Bericht zur Videokonferenz des Parteivorstandes der LINKEN vom 10/11.04.2021

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Von Thies Gleiss, Mitglied des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken im PV

WAHLPROGRAMM UND GEGENPROGRAMM UND CORONA-DEBATTE

 

Am 10. und 11. April 2021 tagte der Parteivorstand der LINKEN als Videokonferenz.

An der Sitzung nahmen bis zu 41 der 44 gewählten PV-Mitglieder teil.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind auf der Website der LINKEN in Kürze nachzulesen: https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteivorstand/2018-2020/beschluesse/

Der Bericht ist nur von mir, Thies Gleiss, als einzigem Mitglied des Bundessprecher*innenrates der AKL im PV. Vielleicht klappt es ja, dass in Zukunft von verschiedenen Mitgliedern der AKL und der „Bewegungslinken“ gemeinsame oder wechselnde Berichte der PV-Sitzungen verfasst werden. Der Debatte würde es nützen.

DEBATTE ÜBER DAS PROGRAMM ZU BUNDESTAGSWAHL 2021

Der komplette Samstag wurde für die Debatte des Entwurfs für ein Bundestagswahlprogramm verwendet. Als Gast war dazu auch der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, anwesend, ergriff aber nicht das Wort.

Grundlage der Debatte war ein erst am Donnerstag den Parteivorstandsmitgliedern zugestellter Text von den beiden Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Der Text umfasst 137 Seiten mit 5797 Zeilen. Bis auf die neugeschriebene Präambel entspricht der Text weitgehend dem schon im Februar veröffentlichten Entwurf für ein Wahlprogramm von den beiden vorherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger.

Birgül Tut und Thies Gleiss hatten eine Stellungnahme zur Programmdebatte eingereicht, in der die Schwierigkeit, eigentlich Unmöglichkeit, einer demokratischen Programmdiskussion in den engen Fristen aufgezeigt wurde. Sie schlugen vor, den langen Text als einen persönlichen Beitrag der beiden Vorsitzenden zu veröffentlichen und ein deutlich kürzeres Wahlprogramm auf Basis der Präambel des vorgelegten Textes und des vom Parteitag gerade beschlossenen Leitantrags zu schreiben. Das wäre bis zum Wahlparteitag im Juni noch in der Mitgliedschaft zu diskutieren. Die Stellungnahme findet sich hier: https://thiesgleiss.wordpress.com/2021/04/11/demokratische-programmdebatte-und-realismus-in-der-strategie/

Die Mehrheit wollte das anders und es begann die bekannte Debatte über diverse Änderungsanträge aus den Reihen des PV. Verspätet eingegangene Änderungsanträge wurden mit knapper Mehrheit nicht mehr zur Beratung zugelassen, müssen jetzt also in der allgemeinen Debatte der Mitgliedschaft noch einmal eingereicht werden.

Für 60 Minuten eine kühne Entscheidung

Thies Gleiss hatte zusätzlich zu der generellen Kritik auch ein paar Änderungsanträge eingereicht. Die wichtigsten waren, dass zu Beginn der Präambel eine deutlichere Charakterisierung der gegenwärtigen Krisen als Ausdruck des Kapitalismus eingefügt werden sollte. Am Ende des Programms sollte ein klareres Bekenntnis der LINKEN als Oppositions- und Bewegungspartei eingefügt werden. Beide Anträge wurden mit 9 bzw. 7 Fürstimmen mehrheitlich abgelehnt.

Es gab weitere knapp 200 Änderungsanträge von verschiedenen PV-Mitgliedern. Die meisten wurden davon übernommen oder teilweise übernommen. Relativ umfassende Änderungen wurden zum Thema Kultur und „Ökosozialer Umbau“ nach längerer Diskussion beschlossen. Eine Mehrheit im PV entschied sich für die Verwendung des Terminus „Ökosozialer Umbau“ statt des ursprünglich vorgeschlagenen „linker Green New Deal“.

