Bericht aus der Sondersitzung des PV der LINKEN vom 22.02.2022 von Thies Gleiss

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Liebe Genossinnen, liebe Genossen,
Am Dienstag, 22.02.2022, fand eine knapp zweistündige Sondersitzung des
Parteivorstandes der LINKEN statt. An ihr nahmen bis zu 30 Mitglieder
des 44-köpfigen Parteivorstandes teil.

Anlass der Sitzung war die Eskalation der politisch-militärischen Krise
zwischen Russland und der Nato in der Ukraine.

Am Montag und Dienstag gab es mehrere Stellungnahmen der Partei- und
Fraktionsvorsitzenden; von Janine Wissler in einer Pressekonferenz; von
den für Außenpolitik zuständigen Abgeordneten Sevim Dağdelen und Gregor
Gysi; der Europäischen Linken u.a. Sie lagen der PV-Sitzung als Material
vor. Persönliche Erklärungen gab es zudem von Sahra Wagenknecht, Oskar
Lafontaine u.a. mikrofonnahen LINKE-Prominenten.  Der PV-Sitzung lag
aktuell ein Entwurf für eine Stellungnahme des PV vor, der von Ali
Al-Dailami, Daphne Weber und Wulf Gallert ausgearbeitet wurde.

Es gibt in der LINKEN bekanntlich eine andauernde Differenz zwischen
Genoss:innen, die den Konflikt zwischen Russland und der Nato als eine
Fortsetzung des Kalten Krieges zweier unterschiedlicher
Wirtschaftssysteme ansehen. Sie verfolgen unterschiedlich harte
Versionen einer Lagertheorie, nach der die Regierungen Russlands (oder
China, Vietnam, Venezuela, Nicaragua, Syrien, Iran u.a.) zu einem
irgendwie noch fortschrittlicheren Lager gehören als die USA-Regierung
und ihre Verbündeten in der EU und den Nato-Staaten. Im spanischen
Sprachraum wird diese dort verbreitete Haltung „Campismus“ bezeichnet.
Diese „Campist:innen“ heben stark auf eine Kritik an der Äquidistanz zu
allen beteiligten Weltmächten ab, die sie den Genoss:innen vorwerfen,
die den „Campismus“ ablehnen und den Konflikt zwischen den herrschenden
Klassen der USA und der in Russland als einen Kampf zweier
imperialistischer Rivalen um die Neuaufteilung der Welt ansehen.

Die pro-aktive Entscheidung der russischen Regierung vom Montag, den
Konflikt zu eskalieren, die abtrünnigen Teile der Ukraine als souveräne
Staaten anzuerkennen und damit die völkerrechtliche Möglichkeit zu
schaffen, ihnen „legal“ mit Wirtschafts- und Militärhilfe zur Seite
stehen zu können, wird trotz dieser tief sitzenden
Meinungsverschiedenheit in der LINKEN von allen oben zitierten
Erklärungen aus der LINKEN klar und deutlich kritisiert. Allein eine
Stellungnahme des Ältestenrates der LINKEN lässt zumindest zwischen den
Zeilen anklingen, dass die Entscheidung der Putin-Regierung, vertretbar
ist und von der LINKEN nicht kritisiert werden sollte. Andere Stimmen
am Rande der LINKEN waren in dieser Hinsicht allerdings viel deutlicher.

In der Debatte während der PV-Sitzung gab es niemanden, der die
eskalierende Maßnahme der russischen Regierung verteidigt hat. Sie wurde
allseits als ein Bruch des Völkerrechts angesehen. Breite Einigkeit
bestand darin, die Rücknahme dieser Anerkennung der abtrünnigen
„Volksrepubliken“ und den Rückzug des russischen Militärs zu fordern.
Neue Verhandlungen und eine generelle Entmilitarisierung sind die
Grundlagen für eine Lösung des Konfliktes. In diesem Geist steht auch
der Entwurf für einen PV-Beschluss.

Ich habe in der Debatte ausgeführt, dass wir in einer Situation seien,
die mehr mit der Lage vor dem Ersten Weltkrieg vergleichbar ist, als mit
der Lage der Systemkonkurrenz und des Kalten Krieges nach 1945. Nötig
wäre eine breite internationale Anti-Kriegs-Bewegung. Beispielhaft wären
dafür die Haltung der internationalistischen Linken in den Konferenzen
von Zimmerwald (1915) und Kiental (1916). Der Bezug auf das Völkerrecht
ist für Linke auch keine ausreichende Referenz. Das Völkerrecht
konstituiert formale Kräfteverhältnisse zwischen bürgerlichen Staaten,
die von der Linken abgelehnt werden. Deshalb haben Linke eine kritische
Haltung zum Völkerbund oder heute zur UNO. Grundlage linker Politik ist
stattdessen die internationale Solidarität der Arbeiter:innenklasse
aller Länder.

In der Debatte im PV gab es eine kurze Differenz über mögliche
Sanktionen gegenüber Russland, denen die LINKE zustimmen könnte. Sie
wurde dadurch beendet, dass jeglicher Bezug auf solche Sanktionen aus
dem PV-Beschlussentwurf gestrichen wurden.

Der Entwurf für einen PV-Beschluss wurde abschließend mit zwei
Gegenstimmen und keiner Enthaltung mehrheitlich angenommen. Ich habe für den Antrag gestimmt.

Den Wortlaut des PV-Beschlusses findet ihr hier:

imap://gleiss1@imap.netcologne.de:143/fetch%3EUID%3E/INBOX%3E399285?part=1.2&filename=2022-02-22%20Sofortinformation.pdf&type=application/pdf