NEIN zu Spitzenkandidaturen im Allgemeinen und NEIN zu Bartsch im Besonderen

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Stellungnahme des Bundessprecher*innenrates der AKL

Noch bevor auch nur ein Parteigremium darüber befunden hat, berichten Medien bereits, dass Janine Wissler und Dietmar Bartsch Spitzenkandidat*innen der Partei DIE LINKE für die kommenden Bundestagwahlen werden sollen. Am 10. Mai soll sich auch der Parteivorstand damit befassen und den Vorschlag abnicken. Dabei braucht DIE LINKE konsequent antikapitalistische Inhalte, statt auf Spitzenkandidaturen und Gesichtsplakate in Hochglanz zu setzen.

 

Jedes Mal vor den Bundestagswahlen erleben wir ein ähnliches Schauspiel: DIE LINKE kürt Spitzenkandidat*innen und produziert Unmengen von Plakaten mit deren Gesichtern. Damit kopiert die Partei schon seit ihrer Gründung die Rituale anderer Parteien, anstatt den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und sich andere Strukturen zu geben, die radikale Forderungen und einen Bruch mit der Logik des Kapitalismus ins Zentrum rückt. Gerade außerparlamentarische Bewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände oder Seebrücke zeigen, dass Aktionen und Kampagnen sehr gut in solidarischen Prozessen entwickelt und durchgeführt werden können, und das auch ohne Spitzenpersonal. Wenn DIE LINKE gemeinsam mit sozialen Bewegungen gesellschaftliche Veränderungen erreichen will, dann müssen wir gemeinsam mit ihnen kämpfen und ihre Forderungen nach vorne stellen – und ihnen nicht irgendwelche angebliche Spitzenpolitiker*innen vorsetzen.

DIE LINKE, die derzeit in den Umfragen zwischen sechs und acht Prozent liegt, müsste vielmehr herausstellen, warum eine starke linke Opposition dringend gebraucht wird, anstatt Scheindebatten um Spitzenkandidat*innen zu führen. Dabei ist überhaupt nicht belegt, ob so eine Kür einen Einfluss auf Umfragen oder das tatsächliche Wahlergebnis haben. Wir vermuten eher, dass die gesamte Debatte darum, eher von inhaltlichen Forderungen ablenkt, zumal die Spitzen der Linkspartei keine Chance auf eine Kanzlerschaft haben.

Wenn die Partei allerdings ihr Wähler*innenpotential ausschöpfen und mehr Stimmen für eine andere Politik gewinnen möchte, dann wird es wichtig sein, die Menschen in gemeinsamen Kämpfen gegen den Mietenwahnsinn und den Klimawandel, für Frieden und soziale Gerechtigkeit und ein solidarisches Gesundheitssystem zu organisieren und mit ihnen gemeinsam Gegenmacht aufzubauen.

Für einen kämpferischen Wahlkampf brauchen wir keine Spitzenkandidaturen, wir brauchen viel mehr eine engagierte mobilisierende Mitgliedschaft. Wir brauchen alle Genoss*innen an den Infoständen, beim Haustürwahlkampf, beim Verteilen von Zeitungen oder Flyern.

Wenn sich allerdings DIE LINKE nicht davon abhalten lässt, das Spiel, das ihnen von den Medien aufgezwungen wird, mitzumachen und zwei Spitzen für den Wahlkampf ernennen will, dann wollen wir nicht verschweigen, dass wir den Vorschlag, Dietmar Bartsch als Spitzenkandidaten zu nominieren, nicht nachvollziehen können. Wir halten diese Entscheidung für falsch und denken, dass sie es vielen Parteimitgliedern nicht leicht machen wird, für DIE LINKE Wahlkampf zu machen. Uns ist zudem unverständlich, warum sich Janine Wissler in ein innerparteiliches Gerangel um Einfluss einspannen lässt, und nun gemeinsam mit Bartsch das Spitzenduo bekleiden will. Von einer bewegungsorientierten Linken erwarten wir da andere Akzente.