Ein kleiner Änderungsantrag von Thies Gleiss für das Kapitel Verkehrspolitik sah vor, dass die LINKE sich eine in linken Gewerkschafts- und verkehrspolitischen Gruppen erhobene Forderung zu eigen machen sollte, dass die Fahrtzeit zur Arbeit als Arbeitszeit bezahlt werden sollte. Damit wäre ein wichtiges Instrument geschaffen worden, eine gegenläufige Entwicklung zur heutigen Zersiedelung und Trennung von Wohn- und Arbeitsorten auszulösen. Für diesen Antrag gab es eine klare Mehrheit. Nach einer Stunde überkam den Vorsitzenden allerdings ein Anfall von Angst vor der eigenen Courage und sie baten mit Erfolg um die Rückholung des Antrages. In einer zweiten Abstimmung verfehlte er dann eine Mehrheit.

Der Programmentwurf wurde abschließend mit 1 Gegenstimme (von Thies Gleiss) und einer Enthaltung angenommen. Er wird am 12. April in einer Pressekonferenz vorgestellt und gleichzeitig in die Mitgliedschaft gegeben, zur weiteren Debatte und Formulierung von Änderungsanträgen.

Einberufung der 2. Tagung des 7. Parteitages und sonstige Beschlüsse

Einstimmig wurde der nächste Parteitag zur Bundestagswahl und der Vorschlag des PV zur Tagesordnung für den 19. Und 20. Juni 2021 einberufen. Es wird ein kompletter Online-Parteitag sein.

Antragsschluss für diesen Parteitag ist der 7.Mai 2021. Schlusstermin für Änderungsanträge zu eingereichten Anträgen ist der 2.Juni 2021

Das Frauenplenum wird bereits am 18.Juni 2021 von 18-20 Uhr stattfinden.

Ebenfalls einstimmig wurde der Vorschlag des PV für die Geschäftsordnung des Parteitages angenommen. Nach längerer Diskussion – wie vor jedem Parteitag – wurde auch der Zeitplan des Parteitages mit einer Gegenstimme (von Thies Gleiss) beschlossen. Diskutiert werden immer diverse Ideen, wie der Parteitag attraktiver und auch straffer organisiert werden kann, aber gleichzeitig auch demokratischer wird. Wie immer gab es keine Entscheidungen in diesen Fragen und es wird wieder die nächste Erfahrung beim kommenden Parteitag abgewartet. Es soll allerdings versucht werden, die Generaldebatte zum Programmentwurf nach inhaltlichen Blöcken zu strukturieren.

Es wurden weitere Anträge behandelt, die der letzte Parteitag an den Parteivorstand überwiesen hat:

– Zwei Anträge zur Klärung und Vorbereitung des parteiinternen Sprachgebrauchs bezüglich neuer Geschlechtszuordnungen und Selbstdefinition als divers (Anträge P13 und P14) wurden einstimmig angenommen;

– Der Antrag zu Paritätsregelungen in den Parlamenten von der BAG LISA (Antrag G19) wurde einstimmig angenommen;

– Der Antrag G25 zur Beendigung der bevorzugten Behandlung der Homöopathie bei den Krankenkassen wurde bei 10 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.

– Es wurde der Eingang von Spenden juristischer Personen (Firmenspenden) an die AG Cuba Si gebilligt.

Corona-Krise und Pandemie-Politik

Eine längere Debatte gab es als Auftakt des Tagesordnungspunktes zur aktuellen politischen Lage über die Corona-Krise und die Pandemie-Politik der Regierung sowie unsere Vorstellungen dazu.

Dazu war die wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Viola Priesemann eingeladen.

Sie hielt einen spannenden Vortrag über die immanenten Probleme der verschiedenen Strategien zur Pandemie-Bekämpfung. Der Foliensatz zum Referat wird demnächst zur Verfügung stehen.

