Bericht Sitzung des Parteivorstandes der LINKEN vom 18.06.2022

Print Friendly, PDF & Email

Von Thies Gleiss, Mitglied des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken im Parteivorstand

VORBEREITUNG DES PARTEITAGES 2022

Am 18. Juni 2022, zwei Tage nach dem 15. Geburtstag der Partei DIE LINKE tagte der Parteivorstand der LINKEN in einer Präsenzsitzung.

An der Sitzung nahmen bis zu 21 der 44 gewählten PV-Mitglieder teil. Den ersten und letzten Teil der Sitzung war der PV nicht beschlussfähig.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind auf der Website der LINKEN in Kürze nachzulesen:

https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/beschluesse/

Fast einziger Tagesordnungspunkt war die Vorbereitung des Bundesparteitages am kommenden Wochenende in Erfurt.

Zu den drei Leitanträgen des Parteivorstandes – zu den Themen „Parteiaufbau“, „Sozialökologischer Umbau“ und „Krieg in der Ukraine“ lagen bis zum Antragsschluss am 8. Juni rund 400 Änderungsanträge vor, der größte Teil davon zum Antrag zum Krieg.

Diese große Anzahl der Änderungsanträge zeugt zwar einmal mehr von der Lebendigkeit der Partei – es sollte deshalb niemand von einer Todeskrise sprechen – aber die Beratung aller Anträge übersteigt die zeitlichen Möglichkeiten selbst des auf drei Tage ausgeweiteten Parteitages.

Wie vor jedem Parteitag war es also Aufgabe des PV, durch großzügige Übernahme möglichst vieler Anträge die Anzahl der letztlich noch zu befassenden Anträge zu verringern. In einer elfstündigen Sitzung gab der PV deshalb seine Voten zu den einzelnen Änderungsanträgen ab. Ein großer Teil der Anträge wurde entweder ganz oder teilweise übernommen.

In drei weiteren Beratungsrunden mit den Antragsteller:innen und jeweils Verantwortlichen aus dem PV sollen Dienstag und Mittwoch der kommenden Woche noch weitere Übernahmen oder Einigungen über den Verzicht auf den Antrag erreicht werden, damit der Parteitag nur noch über ein kleines Paket kontroverser Anträge beraten und entscheiden muss.

Leider keine diskursive Parteitagsdiskussion entlang kompletter Alternativen

Vor der Beratung der Einzelanträge gab es eine längere Diskussion – nach einer entsprechenden Intervention von Thies Gleiss – über den Ablauf der Debatte zum Thema „Krieg und Aufrüstung“. Thies und wenige andere sprachen sich für eine ganzheitliche Debatte entlang der vorliegenden Antragsentwürfe aus. Zu dem Leitantrag des Parteivorstandes liegen zwei komplette „Ersetzungsanträge“ vor. Es wäre sinnvoll, sie getrennt einzuleiten und als komplexe Anträge zu beraten, um dann in einer Abstimmung über Mehr- und Minderheiten zu diesen Anträgen zu entscheiden. Damit wäre die politische Meinungsbildung der Partei am besten abzubilden und eine aus dem Mehrheitsbeschluss begründete Handlungsfähigkeit herzustellen.

Es ist ja kein Geheimnis, dass es in der LINKEN unterschiedliche Auffassungen zu Fragen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg gibt (Sanktionen, Waffenlieferungen, Rolle der NATO usw.). Der erste Schritt zu einer Lösung der Erstarrung der LINKEN angesichts dieser Meinungsverschiedenheiten wäre eine ehrliche und demokratisch ermittelte Darstellung dieser Meinungsverhältnisse. Die AKL hat eine solche diskursive Behandlung von unterschiedlichen Positionen in großen Tagesfragen schon mehrfach eingefordert. Klare Mehr- und Minderheitsentscheidungen sind besser als das Verschleiern von widersprüchlichen Positionen in immer vergeblicheren Harmonisierungsversuchen. Das – in Verbindung mit garantierten Rechten für eine unterlegene Minderheit – sichert die Einheit der Partei und verhindert unpolitische Spaltungen.

Leider entschied sich die Mehrheit des PV dafür, auch auf diesem Parteitag die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei buchstäblich aufzukrümeln. Statt eine ganzheitliche Debatte wird es jetzt wieder die immer an der Grenze des unpolitischen Aufeinanderschlagens kratzende Streiterei um Absätze und Sätze in Form kleiner Änderungsanträge geben.

Die Leitanträge sollen schärfer und radikaler werden.

In einer ersten Abstimmung lehnte der PV den „Ersetzungsantrag“ zum Thema „Krieg in der Ukraine“, der von einer großen Zahl von Parteimitgliedern und mehreren Landes- und Kreisverbänden unterstützt wird, mit 10 zu 5 Stimmen und 3 Enthaltungen ab. Es soll nur noch der Leitantrags-Entwurf des PV beraten werden.

Dabei wird es jetzt zu einer Art Showdown-Abstimmung bei einigen Änderungsanträgen kommen, in denen die inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten in der Gesamtfrage Krieg und Frieden stellvertretend ausgefochten werden.

