Bericht zur vierten Sitzung des Bundesausschuss 2022/23

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für die Antikapitalistische Linke im Bundesausschuss

Bastian Reichardt

Am 19. und 20. November 2022 kamen die Delegierten des Bundesausschuss im Verlagsgebäude des Neuen Deutschland zusammen. Aufgrund der finanziellen Lage der Partei alterniert der Bundesausschuss seit dieser Legislatur bei seinen Treffen zwischen Online und Präsenz, weshalb diese Beratungen erst das zweite Präsenz-Treffen darstellten.

In der Nacht vom ersten auf den zweiten Beratungstag wurden erneut kurdische Gebiete in Nordsyrien und Nordirak von der türkischen Armee angegriffen. Das Regime Erdoğan setzt damit einen angekündigten Vergeltungsschlag als Reaktion auf den angeblich von der YPG begangenen Bombenangriff in der Türkei um. Der Bundesausschuss reagierte auf diesen Völkerrechtsbruch mit einer einstimmig angenommenen Resolution, die insbesondere das deutsche Außenministerium in die Pflicht nimmt, die Doppelmoral gegenüber der Türkei endlich zu beenden. Der Bundesausschuss ruft die Mitglieder der Partei dazu auf, sich an den bundesweiten Protestkundgebungen in Reaktion auf den türkischen Angriff zu beteiligen. Dies sei diesem Bericht vorangestellt.

Auftakt zur EU-Wahl: Wo DIE LINKE steht, bleibt unklar

Im Fokus der Beratungen stand der programmatische und organisatorische Auftakt der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Präsidium organisierte zu diesem Punkt unter der Federführung von Gunhild Böth eine Arbeit in Kleingruppen, die sich den Fragen widmeten, welche positiven und negativen Erfahrungen die Landesverbände bei der letzten EU-Wahl gemacht hätten und welche inhaltlichen Schwerpunkte im nächsten Wahlkampf eine Rolle spielen sollten. Nachdem die insgesamt acht Gruppen ihre Ergebnisse vortrugen, blieb offen, ob und wie der Output dieser Gruppenarbeit genutzt wird. Erst auf Nachfrage verpflichtete sich das Präsidium, die Ergebnisse für die Mitglieder des Bundesausschuss und des Parteivorstands aufzubereiten und für die nächste Sitzung die inhaltliche Diskussion auf dieser Grundlage fortzusetzen.

Die Form dieser Diskussion als Gruppenarbeit stieß bei einigen Mitgliedern des Bundesausschuss auf Kritik, da sie weniger an die Organisation politischer Arbeit erinnerte, denn an die Lehrmethoden einer Oberstudienrätin.

Inhaltlich stellte sich sehr schnell heraus, dass das fehlende klare Profil zur Europäischen Union der gemeinsame Nenner der negativen Erfahrungen ist. Der Wunsch, dass sich eine Auseinandersetzung um die sogenannte Republik Europa, wie sie 2019 auf dem Bonner Parteitag stattfand, nicht wiederholt, wurde durchweg geteilt.

Auffällig war, dass sich das Narrativ der ehemaligen Einbringer:innen des „Republik Europa“-Antrags fast völlig länder- und strömungsübergreifend durchgesetzt hat: Der insbesondere durch die AKL propagierte Slogan, die EU sei neoliberal, militaristisch und undemokratisch, wird umstandslos zu „AKL fordert den Austritt aus der EU“ umgedeutet.

Wie die Erfahrungen aus dem letzten Wahlkampf positiv zu wenden sind, wurde aber nicht deutlich. Wie sich DIE LINKE zur Europäischen Union in ihrem Programm und Wahlkampf positionieren soll, konnte klarerweise nicht beantwortet werden. Sogar ob die Partei ihre Haltung zur EU überhaupt propagieren und statt einer Formelkompromiss-Vision konkrete Themen in den Mittelpunkt stellen sollte, stand zur Debatte. Über all dies konnte auch ein Papier des THE LEFT-Fraktionsvorsitzenden unter dem Motto „Wir bauen das demokratische Europa!“ wenig Auskunft bieten. Es bleibt offen, ob DIE LINKE aus dem vergangenen EU-Wahlkampf lernen kann und will.

