Quo vadis LINKE ?   

Print Friendly, PDF & Email

Der Versuch einer Annäherung

von Jürgen Aust

Die zahlreichen Stellungnahmen zum Wahldebakel der LINKEN beeindrucken eher durch das, was sie nicht ansprechen, ja, nahezu tabuisieren und gefallen sich überwiegend in der Symptombeschreibung, als zu den Ursachen vorzudringen.

1.

Zu einer der zentralen Tabuzonen gehört, dass die LINKE zwar in ihrem 2011 beschlossenen Parteiprogramm sich als eine sozialistische Partei versteht und die Überwindung des Kapitalismus als wesentliche Voraussetzung für die Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung bezeichnet, dieses Selbstverständnis aber keinen Ausdruck mehr in der praktischen bzw. Alltagspolitik findet. Auch wenn das Wahlprogramm grundsätzlich unterstützenswerte linksreformerische Positionen enthält, wird das, was Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ noch als die „Grundfrage der Bewegung“ hervorheben, nämlich die Eigentumsfrage, weitgehend tabuisiert. Auch die noch im Parteiprogramm enthaltene Position, dass DIE LINKE „für die Veränderung der Eigentumsverhältnisse kämpft“, sucht man im Wahlprogramm vergeblich. Und es ist nachgerade bezeichnend, dass diese für eine sozialistische Partei nahezu selbstverständliche Position in fast keiner der Stellungnahmen zum Wahldebakel auch nur ansatzweise Erwähnung findet.

2.

Zu diesen Tabuzonen gehört weiterhin der in nahezu allen Stellungnahmen ausgeklammerte und nahezu antagonistische Widerspruch zwischen dem parlamentarischen Arm der Partei und ihrer Basis. Ein Beispiel:  zu diesen antagonistischen Widersprüchen gehört u.a. die seit mehreren Jahren stattfindenden Versuche, die im Parteiprogramm deutlichen antimilitaristischen Positionen zu schleifen bzw. in Vorwahlphasen völlig zu entsorgen. So der Versuch von dem ehemaligen Bundesgeschäftsführer der LINKEN, Michael Höhn, die im Parteiprogramm vertretenen friedenspolitischen Grundsätze zu relativieren bzw. sie als nicht mehr zeitgemäß zu bezeichnen. So der regelmäßige Versuch von Bartsch, die zentrale imperiale Kriegsallianz, die NATO, bei potentiellen Sondierungs- bzw. Koalitionsgesprächen mit SPD und Grünen auszuklammern, weil diese Parteien das Bekenntnis zur NATO als maßgebliche Voraussetzung für eine Koalition mit der LINKEN verlangen. Demgegenüber engagieren sich tausende Mitglieder der LINKEN intensiv in lokalen Friedensbündnissen, die Jahr für Jahr die Proteste gegen NATO, Bundeswehr und Aufrüstung auf die Straße tragen. Wenn aber dieses zeitaufwändige und notwendige Engagement der Basis der Partei von führenden Politikern der LINKEN ständig konterkariert wird, dann wollen sie offensichtlich eine andere Partei, die anschlussfähig an kriegerischen Positionen von SPD und Grünen ist.

3.

Auch einer der zentralen in der LINKEN wirksamen Widersprüche wird in nahezu allen Stellungnahmen unterschlagen: die Infragestellung der Veränderbarkeit des politischen Kräfteverhältnisses durch Parlamente und linken Regierungsbeteiligungen. Vielmehr wird die Orientierung auf Regierungskoalitionen als nahezu alternativlos dargestellt, wie u.a. in der

