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Überlegungen zur Wahlniederlage der LINKEN

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AKL Schleswig Holstein, Rainer Beuthel

I. „DIE LINKE knüpft an linksdemokratische Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung sowie aus feministischen und anderen emanzipatorischen Bewegungen an.“

Diese Definition unserer Traditionslinien in der Präambel des Parteiprogramms weist uns eine besondere Rolle im Parteiensystem der Bundesrepublik zu: verschiedene linke, sich in der Vergangenheit häufig schroff voneinander abgrenzende Modelle politischer Theorie und politischen Handelns sollen jetzt im Rahmen einer gemeinsamen Partei die Keimzelle für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen bilden. Das Ziel: ein demokratischer Sozialismus, der sowohl den bisherigen Opportunismus der Sozialdemokratie, als auch die Entartungen des autoritären, im Stalinismus kumulierenden sowjetischen Modells überwindet.

Zukunftsvisionen und Gesellschaftsmodelle sind wichtig, reichen jedoch für die Entwicklung einer sozialistischen Perspektive mit dem Ziel der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise nicht aus. Hier und heute, unter knallharten kapitalistischen Bedingungen, müssen konkrete politische Maßnahmen benannt und Wege zu ihrer Realisierung aufgezeigt werden mit dem Ziel, die Lebenslage von Millionen Menschen erfahrbar zu verbessern. Dies sind notwendige erste Schritte, um tiefergreifende gesellschaftliche Veränderungen vorzubereiten.

Wie in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung im Kapitalismus erscheinen in der je eigenen historischen Situation unterschiedliche, sich teilweise diametral widersprechende Ansätze sozialistischer Politik. Die Endphase der Weimarer Republik ist das wohl bedeutsamste Beispiel für eine gegenseitige Blockade verschiedener linker parteipolitischer Ansätze. Wenn DIE LINKE den Anspruch erhebt, diese Verschiedenheiten aufzuheben und anstatt organisatorisch getrennt innerhalb der Partei auszutragen, Mehrheitsentscheidungen zu fällen als Grundlage für diszipliniertes, gemeinsames Handeln, erfordert dies von allen Beteiligten der verschiedenen Strömungen ein hohes Maß an Toleranz für Andersdenkende, an Einfühlungsvermögen und klugen strategischen Denkens.

II. DIE LINKE hat bei der Bundestagswahl eine schwere Niederlage erlitten. Dafür gibt es sowohl objektive, scheinbar schwer zu beeinflussende Ursachen, als auch „hausgemachte“. Beide sind nicht immer scharf voneinander zu trennen.

Im folgenden sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige zentrale Momente von Unklarheit in unseren grundsätzlichen Positionen benannt werden, die vermutlich zu unserer Niederlage beigetragen haben. Jeweils werden Vorschläge für Lösungsschritte benannt.

Ungeklärtes Verhältnis zwischen Reformen innerhalb des Kapitalismus und grundlegendem Bruch mit dem Kapitalismus

Wer dem Anspruch einer Überwindung des Kapitalismus gerecht werden will, muß Übergangsforderungen entwickeln, die die Perspektive zu einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft eröffnen, auf der Basis einer Veränderung der Produktionsverhältnisse, nicht allein durch eine andere Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts im Rahmen des bestehenden Systems.

DIE LINKE oszilliert in der öffentlichen Wahrnehmung zur Zeit zwischen ihrer Rolle als sozialistischer Partei, die den radikalen Bruch mit dem Kapitalismus anstrebt, und als „Kümmererpartei“, die die „alltäglichen Sorge der Menschen ernst nimmt“; dazu gehören beispielsweise der Kampf für die Überwindung von HartzIV, mehr sozialen Wohnungsbau, kostenlosen ÖPNV, etc. All dies ist wichtig und richtig, aber es erscheint zumeist nicht als Teil einer Strategie zur Überwindung des Kapitalismus, sondern als Moment einer „besseren Sozialdemokratie“. Sinnfällig drückt sich dies in der Sentenz einer „neuen sozialen Idee“ aus. Nötig wäre jedoch eine „neue sozialistische Idee“. Hierin müßte klar beschrieben sein, wie sich gegenwärtige Forderungen nach „mehr sozialer Gerechtigkeit“ einfügen in einen Gesamtprozeß zur Überwindung des Kapitalismus, in dem es systembedingt keine wirkliche „soziale Gerechtigkeit“ geben kann.

