Nachruf auf Winnie Wolf Unermüdlicher Revolutionär – treuer Genosse

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Mit tiefer Trauer müssen wir von der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN von einem engen Mitstreiter Abschied nehmen. Winfried – Winnie – Wolf ist am 22. Mai 2023 im Alter von 74 Jahren gestorben. Er erlag einem Krebsleiden.

Als wir die AKL 2006/2007 gründeten, war einer der inhaltlichen Bezugspunkte das Programm der PDS-Minderheit, an dem Winnie Wolf maßgeblich mitgearbeitet hatte. Winnie selbst war nicht mehr in der PDS, für die er zwei Legislaturperioden als Abgeordneter im Bundestag saß. Er war nach eigener Auskunft „parteilos glücklich“, aber er verfolgte die Gründung der AKL, eine gemeinschaftliche Strömung von Mitgliedern aus der PDS und der WASG sowie Parteilosen, sehr wohlwollend und wurde später Mitglied der AKL.

Wir wollten die in Gründung befindliche LINKE zu einer antikapitalistischen, sozialistischen und radikalen Bewegungspartei aufbauen. Die großen Krisen des Kapitalismus waren die Themen von Winnie und sie wurden zu Themen der AKL: Ausbeutung und Konkurrenz, die unweigerlich zu tiefen, zerstörerischen Krisen führen; die bittere Konsequenz dieser Krisen und der Kämpfe um Weltherrschaft in mörderischen Kriegen; und als neues Jahrhundertthema die immer schneller fortschreitende Erwärmung des Weltklimas mit katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit. Und immer wieder stand die praktische Solidarität mit konkreten Kämpfen der Arbeiter:innenklasse und sozialen Oppositionsbewegungen überall in der Welt im Fokus unserer gemeinsamen Aktivitäten.

Winfried Wolf war ein 68er. Er schloss sich als Student 1968 der Vierten Internationale und deren deutschen Organisation Gruppe Internationale Marxisten (GIM) an. Die Solidaritäts- und Antikriegsbewegung mit der Revolution in Vietnam, die Proteste gegen die Invasion der Armee der Sowjetunion und ihrer Bruderstaaten in die CSSR 1968; die Solidarität mit dem Kampf gegen die Diktaturen in Griechenland, Spanien, Portugal und Chile; die Unterstützung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc im Kampf gegen die bürokratische Diktatur – das waren die großen Themen der politischen Arbeit von Winnie.

1973 trat er in die Redaktion der Zeitung „Was Tun“ ein, die als unabhängige revolutionär-sozialistische Zeitung gegründet wurde und später zur Zeitung der GIM wurde.

Als ein größerer Teil der GIM, wie so viele der 68er Linke, ab 1980 von der Parteineugründung „Die Grünen“ fasziniert war und sich letztlich dieser Partei anschloss, verfolgte die Mehrheit der GIM mit Winnie Wolf ein Alternativprojekt: Die Vereinigung mit einer ehemals maoistischen Gruppe zur Vereinigten Sozialistischen Partei. Von 1987 an war Winnie dabei, aber die deutsche Wiedervereinigung 1989 führte zu neuen Meinungsverschiedenheiten über die „deutsche Frage und die Einheit der Nation“. Winnie sah keine positive Dynamik mehr in der Frage der deutschen Einheit, die nationale Frage sei nicht mehr von links zu besetzen. Winnie schloss sich der eine kurze Zeit existierenden „Radikalen Linken“ an, aber auch die zerbrach an der deutschen Frage beziehungsweise letztendlich am 2. Golfkrieg von 1991, wo ein erheblicher Teil der Linken zum Bellizismus einschwenkte.

Seine nächste Heimat wurde die PDS, für die er von 1994-2002 im Bundestag saß. Es war die Zeit, in der in der PDS – ähnlich wie heute in der LINKEN und teilweise von denselben Leuten angeführt – ein heftiger Streit um die Frage der Bundeswehr, der NATO und der dem Kapitalismus innewohnenden Kriegsgefahr ausgefochten wurde. Winnie war einer der Wortführer des konsequenten Kampfes gegen Militarisierung und Krieg.

Mit großem Interesse, aber auch mit Skepsis verfolgte Winnie 2004 das neue linke Parteiprojekt „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) und die Fusionsdiskussionen mit der PDS ab 2005. An den Beratungen, eine politische Strömung gemeinsam aus WASG-Linken, PDS-Linken und Unabhängigen zu gründen, aus denen die AKL hervorging, nahm Winnie mehrfach teil oder ließ sich ausführlich berichten.

Der Ökosozialist und „Verkehrsexperte“

Mitte der Siebziger Jahre begann in Deutschland und mehreren anderen Ländern eine neue, bis dahin unbekannte Massenbewegung. Millionen Menschen engagierten sich im Kampf gegen die Atomenergie und den Bau von neuen Atomkraftwerden. Daraus entwickelte sich rasch eine umfängliche Protestbewegung gegen die umweltzerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus. Es engagierten sich vor allem junge Leute und überall, nicht nur in den städtischen, universitären Zentren.

Winnie Wolf spürte als einer er ersten die Bedeutung dieser Bewegung und die Herausforderung für die klassische marxistische Theorie, diese Bewegung und ihre Forderungen zu integrieren. Winnie war ursprünglich großer Autonarr und Freund des Motorsports. Als Redakteur der „Was Tun“ machte er sich einen Spaß daraus, für eine angebliche Beurteilung in der „Was Tun“ Testautos von verschiedenen Herstellern anzufordern, die dann für eine Weile zum „Parteiauto“ der GIM wurden. Aber er vollzog mit einer Doktorarbeit über die Geschichte des Autos und der kapitalistischen Autoproduktion eine völlige Kehrwende.

