Bericht zur Videokonferenz des Parteivorstandes der LINKEN vom 11. und 12.12.2021

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Von Thies Gleiss, Mitglied des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken im Parteivorstand

Den Kompass neu einstellen – Strategiedebatte, die nächste

Am 11. Und 12. Dezember 2021 tagte der Parteivorstand der LINKEN als Videokonferenz.

An der Sitzung nahmen bis zu 34 der 44 gewählten PV-Mitglieder teil.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind auf der Website der LINKEN in Kürze nachzulesen:

https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/beschluesse/

1. Aktuelle Politik

In der Aussprache über die aktuelle politische Lage ging es wieder um die Pandemie-Politik. Bis auf eine Abgeordnete hat sich die LINKE-Fraktion bei der Abstimmung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes enthalten. Die Impfpflicht nur für Pflegepersonal ist eine falsche Regelung, die nur die negativen Effekte, die mit einer Impfpflicht möglich sind, auslösen wird, aber keine positiven Auswirkungen hat.

Eine kurze Diskussion gab es über die im Februar anstehende Wahl des oder der Bundespräsidentin. Eine Festlegung, ob die LINKE mit eigener Kandidatin antritt, wird durch Kontakte in diverse Richtungen vorbereitet, ist aber noch nicht entschieden.

Thies Gleiss begründete – wie schon vor sechs und vor zwölf Jahren – seine Position, dass die LINKE für die Abschaffung dieses undemokratischen Amts eintreten sollte, oder wenigstens für eine Direktwahl durch die Wahlbevölkerung.

Länger wurde über die Koalitionsvereinbarung in Berlin diskutiert. Viele Mitglieder des PV erklärten, dass der Koalitionsvertrag keine ausreichende Grundlage für eine erneute Regierungsbeteiligung durch die LINKE darstellt. Eine Beschlussfassung gab es dazu vom PV leider nicht, aber die Debatte spiegelt die Verhältnisse, die auch in der Berliner LINKEN bezüglich der anstehenden Koalitionsentscheidung entstanden sind.

Eine längere Debatte ergab sich auch über den „Offenen Brief“ aus den Reihen der Klimagerechtigkeitsbewegung wegen der möglichen Berufung von Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Klima und Energie. Eine Beschlussfassung dazu wurde mit 20:8:4 Stimmen abgelehnt, weil die öffentliche und interne Wirkung des Briefes ja ohnehin schon erreicht ist. Der geschäftsführende Parteivorstand und die Abgeordneten, die auch Mitglied im PV sind, werden dafür werben, dass die Bundestagsfraktion bei ihrer Entscheidung sorgsam mit solchen, prinzipiell zu begrüßenden und ja auch eine gewisse Liebe zur Partei ausdrückenden, Reaktionen aus den sozialen Bewegungen umgeht.

Eine kürzere, in einigen Aspekten auch kontroverse, Diskussion ergab sich auch aus einer Einschätzung von Thies Gleiss zum Tarifabschluss für die Länder durch Ver.di, GEW und Beamtenbund. Er erklärte diesen Abschluss für sehr schlecht, gerade angesichts der neuen akuten Bedrohung der Einkommen der Beschäftigten durch die steigende Inflation. Die Rahmensituation mit relativ guter Kassenlage in den Ländern, mit der gerade laufenden Debatte über einen neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene und auch mit der deutlich gewordenen guten Kampfbereitschaft der Beschäftigten hätte ein deutlich besseres Ergebnis möglich gemacht.

Im Rahmen des Punktes „Aktuelle Politik“ gab es auch Berichte des Bundesausschusses, der sich schwerpunktmäßig mit der politischen Bildung der Partei befasst hat, sowie vom Jugendverband Linksjugend-Solid, der seinen Bundeskongress abgehalten hat.

2. Einstieg in die Strategiedebatte

Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow hatten kurz vor der Sitzung ein gemeinsames Diskussionspapier veröffentlicht: „Den Kompass neu ausrichten – Aufgaben für DIE LINKE nach der Bundestagswahl“.

Dass eine solche nächste Etappe in der Strategiedebatte der LINKEN erforderlich ist, wurde in der ausführlichen Debatte von allen bekräftigt und der Text der beiden Vorsitzenden wurden als guter Einstieg dazu angesehen.

Aber es gab auch zahlreiche Kritik. Die Debatte geht jetzt weiter und es wurden von allen PV-Mitgliedern (aber natürlich auch von anderen Mitgliedern oder Gremien der Partei) eigene Debattenbeiträge eingefordert. Sie werden wohl auf der Seite „links-bewegt.de“ (wo schon einige Diskussionstexte stehen) oder einer Extra-Plattform veröffentlicht werden.