Lösungsschritte: Aufzeigen sozialistischer Elemente im Grundgesetz (§ 14, §15) / Versuch einer genaueren Beschreibung eines zukünftigen Demokratischen Sozialismus (welche Elemente des bisherigen „realen“ Sozialismus müßten reaktiviert werden, welche nicht, breite Demokratie statt Parteidiktatur, etc. / wie könnte ein neuer demokratischer Sozialismus konkret im Alltag funktionieren) / Bezug zur Theorie Wolfgang Abendroths stärker herausarbeiten.

Regieren – Mitregieren – ja oder nein?

Innerhalb wie außerhalb der Partei besitzt die Problematik eines Regierungseinstieges auf Bundesebene besondere Brisanz. Die Debatte darüber wird von unseren politischen Gegnern des herrschenden Blocks an der Macht sowie den ihnen nahestehenden „Leitmedien“ fast ausschließlich auf den Begriff gebracht, ob DIE LINKE „regierungsfähig“ sei oder nicht. Diese „“Fähigkeit“ wird vor allem mit einer „Verläßlichkeit“ im Rahmen bisheriger außenpolitischer Grundhaltungen verortet: Bekenntnis zur NATO und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Innerparteilich wird dieser Diskurs immer wieder in Form einer angeblichen Differenz zwischen „Kampfeinsätzen“, die abzulehnen, und „Auslandseinsätzen“, die gegebenenfalls tolerierbar seien, kommuniziert. Wie der Afghanistankrieg gezeigt hat, ist dieser Unterschied eine Chimäre. Angeblich „friedensstiftende“ Auslandseinsätze können sehr schnell zum Krieg mutieren. Insofern ist die Forderung von SPD und GRÜNEN im Vorfeld der Bundestagswahl nach „Verläßlichkeit“ in dieser Frage keinesfalls nebensächlich, sondern von besonderer Bedeutung für die weltweite Absicherung der kapitalistischen Produktionsweise und der Herrschaftsinteressen ihrer Metropolen auch mit militärischer Gewalt. Der Versuch von Teilen der LINKEN, dieses zu einer im Rahmen einer möglichen Regierungsbildung nebensächlichen, leicht lösbaren bzw. auszuklammernden Frage herunterzuspielen, war und ist naiv und unglaubwürdig.

Generell sind in unserer Partei in hohem Maß Illusionen über das Wesen des Staates im Kapitalismus (und an dessen Spitze die Regierung) verbreitet. Gilt er den einen als bloßes Instrument der herrschenden Klassen zur unmittelbaren Durchsetzung ihrer Interessen, erscheint er anderen als organisierte Form des „Gemeinwohls“, in dessen leitendem Gremium man jederzeit und nach Möglichkeit mitregieren sollte, um Gutes zu bewirken. Beide Ansätze sind verkürzt und erfassen nicht das komplexe Wesen der bürgerlichen Demokratie, die – zumindest in Friedenszeiten – die effektivste Herrschaftsform zur Absicherung bzw. ständigen Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise bildet. Es gibt keinen grundlegenden Konflikt zwischen bürgerlicher Demokratie und Wirtschaft.

Begreift man – wie Nicos Poulantzas – den Staat als „materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen, das sich im Staat immer in spezifischer Form ausdrückt“ (Staatstheorie.- Hamburg, 2002, S. 159), erscheint der Eintritt in eine „bürgerliche Koalitionsregierung“ (Rosa Luxemburg) für DIE LINKE als sozialistischer Partei grundsätzlich möglich. Entscheidend wichtig ist aber die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts. Voraussetzung wäre eine Massenbewegung demokratisch-sozialistischen Charakters mit Zielen radikaler gesellschaftlicher Veränderungen, ähnlich der 68er-Bewegung. Durch deren außerparlamentarischen Druck wären radikale Reformen im Rahmen einer Koalitionsregierung mit einer starken LINKEN als Speerspitze möglicherweise durchsetzbar. Diese gesellschaftliche Situation besteht jedoch zur Zeit nicht.

