Die LINKE kann nicht Krise: Anmerkungen zu einem Dauerproblem der Partei

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Von Thies Gleiss

Die LINKE kann nicht Krise? Kommt das bekannt vor? Dann ist das gut beobachtet. Zum wiederholten Male schreibe ich für die AKL einen Beitrag über das frappierende Unvermögen der Partei DIE LINKE, auf gesellschaftliche Großkrisen in einer Weise zu reagieren, dass die gesellschaftliche Notwendigkeit einer radikalen linken Partei unterstrichen, der Aufbau einer solchen Partei in der realen Gesellschaft vorangetrieben und die Auseinandersetzungen mit den politischen Gegner*innen zugespitzt werden – und damit ein wirklicher Beitrag unter der Überschrift „Links wirkt“ geleistet wird.

Die LINKE ist – wie sollte es anders sein – selber Kind einer umfassenden gesellschaftlichen Großkrise. Ihre Gründungsgeschichte basiert auf drei Ereignissen: Erstens auf der finalen Krise der politischen Reste der untergegangenen DDR in Form der PDS. Ohne die Gründung der LINKEN wäre die PDS heute Geschichte. Die LINKE wurde die erste gesamtdeutsche Partei, und sie hat leider nicht ausreichend Antworten auf die Fragen gefunden, die sich einer neuen linken Partei in Großdeutschland stellen.

Zweitens auf der tiefsten Krise der SPD seit Beginn der Bundesrepublik. Sie verlor mit ihrer „Agenda 2010“ und den „Hartz-Gesetzen“ Ansehen und Moral und im Zuge dessen gut die Hälfte ihrer Mitglieder und ihrer Wähler*innen-Basis. Sie verwandelte sich unter Gerhard Schröders Kanzlerschaft von einer in vielerlei Hinsicht ambivalenten bürgerlichen Arbeitnehmer*innenpartei zu einer fast komplett gleichgeschalteten Verwaltungseinrichtung für die politischen Interessen der herrschenden kapitalistischen Klasse, die sich am üblichen korrupten Geschäft der Berufspolitik in den Parlamenten und im staatlichen Verwaltungsbetrieb beteiligte.

Und drittens schließlich fiel die Gründung der LINKEN mit einer tiefen Krise des auf wackelige Finanzmarktgeschäfte konzentrierten Kapitalismus zusammen. Die Ära des selbstbewussten Neoliberalismus, in der der Markt angeblich alles regeln würde, brach wie ein Kartenhaus zusammen, die Zeit der unfassbar hohen Sonderwirtschaftsprogramme zur Rettung der Profite begann.

Zeit für eine neue soziale Idee

Es war eine Zeit, in der eine neue soziale Idee überreif wurde. Ohne den persönlichen Beitrag von Tausenden von zum Aufbruch in eine neue Partei entschlossenen neuen und alten Linken schmälern zu wollen; natürlich auch ohne den Beitrag von echten und selbsternannten prominenten Führer*innen unter diesen Linken geringzuschätzen, waren es diese objektiven Prozesse und krisenhaften Entwicklungen, die den Erfolg der LINKEN ausmachten. Die Partei wurde gewollt und gebraucht. Nicht Gysi und Lafontaine haben die neue linke Partei geschaffen – sie verkörperten eher die für solche „Prominenten“ übliche Doppelrolle des „Jetzt machen wir mal, aber bitte nicht zu dolle“ – sondern die vielen Aktiven, die zu einer zeitgemäßen politischen Antwort auf die Krise des Kapitalismus bereitstanden.