Thies Gleiss ging in seinem Diskussionsbeitrag vor allem darauf ein, dass die LINKE jetzt ihre neue Rolle als linke Opposition umfassend annehmen muss. Ein Selbstverständnis als „Regierung in der Opposition“ oder als beleidigte und verschmähte Koalitionspartnerin darf nicht länger sein. Es ist durchaus absehbar, dass auch nach dieser neuen Führungsrolle der SPD in einer Koalitionsregierung politische Linksentwicklungen entstehen werden (wie Ende der 60er Jahre oder während der Schröder-Fischer-Regierung), bei denen die LINKE, wenn sie überleben möchte, unbedingt eine Rolle spielen soll.

Hier sei noch auf eine Video-Veranstaltung hingewiesen, bei der Thies Gleiss, Lorenz-Gösta Beutin und Violetta Bock zur Lage der LINKEN verschiedene Inputs gaben: https://www.youtube.com/watch?v=Us2TIu557-A&list=PLpdMWJhdCj9jg00Ot3Lbd4plb1JTiW7cp&index=4

3. Konsequenzen aus dem Ausgang der Bundestagswahl

Verschiedene Vorlagen und kleinere Tagesordnungspunkte beschäftigten sich mit den mehr oder weniger internen Auswirkungen des Bundestagswahlergebnisses für die LINKE.

Der Bundesschatzmeister Harald Wolf legte einen ersten Entwurf für einen Haushaltsplan vor. Er wird im Februar 2022 vom PV beraten und dann vom Bundesausschuss letztendlich beschlossen werden.

Die LINKE muss mit erheblich weniger Geld, gut 3 Millionen Euro im nächsten Jahr, auskommen. Einigkeit bestand darin, dass die daraus nötigen Sparmaßnahmen nicht nur ökonomisch nach dem berühmten Rasenmäherprinzip erfolgen dürfen. Die politischen Schwerpunkte der Partei müssen erhalten bleiben, ebenso die Grundaufgaben der Bundesgeschäftsstelle.

Es lag dazu ein Brief des Betriebsrates der Beschäftigten im Karl-Liebknecht-Haus an den PV vor, der anmahnte, dass alle Maßnahmen transparent und in offener Auseinandersetzung besprochen werden und dass es nicht zu einer weiteren Arbeitsverdichtung bei den Beschäftigten kommen darf. Diese Anliegen werden vom PV unterstützt. Der Bundesschatzmeister wird demnächst mit Ver.di über mögliche und nötige Einsparungen, Sozialpläne usw. verhandeln.

Dem PV wurde ein ausführlicher „Wahlkampf-Abschlussbericht“ des Bundeswahlleiters und Bundesgeschäftsführers Jörg Schindler präsentiert. Daraus ergab sich eine längere Debatte über Vor- und Nachteile des Haustür-Wahlkampfes. Die wird spätestens mit dem nächsten Wahlkampf wieder aufgenommen werden.

Die Bundesgeschäftsstelle hat den Landesverbänden, in denen in 2022 Wahlen anstehen, bereits konkrete Unterstützungen zugesagt (Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen) beziehungsweise wird entsprechende Angebote in Kürze machen.

Der PV hatte in seiner Auswertungsdebatte zur Bundestagswahl auf der PV-Klausurtagung im Oktober beschlossen, dass zu drei Themenkomplexen schwerpunktmäßig die Debatte in der Partei und die öffentliche Politik strukturiert werden sollte. Die Bundesgeschäftsstelle legte dazu jeweils Konzeptpapiere zum „Sozialökologischen Umbau“ zur „Friedlichen Außenpolitik und solidarischer Internationalismus“ und „Neuer Aufbruch im Osten“ vor.

Über diese Vorlagen wurde – leider etwas unstrukturiert und holperig – länger diskutiert. Insbesondere über die politische Zielsetzung zum „Aufbruch im Osten“ ergab sich größerer Redebedarf.

Die Debatte wurde ohne Beschlüsse beendet und wird auf den kommenden PV-Sitzungen fortgesetzt, auch in Zusammenarbeit mit den mittlerweile arbeitenden PV-Arbeitsgruppen zu diesen Themen.

4. Beratung von Anträgen, die vom Bundesparteitag an den PV überwiesen wurden

Immer noch sind ein paar vom Parteitag an den PV überwiesene Anträge nicht abgearbeitet.