Lösungsschritte: verstärkte Bildungsarbeit in der Partei (politische Ökonomie, materialistische Staatstheorie / Gramsci, Althusser, Poulantzas, Hirsch) / Ergänzungen im Parteiprogramm, um das Wesen der bürgerlichen Demokratie genauer herauszuarbeiten.

Zentrum des öffentlichen Diskurses: die Klimafrage

Der kapitalistischen Produktionsweise ist ständiges quantitatives Wachstum wesenseigen. Ohne dieses würde sie zusammenbrechen. Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen für Pflanzen, Tiere und Menschen, kumulierend in der allgemeinen Klimakatastrophe, sind die weltweit immer stärker wirkenden Folgen.

Eine linke Partei, die dieses Szenario in ihrer Programmatik und praktischen Politik vernachlässigt bzw. die im Alltag der Menschen vor Ort spürbaren sozialen Verwerfungen (Armut, Arbeitslosigkeit, etc.) höher gewichtet, weil sie von vielen Menschen unmittelbar und stärker erfahren werden, beginge einen schweren Fehler.

Leider geschieht dies gelegentlich, zuletzt in Form der nachträglichen Kritik Sahra Wagenknechts am Wahlprogramm: es beinhalte den Versuch „grüner als die GRÜNEN“ zu sein. Sollte sich diese bornierte Sichtweise durchsetzen, könnte sich DIE LINKE zukünftig als ernstzunehmende politische Kraft verabschieden. Die Klimaproblematik offenbart auf dramatische Weise das Zerstörungspotential kapitalistischer Profitlogik. Zu Recht wurde im Wahlkampf hervorgehoben, daß diese Krise im Rahmen des Kapitalismus letztlich nicht zu lösen ist.

Doch hier entsteht auch ein grundlegendes Problem. Die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise wird nicht schnell vonstatten gehen. Es müssen aber sofort dringende Maßnahmen zur drastischen CO2-Reduzierung erfolgen, ansonsten drohen „Kipp-Punkte“ der Klimaentwicklung, ab denen ein sich selbst verstärkendes Krisenszenario jetzt noch unvorstellbare Ausmaße gewinnt.

Wenn DIE LINKE die Parole „System Change – not Climate Change“ der Fridays-for-Future-Bewegung übernimmt, muß sie auch klar sagen, von welchem „System“ die Rede ist: die kapitalistische Produktionsweise insgesamt oder ein „System“ innerhalb dieses Systems. Wie oben schon beschrieben, können Übergangsforderungen innerhalb der bestehenden Verhältnisse den Weg zu grundsätzlichen Veränderungen öffnen. Auch und gerade in der Klimafrage ist es wichtig zu verdeutlichen, was DIE LINKE bezüglich der jetzigen Lage konkret fordert und wie es sich in die Gesamtstrategie zur Überwindung des Kapitalismus einfügt. Dies ist bisher nicht deutlich genug erkennbar.

Leider begeht DIE LINKE aktuell einen strategischen Fehler, indem sie eine Verteuerung des Benzinpreises prinzipiell ablehnt. Natürlich wird Benzin, gemessen an den immensen Folgekosten für die Gesellschaft, bisher zu billig verkauft. Das sozialpolitische Argument, Menschen, die aufgrund eines noch mangelhaften Angebotes des ÖPNV auf dem Weg zur Arbeit auf das Auto angewiesen sind, dürften nicht zu stark finanziell belastet werden, läßt sich leicht entkräften. Es wäre Aufgabe der LINKEN, dafür zu streiten, daß diese Menschen von staatlicher Seite einen sozialen Ausgleich erhalten. Die Staatseinnahmen aus höheren Benzinpreisen müssen im übrigen gezielt in einen Umbau des Verkehrssystems investiert werden und dürfen nicht im allgemeinen Bundeshaushalt „untergehen“ oder nach Plan der GRÜNEN nach dem Gießkannenprinzip zu gleichen Teilen an alle ausgeschüttet werden.