Stellungnahme der BAG b & g, in der es unter Bezugnahme auf eine Umfrage unter den Wähler*innen der LINKEN heißt: „Deshalb ist eine generelle Ablehnung von Regierungsbeteiligungen auch keine denkbare Option für DIE LINKE.“ Allerdings ist diese Position eine nahezu „generelle“ Absage an die Positionen, die einst Rosa Luxemburg bei ihren jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Reformflügel in der deutschen und europäischen Sozialdemokratie vertreten hat. So hat sie zum Eintritt des französischen Sozialisten Millerand erklärt: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.“ In der späteren Auseinandersetzung mit dem in der SPD exponierten Theoretiker Eduard Bernstein vertrat sie in ihrem berühmten Werk „Sozialreform oder Revolution“ den Standpunkt, dass Bernstein und andere die Umsetzung von Sozialreformen durch die Regierung zum politischen Prinzip erheben würde, anstatt das Erkämpfen von Sozialreformen als Mittel revolutionärer Politik zu nutzen. Als der rechte Flügel der SPD während der Novemberrevolution zu einer verfassungsgebenden Versammlung aufrief, um die bewaffneten Arbeiter- und Soldatenräte im Keim zu ersticken, erklärte sie: „Ein idyllischer Plan dies: auf parlamentarischem Wege, durch einfachen Mehrheitsbeschluss den Sozialismus zu verwirklichen !“ Der innerparteiliche Flügel um Bartsch, Ramelow, Hoff oder Lederer, aber auch zahlreiche Mitglieder und Politiker*innen in den westlichen Bundesländern vertreten heute nahezu deckungsgleich die einst von Bernstein vertretenen Positionen, ohne dass dieser Reformismus bzw. die notwendige Kritik daran auch nur ansatzweise Eingang in die Wahlanalysen gefunden hätte. Beispielhaft sei ein „thread“ bei Twitter von Benjamin Hoff erwähnt, der bekennerhaft erklärte: „Das linke Wahlergebnis ist nicht das Resultat eines verfehlten Wahlkampfes, sondern einer seit Jahren verschleppten strategischen Entscheidung, als sozialistische Partei klar für einen progressiven Gestaltungsanspruch in Regierungsverantwortung zu stehen.“ Leider findet sich auch in der Stellungnahme der „Bewegungslinken“ zu diesem Problem kein Wort, obwohl der Niedergang der beiden ehemals größten linken europäischen Parteien, der französischen KPF und der italienischen PCI zentral mit diesem Konflikt zu tun hat. Nach wie vor sehr lesenswert zur Frage, welchen Stellenwert haben Parlamente bzw. linke Regierungsbeteiligungen bei der Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, sei statt vieler auf den Beitrag von Daniel Kreutz u. Christof Jünke von März 2010 in der Zeitschrift „LuXemburg“ verwiesen (https://www.zeitschrift-luxemburg.de/falsch-aufgezaumt-eine-entgegnung-aufs-strategiepapier-des-instituts-fur-gesellschaftsanalyse/).

4.

