Bericht vom „Was Tun – Kongress“ am 6. Mai in Hannover

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von Thies Gleiss, Köln, 7. Mai 2023

Trauerarbeit, Scharren mit den Hufen und Warten auf den oder die Messias 

AUFBRUCHSTIMMUNG IST ETWAS ANDERES

Es waren nach meiner Zählung knapp 200 Menschen, die sich am 6. Mai in Hannover an einem Kongress über die Zukunft der und in der LINKEN beteiligten. „Was Tun?! Die LINKE in Zeiten des Krieges“. Vielleicht kommen dazu noch drei Dutzend Personen, die sich im Außengelände beim Bratwurstgrill aufhielten. Die meisten Teilnehmenden hatten die 50 Jahre schon länger überschritten, die Männer dominierten.

Das ist nicht viel, aber auch keine schlechte Mobilisierung in Zeiten, wo die LINKE allseits wie gelähmt erscheint. Es hätte also durchaus so etwas wie ein Signal, eine Aufbruchstimmung von diesem Kongress ausgehen können. Aber das war leider nicht der Fall.

Ein Drittel der sich aktiv am Kongressgeschehen beteiligenden Besucher:innen outete sich als Nicht-mehr- oder generell Nicht-Mitglied der LINKEN. Tragender Begriff ihrer Interventionen war „Verzweiflung“. Sie verrichteten öffentlich Trauerarbeit über die Partei, die sie verlassen hat und die sie verlassen haben. Eine Perspektive, wie es weiter gehen oder wieder los gehen könnte, wurde von ihnen nicht angeboten.

Ein weiteres Drittel gehörte zu den erklärten Sahra-Wagenknecht-Fans. Sie warten auf ihre Erlöserin und als materialistisch geschulter, in realen gesellschaftlichen Kämpfen erfahrener und mit gesundem Menschenverstand ausgestatteter Beobachter steht man nur fassungslos vor solchen Erscheinungen und der politischen Selbstentleibung. Die angebetete Retterin kam nicht selbst nach Hannover, sondern schickte einen Videogruß, in dem großzügig die laufenden Debatten begrüßt wurden – sonst nichts. Es hatte etwas von Selbstparodie.

Das letzte Drittel bezeugte mehr oder weniger leidenschaftlich seine Entschlossenheit, weiter in der LINKEN zu kämpfen, scharrte aber auch mit den Hufen, falls es doch nach draußen gehen sollte. Aber auch hier klang Ratlosigkeit durch jede Zeile.

Dazu kamen einzelne Interventionen der eher lustigen Art, in denen noch von Mobilisierung gegen die Sowjetunion gesprochen wurde, oder wie vom Minnesänger Diether Dehm das Modell einer von oben streng geleiteten Partei mit durch viel Geld ruhig gestelltem Massenanhang gepriesen wurde.

Der Krieg in der und um die Ukraine

Die Partei DIE LINKE ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sehr unterschiedliche politische Positionen und Strategien miteinander zu verbinden versucht. Das hat mehrere Jahre geklappt, war anfangs sogar ein Erfolgsgarant für dieses neue Kapitel linker Parteiengeschichte in Deutschland. Heute klappt das nicht mehr und die LINKE ist handlungsunfähig und ohne jede politische Ausstrahlung. Verschiedene Personen, allen voran Sahra Wagenknecht, und verschiedene Strömungen spielen nur noch nach ihrer eigenen Agenda.

Als ob das nicht schon schlimm genug ist, hat der Krieg in der und um die Ukraine in das innerparteiliche Durcheinander noch eine weitere stramme Fessel gezogen. In der Kriegsfrage (die meisten reden immer von Frieden, es geht aber um Krieg, weil nur der bekämpft werden kann) überschneiden sich die die Strömungen in neuer Konstellation.

So gehörten zu den Teilnehmenden des „Was-Tun-Kongresses“ neben den Sahra-Fans, den DDR- und UdSSR-Freund:innen, der Kommunistischen Plattform, der Sozialistischen Linken auch stramme Regierungssozialist:innen, wie die Spitzenkandidatin der LINKEN bei der NRW-Wahl, Carolin Butterwegge, oder der fleischgewordene Parlamentarismus Matthias Birkwald.

