KLEINE ÜBERSETZUNGSHILFE

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von Thies Gleiss

Der in der LINKEN kursierende Aufruf „Für eine populäre Linke“ wird gleichermaßen gelobt wie kritisiert, dass er so schön altbekannte Textbausteine zusammenführt und so liebevoll unkonkret sich und die Leser:innenschaft umschlingt. Die einen fühlen sich gepinselt, die anderen geschmeichelt.
Soll angesichts dieser Langweiligkeit zur Tagesordnung übergegangen werden?
Ich würde raten: Lieber nicht.

Das ist wie mit den Zeugnissen, die ein „Arbeitgeber“ an eine „Arbeitnehmerin“ (oder umgekehrt) ausstellt. Muss sich gut anhören, aber muss nicht gut sein.
Zur eventuellen Übersetzungshilfe bei einem erneuten Lesen, seien hier ein paar Anmerkungen gemacht.
1. Wie so viele Texte verurteilt auch dieser Text den Krieg von Putin gegen die Ukraine „aufs Schärfste“. Auch wenn es hier in falschem Deutsch kleingeschrieben „aufs schärfste“ heißt, so habe ich es mir angewöhnt, Texte, in denen ein solch dummer Superlativ auftaucht, sehr misstrauisch zu lesen. Da will jemand übertreiben, der oder die es offenkundig nötig hat.
2. „Um so wichtiger ist in dieser Situation eine politische Kraft, die all denjenigen eine starke, laute Stimme gibt, die sich sehnlichst eine verantwortungsvollere Politik für sozialen Ausgleich und Frieden wünscht“.
Da appelliert aber jemand an den konservativen Zeitgeist, wie es die AfD nicht besser macht. Linke Politik sollte sich stattdessen nicht für sozialen Ausgleich (andere nennen es auch Klassenfrieden), sondern für eine konfliktbereite Interessenvertretung der Armen und Benachteiligten einsetzen.
3. „Die LINKE darf sich nicht auf bestimmte Milieus verengen. … Sie muss die Leute in ihrem Alltag abholen“.
Ja, was denn nun? Die „Milieus“ sind ja gerade der Alltag. Die Urväter der Milieu-Theorien haben sie doch als notwendige Präzisierung der Klassentheorie verstanden. Im Alltag werden die Klassenverhältnisse verzerrt, durch Einzelaspekte überlagert – die alle ihre Bedeutung haben. Aber die LINKE muss diese Milieus auf die dahinter schlummernden Klasseninteressen zurückführen – das ist etwas radikal anderes als der Ökonomismus, der die Dialektik von Klassen- und Individualinteressen nicht begreift.
4. „Um politisch zu überleben, muss die LINKE sich verändern…. Wir schlagen dafür eine Priorisierung von Aufgaben und Botschaften für die LINKE vor.“
„Priorisierung“ – früher hieß das in gutem Deutsch und dummen Schematismus „Haupt- und Nebenwiderspruch“. Die Geschichte hat doch zu Genüge aufgezeigt, dass dieser Ökonomismus – der gleichermaßen Kennzeichen der Sozialdemokratie im Westen wie des Stalinismus im Osten war – zielstrebig in Verrat der wirklichen Klasseninteressen und Kapitulation vor dem Klassengegner führt.
5. Die LINKE „hat als Partei nicht die Aufgabe, die bessere Gewerkschaft zu sein oder die weitestgehenden Forderungen einzelner Bewegungen als eigenen Programm zu verkünden.“
Wie ich gesagt habe: Mündet zielstrebig in Verrat:
Natürlich muss die LINKE die bessere Gewerkschaft sein, schon gar einer sozialdemokratisch geführten Gewerkschaft. Sie muss aktives Mitarbeiten in den Gewerkschaften zur Pflicht erklären und natürlich heißt dies, dort die besten Vorschläge zu machen, den engagiertesten Kolleg:innen eine organisatorische Stütze zu sein und auch, wenn nötig, die zaudernde Gewerkschaftsführung zu kritisieren. Die LINKE als Bedenkenträgerin und Abwieglerin in den Gewerkschaften? Das ist nicht euer Ernst.
Es wäre auch ein Riesenfortschritt, wenn die LINKE die weitestgehenden Forderungen der fortschrittlichen sozialen Bewegungen zu ihrem Programm erhebt. Was denn sonst? Den jungen Aktivist:innen in den Rücken fallen?
Wie ich gesagt habe: Mündet kurzfristig in Verrat.
6.“Überzogene und unrealistische Forderungen schaden…“
Hier wird der eigentliche Kampfauftrag des „Aufrufs für eine populäre Linke“ deutlich. Er ist eine Kampfansage an eine notwendige Radikalisierung der LINKEN und ihrer Politik. Ohne diese wird es aber keinen Aufschwung der LINKEN geben. Nicht zu viel Radikalität hat die LINKE zu der langweiligen Kraft werden lassen, die so viele Menschen in ihr sehen, sondern zu wenig Radikalität.
By the way: Es gibt in der Geschichte der LINKEN eine Strömung der traurigen Ritter: Sie nennt sich zwar „Sozialistische Linke“, aber sieht seit ihrer Gründung ihre mindestens Zweitaufgabe darin, überall zu erklären, dass die Zeit nicht reif für den Sozialismus sei. Sie ist die einzige Strömung in der LINKEN, die den Kampf zur Verhinderung anderer Strömungen und Personen daraus zu ihrer Aufgabe erklärt hat. Dieser Denunziantenstadl führt auch bei dem neuen „Aufruf“ die Regie.
7. „Wir dürfen dabei nicht auf bekannte und anerkannte Persönlichkeiten verzichten“
Am Anfang des Programms der LINKEN, dem Erfurter Programm von 2011, steht aus guten Gründen das berühmte Gedicht von Bert Brecht „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Es steht da, um deutlich zu machen, dass die LINKE nicht auf die Macht der angeblichen Autoritäten, auf die großen Politiker:innen setzt. Die Macht der Millionen ist die Kraft, auf die unsere Partei setzt. Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Dieser neue „Aufruf“ will aber keine populäre Linke in diesem Sinne, sondern eine biedere, spießige Bestätigung des Bestehenden. Linker Strukturkonservatismus vom Feinsten. Was hilft einzig in dieser Lage: Schmeißt die Mumien vom Podest“!
8. „Deswegen ist eine einladende Parteikultur zu entwickeln“.
In zwei Wochen können wir – wenn es nicht noch umgedreht wird – wieder erleben, was hier „einladende Parteikultur“ heißt: Parteitag mit Prominentenreden und redenden Prominenten, mit „standing Ovations“ (schon der Name sagt, hier soll stehen geblieben und nicht weiter gegangen werden), Klatschorgien, Hintergrundempfängen für die Pressemeute und eine Parteitagsregie, die alles schon parat hat und bei der der Optimismus obligat, der schöne Schein wichtiger als das kämpfende Wesen ist.
Statt Promi-Verehrung braucht die LINKE Selbstermächtigung all ihrer Mitglieder, eine Politik in der ersten Person und radikale Begrenzung aller Privilegien, Hierarchien und Ämterhäufung. Mandate und Ämter müssen befriste und eine umfassende Mitgliederdemokratie eingeführt werden.
Sozialismus ist in diesem Sinne auch Egalitarismus – schon vergessen?