Insofern ist es nicht überraschend, dass die LINKE in den Gründungsjahren und bei der Bundestagswahl 2009 ihre bisher besten Erfolge einfuhr. Die Partei war komplett unfertig und ihm Aufbau; von den heute die Lagerräume füllenden Hochglanzprogrammen war noch kaum etwas geschrieben und gedruckt; die zurzeit in den Talkshows herumgereichten Promis – von Wagenknecht, über Lafontaine, Gysi bis zu den bizarren Selbstdarstellern vom Schlage eines Diether Dehm – waren noch weitgehend unbekannt und mussten mühsam aufgebaut werden und ließen sich bereitwillig „aufbauen“; und in den Wochenberichten der demoskopischen Institute wurden der „neuen linken Partei“ lustigerweise die „18-Prozent“ an Unterstützung vorhergesagt, die auch aktuell einer „Wagenknecht-Partei“ prophezeit werden – „links wirkt“ offenkundig auch ohne Promis, bunte Heftchen und „corporate design“ von oben nach unten, und in der Regel sogar besser als mit dem ganzen Zeugs.

Leider hat die LINKE die vielen Chancen, die aus den gesellschaftlichen Krisen ihrer Gründungszeit erwuchsen nicht aufgegriffen, viele hat sie geradezu versemmelt. Statt eine Partei der Mitglieder und ihres breit gefächerten Aktivismus zu werden, gab es eine Konzentration auf den Aufbau von oben nach unten. Statt die wirkliche gesellschaftliche Verankerung voranzutreiben, in Betrieben, Stadtteilen, Bildungseinrichtungen, sozialen Bewegungen und Institutionen, wurde ausschließlich auf Wahlkämpfe und die Eroberung aller möglichen parlamentarischen Posten gesetzt. Statt dem für linke Neugründungen immer unerlässlichen Aufbauslogan „Jetzt wählen wir uns selber“ zu folgen, statt Politik in der ersten Person zu entwickeln, setzte sich in Windeseile und forciert durch die startbereiten „Promis“ das Konzept einer Stellvertreter*innenpolitik durch, wie es von SPD, Gewerkschaftsführungen und auf ihre besondere Art auch den GRÜNEN nur zu bekannt war. Statt, wie es jede Krise und vor allem jede neue linke Kraft in solchen Krisen erfordern, die „Systemfrage“ zu stellen und soziale Konflikte zuzuspitzen, setzten sich in der LINKEN die affirmativen Kräfte, die Mitgestalter*innen durch. Statt das Konzept einer neuen linken Partei zu vollenden, kam eine schnöde, langweilige Kopie der bekannten alten Parteien heraus, die sogar noch besonders übereifrig das Nacheifern der Originale betrieb – bis hin zu schrägsten Anpassungen in Kleider- und Geschäftsordnungen oder Parteitagsinszenierungen.

Krisen pflastern ihren Weg

Niemand sollte glauben, dass es nur zur Anfangszeit der LINKEN die mobilisierenden Krisenthemen und echte Krisen gab und danach die kapitalistische Normalität des „rheinischen Kapitalismus“ wieder hergestellt wurde, was sich viele Strategen (und eine Strategin in der LINKEN ganz besonders) erträumt hatten. Ganz im Gegenteil, der Kurs der Partei zu der heute erlebbaren Kopie alter reformistischer oder gar nur reformerischen Parteimodelle wurde die ganzen 16 Jahre der Parteiexistenz immer wieder durch gesellschaftliche Ereignisse geprägt, bei denen eine grundsätzliche Kapitalismuskritik, eben die „Systemfrage“ auf der Tagesordnung stand.

Neben dem Dauerthema „Hartz-IV“, das bis heute und auch durch die Reform zum „Bürgergeld“ nicht vergessen werden kann, und der „Finanzmarktkrise“ der Gründerjahre, haben gerade diese regelmäßigen Krisenerscheinungen dafür gesorgt, dass der Anpassungsprozess der LINKEN zu dem, was sie heute ist, verlangsamt wurde und immer wieder ein kleiner Radikalisierungsschub erfolgte.

Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 und die seit langem zugespitzte Antiatombewegung in Deutschland zwangen die deutsche Regierung zu einem forcierten Atomausstieg, staatlichen, „planwirtschaftlichen“ Eingriffen in die Energiepolitik und eine breite gesellschaftliche Debatte über Alternativen. Für die LINKE bedeutete dies Präzisierung ihrer programmatischen Positionen und Mitarbeit in der aufgefrischten Anti-Atomkraftbewegung. Es war auch der Beginn des Aufschwungs einer weltweiten Bewegung für Klimagerechtigkeit, die die Alternative „Kapitalismus oder Klimarettung“ auf die Agenda setzte. Seit dieser Zeit ist aus einem Thema unter vielen die Klima- und Umweltfrage zur Jahrhundert- oder gar Jahrtausendfrage aller emanzipatorischen und fortschrittlichen Kräfte in der Welt geworden. Das alte „Sozialismus oder Barbarei“-Bild von Rosa Luxemburg muss heute umfassend aufgegriffen werden: Ökologisch nachhaltiger Sozialismus oder Untergang im kapitalistischen Kampf um die Reste der verbleibenden Lebensressourcen – das ist heute die große Alternative.

Die Finanzkrise ging nahtlos in eine schwere Euro- und EU-Krise über, die bis heute anhält. In ihrer Folge entstanden überall in Europa neue Rechtskräfte, oder alte rechte Parteien lebten auf, die mit der Kritik an der EU und nationalistischer „Unser-Land-zuerst“-Demagogie ihre Anhänger*innen mobilisierten und Wahlerfolge feierten. Das zentrale Projekt des europäischen Kapitals, eine eigene Binnenmarktvergrößerung und bessere Voraussetzungen im internationalen Konkurrenzkampf zu gewinnen, geriet in eine echte Existenzkrise. Sie hatte 2011 ihren politischen Höhepunkt – aber längst nicht ihr Ende – in den Ereignissen in Griechenland, wo eine linke Partei die Mehrheit eroberte und praktische Alternativen zu einer kapitalistischen Entwicklung an die Spitze der Tagesordnung rückten. Die gesamte europäische Linke und ihre stärkste Partei in Deutschland hatten die Tagesaufgabe, die Systemfrage nicht nur zu stellen, sondern zu beantworten.

2011 ist auch das Jahr des arabischen Frühlings und revolutionärer Aufbrüche im Nahen Osten. In ihnen begann das kleine Lichtlein zu leuchten, dass es eine humanitäre Alternative zu den schrecklichen Weltneuordnungskriegen von USA, Nato und ihren jeweiligen „Allianzen der Willigen“ gibt, die bisher in dieser Region zerstörerisch wüteten. Internationale Solidarität, weltweite soziale Rechte wurden für eine kurze Zeit lebendiges, vorwärtsweisendes Thema.

Das Ersticken dieser arabischen Revolution in neuen Kriegen und Bürgerkriegen, mit zahlloser internationaler Intervention der rechten, pro-kapitalistischen Kräfte hatte spätestens 2015 einen massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen nach Europa und Deutschland zur Folge. Die rechten Parteien hatten ihr großes Thema, eine Politik mit der Angst, zu betreiben – und auch die Linke und die LINKE hatten ihr großes Thema, dass internationale Solidarität und systematische Kritik an den Folgen der kapitalistischen Globalisierung keine Bekenntnisse für Sonntagsreden, sondern praktische Aufgabe für jeden Tag bedeuteten.

Wenige Jahre später, 2019, veränderte ein bis dahin fast unbekanntes Phänomen die gesamte Weltpolitik. Die kapitalistische Zerstörung von Natur, Umwelt und Klima, durch Massentierhaltung und Agrargroßindustrie, durch ungeregelte Verstädterung und generelle Verarmung ganzer Landstriche meldete sich mit einer weltweiten Virus-Pandemie als Folgeerscheinung. Schlagartig wurden wieder sämtliche Register einer Planwirtschaft gezogen, zu denen eine kapitalistische Marktwirtschaft in der Lage ist. Ein Virus stellt die Systemfrage und die LINKE müsste sie beantworten.

Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“

Der meistzitierte Satz in der kurzen Geschichte der LINKEN ist sicherlich die vom französischen Sozialisten Jaurés geäußerte Erkenntnis, dass „der Kapitalismus den Krieg enthalte, wie die Wolke den Regen“. Es gab die gesamten 16 Jahre der LINKEN zahlreiche Ereignisse, die dies immer wieder unterstrichen. Gleichzeitig gab es nicht ein einziges Ereignis, das zu der Annahme führen könnte, der Kapitalismus sei „friedensfähig“ geworden. Immer wieder wurde und wird dies behauptet, und nicht Wenige auch in der LINKEN glauben dies oder würden es gerne glauben, aber die schnöden Tatsachen widersprechen dem.

Seit Februar dieses Jahres erleben wir eine erhebliche Steigerung dieses kriegerischen Potenzials der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Dreißig Jahre nach der erfolgreichen Restauration der kapitalistischen Wirtschaft in Russland und dem Rest der früheren Sowjetunion meldet sich Russland als ein hässlicher neuer globaler Akteur im Kampf um die Neuaufteilung der Märkte und Einflusszonen in der Welt. Die Armee Russlands und die politische Führung in Moskau beginnen einen grausamen Interventionskrieg in der Ukraine. Die Reaktion der kapitalistischen Konkurrenten auf diesen russischen Krieg ist wie zu Zeiten des Ersten Weltkriegs nur militärisch und drückt die Schwelle zu einem nächsten globalen, dann auch nuklearen Weltkrieg stetig nach unten.

Ein Krieg in der Ukraine gegen Besatzung und für eine unabhängige und selbstbestimmte Entwicklung der ukrainischen Bevölkerung – der mit zahllosen politischen, diplomatischen und materiellen Unterstützungsaktionen vom Rest der Welt unterstützt werden könnte – wird zu einem Krieg um die Ukraine, der von den Zwängen der internationalen Konkurrenz und des Kampfes um Einflusszonen bestimmt wird. Die deutsche SPD- und GRÜNEN geführte Regierung verletzt sämtliche Regelungen zur Zurückhaltung und liefert schwere Waffensysteme in die Ukraine (wenn auch kaschiert durch „Ringtausch“), sie wird zur Kriegspartei und rüstet ihre Nato-Armee gigantisch auf. Gleichzeitig wird natürlich ein Wirtschaftskrieg als Ergänzung zum Militär geführt, dessen Auswirkungen auf die unschuldigen Bevölkerungen in Russland, in Deutschland und vor allem in den armen Ländern der Welt, die vom Lebensmittel- und Energieimporten abhängig sind, beispiellos sind.

Wieder stellt sich die Systemfrage des Kapitalismus kombiniert mit der eines linken Internationalismus und die LINKE ist gefordert.

Viele Chancen und Pflichten – nichts wird davon wirklich genutzt

Neben diesen großen Gelegenheiten und Verpflichtungen, eine wirkliche systemische Kritik am Kapitalismus zu üben und die großen Erkenntnisse, die die LINKE in ihrem Erfurter Gründungsprogramm zusammengetragen hat, als Ausgangs- und nicht als Endpunkt einer Systemkritik und des Kampfes für eine öko-sozialistische Alternative aufzugreifen, hatte die LINKE auch viele kleinere Chancen, radikale Antworten auf den real existierenden Kapitalismus zu formulieren.

Die Notwendigkeit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung wird in jedem Tarifkampf, in jedem Konflikt um Betriebsstilllegung oder -verlagerung, aber auch in den täglichen Kämpfen der Frauen um ein neues Rollenverständnis und Zurückdrängung des Patriarchats im Alltag deutlich. Man muss sie nur einmal deutlich beim Namen nennen.