Ein zweiter strategischer Fehler ist es, die unbedingt notwendige Verhaltensänderung im Alltag der Menschen als zweitrangig gegenüber Eingriffen in die Produktionsweise und in diesem Rahmen in die Form der allgemeinen Energieerzeugung durch Großkonzerne darzustellen (Braunkohle, Steinkohle, Öl, etc.). Beide Wege müssen zugleich beschritten werden: Umbau der Wirtschaft global, und Änderung klimaschädlichen Verhaltens individuell – beides ergänzt sich und widerspricht sich nicht. DIE LINKE sollte den notwendigen allgemeinen Bewußtseinswandel fördern, anstatt Argumenten Vorschub zu leisten, die die individuelle Mitverantwortlichkeit leugnen.

Lösungsschritte: die Klimafrage sollte im Rahmen eines bundesweiten Kongresses gemeinsam mit Bündnispartner*innen vor allem unter Bezug auf das Handeln der demnächst amtierenden Bundesregierung aktualisiert erörtert werden.

Das Wagenknecht-Syndrom

Seit mehreren Jahren sieht sich DIE LINKE mit der selbstzerstörerischen Situation konfrontiert, daß ihre in Umfragen bekannteste bzw. beliebteste Politikerin ein Eigenleben ohne Rücksicht auf die Beschlußlage der Partei führt. Deutlich wurde dies u.a. in ihrer Position zur Flüchtlingsfrage.

Traurige Höhepunkte des Handelns dieser durch Talkshows ziehenden Ich-AG waren das Scheitern der mit viel Mediengetöse gepushten „Aufstehen“-Bewegung (die keine wirkliche Bewegung, sondern deren krampfhafte Simulation war) sowie die Veröffentlichung des Buches „Die Selbstgerechten“ zu einem sorgfältig gewählten Zeitpunkt vor Beginn des Wahlkampfes. Anstatt sich an der Debatte um die Erarbeitung des Wahlprogramm zu beteiligen, also eigene Vorschläge einzubringen, gefiel sich die angebliche Ikone der LINKEN in einer gezielten maximalen Provokation der Partei – mit fatalen Folgen für deren öffentliche Wahrnehmung als zerstrittener Haufen.

Mit ihren teilweise grotesken Behauptungen, etwa daß die Linke allgemein, aber auch DIE LINKE als Partei sich hauptsächlich mit Gendersternchen, den zweifelhaften Interessen „skurriler Minderheiten“ und „Lifestyl-Linken“ befaßt, hat Sahra Wagenknecht ihrer Partei schwer geschadet. Erkennbar ist, daß sie kaum Vorstellung vom konkreten Parteileben vor Ort in den Landkreisen und Kommunen hat, wo es für viele aktive Genoss*innen täglich um die Fragen geht, die nach Meinung Sahra Wagenknechts und ihrer Anhänger*innen sträflich vernachlässigt werden: sozialer Wohnungsbau, Situation von HartzIV-Opfern, Überwindung von Bildungsprivilegien, etc. Im Gegensatz zu Wagenknechts Behauptungen standen soziale Fragen auch im Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes, den sie selbst unter zeitweiliger Rückstellung ihrer Kritik an der Partei mit bestritten hat. Gleichwohl schwelte der Konflikt um sie permanent weiter und wurde von den Gegner*innen der LINKEN regelmäßig genüßlich ausgebreitet und in den Medien thematisiert.

Tragisch ist, daß Sahra Wagenknecht, die die Parteiströmung „Antikapitalistische Linke“ mit gegründet hat und als „Kommunistin“ galt, nunmehr Theorien vertritt, die man eher dem rechten Flügel der LINKEN bzw. auch der Sozialdemokratie zuordnen muß: die Berufung auf „Gemeinsinn“, auf die Segnungen einer sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards, auf einen Ordoliberalismus der fünfziger Jahre. All dies steht für die Abkehr von einer marxistisch fundierten Klassen- und Gesellschaftsanalyse. Ihr Bild von Arbeiterklasse ist überholt und transportiert eine merkwürdig rückgewandte Form von „Arbeitertümelei“ (Jörg Schindler) in der Tradition des Proletkults, was mit den aktuellen Klassenauseinandersetzungen nur noch wenig zu tun hat. Die Arbeiterklasse hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und diversifiziert. Sie umfaßt mehr Berufe im Dienstleistungssektor, besteht aus mehr Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte gerade im Bereich prekärer Beschäftigung. Sahra Wagenknecht gefällt sich darin, Widersprüche in der Klasse zu betonen, anstatt verbindende gemeinsame Interessen auch mit lohnabhängig beschäftigten Intellektuellen herauszuarbeiten. Das ist strategisch vollkommen falsch und unmarxistisch.

