Bericht zur Videokonferenz des Parteivorstandes der LINKEN vom 06.11.2021

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Von Thies Gleiss, Mitglied des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken im Parteivorstand

Immer noch Thema Nummer Eins: Wie weiter mit der LINKEN

Am 06. November 2021, dem Vorabend zum 104. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland 1917, tagte der Parteivorstand der LINKEN als Videokonferenz.

An der Sitzung nahmen bis zu 33 der 44 gewählten PV-Mitglieder teil.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind auf der Website der LINKEN in Kürze nachzulesen:

https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/beschluesse/

1. Aktuelle Politik und Konstituierung der Fraktion im Bundestag

Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow leiteten den Punkt mit Berichten zur Konstituierung der Fraktion ein. Sie konstatierten, was in der Diskussion dann auch mehrfach kritisiert wurde, dass der Versuch, zwischen Fraktion und Parteivorstand zu einer gemeinsamen Orientierung zu kommen, wie es der PV beschlossen hatte, gescheitert ist. Eine gemeinsame Beratung von Fraktion und Vorstand ist frühestens im Januar zu realisieren. Der neue Fraktionsvorstand ist weitgehend der alte, nur etwas verkleinert. Die Wahl der beiden Fraktionsvorsitzenden erfolgte dann auch auf Vorschlag der PV-Vorsitzenden.

Diese Entwicklung ist sicher kein guter Ausgangspunkt für einen Neuaufbruch der LINKEN, wie er in den letzten Wochen überall gefordert wurde. Das wurde im weiteren Verlauf der PV-Sitzung immer wieder deutlich.

Die Regierungsverhandlungen in Mecklenburg-Vorpommern zwischen SPD und LINKE sind sehr weit gediehen und sollen kommende Woche fertig sein. In Berlin gehen die Verhandlungen zwischen SPD, GRÜNEN und LINKE langsamer voran (geplantes Ende 21. Dezember).

Thies Gleiss verwies in der Diskussion, dass der Bundesschatzmeister Harald Wolf gerade ein lesenswertes Buch zur Frage von Regierungsbeteiligungen linker Parteien geschrieben hat (H. Wollf: (Nicht)Regierungen ist auch keine Lösung. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen wenn Linke sich beteiligen. VSA-Verlag, Hamburg 2021, 220 Seiten). Die Tipps und Erkenntnisse, die darin ausgearbeitet werden, finden in den Verhandlungen in Schwerin und Berlin leider überhaupt keine Berücksichtigung.

In Berlin-Pankow wurde der LINKE Sören Benn zum Bezirksbürgermeister gewählt. In der interessierten Öffentlichkeit wird jetzt kolportiert, dies sei mit Stimmen der AfD geschehen. Der PV forderte weitere Klarstellungen von der LINKEN-Berlin und mehrfach wurde geraten, dass Sören Benn sein Amt nicht antreten solle, wenn die wirklichen Unterstützer:innen von der CDU nicht geoutet werden können.

Bei den Verhandlungen über eine Regierungskoalition von FDP, GRÜNEN und SPD zeichnet sich immer mehr ab, dass FDP und GRÜNE mit ihren kapitalistischen Grundprinzipien das Geschehen diktieren. Zuletzt in der Frage der Zerschlagung des Bahn-Konzerns. Die SPD duckt sich weg und gibt sich mit Mindestkanzler und Mindestlohn zufrieden. Auch hier zeigt sich, so erklärte Thies Gleiss in der Debatte, dass der Kurs der LINKE-Fraktion, jetzt die Befreiung der SPD aus der Gefangenschaft bei der FDP zu versuchen (nachdem die Befreiung von der CDU etwas arg nach hinten losgegangen ist) ziemlich lächerlich ist. Es gibt immer noch kein progressives Lager mit GRÜNEN und SPD.