Nicht nur in der Pandemie-Politik um das Corona-Virus wurde und wird deutlich, dass die kapitalistische Zurichtung des gesamten Gesundheitssystems einzig den Profiten weniger Konzerne dient, aber noch nicht einmal den Erhalt einer minimalen, flächendeckenden medizinischen Grundversorgung für die Menschen sicherstellt.

Die Reihe wäre noch lang.

Aber leider ist immer wieder festzustellen, dass die Partei DIE LINKE nicht bereit und nicht in der Lage zu sein scheint, bei all diesen großen und kleinen Gelegenheiten die Systemfrage zu stellen.

War die „Finanzkrise“ zur Anfangszeit der LINKEN noch mit Mühe als ein „Unfall“ des Kapitalismus und nicht als dessen Normalität zu beschreiben, was die Führungsriege der LINKEN dann ausgiebig machte und damit eine Möglichkeit verpasste, über das Funktionieren des Kapitalismus aufzuklären. Besonders ausgeprägt – weil im Kontext allgemein-theoretischer Erörterungen eingebettet – ist diese Erklärung der Krise als Unfall und als unnormale Abweichung, die repariert werden könne, im Übrigen bei Sahra Wagenknecht, deren Bücher voll von diesem Erklärungsmuster sind.

Bei den späteren großen Krisenthemen klappt dies aber grundsätzlich nicht mehr.

Selbst der gemäßigte, von konservativen Politiker*innen und gut bezahlten Wissenschaftler*innen bestimmte Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung sieht den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Produktions- und Konsumptionsweise und der Klimazerstörung. Selbst in diesen Kreisen wird offen von der Notwendigkeit sehr radikaler Reformen und sogar von einer Revolution gesprochen. Allein die LINKE, in diesem Fall genauer: Die Fraktion der LINKEN im Parlament, erstickt die radikale Klimadiskussion in einem Wettbewerb der kleinen, angeblich „realistischeren“ und „machbaren“ Reformschrittchen. Die GRÜNEN und die SPD machen das natürlich auch, manchmal noch schlimmer, aber im Gegensatz zur LINKEN wird von ihnen gar nichts anderes mehr erwartet. Von der LINKEN wünscht die Klimagerechtigkeitsbewegung diese Radikalität und je mehr dieser Wunsch unerfüllt bleibt, desto mehr wird der LINKEN der Rücken zugekehrt.

In der Euro-Krise ist die Furcht vor zu viel Radikalität bei der LINKEN schon in schlichtes Versagen bei tagespolitischen Aufgaben umgeschlagen. Das kapitalistische Projekt der EU ist nicht mehr zu reparieren oder umzugestalten. Die LINKE muss für einen anderen Internationalismus stehen. Die EU hat die nationale Beschränktheit und die „Unser-Land-zuerst“-Politik ausdrücklich nicht aufgehoben oder verunmöglicht – das Gegenteil ist, wie die Geschichte der letzten Jahre zeigt, leider Tatsache.

Die LINKE versucht den Spagat, gleichzeitig für und gegen die EU zu sein. Es ist verständlich, dass sie mit dieser Politik des Wegduckens vor der wichtigsten Frage insbesondere bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nur belächelt wird und noch nicht einmal ihre eigenen Leute mobilisieren kann.

Besonders tragisch war und ist, dass selbst in der zugespitzten politischen Krise in Griechenland, die LINKE nicht in der Lage war, eine europaweite Unterstützung und Solidarität der Linken für Griechenland zu organisieren und zu einem länderübergreifenden Internationalismus zusammenzuführen. Obwohl damals in Spanien, Frankreich, Belgien, Niederlande, skandinavischen Ländern und natürlich in Deutschland durchaus eine respektable und gewachsene Linke existierte.

