Neustart mit Hindernissen!

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Erklärung des LSPR der AKL zum Landesparteitag der LINKEN.NRW

DIE LINKE NRW hat einen neuen Landesvorstand. Jedoch waren die Wahlen auf dem Landesparteitag am letzten Oktober-Wochenende von Hindernissen und Turbulenzen begleitet.

Armut, Krieg und Klima – beim Leitantrag kaum Dissens

Eigentlich ist der NRW-Landesverband der Linkspartei in vielen politischen Fragen einig. Fast einstimmig wurde der Leitantrag beschlossen. Der Fokus der politischen Arbeit liegt auf dem Kampf gegen ausufernde Armut, Arbeitplatzabbau und Deindustrialisierung. Die stark steigenden Energie- und Lebensmittelpreise stellen für immer mehr Menschen ein Armutsrisiko dar. DIE LINKE. NRW möchte mit den Menschen im Land gegen Armut, sozialen Abstieg und Not kämpfen.

Unumstritten ist, dass der Klimawandel auch eine Klassenfrage ist. DIE LINKE.NRW ist daher für eine konsequente Klimapolitik. Die restliche Braunkohle im Rheinischen Revier soll nur so weit genutzt werden, dass das 1,5°-Ziel der Erderwärmung noch erreicht werden kann. Lützerath abzubaggern ist ein No Go.

In der innerparteilich umkämpften Friedenspolitik trennt die NRW – LINKEN wenig. Der gesamte scheidende Landesvorstand und fast die gesamte NRW-Delegation unterstützten auf dem Bundesparteitag in Erfurt den Ersetzungsantrag zum Leitantrag 3, dem knapp 47 Prozent der Delegierten zustimmten. DIE LINKE. NRW setzt über die Strömungsgrenzen hinweg auf den Erhalt des friedenspolitischen Profils der Partei.

Jedoch tiefe Spaltungslinien bei der Einschätzung der Klassenpolitik

DIE LINKE. NRW war früher eine Hochburg der Anhänger*innen von Sahra Wagenknecht. Seit 2009 war sie über die Landesliste NRW in den Bundestag eingezogen. Lange war ihr Mitarbeiter, der heutige MdB Christian Leye, Landessprecher. Erst ab 2018 mit der Gründung von AUFSTEHEN bröckelte die Unterstützung von Wagenknecht. AUFSTEHEN zerriss die Landespartei und die Traditionsströmungen Antikapitalistische Linke (AKL) und Sozialistische Linke (SL) jeweils in zwei Teile, von denen der eine sich immer unkritischer Wagenknecht anschloss und der andere sich immer schärfer distanzierte. Auch nach dem Scheitern von AUFSTEHEN konnte der Riss nicht gekittet werden. Nie wurde eine Debatte dazu geführt, was AUFSTEHEN mit der LINKEN gemacht hatte und welche Lehren daraus zu ziehen sind.

Durch den Wandel der politischen Positionen von Wagenknecht schwand allerdings die Zustimmung zu ihr. Im April 2021 wurde sie nur noch mit 61% auf Platz 1 der Landesliste zur Bundestagswahl gewählt. Zeitgleich erschien ihr Buch „Die Selbstgerechten“ in dem sie ein linkskonservatives Programm in Gegensatz zur Programmatik ihrer Partei setzte. Die zentralen Werte Nation, Leitkultur und Leistungsgesellschaft sowie die Bejahung einer Sozialen Marktwirtschaft und das Konzept einer Klassenzusammenarbeit zwischen leistenden Arbeitnehmer*innen und leistenden Unternehmer*innen stießen auf reichlich Kritik in der Partei. Noch viel mehr Zustimmung verlor Wagenknecht, als sie direkt nach ihrer Wahl auf Platz 1 der Landesliste eine monatelange Medientour für ihr Buch unternahm. Ungefähr jeden zweiten Tag kritisierte sie dabei DIE LINKE heftig und öffentlich. Ihr Hauptvorwurf: DIE LINKE hat sich von der Sozialen Frage verabschiedet und betreibt Identitätspolitik für immer kleinere Minderheiten.

Bereits vor und auf dem Erfurter Parteitag wurde unter Anhänger*innen von Wagenknecht diskutiert, DIE LINKE zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen. Das Spaltungsszenario belastete deshalb den Landesparteitag schon seit Wochen. Auf diesem trat der Wagenknecht-Flügel rhetorisch hervor, verweigerte aber jede Kooperation. So hielt der scheidende Landesgeschäftsführer, Lukas Schön, eine Rede, in der er eigentlich einen Bruch mit der Partei DIE LINKE begründete. Im Zentrum seiner Rede: Die vermeintliche Identitätspolitik.