– Der Antrag G29 vom Jugendverband zur Solidarität mit den selbstverwalteten Kommunen in Rojava wurde mit einigen Änderungen, die mit einer Vertreterin von Solid diskutiert wurden, angenommen.

– Der Antrag der Ökologischen Plattform (Antrag P0.8), dass regelmäßig eine Aufstellung öffentlich gemacht werden soll, wie hoch der Anteil von bei Partei, Stiftung und Fraktionen beschäftigten Mitgliedern in den Wahlgremien der LINKEN ist und entsprechende Statistiken geführt werden, wurde mit knapper Mehrheit und bei vielen Enthaltungen (9:7:12) angenommen. Strittig waren vor allem der damit verbundene Arbeitsaufwand und einige Rechtsfragen.

– Dieser Antrag wurde gemeinsam mit Anträgen zur regulären Befristung von parlamentarischen Mandaten für ein und dasselbe Mitglied diskutiert. Dazu hatte der Parteivorstand eine Extra-Arbeitsgruppe einberufen, die jetzt ein längeres „Arbeitspapier Mandatszeitbegrenzung“ vorgelegt hat.

Die gute Vorbereitung führte zu einer längeren, sehr wohltuenden und konkreten Diskussion über die Auswirkungen von Berufspolitik und besonders parlamentarischen Mandaten auf die Partei und auf die ausführenden Personen. Jede Zunahme an Professionalisierung hat auch immer strukturkonservative Konsequenzen, Bürokratisierung und Konkurrenzkämpfe zur Folge. Diese „Dialektik der partiellen Errungenschaften“ ist vielleicht das zentrale innere Problem der Linken und Arbeiter:innenbewegung seit ihrem Aufschwung zu Massenparteien und dem Einzug in die bürgerlichen Parlamente.

Endlich beginnt die LINKE diese überfällige Diskussion und eine große Mehrheit im PV hat dies begrüßt und den im Arbeitspapier umrissenen Plan, wie eine solche Debatte in der Mitgliedschaft organisiert werden kann, für gut befunden.

Die Arbeitsgruppe wurde noch einmal bestätigt und beauftragt, die Debatte für die kommenden PV-Sitzungen weiter vorzubereiten.

5. Weitere Beschlüsse

– Der Bundesparteitag hat bekanntlich die Durchführung eines Mitgliederentscheides zur Frage des „Bedingungslosen Grundeinkommens“. Zur organisatorischen Umsetzung dieses Beschlusses lag ein Vorschlag des Bundesgeschäftsführers vor, der nach längerer Debatte angenommen wurde. Strittig war nicht die Vorlage, sondern nur die Frage, wie bedeutsam eine Entscheidung für oder gegen das BGE für die LINKE sein wird. Eine sehr große Mehrheit im PV hält das BGE für keine geeignete Lösung der sozialen Probleme im Kapitalismus, aber viele halten die Diskussion darüber für sinnvoll und wünschen sich deshalb lieber keine Beendigung der Debatte durch einen Mitgliederentscheid, sondern den Fortgang der Debatte.

– Der PV ermächtigte den geschäftsführenden PV, erste personelle Schritte zur Installierung des beschlossenen Gewerkschaftsrates zu unternehmen.

– Der PV und seine Arbeitsgruppe zu Klimagerechtigkeit wurden beauftragt für das erste Quartal 2022 ein Konzept für eine Veranstaltungsreihe mit dem Arbeitsthema „Ökosozialismus“ vorzulegen.

– Der PV wird eine „Strategie zur Nachwuchsförderung“ ausarbeiten und dabei eng mit dem Studierenden- und dem Jugendverband zusammenarbeiten.

– Die LINKE wird auch die zweite Veranstaltung der Europäischen Linken „No Passaran“ zum Kampf gegen den Aufstieg der Rechten in Europa am 18.-20. März 2022 in Berlin unterstützen.

– Der PV wird zeitnah eine Diskussion über eine bessere Öffentlichkeitsarbeit, vor allem in den „sozialen Medien“ durchführen, die von der entsprechenden Abteilung in der Geschäftsstelle eingeleitet wird.

– Dem PV lagen Berichte zum jüngsten „Bewegungsratschlag“ vor, sowie ein ausführlicher „Neunter Gleichstellungsbericht der LINKEN“. Über letzteren wird der PV hoffentlich generell und zu den passenden Gelegenheiten auch partiell noch diskutieren.

Thies Gleiss, Köln, 13. Dezember 2021