Dietmar Bartsch ist nicht gerade in linkes Aushängeschild. Er steht für die Politik der sog. Reformer in der Partei, die auf jeden Fall regieren wollen und dies in seinem und anderen Bundesländern auch schon vorgeführt haben. Leider hat es bei all den Regierungsbeteiligungen – egal ob Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Bremen oder Berlin – keine wirklichen Veränderungen gegeben, geschweige denn die Macht der Eliten etwas abgefedert. Allenfalls ist die Politik ein wenig sozialer geworden, aber um den Preis von Sparen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Privatisierung von Mietwohnungen und der Zustimmung zu ÖPP-Projekten bei Straßen, Schulen und Bahn. Eine zweite Sozialdemokratie braucht kein Mensch. Das zeigt sich dann auch in den schlechten Wahlergebnissen im Osten.

Für besonderen Ärger sorgte Bartsch aber immer wieder, wenn er nicht nur nach dem Versagen von Politik und Polizei in der Silvesternacht 2016 in Köln, sondern auch im Zusammenhang von Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen mehr Polizei fordert. Im Sommer 2020 setzten sich in den USA Millionen für ein Ende von Rassismus und Polizeigewalt ein. „Defund the police!“ („Kürzt bei der Polizei!“) ist eine Forderung, die an Kraft gewinnt. Auch in Deutschland haben sich Tausende mit dieser Bewegung solidarisiert und sind gegen alltäglichen Rassismus in Institutionen und Sicherheitsbehörden wie Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr auf die Straße gegangen. Nicht zuletzt der NSU-Komplex, rechtsextreme Polizeinetzwerke in NRW und Hessen, rassistische Chats in der Berliner Polizei, Terrornetzwerke in der Bundeswehr und viele weitere Vorfälle haben dies gezeigt. Selbst die SPD-Vorsitzende Saskia Esken beklagte seinerzeit „latenten Rassismus“ in deutschen Sicherheitsbehörden. Dahinter blieb Bartsch stets weit zurück.

Und wenn Dietmar Bartsch zu Beginn der Corona-Pandemie den Kurs der Bundesregierung unterstützt, obwohl diese von Anfang an einen eindeutigen Klassencharakter hatte, fragen sich die Mitglieder schon, ob DIE LINKE inzwischen die Seiten gewechselt hat. Eine Fortsetzung findet diese Politik der Unterstützung der Eliten in seiner Bewertung der Streiks im öffentlichen Dienst für ihre berechtigten Lohnforderungen. Wenn Bartsch behauptet, Streiks seien in diesen Zeiten unzumutbar, fällt er der Arbeiter*innenbewegung in den Rücken. Streiks sind für die Herrschenden immer unzumutbar, weil sie das einzige Mittel sind, um Druck zu erzeugen. Und wenn die Medienmeute über die Streikenden herfällt und meint, Streiken im öffentlichen Dienst sei nicht hinnehmbar, dann muss DIE LINKE an der Seite der Streikenden für ihre berechtigten Forderungen stehen.

DIE LINKE muss sich gerade in pandemischen Zeiten gegen Betriebsschließungen und Personalabbau und für einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft, für die Übernahme der großen Konzerne in öffentliches Eigentum aussprechen. Sie muss in einer verbindenden Klassenpolitik die Kämpfe der Lohnabhängigen mit den Kämpfen für Klimagerechtigkeit zusammenführen. Das bewirken weder Spitzenkandidat*innen im Allgemeinen noch die Kandidatur von Bartsch im Besondern oder Vertretungen in Parlamenten, sondern die Unterstützung der Kämpfe in und mit den Bewegungen. Dann wird die Partei auch attraktiv für neue Mitglieder, sie bekommt bessere Wahlergebnisse und vor allem kann sie dann gesellschaftliche Veränderungen bewirken.