Ein ganzer Parteiflügel kann oder will nicht verstehen, dass DIE LINKE nicht Identitätspolitik, sondern verbindende Klassenpolitik betreibt. Eine linke Partei, die Lohnabhängige in all ihrer Unterschiedlichkeit nicht als Menschen mit all ihren Problemlagen begreift und die nur ihre materielle Lage im Blick hat und nicht auch ihre Entrechtung und Unterdrückung, ist aus der Zeit gefallen. Es ist wichtig, dass DIE LINKE einen solchen Kardinalfehler nicht macht.

Dürftige Bilanz des scheidenden Landesvorstands

Nachdem bereits die bisherigen Landessprecher*innen Nina Eumann und Jules El-Khatib angekündigt hatten, nicht erneut zu kandidieren legte wenige Tage vor dem Parteitag eine Gruppe von 13 bisherigen Landesvorstandsmitgliedern in einer gemeinsamen Erklärung dar, warum auch sie nicht erneut kandidieren werden. Grund sei eine Verweigerungshaltung des Parteivorstandes und eine selbstzerstörerische Streitkultur. Ein besonders Dorn im Auge war ihnen ein Beschluss (P13) des Bundesparteitages zum Umgang mit Sexismus in der Partei. Und ihre Arbeit im Landesvorstand sei immer wieder untergraben worden von Konflikten und Kampagnen.

Der letzte Landesvorstand war zwei Jahre im Amt. Und auch wenn bereits einige Mitglieder aus unterschiedlichen Gründen das Handtuch geworfen hatte, hatten diese 13 oder gar 15 Mitglieder im Landesvorstand während der gesamten Amtsperiode eine Mehrheit. Diese wurde z.B. auch genutzt bei den Empfehlungen für die Aufstellung der Landesliste zu den Bundestagswahlen 2021 in NRW. Obwohl von Teilen der Landespartei gewünscht wurde, dass Sahra Wagenknecht nicht mehr auf dem Platz 1 der Landesliste sondern weiter hinten antreten solle, unterstütze die Mehrheit im Landesvorstand ihre Spitzenkandidatur. Und die Mehrheit im Landesvorstand unterstützte auch eine Landesliste mit fast ausschließlich Kandidat*innen aus dem Umfeld von Wagenknecht. Dass diese Spitzenkandidatur und die Liste in NRW mit zu dem katastrophalen Wahlergebnis bei der Bundestagswahl beigetragen haben, bei dem die Landesgruppe aus NRW halbiert wurde, wollte kaum jemand in diesem Landesvorstand wahrhaben. Weder die Niederlage bei den Bundestagswahlen noch das desaströse Ergebnis bei den Landtagswahlen wurden aufgearbeitet. Dabei ist es zu einfach, die Schuld einfach auf die Bundesebene zu schieben und eigene Fehler mit einem Business-as-usul-Wahlkampf zu kaschieren statt Zuspitzung auf die sozialen und ökologischen Folgen von Krieg und Klimakatastrophe. Auch die handwerklichen Fehler in der Landesgeschäftsstelle werden einfach unter den Teppich gekehrt.

Umgang mit Sexismus offenbart deutliche Defizite

Auf dem Landesparteitag wurde von dem bisherigen Landesgeschäftsführer Lukas Schön erklärt, wo das Problem der Gruppe der 13 liegt. Die angebliche Identitätspolitik der Bundespartei und vor allem Beschlüsse der Partei zum Umgang mit Sexismus und der Verpflichtung zu Antisexismus-Seminaren. Dass in einem Redebeitrag auf dem Parteitag von „Sittenpolizei“ gesprochen wurde, zeigt das Problem von Teilen der Partei beim Umgang mit #linkemetoo:

Nicht nur der Landesverband Hessen hat ein Sexismus-Problem, sondern auch in der LINKEN in NRW und auch im Landesvorstand gab es übergriffiges Verhalten von Genoss*innen. Und anstatt sich dem zu stellen, möchten Teile des alten Landesvorstandes das Mäntelchen des Schweigens darüber decken anstatt aufzuklären. Auch einzelne Redebeiträge auf dem Landesparteitag und der Umgang mit weiblichen Kandidaturen ebenso wie die Tatsache, dass viele Frauen keine Lust auf solche Strukturen haben und auch deshalb nicht für Parteiämter kandidieren, lassen tief blicken. Dementsprechend war die Stimmung auf dem Landesparteitag vergiftet.