Das sind zum Beispiel die Anträge zur deutlichen Veränderung des PV-Leitantrages durch eine Gruppe von Mitgliedern um Sahra Wagenknecht, die Änderungsanträge aus den Reihen der Unterstützer:innen der Ersetzungsanträge oder, in anderer Richtung, aus den Reihen der Parteirechten, die ihren Frieden mit der NATO suchen.

Ob das dem Klima und der politischen Klarheit der Partei dient, ist sehr fraglich – aber das wird wahrscheinlich von vielen erst nach dem Parteitag erkannt werden.

Gleichzeitig führen diese Schlachten um kleine Einzelabstimmungen auch immer wieder dazu, dass sehr widersprüchliche Beschlüsse gefasst werden. Gerade das dadurch entstehende Bild der Beliebigkeit sollte die LINKE aber korrigieren, wenn sie aus ihrer gegenwärtigen Krise herausfinden will.

Die Änderungsanträge zu allen drei Leitanträgen haben fast ausschließlich ein gemeinsames Merkmal: Sie wollen, dass sich die Partei DIE LINKE konkreter, radikaler und im Rahmen eines umfassenden politischen Alternativprogramms gegenüber den Konkurrenzparteien aufstellt. Nur noch wenige in der Partei versuchen eine Beendigung der Krise der Partei dadurch zu erreichen, dass sie noch unverbindlicher und unklarer auftritt.

Leider führt das jetzt gewählte Prozedere der Parteitagsberatungen aber gerade dazu, dass genau dieser Effekt nicht eintreten wird, sondern die alte Beliebigkeit zum Vorschein kommt.

Die Änderungsanträge zum Leitantrag zum „Parteiaufbau“ zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie entweder große Textteile des PV-Entwurfes einfach streichen wollen, weil sie nur Phrasen und hohle Prosa wären, oder sehr lange komplette Abschnitte ergänzen wollen. Beides belegt die Kritik, die von der AKL an diesem Entwurf von vornherein geäußert wurde: Es ist ein in jeder Hinsicht ungenügender Antragsentwurf. Die AKL hatte deshalb vorgeschlagen, ihn komplett zurückzuziehen. Das hätte den Zeitplan des Parteitages auch ein wenig entspannt.

Wichtige Festlegungen verpasst

Es kann hier nicht auf die Fülle der Änderungsanträge im Einzelnen eingegangen werden. Die wichtigsten Einzelfragen, die kontrovers blieben, werden ja auf dem Parteitag noch einmal aufgerufen.

Die Antikapitalistische Linke hatte nur wenige, ausgewählte Änderungsanträge gestellt. Ihr Antrag zur anderen Beschreibung der politischen Lage vor den Bundestagswahlen, die gerade nicht als „Wechselstimmung“ mit großen Hoffnungen in SPD und GRÜNE beschrieben werden kann, wurde vom PV nach längerer Diskussion übernommen.

Die zum Ende des Leitantrages zum sozial-ökologischen Umbau von der AKL vorgeschlagene Selbstkritik an unseren bisherigen Regierungshandeln in den Ländern wurde leider nicht übernommen. Ebenso abgelehnt wurden die konkreten Forderungen der AKL bezüglich einer Politisierung der Tarifpolitik der Gewerkschaften durch einen Kampf für eine gleitende Lohnskala (um der Inflation entgegenzutreten) und für eine Bezahlung der Fahrtzeit zum Arbeitsplatz als Arbeitszeit. Die AKL wird diese Anträge zum Parteitag aufrechterhalten.

Neben der Debatte zu den vielen Änderungsanträgen, beschloss der PV mehrheitlich, seinen Antrag zur Größe des neuen Parteivorstandes zu verändern. Jetzt wird dem Parteitag eine Vorstandsgröße von 26 Mitgliedern, darunter 10 Mitglieder des geschäftsführenden Parteivorstandes (2 Vorsitzende, 4 Stellvertreter:innen, Schatzmeister:in und Bundesgeschäftsführer:in), vorgeschlagen.

Leider ist dieser Vorschlag nicht verbunden mit neuen, schärferen Regelungen bezüglich Trennung von Amt und Mandat und bezüglich Ämterhäufungen, deshalb stimmte Thies Gleiss auch dagegen.

Thies Gleiss, Köln, 18. Juni 2022

P.S. Das war meine letzte reguläre Parteivorstandssitzung, es folgt nur noch eine kleine Zusammenkunft am Tag und Ort des Parteitages. Dem neugewählten Parteivorstand werde ich nicht mehr angehören.

Ich habe in all den Jahren Vorschläge gemacht, einige wurde auch aufgegriffen.

Ich bedanke mich bei den Genossinnen und Genossen in der Bundesgeschäftsstelle, die meine PV-Arbeit immer unterstützten. Ich bedanke mich bei allen Genossinnen und Genossen in den verschiedenen PVs, die mich und meine Art des Einbringens in die politische Arbeit ertragen haben. Ich entschuldige mich, falls ich ungerecht war oder meine Position überzogen habe. Es ist so wie immer und überall: Wenn ich etwas zu weit gehe, dann auch deshalb, weil andere nicht weit genug gehen.

Ich bedanke mich bei den Genossinnen und Genossen der Antikapitalistischen Linken und zuletzt auch der Bewegungslinken für Unterstützung und kritische Begleitung meiner Arbeit.

Ich wünsche allen Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Parteivorstand viel Enthusiasmus, Kraft und kluge Entscheidungen.