SWEET LITTLE FIFTEEN…

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von Thies Gleiss
 
Die JUNGE WELT veröffentlicht schon wieder einen Text zum Erinnern von mir und Gleichgesinnten. Vor fünfzehn Jahren wurde die Partei DIE LINKE gegründet. Ich finde, eine Erfolgsgeschichte. 
 

Ich gehörte zu den LINKE-Gründer:innen aus der WASG und habe damals mit den Unterzeichner:innen dieses Textes und vielen anderen die Antikapitalistische Linke in der LINKEN aufgebaut, damit die neue Partei bei allen Anfangserfolgen nicht vergisst, worum es wirklich geht: Die Beendigung eines auf Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg und Umweltzerstörung aufbauenden weltweiten Gesellschaftssystems, das jeden Tag über Leichen geht. Dass ein neuer Sozialismus auf der Tagesordnung steht, der es besser anrichtet, als es die Sozialdemokrat:innen und Stalinist:innen zuvor getan haben.
 
Aber DIE LINKE steckt jetzt in einer tiefen pubertären Existenzkrise, aus der sie nur mit eigener großer Anstrengung herauskommen wird. 
 
Ich war fünfzehn Jahre lang in den Spitzengremien der LINKEN beteiligt. Zuerst im Bundesvorstand der WASG und dem ersten Parteivorstand der LINKEN, dann auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen als stellvertretender Landessprecher und die letzten acht Jahre am Stück wieder im Parteivorstand der LINKEN.
Ich habe prinzipiell immer nur ein Partei-Amt bekleidet. Die zunehmende Ämterhäufung bei vielen Parteispitzenleuten ist heute ein Ausdruck der tiefen Parteikrise, sie muss aktiv zurückgedrängt werden. Mir ist es schleierhaft, wie zwei Ämter gleichermaßen ernsthaft ausgefüllt und ein zum politischen und persönlichen Überleben unerlässliches aktives Leben außerhalb der Politikblase geführt werden können.
 
Nach jetzt acht Jahren in Folge  im Parteivorstand werde ich auf dem kommenden Parteitag nicht wieder zum Parteivorstand kandidieren. Unsere Satzung sieht zurecht vor, dass kein Parteiamt länger als acht Jahre am Stück ausgeübt werden sollte. Leider gibt es diese Regelung nicht für die ungleich einflussreicheren Parlamentsmandate. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass dies eingeführt wird. Heute ist die verstetigte Macht der Parlamentsfraktionen und ihrer Apparate gegenüber der viel bescheidener ausgestatteten Partei ein weiterer, sehr bedeutsamer Grund für die Krise der Partei, der zwar leicht verändert werden könnte, allein ein harter Widerstand aus den eigenen Reihen, von den Betroffenen, stellt sich dem immer wieder entgegen.
 
Gestern, am Vorabend der heute beginnenden Sitzung des Bundesausschusses, der nach dem Parteitag wichtigsten Parteistruktur, habe ich in Berlin- Marzahn/Hellersdorf noch eine Abendveranstaltung als Sprecher der Antikapitalistischen Linken zur Parteitagsvorbereitung bestritten. Dort habe ich die fünf Hauptaspekte der Krise der LINKEN dargestellt. Hier eine kurze Zusammenfassung:
 
— Die LINKE hat eine Glaubwürdigkeitskrise.  Sie steht nicht mehr im Mittelpunkt, als Trägerin und Botschafterin, einer „neuen sozialen Idee“.  Die Menschen wissen nicht, wofür es die LINKE eigentlich gibt. 
In dieser Situation flüchten sich viele in der Partei, in romantisierende und schrecklich konservative Ideen, dass es früher auch aus linker Sicht viel besser war. Das führt zu nichts oder zur Verzweiflung. Die LINKE braucht eine neue visionäre soziale Idee, die in die Zukunft weist und alle Parteiaktivitäten bündelt. Eine Perspektive des ökologischen Sozialismus, in deren Mittelpunkt eine radikale Arbeitszeitverkürzung, konsequenter Klima- und Umweltschutz, Kampf gegen Kriege und Aufrüstung sowie mehr Demokratie in der analogen wie digitalen Welt stehen.
 
— Die LINKE ist in einer strategischen Krise. Nicht die Politik in der ersten Person, die Selbstermächtigung und die Selbstorganisation der oppositionellen Kräfte stehen bei ihr im Mittelpunkt, sondern das Mitmachen, das Ankommen im herrschenden System, die Sehnsucht nach Regierungspartner:innen aus dem alten System. Die LINKE ist als Original gegründet worden, aber sie droht jetzt als Kopie zu sterben. Diese grundlegend falsche strategische Orientierung muss geändert werden.
 