In der Flüchtlingsfrage hat eine klare Mehrheit der LINKEN völlig richtige Positionen eingenommen. Zahllose Kreisverbände waren in der Solidaritätsbewegung beteiligt und die Partei war auf großen bundesweiten Mobilisierungen gut präsent. Aber die Partei hat es zugelassen, dass aus der Fraktion und namentlich um Sahra Wagenknecht massiv das Gegenteil gefordert wurde. Es wurde eine national-sozialdemokratische Politik der Flüchtlingsbegrenzung gefordert.

Das war die Geburtsstunde – symbolisch am Wahlabend der Bundestagswahlen 2017 von der Spitzenkandidatin verkündet – einer ungelösten Kontroverse in der Partei, die das innerparteiliche Klima vom konstruktiven Streit, der aber niemals die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen sollte, in eine politische Beliebigkeit verwandelte, in der das Klima der Debatte unterirdisch und das Verständnis in der Öffentlichkeit für derartiges Theater im Minusbereich war.

Die Parteiführung hat es schlicht versäumt, selbst zu einem Zeitpunkt als dies noch ohne große Verletzungen möglich war, diese Minderheitsposition in der Partei als eine solche öffentlich einzugrenzen.

In der „Corona-Krise“ war die angeschlagene LINKE schlicht überfordert. Es wäre nötig gewesen, eine politische Alternative zu formulieren, die Kritik an der staatlichen Politik der Pandemie-Prävention, eine schonungslose Bilanz der kapitalistischen Zurichtung des Gesundheitswesens und auch hier wieder einen internationalistisch-solidarischen Politikansatz zusammenführt. Bestimmte Ansätze gab es dazu in der Zero-Covid-Debatte und den entsprechenden lokalen Strukturen.

Aber hier tauchte plötzlich die kleine Schwester des Reformismus auf, die alles eintrübte: Die Angst, vor angeblichen oder auch tatsächlichen Bündnispartner*innen für zukünftige Politik unangenehm oder störend aufzufallen, die – wie es früher in sozialdemokratischen Kreisen hieß – „Salonfähigkeit“ zu verlieren. Stattdessen wurde angestrebt, in die große Gemeinschaft der Krisenlöser*innen aufgenommen zu werden.

Diese Verhaltensweise bestimmte und bestimmt immer wieder das Agieren vor allem der linken Parlamentarier*innen. So zum Beispiel in der Haltung zum finalen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan, wo durch eine simple Unterordnung unter die angeblichen Gebote dieser Krisenlösungsgemeinschaft in kürzester Zeit eine zwanzig Jahre dauernde und regelmäßig bestätigte Kritik der LINKEN vergessen gemacht werden konnte.

In der großen Krise dieses Jahres 2022 – dem russischen Überfall auf die Ukraine – hat sich die LINKE gänzlich als politisch nicht mehr handlungsfähig erwiesen. Dazu bedurfte es gar nicht konkreter brisanter Einzelanlässe. Die LINKE taucht als handelnder Faktor, der wenigstens eine kleine gesellschaftliche Minderheit gegen die Kriegseuphorie der anderen Parteien organisiert, nicht auf.

Die alten Meinungsunterschiede, die von PDS (und von der SPD) mit in die LINKE getragen wurden, dass eine Zustimmung zu Nato und Bundeswehr irgendwie links gestaltet werden könne, dass alles ja in „Einzelfallabwägungen“ geklärt werden könne, sind unvermindert aufgebrochen, wobei eine Mehrheit stabil gegen Kriegseinsätze und Waffenexporte ist. Aber diese alten Debatten werden heftig erschüttert, weil ein beträchtlicher Teil der Partei, der in der Friedensfrage stabil ist, gleichzeitig dem in der Realität zerstörten Unsinn von einem fortschrittlichen Lager gegen ein weniger fortschrittliches Lager, vom Campismus zwischen dem russisch-chinesischen (manche sagen sogar immer noch „sozialistischen“) und dem US-amerikanischen Block folgt. Auch das hat mit linker, internationalistischer Politik nichts mehr zu tun.

