Böses Foul an wahlkämpfender Partei DIE LINKE.

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Autor:Thies Gleiss  

1.Mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes veröffentlichen die Vorsitzenden von Partei und Fraktion der LINKEN, Janine Wissler, Susanne Hennig-Wellsow, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, einen Text, der nur als eine vorzeitige Beendigung des Wahlkampfes und politische Selbstaufgabe der LINKEN bewertet werden kann.Das in bekannter Weise ohne Rücksprache mit dem Parteivorstand direkt an die Presse verschickte Papier mit dem Titel „Unser Sofortprogramm für einen Politikwechsel. Sozial und klimagerecht. Wir machen das.“ ist eine völlig falsche Bewertung der politischen Lage und eine Erklärung aller programmatischen Inhalte der LINKEN zur beliebigen Verhandlungsmasse. Es ist eine Selbstaufgabe der LINKEN zugunsten einer vorab erklärten bedingungslosen Bereitschaft, sich an einer Regierung mit SPD und GRÜNEN zu beteiligen. Es ist eine vorzeitige Beendigung des Wahlkampfes und eine Ohrfeige für unsere Kandidat*innen und Wahlkämpfer*innen.

2.Menschen, die auf Zahlen starren – das scheint hinter diesem Text der Partei- und Fraktionsspitze zu stehen, aber keine politische Analyse der aktuellen Lage. Die Umfragen zur Wahl haben innerhalb der letzten wenigen Wochen eine spektakuläre Verschiebung ergeben. Die Unionsparteien sind von kurzfristig 40 Prozent auf gut die Hälfte davon abgestürzt. Es bahnt sich zum zweiten Mal nacheinander das schlechteste Wahlergebnis der bürgerlichen Hauptpartei des deutschen Kapitalismus in der Geschichte an – sollte das Wahlergebnis tatsächlich diesen Umfragen entsprechen.Die SPD wird mit 24 Prozentpunkten umgefragt, was auch noch das zweitschlechteste Wahlergebnis bedeuten würde. Die GRÜNEN haben ihr Allzeithoch mit fast 30 Prozent verlassen und wären mit knapp 20 Prozentpunkten immer noch bei ihrem bestem Ergebnis. FDP und AfD pendeln zwischen 11 und 14 Prozent. Nach den Hintergründen für diesen Schwenk bei den Umfragen wird bei den Autor*innen des „Sofortprogramms“ gar nicht mehr gefragt. Allein die numerische Möglichkeit einer Mehrheit von SPD, GRÜNEN und LINKE hat alle guten Sinne fahren lassen.

3. Die Unionsparteien haben sich auf dem Hintergrund der guten Umfragen voll und ganz auf einen inhaltslosen und unpolitischen Wahlkampf eingestellt. Ihr wichtigster Ministerpräsident, Armin Laschet, sollte geräuschlos auf der Welle des „Weiter-so-wie-Merkel“ ins Amt gehievt werden. Eine solche Wahlkampftaktik läuft immer Gefahr, dass schon kleine Fehler und unglückliche Auftritte des Kandidaten große Wirkung hinterlassen können, sie werden nicht von inhaltlichen Konzepten über die Person hinaus relativiert. Solche Fehler sind jetzt eingetreten. Großer Gewinner ist Olaf Scholz. Er darf sich jetzt als der Erbe von Merkel und Garant für ein Weiter-so verkaufen. Was der SPD in acht Jahren großer Koalition nicht gelang, glückt ihr ausgerechnet in den letzten Wochen der Amtszeit: Sie wird als die gute Seele der Koalition wahrgenommen. Shit happens – heißt es wohl in der CDU-Zentrale. Auch die GRÜNEN verlieren aufgrund von Fehlern ihrer Kandidatin Baerbock und vor allem wegen zynischer Medienattacken aufgrund dieser Fehler. Das ist auch hier Resultat einer unpolitischen Personalisierung, der sich die GRÜNEN in ihrer Wahlkampfkonzeption verschrieben haben – da nützt jetzt das Geschrei, dass es doch um Inhalte gehen soll, auch nicht mehr. Im Gegensatz zu ihrer Europawahl-Kampagne haben sich die GRÜNEN statt voll und ganz auf ihr Image als Partei der Modernisierung des Kapitalismus zu bauen, in die Arena des personalisierten Wahlkampfes ohne Inhalt begeben – jetzt haben sie das Resultat.