Schlüsselrolle des NRW-Landesverbands in der Partei

Der Landesverband NRW spielt aus verschiedenen Gründen eine Schlüsselrolle in den Auseinandersetzungen um die Zukunft der Partei DIE LINKE. Nicht nur, weil es nach wie vor der größte Landesverband der LINKEN ist, sondern auch weil die Landesgruppe aus NRW in der Bundestagsfraktion einen entscheidenden Teil des „Hufeisen“-Bündnisses aus Sozialkonservativen und staatsfixierten Reformern stellt. Vor zwei Jahren war der Clou gelungen, einen Landesvorstand zu wählen, der mehrheitlich das „Hufeisen“ stützte. Jetzt erklären seine Unterstützer*innen nichts damit zu tun haben zu wollen und greifen die Bundespartei an. Man versuchte, einen geordneten Ablauf des Parteitages zu verhindern und seinen Beschlüssen die Legitimation zu nehmen. Diese Operation begann bereits im Vorfeld des Landesparteitages und diente der Demotivierung von Delegierten und Kandidat*innen. Dies ist leider gelungen. Es waren nur 63 % der Delegierten anwesend und es gab noch nie so wenige weibliche Kandidatinnen für den Landesvorstand.

Im Ergebnis doch noch handlungsfähig

Trotz vieler Gespräche im Vorfeld wurde erst auf dem Parteitag mit Kathrin Vogler eine Kandidatin für die Landessprecherin gefunden. Mit dieser Kandidatur und der Wahl von Kathrin war zumindest das Eis ein wenig gebrochen. Auch die Wahlen von Sascha Wagner als Landessprecher, von Sebastian Merkens als Geschäftsführer und Ralf Fischer als Schatzmeister ließen erst mal ein wenig Aufatmen und hoffen auf die Wahl eines arbeitsfähigen Landesvorstandes.

Aber, dass außer Kathrin Vogler in dieser ersten Runde nur Männer ein akzeptables Ergebnis bekamen, ist beschämend. Dass dann zwei engagierte Frauen bei ihrer Kandidatur als stellvertretende Sprecherinnen zwei Mal mit schlechten Ergebnissen abgestraft und ohne Gegenkandidatinnen nicht gewählt wurden, ist ein Skandal und zeigt tiefsitzende Ressentiments in der Partei. Und besonders unwürdige Rollen haben in diesen Auseinandersetzungen Teile der Bewegungslinken und die Sozialistische Linke gespielt. Im Vorfeld Kandidaturen verhindern und dann schlechte Ergebnisse organisieren, das war destruktiv. Nur durch das verantwortungsvolle Verhalten der AKL, deren Sprecherin Edith Bartelmus-Scholich, die Rücknahme der eigenen Kandidatur im Gegenzug dafür anbot, wurde erreicht, dass die Sozialistische Linke ihre Verweigerungshaltung aufgab. Der nachträgliche Antritt von Angelika Link-Wilden wurde von der AKL als positives Signal akzeptiert, so dass die Kandidatin der SL eine große Mehrheit erhielt.

Im Ergebnis wurde eine Mehrheit von jungen Genossinnen und Genossen in den Landesvorstand gewählt, die gemeinsam auf der Grundlage eines Alternativen 10-Punkte-Arbeitsprogramms kandidiert hatten. Die Mehrzahl von ihnen hat vorher noch nie in einem Landesvorstand gearbeitet, aber genau das bietet Chancen für einen Politikwechsel im Landesverband. Mit der Landessprecherin Kathrin Vogler und dem Landessprecher Sascha H. Wagner stehen erfahrene Genoss*innen an der Spitze des Landesvorstandes.

Wir freuen uns deshalb, dass es trotz allem gelungen ist, einen leider für die anstehenden Aufgaben eher zu kleinen Landesvorstand zu wählen. Und dass sowohl der Leitantrag als auch das Arbeitsprogramm von großen Teilen des neuen Landesvorstandes eine gute Arbeitsgrundlage für den neuen Landesvorstand sind. Wir wünschen ihm einen erfolgreichen Start bei der Mobilisierung des Landesverbandes für einen heißen Herbst und Winter.

Angesichts dessen, dass die neoliberalen Akteure der Ampelkoalition und die maßgebenden Großkonzerne einen großen Teil der Menschen mit einer massiven Teuerungswelle in Not und Elend stürzen, dass die Militarisierung der Politik erneut dramatische Dimensionen annimmt sowie die bisher erreichten Erfolge in der Klimapolitik den Interessen der Energiekonzerne geopfert werden, würden wir folgende politische Schwerpunkte setzen:

  • sofortiger Stopp der Unterstützung des Ukrainekrieges durch deutsche Waffen und zunehmender Militarisierung
  • der wachsenden Armut durch widerständige Aktionsformen den Kampf ansagen
  • die Energiekonzerne im Interesse einer nachhaltigen Klimapolitik vergesellschaften
  • die Durchführung einer zeitnahen Strategiekonferenz zur Neuausrichtung des Landesverbandes