Viola Priesemann unterstützt die von vielen Wissenschaftler*innen aus diversen Ländern gestartete Initiative Null-Covid. Das wichtigste Ziel der Pandemie-Politik muss die drastische Senkung der Fallzahlen in Richtung Null sein. Dazu sind ein konsequenter Lockdown, umfangreiche Testung und Impfung die wichtigsten Maßnahmen. Grundsätzlich ist dies auch der Ansatz der von einer breiten Mehrheit der LINKEN getragenen Politik eines solidarischen Lockdowns. Viele LINKE-Strukturen, auch Mitglieder des PV unterstützen zudem die Initiative ZeroCovid, die just am Samstag den 10. April einen in vielen Städten stattfindenden Aktionstag durchführte. Unterschiedliche Positionen gab es vor allem in der Frage der nächtlichen Ausgangsverbote, die Viola Priesemann als richtig erklärte. Sie sah darin allerdings weniger ein Verbot von abendlichen Spaziergängen, sondern ein Versammeln zu privaten Parties. Viele Fragen aus der konkreten Politik vor Ort konnte Viola Priesemann sehr kompetent beantworten. Wieder ein echtes Highlight aus der PV-Arbeit.

Aktuelle Politik Teil 2: Aufmarsch der Livestyle-Linken

Thies Gleiss ging auf die Tarifabschlüsse der IG Metall im Stahl- und Metall- und Elektrobereich ein. Er bewertete sie als eine gewisse Zäsur in der Tarifpolitik der IGM, die keine guten Auswirkungen haben wird. Zum ersten Mal werden Einkommenszuwächse an die Profitsituation der Unternehmen und an die Selbsteinschätzung dieser Situation durch die Unternehmen gekoppelt. Das lastet den Betriebsräten in den einzelnen Betrieben wieder eine unlösbare Aufgabe bei der Umsetzung der Vereinbarungen auf. Hier ist eine entsprechende Einschätzung des IG-Metall-Abschlusses:

https://www.vernetzung.org/tarifabschluss-metall-und-elektroindustrie-reallohnabbau-und-weitere-flexibilisierung/

Viel länger als geplant und unter Opferung einer Reihe eigentlich noch vorgesehener Tagesordnungspunkte wurde über die am gleichen Wochenende stattfindende Landesvertreterversammlung der LINKEN-NRW und das neue Buch von Sahra Wagenknecht, die auf der LVV für den Listenplatz 1 nominiert wurde, diskutiert.

Dazu lag ein Resolutionsentwurf von Raul Zelik vor.

Der gesamte Parteivorstand registrierte mit Sorge, dass der größte Landesverband der LINKEN in einer sehr angespannten Lage ist, die auch in eine echte Spaltung eskalieren kann. Gleichfalls kritisierten alle Redner*innen die bekannt gewordenen Inhalte aus dem neuen Buch von Sahra Wagenknecht. Viele PV-Mitglieder hatten das Buch mittlerweile schon in den Händen und große Teile gelesen. Die in dem Buch ausgeführten Thesen über eine angebliche Livestyle-Linke, die Kritik an realen sozialen Bewegungen, in denen die LINKE mitarbeitet und auch über die historische Einordnung Aufbruchsbewegung von 1968 fanden bei niemanden Zustimmung. Keiner ergriff für Sahra Wagenknecht und diese Positionen das Wort.

Alle waren sich einig, dass das gerade beschlossene Wahlprogramm nicht vereinbar mit dem von Sahra Wagenknecht in ihrem Buch ausgeführten, und ausdrücklich von ihr auch als Gegenprogramm bezeichneten, politischen Konzept ist.

Auf Wunsch vor allem der Parteivorsitzenden wurde der Resolutionsantrag von Raul Zelik in einigen Punkten abgeschwächt und dann bei einer Enthaltung mit 39 Fürstimmen angenommen. Er lautet:

Die LINKE steht kompromisslos an der Seite all derjenigen, die Benachteiligung,
Diskriminierung und Unterdrückung erfahren. Sie kämpft mit Gewerkschaften,
ökologischen, feministischen und antirassistischen Bewegungen für ein gutes Leben für ALLE.

Die LINKE spricht mit einer Stimme: die der Solidarität.

In diesem Sinne unterzeichnen wir als LINKE den Aufruf von Unteilbar „Freiheit geht
nur solidarisch“ und rufen unsere Mitglieder dazu auf, dem Aufruf als Einzelpersonen
beizutreten.

Köln, 12. April 2021