— Die LINKE steckt auch in einer taktischen Krise. Zu den Erfolgskriterien ihrer Gründung zählte, dass sie programmatische Mehrstimmigkeit in vielen Fragen zuließ.. Diese „Pluralität“ war Markenzeichen und Motor der ersten Entwicklungsjahre der LINKEN. 
Aber die Geschichte ist weiter gegangen. Zu wichtigen Fragen muss die LINKE heute klare Aussagen machen und vor allem eine klare Praxis entfalten.  Die „Pluraliät“ ist zur Beliebigkeit geworden (manche nennen dies fälschlicherweise Zerstrittenheit, aber Streit ist das geringste Problem der LINKEN). Heute wäre es für die LINKE und für das aktive wie demokratische Aushalten von inhaltlichen Widersprüchen besser, wenn Debatten mit Mehr- und Minderheitsentscheidungen zumindest vorläufig beendet würden. 
Themen solcher dringend notwendigen Festlegungen sind z.B. die Umwelt- und Klimafrage, die Haltung zur Migration, die Position zur Europäischen Union, und jetzt gerade wieder die Haltung zu Krieg und Frieden.
 
— Die LINKE erlebt eine organisatorische Krise.  Sie ist dabei ebenso wir Dutzende linker Parteien vor und neben ihr Opfer einer Dialektik der partiellen Errungenschaften geworden. Zahlreiche vor allem parlamentarische Erfolge der LINKEN sind jetzt zu einem bremsenden Faktor der weiteren Entwicklung geworden.  Es hat sich in der Partei eine Schicht von Berufspolitiker:innen entwickelt, die immer mehr ein strukturkonservatives Denken mitbringen.  Alles soll sich dem Rhythmus von Wahlkämpfen und Parlamentsarbeit unterordnen.  Aber der Gang der Geschichte fügt sich dem nicht.  Gleichzeitig entsteht in dieser Schicht der Funktionär:innen ein zersetzendes Klima der Konkurrenzkämpfe um Posten und Privilegien. 
Die LINKE ist wie viele Parteien der Linken vor ihr zu einer Partei geworden, in der die Mitglieder gar nichts, die Vorstände wenig und die Fraktionen alles zu sagen haben.  Das kann sich ändern und das muss sich ändern. Es gibt viele Vorschläge, nicht zuletzt und immer wieder von mir, zur Reglementierung der parlamentarischen Arbeit und zur Wiederherstellung des Primats der Partei gegenüber der Fraktion.
Die organisatorische Krise der LINKEN wird nicht auf der parlamentarischen Ebene, nicht durch Wahlkämpfe und Werbeagenturen behoben werden, sondern nur durch wirkliche und nachhaltige Verankerung der Mitglieder in der Gesellschaft, im Stadtteil, in Betrieben und Schulen, in sozialen Bewegungen in realen Kämpfen.
 
— Letztlich leidet die LINKE unter einer Finanzkrise.  Dabei schwimmt sie eigentlich in Geld. Aber sie hat leider verlernt, Politik als Handwerk zu begreifen, in der die eigenständige Arbeit der Beteiligten unmittelbar zu den Aktivitäten beiträgt.  Für die LINKE ist Politik stattdessen nur eine Dienstleistung, eine Ware, die irgendwo eingekauft werden und mit der möglicherweise sogar gewinnbringend gehandelt werden kann.
Das Design bedeutet heute mehr als das Sein. Alles muss nach kommerziellen Werbegrundsätzen ausgerichtet und einem Corporate Design untergeordnet werden.  Glänzende, teure Langweiligkeit ist dabei immer mehr das Resultat.
Die LINKE lebt zu 90 Prozent von Staatsknete. Das führt sofort zur Bedrängnis, wenn wegen Stimmenrückgang bei den Wahlen, die staatliche Förderung weniger fließt. 
Es fehlt der LINKEN ein aus der eigenen politischen Arbeit abgeleitetes Problembewusstsein für „das liebe Geld“. Wer in so hohem Maße von Staatsknete abhängt, der und die werden auch große Schwierigkeiten haben, diesen Staat politisch und praktisch zu kritisieren.
 
Es gibt viele kleine und große, aber immer konkrete Maßnahmen, diese fünf Krisen zu bewältigen. Ich habe in den Jahren meiner PV-Mitarbeit unermüdlich solche Vorschläge gemacht oder die anderer mit aller Kraft unterstützt.  Nur wenig ist davon umgesetzt worden – das ist heute leider Teil der Parteikrise.  Das könnte sich noch ändern.
Ich wünsche allen Nachfolger:innen von mir viel Kraft, Fantasie und Erfolg. Noch wird die LINKE gebraucht, noch lohnt es, um sie zu kämpfen.
 
Ich verabschiede mich aus dem PV.  Sollte ich irgendjemand schlecht und ungerecht behandelt haben, so tut mir dies leid und ich bitte um Vergebung.  
Ich bleibe der LINKEN natürlich erhalten und werde an anderer, geeigneter Stelle meinen nächsten Irrtum vorbereiten.