2. Beschlüsse zur aktuellen Politik

– Aus Anlass der 26. Vertragspartner:innen-Konferenz zum UNO-Klimaabkommen in Glasgow nahm der PV eine Vorlage an, die unsere aktuellen Forderungen zur Beschleunigung des Klimaschutzes zusammenfasst (mit drei Enthaltungen).

– Zur sich anbahnenden „Vierten Welle“ der Covid-19-Pandemie in Deutschland nahm der PV die Erklärung „Solidarität hilft: Gesundheit vor Profite“ bei 7 Enthaltungen an. Strittig darin war vor allem die Frage einer generellen 3G-Regelung auch für die privaten und öffentlichen Betriebe. Mit 16:8:2 Stimmen lehnte der PV das ab und schloss sich damit der entsprechenden Position der meisten Gewerkschaften an.

– Die in den Ampel-Koalitionsverhandlungen diskutierte Forderung der GRÜNEN und der FDP nach Zerschlagung des DB-Konzerns wird vom PV in einer Resolution kritisiert. Stattdessen wird die Umwandlung des Konzerns in eine gemeinnützige Gesellschaft gefordert, die aber alle Belange des Schienenverkehrs in einer Hand zusammenlässt.

Thies Gleiss hat sich bei dieser Abstimmung verhalten, weil er zwar die Zielsetzung teilt, aber mehr – auch kritisch – auf die Haltungen unserer Bündnispartner:innen, von der EVG, GDL, VCD bis zu den solidarischen Bahninitiativen, eingehen wollte. Ohne den Aufbau einer realen Oppositionsbewegung wird die weitere Zerschlagung und Privatisierung der Bahn nicht aufzuhalten sein.

– Die LINKE wird sich auch dieses Jahr am 13. Seniorentag vom 24.-26.11.2021 mit eigenen Beiträgen beteiligen.

– Die LINKE wird zum neuen Verbotsprozess gegen unsere türkisch-kurdische Schwesterpartei HDP eine Beobachtungsdelegation entsenden, gemeinsam mit der Europäischen Linken.

– Am 10.-12. Dezember findet in Wiesbaden der Bundesparteitag der AfD statt. Dazu gibt es ein breites Bündnis für Gegenaufklärung und Protest. Die LINKE wird sich an den entsprechenden Aktivitäten beteiligen.

3. Diskussion zur Auswertung der Wahlen und Wie weiter mit der LINKEN, Teil 1

Dazu waren als Gäste Prof. Klaus Dörre aus Jena und der Redakteur und Kolumnist der Frankfurter Rundschau, Stephan Hebel eingeladen. Gäste waren zudem Antragsteller:innen zu verschiedenen Anträgen bezüglich neuer Erhebungen und Studien zur Auswertung der Wahlen.

Nach zwei längeren Inputs von Klaus Dörre und Stephan Hebel gab es eine lange Debatte.

Klaus Dörre hat gerade ein neues, auch lesenswertes, Buch veröffentlicht: Klaus Dörre, Die Utopie des Sozialismus – Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Matthes &Seitz-Verlag, 345 Seiten.

Seinen dort ausgearbeiteten Thesen folgte auch sein Input: Eine Zusammenführung von Ökologie und sozialen Gerechtigkeitsfragen ist die Schlüsselfrage einer zukünftigen linken Politik. Es muss gleichzeitig aber auch eine „Ahnung, das was anderes kommen muss“, also eine konkrete übergreifende Utopie entwickelt werden.

Sehr deutlich und ohne jede Diplomatie gab Klaus Dörre seiner Verwunderung Ausdruck, dass die LINKE sich nicht klar und offen von den Positionen von Sahra Wagenknecht distanziert hat, sondern sie stattdessen noch auf einen prominenten Listenplatz gewählt hat.