4.Der Höhenflug von Scholz ist Ergebnis des unpolitischen Wahlkampfes, nicht dessen Aufhebung. Nichts ist von einem Lagerwahlkampf oder von Wechselstimmung zu spüren. Das „Sofortprogramm“ erzählt auf den ersten zwei Seiten diesbezüglich schlicht Märchen. Die gesamte Öffentlichkeit weiß, und es wird ihr von BILD bis FAZ und in jeder Talkshow immer wieder vorgeführt, dass SPD, CDU/CSU, FDP und GRÜNE allesamt jede mit jeder koalieren kann. Da gibt es keine prinzipiellen Brüche und keine politischen Lager. Selbst das Schmuddelkind AfD könnte darin einen Platz finden (und wird es auch, wenn es „numerisch“ mal erforderlich sein sollte). Ausgeschlossen bleibt allein die LINKE. SPD und GRÜNE wollen ausdrücklich nicht mit der LINKEN zusammengehen, sie werden es höchstens zähneknirschend machen, wenn es „numerisch“ nicht anders geht.

5.Es ist absehbar, dass auf diesem Hintergrund die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl wieder stark sinken wird. Politisch wäre es jetzt wichtig, eine Kampagne um die Nichtwähler*innen zu forcieren. Das ist allein deshalb schon wichtig, weil bei allen letzten Wahlen es gerade die LINKE war, der es nicht gelang, ihre Wähler*innen zu mobilisieren. Nichtwähler*innen werden aber nur durch einen authentischen Wahlkampf als echte Alternative aufgerüttelt und nicht als Anhängsel der anderen Parteien.

6.Weiterhin zeichnet sich bereits ab, dass die Unionsparteien in den letzten Wochen des Wahlkampfes versuchen werden, den unpolitischen und inhaltslosen Auftritt zu ändern. Einzige Themen, die ihr einfallen, werden ein scharfer Kurs gegen Linksschwenk, Kommunismus und andere schönen Sachen sein. Dazu möglicherweise auch noch ein rassistischer Aufguss der Angst vor neuen Flüchtlingen. Endlich taucht die LINKE im Wahlkampf auf – könnte aufgeatmet werden. Die LINKE könnte das für einen Auftritt nutzen, dass sie die einzige zur Wahl stehende Alternative ist. Nichts täte ihr deshalb besser als eine schöne Rote-Socken-Kampagne. Aber was macht das „Sofortprogramm“ in dieser Situation? Es ist übereifrig und übereilig zu betonen, dass die LINKE gar nichts Schlimmes machen will. Sie verkauft sich als pflegeleichte Ergänzung und bettelt SPD und GRÜNE geradezu um Liebe an. Das erfüllt den Tatbestand des Stalking. Es wird sich noch nicht einmal getraut, sich über diese irrwitzigen Forderungen von Baerbock und Scholz, die LINKE müsse sich aus vollem Herzen zur NATO bekennen, lustig zu machen.

7. In den der Märchen erzählenden Einleitung folgenden Seiten des „Sofortprogramms“ wird das Wahlprogramm der LINKEN zu unverbindlichen Formeln und herabgekochten Einzelmaßnahmen reduziert. Nichts ist mehr von einem „System Change“, einem Politikwechsel zu lesen. Alle inhaltlichen Programmpunkte werden als Verhandlungsmasse angepriesen. Selbst als Sofortforderungen reichen sie zum Beispiel bei Klimafragen nicht an die tagespolitischen Erfordernisse heran. 05. September 2021