Von nun an wurde er zum systematischen Kritiker des kapitalistischen Verkehrswesens. Seine Doktorarbeit „Eisenbahn und Autowahn“ wurde zum Klassiker der linken Kritik am Automobilismus. Das Buch erschien in mehreren Auflagen und Sprachen. Winnie wurde zum rastlos auftretenden Berater von Verkehrsinitiativen, Eisenbahnförderern und Bewegungen gegen konkrete Verkehrsprojekte – und auch Ehrenmitglied der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL). Als gebürtiger Schwabe, geboren in der Nähe von Ravensburg, fühlte er sich vor allem der Bewegung gegen den monströsen Bahnhofsneubau „Stuttgart 21“ verbunden. Er schrieb Gutachten, analysierte die Bahn-Propaganda und trat auf den Stuttgarter Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21 auf.

Winnie Wolf unterstützte auch die Bewegung gegen die Atomenergie mit mehreren Büchern und Broschüren zur politischen Ökonomie der Atomindustrie.

Der politische Ökonom

Winnie Wolf war studierter marxistischer Ökonom, der ganz in der Tradition seines Lehrers, Ernest Mandel, die Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Produktionsweise analysierte und sich regelmäßig freute, wenn er mit seinen Krisenprognosen nicht völlig irrte. Diese Synthese aus politischen und ökonomischen Faktoren zur Beurteilung der nächsten Zukunft des Kapitalismus, mag von all denen belächelt werden, die schon lange die Hoffnung aufgegeben haben, dass eine umfängliche Alternative zum Kapitalismus möglich ist, aber produktiver und für die praktische Politik nützlicher als all die Versprechen, den Kapitalismus irgendwie „mitzugestalten“, sind diese Analysen allemal.

In mehreren Orten, allen voran in Köln, wurde es zur „Tradition“, jeweils zum Jahresbeginn eine Diskussionsveranstaltung mit Winnie zu den Krisentendenzen des Kapitalismus durchzuführen.

Auch für die AKL war Winnie mehrfach als politischer Ökonom als Referent tätig.

Der Zeitungsmacher

Nichts begeisterte Winnie in der politischen Arbeit mehr als das Zeitungmachen, ganz analog und klassisch gedruckt. Und er konnte damit – als Alternativprogramm zu digitalen Formaten, Podcasts und Videos – bis zuletzt auch regelmäßig Unterstützer:innen begeistern.

Zweimal im Jahr erscheint die von ihm gegründete „Zeitung gegen den Krieg“, zuvor schon die Antikriegszeitung „desert!“, in der Solidarität mit der Linken in Griechenland erschien die „Faktencheck Hellas“, in der Debatte über die EU „Faktencheck EU“; in der Corona-Krise „Faktencheck Corona“. Beim Streik der GDL-Eisenbahner:innen wurde die „Streikzeitung“ publiziert, für die Kölner Ford-Kollegen gab es das Projekt „links eröm“.

Die Auflagen betrugen in der Spitze 80.000 Exemplare.

Bis zuletzt war Winnie „Chefredakteur“ der von ihm gegründeten Zeitung „lunapark 21“, die sich als vorzügliches Magazin der politisch-ökonomischen Kritik des Kapitalismus entwickelt hat.

Wir verlieren einen engen Freund und Genossen

Für die AKL stand Winnie immer mit Rat und Tat bereit. Er bestritt in der Corona-Zwangspause ungezählte Video-Veranstaltungen mit uns oder im Bündnis mit anderen. Als die AKL in der aktuellen Debatte um den Ukraine-Krieg mit einer Erklärung und als einer der ersten Debattenbeiträge auftrat, in der sowohl der Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine als auch der Stopp der Waffenlieferungen und der Sanktionen, die nur auf Kosten der Bevölkerung wirkten, gefordert wurden, stand Winnie voll auf unserer Seite. Eine Politik der Nato-Unterstützung kann für Linke ebenso wenig die Alternative sein wie eine Unterstützung der russischen Invasionspolitik.

Auf dem Landesparteitag der LINKEN-NRW Ende April dieses Jahres hielt Winnie einen begeisternden Vortrag zur Verkehrswende aus linker Sicht. Wir alle hofften, dass er sein Krebs-Leiden überstanden hätte. Aber leider war dies nicht der Fall.

Wir verlieren einen unersetzbaren Mitstreiter und Genossen. Niemand ist heute in Deutschland in linker Verkehrspolitik so versiert wie Winnie es war. Er verlässt uns zu einem Zeitpunkt, zu dem zentrale Forderungen wie der Nulltarif im ÖPNV populär werden. Wir erinnern uns an ihn, indem wir seine Anliegen weiterverfolgen und ihm in Geiste mitnehmen zu Protesten, Streiks und Demonstrationen.

Voller Anteilnahme bei allen Angehörigen und Freund*innen verabschieden auch wir unseren langjährigen Freund Winfried Wolf. Ruhe in Frieden.

Bundesprecher:innenrat der AKL

Inge Höger, Lucy Redler, Ingrid Jost, Marion Morassi, Tim Fürup, Jürgen Aust, Thies Gleiss