Bericht zur Konferenz des Parteivorstandes der LINKEN vom 02./03.10.2021

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Von Thies Gleiss, Mitglied des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken

Wahlschlappe der LINKEN – Was tun?

Am 02. Und 03. Oktober 2021, tagte der Parteivorstand der LINKEN erstmals seit seiner Neuwahl im Februar in einer Präsenz-Sitzung in Berlin.

An der Sitzung nahmen bis zu 36 der 44 gewählten PV-Mitglieder teil. Bis zur Mittagspause des ersten Tages war zusätzlich der Vorsitzende der Fraktion der LINKEN im Bundestag, Dietmar Bartsch, anwesend.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind auf der Website der LINKEN in Kürze nachzulesen:

https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/beschluesse/

Auswertung der Bundestagswahl

Der gesamte erste Tag von 11 – 18 Uhr, und der Vormittag des zweiten Tages wurden für eine ausführliche Aussprache zu dem enttäuschenden Wahlergebnis der LINKEN bei der Bundestagswahl vom 26. September 2021 benutzt.

Auf Antrag eines PV-Mitglieds wurde der erste Teil der Debatte als geschlossene Sitzung des PV durchgeführt, nach der Mittagspause wurde dieser Beschluss wieder aufgehoben. Die Geschäftsordnung des PV sieht vor, dass einem solchen Antrag gefolgt werden muss, wenn mindestens ein Viertel der anwesenden PV-Mitglieder dem zustimmt.

Es nahmen fast alle PV-Mitglieder an der Debatte teil; die Redezeit wurde auf sechs Minuten verlängert, die meisten sprachen sogar noch länger. Mehrere Anwesende sprachen auch mehrmals.

Die Aussprache wurde durch Inputs von Susanne Hennig-Wellsow, Janine Wissler, Dietmar Bartsch und Jörg Schindler eröffnet.

Nach seinem Input verließ Dietmar Bartsch ohne Begründung bereits wieder die Sitzung, was auf heftige Kritik stieß.

Leider, aber letztlich verständlich, ging die gesamte Debatte nur über den Wahlkampf der LINKEN, seine Fehler und die daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Die viel bedeutenderen politischen Fragen, die sich aus dem Wahlausgang ergeben, wurden nicht behandelt: Der Einbruch der Unionsparteien bei den Wahlen auf ein historisches Tief und welche Bedeutung dies für die politische Klassenvertretung des Bürgertums in Deutschland hat; das vorläufige Scheitern der GRÜNEN bei ihrem Versuch, sich als die neue führende bürgerliche Kraft mit einem Programm der Modernisierung des Kapitalismus aufzustellen; der bescheidene Aufschwung der SPD (auf ihr immer noch drittschlechtestes Ergebnis) und ob daraus eine Revitalisierung des Sozialdemokratismus abzuleiten ist.

Gemeinsamkeiten…

Alle waren der Auffassung, dass der katastrophale Wahlausgang in erster Linie durch die LINKE selbst verursacht wurde. Es gab keine großen „objektiven Gründe“, die einen solchen Niedergang erklären. In den meisten Gebieten wurde auch ein starker, einsatzfreudiger Wahlkampf durch unsere Genossinnen und Genossen ausgefochten. Aber die strukturellen Probleme der Partei, in erster Linie ihre mangelnde reale gesellschaftliche Verankerung, wiegen immer schwerer. Das wird vor allem dann deutlich, wenn aufgrund der Wahlkampfkonstellation (Personalisierung und Entpolitisierung des Wahlkampfes in den ersten Wochen, Zuspitzung auf die „Kanzler:innenfrage“) die LINKE in der medialen Öffentlichkeit an den Rand gedrängt wird.

Sehr negativ wirkten sich auch die Uneinigkeit der LINKEN, oder genauer die öffentliche Demonstration, nicht mehr auf eine gemeinsame Praxis zu orientieren, in wichtigen Fragen und die Auseinandersetzungen zwischen Fraktion und Parteivorstand aus, die sich in den letzten Jahren immer mehr verselbständigten und das Profil der LINKEN völlig verzerrten.

Auch in den beiden wichtigen Schlussfolgerungen gab es breite Übereinstimmung: Die LINKE muss die Rolle der Opposition umfassend annehmen und die Zusammenarbeit zwischen der Fraktion und dem Parteivorstand muss besser werden. Die Fraktion darf nicht länger ein Ensemble von Einzelpersonen mit ihren Büros sein, sondern muss in ein schlagkräftiges Instrument zur Umsetzung der Parteibeschlüsse im Parlament werden.