Zu den wesentlichen Zerreißproben in der LINKEN gehören zweifellos seit vielen Jahren auch die mit dem Parteiprogramm weitgehend unvereinbaren Positionen von Sahra Wagenknecht u.a., die kurz nach der zahlenmäßig großen Zuwanderung von zumeist Kriegsflüchtlingen aus Syrien und Afghanistan zentrale flüchtlings- und migrationspolitische Positionen des Parteiprogramms in Frage stellte, indem sie gemeinsam mit Oskar Lafontaine nahezu im Wochenrythmus die These vertrat, dass nicht alle kommen könnten und der deutsche Sozialstaat damit überfordert sei. Oskar Lafontaine forderte im selben Atemzug ein neues Parteiprogramm, weil die erst fünf Jahre zuvor beschlossenen Positionen angeblich inzwischen überholt seien. Beide wurden dabei von nicht geringen Teilen der Partei unterstützt, was erhebliche Auswirkungen auf die Politik und Mehrheitsverhältnisse in mehreren Landesverbänden hatte und weiterhin hat. Dieser Konflikt wurde von Wagenknecht und ihren Anhänger*innen soweit getrieben, dass sie eine neue „Bewegung“ mit dem anspruchsvollen Namen „Aufstehen“ gründeten, die am 04. September 2018 mit einer weitgehend reformistischen Grundsatzerklärung das Licht der Welt erblickte. Die Parteiführung um Kipping, Riexinger und andere hatte zwar die Hoffnung (besser: Illusion), dass durch eine gemeinsame Erklärung der in der Öffentlichkeit als Spaltung der Partei wahrgenommene Konflikt bereinigt werden könnte, jedoch war diese Hoffnung auf Sand gebaut, denn Wagenknecht, Lafontaine u.a. hatten auch weiterhin das Interesse, die Parteiführung wegen ihres Kurses durch ständige Interviews und Fernsehtalkshows zu attackieren, und ihnen vorzuwerfen, sie hätten die Interessen der unteren Schichten der Gesellschaft aus dem Auge verloren und würden sich überwiegend an einer sog. Identitätspolitik bzw. wahlpolitisch an sog. Life-Style-Milieus orientieren. Diese Attacken kulminierten in einem von Wagenknecht wenige Wochen vor der Wahlkampfphase herausgegebenen Buch „Die Selbstgerechten“, in welchem sie ihre mehr als fragwürdigen bzw. reformistischen Thesen einem breiten Publikum vorstellte, die u.a. auch Angriffe gegen zahlreiche Akteure der außerparlamentarischen Bewegung wie u. Friday for Futures oder Ende Gelände enthielt. Insbesondere kurz nach der Wahl bekräftigte Sahra W. noch einmal ihr Selbstverständnis, indem sie u.a. erklärte, dass die schwere Niederlage ihren Grund darin habe, „dass die Linke sich in den letzten Jahren immer weiter von dem entfernt hat, wofür sie eigentlich mal gegründet wurde, nämlich als Interessenvertretung für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Rentnerinnen und Rentner.“ Und auch ihre enge Vertraute Sevim Dagdelen wollte da nicht zurückstehen und erklärte gegenüber der jW: „Die Vernachlässigung der sozialen Frage, der Fragen der sozialen Gerechtigkeit und eines starken Sozialstaats durch die alte Parteiführung in den letzten acht Jahren hat Vertrauen verspielt.“

In den zahlreichen Wahlauswertungen machen die meisten Autor*innen um diesen Konflikt einen großen Bogen bzw. versuchen ihn klein zu reden, obwohl dieser Konflikt seit Herbst 2015 eine der zentralen Spaltungslinien der Partei ausmacht (innerparteiliche Ausnahmen stellen der Beitrag von Gökay Akbulut u.a. „Die Linke braucht eine Erneuerung statt spalterischer Milieudebatten“ oder der AKL dar). Eines der zentralen Magazine des reformistischen Flügels der Partei, das „SozialismusMagazin“, relativiert in einem längeren Beitrag zur Wahl in Heft 10/2021 diesen Konflikt, indem dieser verharmlosend mit „kontroversen Debatten“ verklärt wird und ohne Ross und Reiter zu nennen, dieser Konflikt als Mangel der Partei dargestellt wird, im Wahlkampf nicht geschlossen aufgetreten zu sein. Es bedurfte erst einiger „zorniger“ Stellungnahmen, wie z.B. vom Geschäftsführer eines der bekanntesten und einflussreichsten Sozialverbände, Ulrich Schneider, der mehr als deutlich die Rolle von Sahra Wagenknecht verurteilte und ihr vorwarf, dass das Wahlergebnis doch niemand verwundern könne, wenn sie kurz vor der Wahl ein Buch veröffentliche, das „unschwer als Abrechnung mit ihrer Partei oder Teilen ihrer Partei verstanden werden müsse“ und dies auch noch in allen Talkshows verkünden würde.

5.

Zu einigen fragwürdigen Argumenten und Baustellen im Rahmen der Wahlauswertung und ihren Schlussfolgerungen:

a)

Deshalb ist eine generelle Ablehnung von Regierungsbeteiligungen auch keine denkbare Option für Die Linke,“ wie es in dem Beitrag der BAG Betrieb u. Gewerkschaft unter Berufung darauf heißt, dass eine überwältigende Mehrheit unserer Wähler*innen eine Rot-Grün-Rote Regierung wünsche. Das hieße aber dann doch auch, dass Die Linke sich für ein Abtreibungsverbot einsetzen müsste, wenn in einer Umfrage sich die Befragten mehrheitlich für ein Abtreibungsverbot aussprechen. Ähnlich ließe sich auch bei einem Volksentscheid gegen mehr Zuwanderung argumentieren. Diese Beispiele zeigen, wie zweifelhaft der Bezug auf eine scheinbar „überwältigende Mehrheit“ ist und die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass Die Linke dann auch programmatisch eine solche „Mehrheitsmeinung“ übernehmen müsse.