Bleibendes Spannungsverhältnis: Bundesausschuss und Parteivorstand

Gemäß unserer Parteisatzung sind „sechs durch den Parteivorstand aus seiner Mitte bestimmte Mitglieder, darunter der Bundesschatzmeister“ in den Bundesausschuss delegiert. Da die Website des Bundesausschuss seit der Neuwahl des Parteivorstands nicht mehr entsprechend aktualisiert wurde, kann hier jedoch nicht angegeben werden, welche Mitglieder dies sind. Die stiefkindliche Behandlung des Bundesausschuss seitens des Parteivorstands wurde in der Vergangenheit regelmäßig kritisiert – so auch in dieser Sitzung – und fand abermals Ausdruck in der mangelnden Anwesenheit der Vorstandsmitglieder. Zwar nahmen an dieser Beratung des Bundesausschuss mehr Vorstandsmitglieder teil als dies in der Vergangenheit der Fall war. Jedoch beschränkte sich die Anwesenheit des Parteivorstands in großem Maße auf einzelne Tagesordnungspunkte. An Teilen der Sitzung nahmen Martin Schirdewan, Lorenz Gösta Beutin, Tobias Bank, Didem Aydurmus, Kerstin Eisenreich und Ates Gürpinar teil. An der kompletten zweitägigen Beratung beteiligte sich aus dem Parteivorstand einzig Daphne Weber.

Selbstentmachtung des Bundesausschuss bleibt Strategie

Wie auch schon in den vergangenen Jahren, weigern sich Fraktionen innerhalb des Bundesausschuss die satzungsgemäße Initiativ- und Kontrollfunktion gegenüber dem Vorstand ernst zu nehmen. Dies wird im Umgang mit an den Bundesausschuss überwiesenen Anträgen deutlich. Insbesondere solche Anträge, die den Parteivorstand auffordern, Grundlagen für eine Strategiedebatte einzurichten oder die Arbeitsprozesse innerhalb der Partei zu reformieren, werden konsequent verschoben oder an den Parteivorstand selbst übergeben. Dies ist besonders ärgerlich, weil damit das Votum des Bundesparteitags ignoriert wird, bestimmte Anträge nicht an den Parteivorstand, sondern an den Bundesausschuss zu überweisen.

Auch Aufgaben, die sich der Bundesausschuss selbst gibt, werden nicht wiederaufgegriffen. So blieb eine schon im September beschlossene Diskussion über den Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb der Partei gänzlich aus.

Strukturprozess der Partei: Teilerfolg für die AKL

Auf seiner September-Sitzung fasste der Bundesausschuss den Beschluss, den Parteivorstand zu bitten, die Besetzung der auf dem Erfurter Parteitag beschlossenen Kommission zur Reform der Parteistrukturen um ein Mitglied des Bundesausschuss zu erweitern. Der Parteivorstand kam dieser Bitte nach. In diese Kommission wurde das AKL-Mitglied Barbara Borchardt entsendet, die sich in der Wahl gegen Annika Schmidt (BAG Netzpolitik) aus Berlin durchsetzen konnte.

Diese Wahl stellt einen Teilerfolg der AKL dar, weil der laufende Strukturprozess unter anderem vorsieht, den Bundesausschuss um die Mitglieder der Fraktionen in regierungsbeteiligten Ländern zu erweitern. Es ist zu befürchten, dass dadurch eine starke Dominanz des Parlamentarismus im Bundesausschuss entsteht. In ihrer Bewerbungsrede machte Barbara Borchardt deshalb klar, dass sie sich in diesem Strukturprozess dafür einsetze, dass der Bundesausschuss nicht zu einem Legitimationsinstrument für linke Regierungspolitik umgebaut wird.

für die Antikapitalistische Linke im Bundesausschuss

Bastian Reichardt