Auch in dieser tagespolitisch existenziellen Frage, wie soll sich eine Linke gegenüber dem Angriffskrieg auf die Ukraine verhalten, schafft es die LINKE leider nur noch Formelkompromisse zu produzieren, die weder aufklären noch mobilisieren.

Warum diese Selbstaufgabe?

Kann die LINKE nicht anders oder will sie nicht? Was sind die Gründe für diese regelmäßige Selbstaufgabe und den Selbstmord aus Angst vor dem Tod?

Es gibt auf dem linken Flügel der LINKEN, zu dem die AKL gehört, eine gängige Schnellerklärung: Das sind halt Reformist*innen, die sind dumm, ideologisch beschränkt und wollen nicht anders Politik machen. Das wird eine Rolle spielen, erklärt aber nichts. Die objektiven gesellschaftlichen Prozesse der letzten Jahre könnten und müssten viel mehr zu Radikalisierung in der Partei beitragen.

Die Sucht, nicht auffallen und stören zu wollen, die Angst vor zu großer Radikalität, das regelmäßige Scheitern selbst vor tagespolitischen Aufgaben, weil die Lösung angeblich zu umfangreich ist – all das ist nicht (nur) ideologisch zu erklären. Auch hier sollte eine an Marx geschulte Linke versuchen, eine materialistische Kritik und Ursachenbestimmung zu formulieren.

Es gibt in der LINKEN eine in den letzten fünfzehn Jahren kontinuierlich gewachsene Schicht aus Funktions- und Mandatsträger*innen, die aus schnödem materiellem Eigeninteresse konservativ geworden sind, und nichts an der Partei ändern wollen. Sie leben schlecht, aber nicht zu schlecht von den materiellen Möglichkeiten der Partei, einige wenige leben sogar ganz gut. Das ist der wirkliche Linkskonservatismus, der ein Problem für die Partei geworden ist. Dass Sahra Wagenknecht sich zusätzlich noch zur Anhängerin des Linkskonvervatismus erklärt, ist dann eher eine skurrile Minderheitsattitüde.

Leider gibt es nur ganz wenige politische Kräfte, neben einigen Autor*innen aus der AKL, die eine solche materialistische Kritik an den Zuständen in der Partei formulieren. Es wäre aber bitter nötig. Die Sehnsucht, am System kosmetische Reformen vorzunehmen, es aber nicht in Frage zu stellen, die Illusion, den Kapitalismus reparieren zu können, sind umso größer, je näher die Betroffenen am System sind und in ihm eingebunden werden.

Die AKL macht deshalb immer wieder Vorschläge, die Einbindung unserer Vertreter*innen in das System zu begrenzen und ein Problembewusstsein für die Grenzen des Parlamentarismus bei den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen zu schaffen. Das reicht von Befristung der parlamentarischen Mandate, über Begrenzung der Ämterhäufung, Rotation bestimmter Posten und Trennung von Amt und Mandat bis zu regelmäßigen Schulungen über den bürgerlichen Parlamentarismus.

Solche strukturellen Veränderungen sind nicht alles. Eine inhaltlich-programmatische Strategiediskussion, eine Handlungsfähigkeit auch mit Mehrheits-/Minderheitsabstimmungen und der Aufbau realer gesellschaftlicher Verankerung in den Kreisverbänden sind nicht minder wichtig. Aber all dies ist ohne die Strukturreformen nichts, und es stellt sich heute die Frage, ob all das zusammen nicht fast schon zu spät kommt, um die LINKE als fortschrittliche, sozialistische Partei in Deutschland zu retten. Einen Versuch haben wir noch.

Thies Gleiss ist Mitglied im Bundessprecher*innenrat der AKL, Gründungsmitglied von WASG und der LINKEN und bis Juni 2022 Mitglied im Parteivorstand der LINKEN.