Sie eint die neue überragende Position, dass es falsch ist, den Krieg mit immer mehr Waffenlieferungen beenden zu wollen.

Der erste Themenschwerpunkt des Kongresses behandelte diesen neuen Weltkrieg. Es gab dazu Einleitungsbeiträge vom langjährigen Mitglied des Präsidiums des Bundesausschusses Artur Pech und von den Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen und Andrej Hunko.

Sie fassten die bekannten Positionen zusammen, zu denen ich oder wir von der Antikapitalistischen Linken wenig Differenzen haben. Waffenlieferungen der Nato und der Wirtschaftskrieg gegen Russland werden den Krieg nicht beenden und nur den Blutzoll, der vor irgendwelchen in jedem Fall stattfindenden „Verhandlungen“ geleistet wird, in die Höhe treiben. Der Krieg hatte selbstverständlich eine „Vorgeschichte“, zu der die Einkreisungspolitik der Nato gegenüber Russland gehört.

Die LINKE hat mit ihrem zögerlichen Verhalten gegenüber den Anti-Kriegs-Mobilisierungen, trotz mehrheitlicher Beschlüsse auf dem Parteitag, ihr Ansehen und Einfluss beschädigt.

Es wurde auf diesem Kongress, aber im Grunde auch schon vorher, deutlich, dass eine klare Mehrheit der LINKEN diese Positionen teilt, aber das hartnäckige Hintertreiben der Parteibeschlüsse durch parlamentarische Initiativen und öffentliche Auftritte der Nato-Freund:innen und Regierungssozialist:innen in der LINKEN sind ein immer größer werdendes Ärgernis.

Der Was-Tun-Kongress unterstützte deshalb in mehreren Beiträgen und in seiner Abschlusserklärung die Bemühungen, in der Kriegsfrage einen Mitgliederentscheid herbeizuführen. Wichtig ist in diesem Kontext dann aber, wie die genaue Abstimmungsformel aussehen wird.

Die Kritik an Waffenlieferungen wird aber kaum eine ausreichende Grundlage für eine Neuformierung eines linken Flügels in der LINKEN sein.

In Einleitungen und Diskussionsbeiträgen des Kongresses in Hannover wurden die vielen ungelösten Fragen deutlich, die sich in kürzester Zeit wieder in den Vordergrund drängen werden.

Zur Vorgeschichte des Ukraine-Krieges gehört neben der Nato-Politik viel mehr noch die reale Geschichte seit Ende der UdSSR. Die Entwicklung Russlands zu einem neuen imperialistischen Akteur wird von den meisten in Hannover Versammelten schlicht ausgeklammert, von China wurde gar nicht erst geredet.

Die gängige, aber gleichfalls falsche Richtschnur in der internationalen Politik ist für die meisten der Teilnehmenden des Was-Tun-Kongresses immer wieder der Campismus, in denen Solidarität mit Staaten gefordert wird, die zwar furchtbare Diktaturen sind, wie das heutige Nicaragua oder eben Russland, aber dennoch „progressiv“ sein sollen, weil sie sich gegen den US-Imperialismus auflehnen.

Überflüssig zu sagen, dass auf diesem Hintergrund die ebenso einfache wie richtige Forderung nach dem Rückzug der russländischen Truppen aus der Ukraine, auf dem Kongress in Hannover nicht zu hören war.

Vom Zustand der Partei

Zweiter Themenschwerpunkt in Hannover war die Diskussion über die Frage, was für eine linke Partei heute gebraucht wird.

Sie wurde durch einen Einführungsbeitrag von Ralf Krämer, Ex-Mitglied der LINKEN und führendes Mitglied in der Sozialistischen Linken, eingeleitet.

Er führte in 15 Thesen ein Organisations- und Politikkonzept aus, das in der dann folgenden Debatte glücklicherweise keinerlei Beachtung mehr erfuhr.

Es war die langweilige Wiedergabe des alten Konzeptes der Sozialistischen Linken: Eine linksreformistische Partei, die angeblich realistisch bleibt, sich von den zu radikalen Elementen trennt, die fromm der Theorie des Stamokap (Staatsmonopolistischen Kapitalismus) folgt und eine auf staatliche Politik, Regierungsübernahme und kleine Reformen orientierte Strategie umsetzt.

