DER ACHTE PARTEITAG

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Analyse von Thies Gleiss, 27. Juni 2022

„Die Hoffnung, dass die AKL-Genoss:innen Marion Morassi, Lorenz-Gösta Beutin und Sascha Wagner, die zum PV kandidierten, gewählt werden und meine Aufklärungsarbeit über die Vorstandstätigkeit in ihrem Stil fortsetzen, wurden leider nicht ganz erfüllt. Von den dreien wurde lediglich Lorenz-Gösta Beutin gewählt.“

Mit der bekannten durchgestylten, synthetischen und immer furchtbar übertrieben wirkenden Inszenierung des Profiparteitagorganisationsstabes der LINKEN fand am letzten Juni-Wochenende in Erfurt die „1. Tagung des 8. Parteitages“ statt. Wie immer war es teuer, unauthentisch und langweilig.

Größte politische Gemeinsamkeit in der LINKEN ist gegenwärtig die Erkenntnis, dass die vor fünfzehn Jahren gegründete Partei „in der tiefsten Krise“ ihrer Geschichte steckt. Kein Aufruf – von vielen – aus der Parteimitgliedschaft, kein Zeitungsartikel, Podcast oder Fernsehbericht konnte ohne diese Formel auskommen. Und tatsächlich: Der LINKEN laufen in Scharen die Mitglieder davon, die Wähler:innen kehren ihr den Rücken zu und die öffentliche Wahrnehmung der Partei wird von den Beteiligten – das ist wohl das schlimmste – von den freundlich oder feindlich gesonnenen Beobachter:innen und vom allgemeinen Publikum auf Streit, Beliebigkeit und Überflüssigkeit verkürzt.

Für die Ursachen dieser Krise gibt es überwiegend nur unbefriedigende Erklärungen:

Die von Außen sind meistens die üblichen Tautologien der Politikwissenschaft: Die LINKE ist in der Krise, weil sie in der Krise und nicht so wie die anderen Parteien ist. Der „Lösungsvorschlag“ aus dieser Ecke: Noch mehr Anpassung an das bürgerliche Politik-Establishment, noch pflegeleichter und synthetischer werden.

Die Krisen-Erklärungen aus der Partei selbst ordnen sich entlang der politischen Strömungen, die sich in der Partei versammeln:

Es gibt die Post- und Neo-Sozialdemokraten, die jeweils auf ihre Weise den Ruf nach mehr Anpassung und „Ballastabwerfen“ variieren. Wollen die einen unverdrossen das Regierungsbündnis mit der realen SPD und sogar den GRÜNEN, und fordern dem Druck des aktuellen Zeitgeschehens folgend deshalb vor allem eine Anpassung in den Positionen zu Kriegseinsätzen, Nato und Bundeswehr, so erdichten sich die anderen eine schematische Welt des Ökonomismus, in der die Menschen angeblich nur dumm und von vulgären ökonomischen Tagesinteressen geleitet sind.

Dazwischen tummelt sich eine größere Gruppe vor allem jüngerer Parteimitglieder, die sich „Bewegungslinke“ nennt. Die diversen „Aufrufe“ im Vorfeld des Parteitages haben gezeigt, dass sie sich politisch-inhaltlich an völlig verschiedenen Orten positionieren. Die Praxis der „Bewegungslinken“ den letzten zwei Jahren innerhalb der Partei entsprach dem vollständig: Sie kündigten viel an, um dann umzufallen. Ihre wichtigste Gemeinsamkeit ist die Auffassung, dass die falschen Leute in den Spitzenpositionen seien und jetzt sie, die Jüngeren, mal an der Reihe sind. Das Verhalten der „Bewegungslinken“ vor und auf dem Parteitag war überwiegend ein unpolitisches Taktieren und Durchbringen „ihrer Leute“.

Es ist fast nur der Kreis um die Antikapitalistische Linke, der die Krise der Partei mit den großen Krisen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und vor allem mit den sich auch in der Partei ablaufenden materiellen Interessenskämpfen zusammendenkt: Die Unzulänglichkeit des bisherigen Partei-Programms angesichts der Umweltkrise, der neuen Kriegsgefahren, der Krise der EU aber auch die Entstehung einer links-konservativen Schicht von Berufspolitiker:innen in der LINKEN selbst, der daraus erwachsende Karrierismus und die alles zerfressende Parlamentarisierung der Partei.

Der Parteitag wurde zu einem Kräftemessen dieser verschiedenen Gruppen und Interessen innerhalb der Partei und das Ergebnis ist, dass sich noch einmal ein hilfloser Kurs des Weiter-So durchgesetzt hat.

Die wichtigste inhaltliche Positionierung zum Krieg in und um die Ukraine wurde einmal mehr mit einem Leitantrag versucht, der es allen recht machen will und damit zu keiner der großen Fragen eine politisch vorwärtsweisende Position einnimmt. Ein in vielen Punkten klarerer „Ersetzungsantrag“ erhielt 47 Prozent der Stimmen – und es ist allein das Verdienst der „Bewegungslinken“, dass dieser in jeder Hinsicht bessere Antrag nicht eine Mehrheit erhielt.

Bei den Personalentscheidungen trat das Lager der Post- und Neosozialdemokraten immerhin an, verlor aber die ersten wichtigen Entscheidungen. Darauf zogen sie sich überwiegend zurück.

So ist der neue Parteivorstand zusammengesetzt wie der alte: Mit Janine Wissler und Martin Schirdewan wird eine Zweitauflage des Projektes aus Wissler und Susanne Hennig-Wellsow versucht. Und es wird leider genauso scheitern. Der Gesamtvorstand ist verkleinert worden, ohne irgendeine sonstige Regelung bezüglich Trennung von Amt und Mandat, Vermeidung von Ämterhäufungen usw. einzuführen. Das Ergebnis: Die Parlamentsfraktionen und die Berufspolitiker:innen haben in der Partei komplett die Macht übernommen. Von den 8 direkt gewählten geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern sind vier hauptberufliche Abgeordnete, zwei qua Amt Angestellte der Partei, ein Abgeordneten-Mitarbeiter und eine Gewerkschafts-Hauptamtliche. Im 18-köpfigen Restvorstand sind jeweils drei Abgeordnete, Mitarbeiter:innen bei Abgeordneten, bezahlt durch RL-Stiftung oder politische Initiativen sowie Gewerkschaftshauptamtiche, ein Beschäftigter bei der Partei. Dazu kommen zwei Studierende, eine Journalistin und als Vertreter der Arbeiter:innenklasse ein Polizist im höheren Dienst.

Wobei: Die gewählten Gewerkschaftsfunktionäre sind natürlich gute Vertreterinnen der Arbeiterklasse. Sogar sehr gute. Sie sind alle tolle Aktive in den Arbeitskämpfen der letzten Jahre gewesen.

Das sind keine guten Ausgangspunkte um die einzige Kraft zu mobilisieren, die die Krise der Partei wirklich lösen könnte: Die Mitgliedschaft der Partei. Sie und nur sie hat es in der Hand, die LINKE zu einer Partei von aktiven, in der Gesellschaft verankerten Mitgliedern zu machen, von denen jedes einzelne Botschafter und Botschafterin einer radikalen politischen Alternative, einer öko-sozialistischen Partei der gesellschaftlichen Opposition ist.

Thies Gleiss, 27. Juni 2022