Eine zwangsläufige Folge für die LINKE wird auch eine harte Einsparungspolitik ihrer eigenen Parteiausgaben sein. Im nächsten Jahr werden ca. drei Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen.

und Uneinigkeit

Nach wie vor besteht ein Teil des PV, insbesondere die Verantwortlichen für die Wahlkampf-Führung, darauf, dass die strategische Grundorientierung richtig war und den Parteibeschlüssen zum Wahlprogramm und zur Wahlstrategie entsprochen habe.

Dem widersprachen viele Beiträge. Die ausschließliche Orientierung auf eine gemeinsame Regierung mit SPD und GRÜNEN in den letzten Wahlkampfwochen war ein Fehler.

Der Ältestenrat der LINKEN hatte seine ähnlich kritischen Anmerkungen zum Wahlausgang schriftlich zur PV-Sitzung vorgelegt und sein Vorsitzender Hans Modrow ging darauf auch mündlich ein. Die dort gemachten konkreten Vorschläge werden im geschäftsführenden Parteivorstand beraten und dann gegebenenfalls noch einmal vom Gesamt-PV.

Insbesondere Thies Gleiss sah einen ausdrücklichen Bruch mit dem Wahlprogramm und der Wahlstrategie. Die Behauptung, es ginge vorrangig um die Installierung einer Regierung ohne die Unionsparteien, und vor allem die devoten Bekundungen, um jeden Preis eine Regierung mit SPD und GRÜNEN bilden zu wollen, haben unsere Wähler:innen verunsichert, deswegen blieben viele zuhause, oder wurden sogar in die Arme von SPD und GRÜNEN getrieben. Die am Anfang des Jahres von Dietmar Bartsch ausgerufene Parole „Wir müssen die SPD aus der Gefangenschaft bei der CDU befreien“ ist in diesem Sinne erfolgreich umgesetzt worden: Wahlkampfhilfe für die SPD. Als richtig hätte sich die von Janine Wissler damals entgegen gehaltene Prognose erwiesen, „wir würden mit dieser Orientierung auf ein Regierungsbündnis die Menschen von uns weg mobilisieren.“

Die Kritik am Wahlkampf ist zuvor schon in der Erklärung des Bundessprecher:innenrates der AKL ausgeführt worden:

https://akl.minuskel.de/?p=4252#more-4252, sowie in der Stellungnahme der AKL-NRW: https://akl.minuskel.de/?p=4256#more-4256

Beschluss zum Wahlausgang

Am Vormittag des zweiten Tages wurde über eine am Abend erstellte Beschlussvorlage beraten, die die Diskussionsergebnisse zusammenfassen sollte.

Leider ist dieser Beschluss in wichtigen Punkten viel zu zahm. Präzise Vorgaben an die Fraktion und die Form der zukünftigen Zusammenarbeit wurden nicht gemacht, ebenso wenig ein klares Eingeständnis, dass die zentrale Orientierung im Wahlkampf auf Regierungsteilnahme ein schwerer Fehler war. Wichtig wäre gewesen, die Wahl der Fraktionsspitze erst nach einem gemeinsamen Treffen mit dem PV durchzuführen und eine neue Fraktionsführung zu wählen, die aus nicht für die verkorkste Wahlstrategie verantwortlichen Genoss:innen besteht.

Die Vorlage wurde mit zahlreichen Änderungen bei zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme (von Thies Gleiss, dessen Änderungsvorschläge abgelehnt wurden) mehrheitlich angenommen.

Sonstige Beschlüsse zur aktuellen Politik

– Der PV beschloss eine Solidaritätserklärung für Hamide Akbayır. Die frühere Abgeordnete der LINKEN im Landtag von NRW, und Stadträtin in Köln ist in der Türkei mit dem Vorwurf festgesetzt worden, sie würde „kurdische Terroristen“ unterstützen. Der PV verlangte die sofortige Freilassung und Ausreisemöglichkeit.

– Der PV beschloss die Einrichtung einer „Vertrauensgruppe beim Parteivorstand“, die den Opfern von Übergriffen, Machtmissbrauch oder Diskriminierung innerhalb der Partei beratend zur Seite steht. Ähnliche Einrichtungen gibt es in einigen Landesverbänden bereits.

– Der PV nahm eine Rahmenplanung zur „Begleitung der Sondierungs- und Koalitionsgespräche“ an, um unsere Alternativen noch einmal zu präsentieren.

Thies Gleiss

Köln 03. Oktober 2021