Wer sich ein wenig in der traurigen Geschichte dieses speziellen sozialdemokratischen Flügels der deutschen Linken auskennt, hörte unverhohlen den Wunsch nach einem vierten Aufguss des alten Stamokap-Tees heraus, nach SHB/Juso-Aktivität, Gründung der Demokratischen Sozialisten als Alternative zu den GRÜNEN, Mitarbeit in der PDS und dann Gründung der LINKEN. (Hier ist der link zu den Einleitungsthesen von Ralf Krämer:

https://www.ralfkraemer.de/wordpress/wp-content/uploads/2023/05/Was-fuer-eine-linke-Partei-wird-gebraucht-zum-Vortrag-gekuerzt.pdf?fbclid=IwAR0dytIqtAAQZ4xDP4JXzV1JsLmjdNuOjZWVLjbdYPlAYYFOj3npI9WotLY

Alle wichtigen Themen, die heute die Krise der LINKEN bestimmen, werden damit umschifft und spielten auch in der folgenden Debatte keine Rolle.

Warum ist auch die LINKE wie so viele andere linke Parteien Opfer der Dialektik der partiellen Errungenschaften geworden, wo parlamentarischer Erfolg und Aufbau eines starken professionellen Parteiapparats in bürokratische Hemmnisse und Verselbständigung des Parlamentarismus umschlagen?

Wie kann heute ein ökosozialistisches Programm aussehen, dass die sozialen Widerstände gegen die großen kapitalistischen Krisen – Ausbeutung – Umweltzerstörung – Krieg – in einer radikalen Strategie zusammenfasst?

Was müssen die Bestandteile einer neuen linken innerparteilichen Kultur ausmachen, die ein Mehr an Demokratie gegenüber allen anderen Parteien, ein bewusstes Ausnutzen der Möglichkeiten digitaler Kommunikation und gleichzeitig eine größtmögliche Handlungsfähigkeit als sozialistisches Kollektiv ermöglichen?

In der Debatte kam dann leider neben Wehklagen nicht viel heraus. Dabei fiel ein interessanter Mangel an Aufklärung auf: Durchweg wurde die Erzählung übernommen, die Krise der Partei sei ein Resultat des Handels des „Parteivorstandes“. Über die Arbeit des Parteivorstandes kann sicher gestritten werden. Dass er vom letzten Parteitag in einer Gemeinschaftsinitiative von Regierungslinken und Bewegungslinken stark verkleinert wurde, ist ebenfalls ein kapitaler Fehler. Aber ansonsten spiegelt der PV die Partei ganz gut wider. Er hat die Krise nicht ausgelöst, er versucht sie zu verwalten.

Die offenkundige Verantwortung für den Rechtskurs der Partei – auch in der Kriegsfrage – hat nicht der Parteivorstand, sondern liegt bei den Parlamentsfraktionen und Regierungsbeteiligungen, in den Wahlkämpfen, bei den Kandidat:innen, bei den Talkshowauftritten der Parteiprominenz. Das wurde von fast keinem der Kongress-Teilnehmenden kritisiert.

So bleibt dieser Tagesordnungspunkt „Zustand der Partei“ eine große Leerstelle. Daran muss noch viel gewerkelt werden, an Zustandsbeschreibung, an Analysieren von eventuellen Gegenkräften und an der Entwicklung von Alternativen.

Weiter vernetzt bleiben

Der Kongress „Was Tun“ billigte abschließend eine Schlusserklärung. Sie ist hier zitiert:

Was tun? Für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie!

Auf Einladung der AG Frieden und Antimilitarismus (Bremen), der Karl-Liebknecht-Kreise Ba-den-Württemberg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, des Liebknecht-Kreis Sachsen, der LAG Innerparteiliche Bildung und Theorie Niedersachsen, der LAG Linksrum Hessen, von Quo Vadis – Die Linke? (Hamburg) und der Sozialistische Linken haben sich am 6. Mai 2023 in Hannover Mitglieder und ehemalige Mitglieder der LINKEN getroffen.