Noch deutlicher in dieser Personalie wurde Stephan Hebel. Er kritisierte insbesondere den Normalitätsbegriff, der aktuell bei Sahra Wagenknecht prägend ist. Er ist nicht nur ein rechter Begriff, sondern distanziert die LINKE von den Subjekten der gesellschaftlichen Veränderung, die ja gerade Normalität – erlebt als realen Kapitalismus – durchbrechen wollen. „Emanzipation ist nicht teilbar“. Die LINKE müsse stattdessen den Begriff der individuellen Freiheit wieder von links besetzen. Der LINKEN ist es bisher nicht gelungen, ihre Rolle als einzige Oppositionskraft anzunehmen. Sie muss ihren Anhänger:innen mehr „Utopie wagen“ vermitteln und damit auch deutlich machen, dass gesellschaftliche Veränderungen auch Spaß machen muss. „Es macht Freude, die Welt zu verändern.“

Inputs und die folgende Diskussion waren sicherlich ein Highlight der bisherigen PV-Arbeitsperiode. Thies Gleiss konnte in seinem Debattenbeitrag vor allem bei Stephan Hebel anknüpfen und führte seine schon mehrfach skizzierte Notwendigkeit einer „Politik in der ersten Person“ für die LINKE aus, ohne die weder Freude noch Dynamik und langanhalte Ausdauer bei der gesellschaftlichen Veränderung entstehen werden.

4. Auswertung der Wahlen, Teil 2

Christina Kaindl präsentierte anschließend neueste demoskopische Umfrageergebnisse zum Wahlverhalten der Anhänger:innenschaft der LINKEN. Wie immer ist dann die Demoskopie Startpunkt für die beliebte Kaffeesatzleserei und Interpretationsschlachten der Ergebnisse. Ohne die Fleißarbeit des Karl-Liebknecht-Hause despektierlich behandeln zu wollen, bleibt der Erkenntnisgewinn solcher „Wissenschaft“ trotz aller Zahlen und Grafiken doch sehr nebulös. „Tappen im Nebel“, wie die Grande Dame der Demoskopie aus Allensbach das schon vor Jahren beschrieb.

Es lagen dennoch oder gerade deswegen Anträge aus der Partei, vom Landesvorstand NRW und vom Bundesausschuss vor, dass der PV weitere empirische Forschungen veranlassen sollte, um dem Wähler und der Wählerin, den unbekannten Wesen auf die Schliche zu kommen.

Alle Anträge wurden zur Kenntnis genommen, aber nicht abgestimmt. Es wird mit allen Kräften noch beraten werden, wie diese weiteren Untersuchungen umgesetzt werden können.

Thies Gleiss hat gegen alle diese demoskopischen Zusatzforschungen gesprochen. Nichts, was nicht schon bekannt ist, wird dadurch ausgegraben. Schon gar nicht sollte für so etwas viel Geld ausgegeben werden.

Vom Bundesgeschäftsführer lag zudem ein Papier zu den bisher angedachten Veränderungen in der Bundesgeschäftsstelle vor, die aufgrund deutlich geringerer Einnahmen nötig sind.

5. Weitere Themen

– Der Bundesgeschäftsführer legte den Quartalsbericht zur Mitgliederentwicklung vor. Über ihn wird nächstes Mal diskutiert. Die LINKE hat wieder über 61.000 Mitglieder, der nach der Bundestagswahl eingesetzte Schub bei Neueintritten ist allerdings wieder verebbt, erstmals gab es in den letzten Tagen wieder stärkere Austrittszahlen.

– Die Satzungskommission wurde berufen, es fehlt noch ein weiteres weibliches Mitglied aus dem PV.

– Die vom Parteitag an den PV überwiesenen Anträge zu Lateinamerika und Nahost (Anträge G.07 und G.20) wurden an die Internationale Kommission weiter überwiesen, weil sie mittlerweile stark aktualisiert werden müssen.

– Der vom Parteitag überwiesene Antrag zu veränderten Formaten für „Leitanträge“ (Antrag P.07) wurde teilweise angenommen, die konkreten Festlegungen im zweiten Absatz wurden gestrichen)

– Der vom Parteitag überwiesene Antrag für eine Mitgliederzeitung (Antrag P.02) wurde noch einmal zurückgestellt.

Thies Gleiss, Köln 07. November 2021