Lösungsschritte: leider zurzeit schwer erkennbar, weil die Fronten zwischen den Anhänger*innen und Kritikerinnen Wagenknechts extrem verhärtet sind und den Charakter eines Glaubenskrieges angenommen haben, so daß ein sachlicher Dialog kaum möglich erscheint. Mittelfristig droht eine Spaltung der Partei.

Fehler in der Wahlkampfstrategie

Nach der Nominierung von Janine Wissler und Dietmar Bartsch als Spitzenkandidat*innen durch den Parteivorstand im Mai sowie der Verabschiedung des Wahlprogramms auf dem Parteitag im Juni stand als Ziel eine zu erstrebende Stärkung der Partei durch ein möglichst zweistelliges Wahlergebnis im Raum. Sowohl eine nicht bedingungslose aber mögliche Regierungsbeteiligung, als auch eine starke Rolle in der parlamentarischen Opposition erschienen als gleichwertige Optionen.

Mit Entstehung der heißen Wahlkampfphase im August kam es zu einer folgenschweren Verschiebung. Ursächlich waren vermutlich sowohl sinkende Umfragewerte für DIE LINKE, als auch steigende für die SPD. Löste das erste eine gewisse Panik aus, schien das zweite die reale Möglichkeit einer rosa-grün-roten Regierung zu eröffnen. Im öffentlichen Diskurs erschien DIE LINKE nunmehr fast ausschließlich im Fokus einer „Regierungsfähigkeit“ oder –„unfähigkeit“. Anstatt dies zu konterkarieren, ließen sich die Parteispitze und Spitzenkandidat*innen auf diese verengte Sichtweise ein und beförderten sie sogar, was immer wieder den Eindruck einer fast schon peinlichen Anbiederung entstehen ließ. Höhepunkt dessen war die Veröffentlichung eines „Sofortprogramms“, das angeblich ohne große Mühen von einer aus SPD, GRÜNEN und LINKEN gebildeten Bundesregierung rasch verwirklicht werden könnte.

Jedoch: Ein wie auch immer geartetes „Programm“, auch wenn es sich um ein Kurzprogramm für Koalitionsverhandlungen handelt, müßte natürlich von einem demokratisch legitimierten Gremium entworfen und verabschiedet werden, in diesem Fall also wegen des Zeitdrucks operativ vom Parteivorstand, vielleicht auch in Kooperation mit dem Bundesausschuß. Wurde nicht einmal der geschäftsführende PV einbezogen? Wer hat dies zu verantworten?

Der nicht legitimierte Schwenk in unserer Wahlkampfstrategie hat einerseits einen Teil der aktiven Wahlkämpfer*innen verunsichert, uns andererseits auf Gedeih und Verderb dem durch Fernsehen und Presse inszenierten Diskurs um die drei Kanzlerkandidaten und deren Regierungspläne ausgeliefert. DIE LINKE als politische Kraft mit eigener Substanz und Sachkompetenz ging unter.

Lösungsschritte: die Änderung der Wahlstrategie bzw. die Verantwortlichkeiten dafür müssen zeitnah aufgearbeitet werden, im Parteivorstand und im Bundesausschuß.

III.

Schon am Wahlabend kursierten erste mehr oder weniger originelle Einschätzungen des Desasters. So hieß es etwa, DIE LINKE werde zweifellos „gebraucht“, oder man müsse sie „neu erfinden“ – zwei Einschätzungen, die nicht wirklich zu einander passen. Denn was gebraucht wird, ist schon da und muß nicht neu erfunden werden; und der Gebrauchswert einer neuen Erfindung sollte sich vielleicht erst einmal herausstellen?

Vermeiden wir besser diese Art von Phrasen und besinnen wir uns auf das Wesentliche: schonungslose Fehleranalyse (wann, wenn nicht jetzt?), und Reaktivierung des Gründungsimpulses der Partei, gemeinsam eine sozialistische Partei links von der SPD aufzubauen, die die Herrschenden das Fürchten lehrt.

13.10.2021