Gemeinsam stellen wir fest:

Der Krieg in der Ukraine und der weltweite Wirtschaftskrieg wird

durch die Regierenden immer weiter eskaliert, die Welt kommt einer globalen Katastrophe immer näher. Der Kampf gegen den Klimawandel, der nur gemeinsam gewonnen werden kann, bleibt auf der Strecke. Armut und Ausbeutung nehmen zu, statt dass die Menschen sie überwinden und denen die Macht entreißen, die davon profitieren.

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die unter Krieg und Unterdrückung leiden, mit den Arbeitenden weltweit. Aber wir müssen dort für eine andere Politik kämpfen, wo wir zu Hause sind und am meisten bewirken können. Dieses Land braucht eine politische Kraft, die klar und deutlich für Frieden und internationale Zusammenarbeit, für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, für ein gutes und naturverträgliches Leben für alle und für mehr Freiheit und Demokratie in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft eintritt. Eine Kraft, die den Kapitalismus überwinden und eine selbstbestimmte Entwicklung für alle Völker ermöglichen will. Eine Kraft, die die gemeinsamen Interessen der arbeitenden Klassen in den Mittelpunkt stellt, die sozial und friedlich Gesinnte sammelt, der alle Menschen gleich viel wert sind und die gemeinsam für diese Ziele kämpft.

Doch der Parteivorstand, große Teile des Parteiapparates, auch Teile der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE, versagen in diesen Fragen eklatant. Grundlegende friedenspolitische Positionen des Erfurter Programms werden nach und nach aufgegeben. In der internationalen Politik ist DIE LINKE unklar und zerrissen und erscheint vielfach als linksliberaler Flügel des herrschenden Blocks. Immer weniger wird sie als eine glaubwürdige Alternative zu Kapitalismus und Imperialismus wahrgenommen. Die im innerparteilichen Kulturkampf verengte Orientierung auf kleine Milieus führt dazu, dass die gemeinsame Klammer in der Verteidigung der sozialen Interessen der Lohnabhängigen verloren geht. Das hat DIE LINKE gespalten.

Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die sich in Tarifauseinandersetzungen und anderen Arbeitskämpfen, in Bewegungen für Frieden und Klimaschutz und für mehr Demokratie engagieren. Es ist die Aufgabe von Linken solche Kämpfe mit eigenen Positionen zu unterstützen.

Wir organisieren uns im Was-tun-Netzwerk, um in diesem Sinne zu wirken. Wir sind aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, in den Gewerkschaften, in Friedensgruppen oder Umweltinitiativen, und bitten diese ihrerseits ihre Anforderungen und Erwartungen an eine kämpferische und konsequente Linkspartei zu formulieren. Wir fordern gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben.

Die Partei DIE LINKE kann in diesen Kämpfen eine Rolle spielen, wenn sie zu grundlegenden Aussagen ihres Erfurter Programms zurückfindet. Dafür setzen sich viele von uns in den Gliederungen und in den Landesverbänden, auch mit Blick auf die bevorstehenden Regionalkonferenzen und den nächsten Bundesparteitag, ein. Wir treten dafür ein, dass dies noch organisierter und koordinierter geschieht. Wir unterstützen einen Mitgliederentscheid zur Friedenspolitik der Partei. Gleichzeitig zwingt uns die Situation aber dazu auch darüber zu sprechen welche Chancen es noch gibt, die LINKEN wieder auf einen antikapitalistischen und friedenspolitischen Kurs zu drehen und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Debatte werden wir fortsetzen.“

Das ist nicht viel, aber mehr als nichts. Gemeinsame Debatten zur Verteidigung dessen, was die LINKE erreicht hat – und das ist mehr als die eigentliche Partei – sind heute dringend erforderlich. Jede und Jeder sollte sich daran ohne Vorbedingungen beteiligen.

Ich bin links“ – dass sollte wieder das selbstbewusste Bekenntnis einer ganzen neuen Generation werden: Zuhause gegenüber den Eltern und Großeltern, in der Schule, im Betrieb, auf der Straße. Dafür eine Heimat, eine Partei eine Aktionsbewegung zu schaffen, das bleibt ein lohnendes und unerlässliches Ziel.