b)

Man kann in Wahlprogrammen oder wahlbezogenen Flyern doch nicht ständig zur Revolution aufrufen“, wie es vornehmlich von vorrangig parlamentarisch orientierten Mitgliedern der Linken immer wieder zu hören ist, wenn die zunehmende Aufweichung programmatischer Positionen kritisiert wird. Dahinter steckt die Angst, dass man dann doch von vornherein die Tür für mögliche Regierungskoalitionen sofort zuschlagen würde. Wenn das aber für eine sich als sozialistisch verstehende Partei richtig wäre, dann kann sie offensichtlich nur eine sozialdemokratisch ausgerichtete Politik vertreten und die Forderung nach Überwindung kapitalistischer Verhältnisse auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Auch die damit korrespondierende Eigentumsfrage, wie sie beim Berliner Volksentscheid im Mittelpunkt stand, sollte dann in der historischen Schublade entsorgt werden.

c)

Obwohl die Parteiführung noch rechtzeitig im Wahlkampf einen Flyer mit einem 15-Punkte-Katalog zur Klimafrage veröffentlicht hatte, wurde diese im „Sofortprogramm“ bis auf einige wenige Lippenbekenntnisse nahezu entsorgt. Der bekannte Klimaexperte Christian Zeller fragte in seiner deutlichen Kritik völlig zurecht „Sagt die LINKE gerade ihren Wahlkampf ab?“ Die Klimafrage werde auf eine sog. Verkehrswende reduziert und selbst dieses Minimalprogramm enthalte noch nicht einmal ein Wort zur Verkehrsvermeidung, zur massenhaften Einführung von Elektro-Autos oder zum Tempolimit. Darüberhinaus klinge der geforderte „Industrie-Transformationsfonds“ mit einem jährlichen Volumen von 20 Mrd. eher nach einen Wachstumsprogramm für deutsche Unternehmen und Konzerne.

d)

Am erstaunlichsten ist der nahezu panikartige Alarmismus, der in den meisten Wahlauswertungen und Stellungnahmen zum Ausdruck kommt. Plötzlich ertönen erneut die Rufe nach „Erneuerung“, so wie sie bereits nach der Europa-Wahl 2019 unüberhörbar waren. Da werden Stellungnahmen verfasst, die mit der Überschrift „Die letzte Chance“ versehen werden (so die BAG b & g) oder der Bundesgeschäftsführer der LINKEN gefällt sich in seiner Stellungnahme sogar in der Formulierung „Todesstrafe auf Bewährung“. Nicht, dass eine ernsthafte Diskussion und Aufarbeitung der Ursachen nicht notwendig wäre, aber warum war dieser Zustand der LINKEN eigentlich nicht bereits vor längerer Zeit erkennbar, warum erst nach dem Wahldebakel nach der BT-Wahl 2021? Diese Frage dürfte nicht ganz einfach zu beantworten sein, da die Antwort ans „Eingemachte“ geht, also die Partei und ihre Mitglieder damit konfrontiert, warum sie nicht in der Lage oder bereit waren, die zentralen Probleme wesentlich früher in den Blick zu nehmen bzw. einer strategischen Debatte zuzuführen und nicht erst mit den bekannten Lippenbekenntnissen nach einer historischen Wahlniederlage? Denn die existentiellen Widersprüche, die in diesem Beitrag aufgezeigt worden sind, existieren zweifellos bereits seit mehreren Jahren, aber die Partei- und Fraktionsführung haben sie quasi ausgesessen oder aber, was noch dramatischer wäre, sie erst garnicht gesehen, obwohl sie bereits auf der Strategiekonferenz im Februar 2020 in Kassel im Mittelpunkt der Diskussion standen. Deshalb dürfte es unvermeidbar sein, sich diesen Problemen jetzt zu stellen und sie nicht erneut, wie es in der ersten Stellungnahme des Parteivorstandes den Anschein hat, weiterhin zu tabuisieren: also den zentralen Konflikt zwischen Parteivorstand und Fraktion, den nahezu alles dominierenden Konflikt zwischen der von Sahra Wagenknecht mit ihrem „Gegenprogramm“ in allen neoliberalen Medien veröffentlichten (reformistischen) Positionen und den zentralen Positionen des Parteiprogramms, sowie den zentralen Konflikt zwischen den auf Regierungsbeteiligung eingeschworenen Teilen der Partei (u.a. Bartsch, Hennig-Wellsow, u.a.) und einem zahlenmäßig nicht geringen Flügel der Partei, der das Primat der Partei und eine wesentlich stärkere Bewegungsorientierung einfordert. Es wird notwendig sein, den parlamentarischen Flügel stärker mit den Niederlagen linker bzw. sozialistischer Parteien in Italien, Frankreich oder Griechenland zu konfrontieren, um immer wieder deutlich zu machen, dass das Regieren nicht geeignet ist, die Besitz- und Machtverhältnisse entscheidend zu verändern („Sie dachten, sie wären jetzt an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung“). Und dass das Regieren unter bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen immer zur Stabilisierung des bürgerlichen Parlamentarismus führt, aber nicht zu einer Politik, die die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse entscheidend verändert.

