. Oder massive Investitionen in die Gesundheitsversorgung, statt nur einer Verteilung der knappen Ressourcen weg von den Krankenhäusern hin zu – trotzdem absolut sinnvollen – Stadtteil-Gesundheitszentren, mehr Personal in Krankenhäusern statt weniger, und dadurch auch ein Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz für die, die für die Gesundheit ackern.

Mitte-Links oder richtig Links?

DIE LINKE hat Verbesserungen umgesetzt und das meiste aus der Regierungsbeteiligung rausgeholt. Auch dadurch hat sie viel von dem Wähler*innenpotenzial für eine links-sozialdemokratische Partei ausschöpfen können. Dass ein solches Potenzial existiert, bezweifelt niemand – die Geschichte des seit dem Ende des Faschismus ununterbrochen sozialdemokratisch regierten Bremens beweist das zur Genüge. Die Frage ist, ob sich DIE LINKE damit zufrieden geben sollte, eine links-sozialdemokratische Partei zu sein, die die Verhältnisse etwas besser verwaltet als ihre weniger links-sozialdemokratische Konkurrenz.

Einige bejahen das mit Inbrunst – für andere ist das sozialistische Selbstverständnis der Partei mehr als nur ein „Wertekompass“, sondern ein tatsächliches Anliegen, die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden, und zwar nicht erst durch jahrzehntelanges „Hineintransformieren“ in eine sozialistische Gesellschaft – dass das nicht funktioniert, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Eine Systemopposition wäre die Art von Protest, mit der man auch in den Stadtteilen hätte punkten können, in denen die Enttäuschten zuhause geblieben sind und die Wütenden aus Protest rechts gewählt haben.

Ein Richtungsstreit um diese größeren gesellschaftlichen Fragen fand in der LINKEN an der Regierung kaum statt. Das Spitzenpersonal begnügte sich damit, in jeder Rede zu betonen, dass für sie die „soziale Frage“ im Mittelpunkt stehe. Eine versteckte Antwort auf den Vorwurf von Wagenknecht-Anhänger*innen, dass DIE LINKE eben diese soziale Frage vernachlässige und versuche, sozialdemokratischer als die SPD und grüner als die Grünen zu sein? Wenn man sich den Jugendwahlkampf anschaut könnte man gemein sein und sagen, hier ein Abziehbild von der Karikatur Wagenknechts von der Partei zu erkennen: Klimaschutz, Queer-Rechte, Antirassismus, Legalisierung von Cannabis – alles schön und gut, aber von „Klasse“ keine Spur. Da ist es nur konsequent, dass der Landesverband für Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt, wird dort doch immerhin ein Despot bekämpft der antifeministisch, queerfeindlich und alles andere als liberal ist.

Linke Opposition gegen Krieg und Aufrüstung

Dass man gegen Waffenlieferungen sein kann, ohne in den Verdacht zu kommen, Putin-Versteher*in zu sein, hat Olaf Zimmer bewiesen. Als Bürgerschaftsabgeordneter ist dieser konsequent gegen Waffenlieferungen, Aufrüstung und den imperialistischen Krieg von Russland und der NATO-Verbündeten aufgetreten und hat seine Solidarität mit der russischen Antikriegsbewegung und Deserteuren auf beiden Seiten erklärt.

Deshalb wurde er – nicht zuletzt auf Initiative der SAV – von einer „linken Opposition“ in der Partei mit einer Personenstimmenkampagne unterstützt, in der auch zu den anderen Fehlern der eigenen Regierungspartei nicht geschwiegen wurde: Egal ob es Personalabbau im Krankenhaus war, wo der politische Konflikt mit dem neoliberal-sparsamen grünen Finanzsenator letzlich gescheut wurde, oder der Umgang mit Bürger*innen-Initiativen wie gegen eine Bahnwerkstatt auf den sterblichen Überresten von sowjetischen Zwangsarbeiter*innen in Oslebshausen oder für den Erhalt von 136 Bäumen auf den Neustädter Deich.

Der Oppositionswahlkampf um Olaf Zimmer hatte nur sehr begrenzte Mittel und kämpfte um Sichtbarkeit. Auf dem Ostermarsch, am 1. Mai, dem Tag der Inklusion und dem Tag der Pflege waren wir gemeinsam auf der Straße und konnten Akzente setzen. Eine den Oppositionswahlkampf ankündigende Pressemitteilung vor dem Ostermarsch schlug ein wie eine Bombe und erhielt viel Zuspruch bei Friedensbewegten. Abseits davon gab es nur kleine, selbstgedruckte Plakate und wenige Handzettel, deren Verteilung uns noch untersagt wurde, weil das abgedruckte Foto von einem Mitarbeiter der Geschäftsstelle gemacht worden war, der ganz auf Parteilinie war.

Trotz dieses sehr begrenzten Wahlkampfes gelang es uns, dass Olaf Zimmer mit seinen 1740 Personenstimmen zum Teil deutlich an den beiden Parteisprecher*innen und dem stellvertretenden Fraktionssprecher – alle davon profilierte Waffenlieferungsbefürworter – vorbeiziehen konnte. Vom Außenseiter mit dem aussichtslosen Listenplatz 14 wurde er zweiter Nachrücker, und wird, das ist der ironische Turn dieses Wahlkampfes, im Falle einer Regierungsbeteiligung und zwei LINKEN Senator*innen, in die Bürgerschaft einziehen.

Die „linke Opposition“ hat verabredet, ihre Vernetzung und Unterstützung für Olaf Zimmer nicht aufzugeben. Eine drohende große Koalition will man gemeinsam verhindern, bevorzugt aber eine Minderheitenregierung mit wechselnden Mehrheiten gegenüber einer Unterordnung unter SPD und Grüne. Auch wenn ein solches Modell keine Mehrheit fände, ist das Ziel, den Preis für Mitregieren der LINKEN zu erhöhen. Ein Stachel im Fleisch der Regierung bliebe in jedem Fall.