e)

Zu der unter d) vertretenen Kritik an der in der LINKEN seit langer Zeit vorherrschenden Dominanz des parlamentarischen Flügels der Partei noch einige wenige Klarstellungen: es ist für den Verfasser dieser Zeilen unbestreitbar, dass z.B. die zahlreichen Genossinnen und Genossen in den Kommunalparlamenten, Bezirksvertretungen oder Ausschüssen eine verdienstvolle Arbeit leisten. Aber diese Arbeit in Gestalt von Anfragen, Anträgen, Haushaltsreden usw. bleibt grundsätzlich systemimmanent. Eine Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses ist auf dieser parlamentarischen Ebene nicht möglich, so kritisch oder aufmüpfig die linken Abgeordneten in den Parlamenten auch sein mögen. Und es gehört auch zur ganzen Wahrheit, dass diese zweifellos aufopferungsvolle parlamentarische Tätigkeit z.B. nicht verhindern konnte, dass die LINKE in NRW bei der letzten Kommunalwahl 2020 in der Fläche mit lediglich 3,8% noch 0,9% unter dem Ergebnis von 2014 lag oder in absoluten Zahlen: während die LINKE 2014 noch ca. 327.000 Stimmen erhielt, waren es 2020 nur noch ca. 274.000, also 53.000 weniger. Offensichtlich ist der Gebrauchswert der parlamentarischen Arbeit für die potentiellen Wähler*innen und die Ausstrahlungskraft der Partei nicht mehr in dem Maße vorhanden, wie es noch in den ersten Jahren nach ihrer Gründung der Fall war. Und dieser Verlust oder Rückgang an Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft auf kommunaler Ebene dürfte 2020 nur in einem geringen Maße mit den nunmehr für das Ergebnis bei der Bundestagswahl herangezogenen innerparteilichen Konflikten zu tun gehabt haben.

6.

Vorläufiges Fazit:  ob DIE LINKE sich noch zu einer Partei entwickelt, die sich konsequent an ihrem Parteiprogramm orientiert und dieses zur Richtschnur ihres Handelns macht, dürfte offen sein. Eine Kursänderung wird u.a. nur dann möglich sein, wenn die vielen jüngeren Mitglieder der Partei sich von dem zunehmend reformistischen und auf Regierungsbeteiligung orientierenden Kurs deutlich distanzieren und eine erheblich bewegungsorientiertere und radikalere Politik in den Mittelpunkt stellen und diese auch unüberhörbar einfordern. Denn Bewegungen verändern bekanntlich das politische Kräfteverhältnis und keine noch so richtigen und zahlreichen parlamentarischen Anträge.

Der Autor ist Mitglied im Bundessprecher*innen-Rat der Antikapitalistischen Linken