Wie man eine Partei startet – ein Gedankenexperiment im roten Kostüm

Print Friendly, PDF & Email

Von Udo Hase

Wie startet man eine neue Partei? Die Frage kann vielleicht nicht ganz ohne Kontext beantwortet werden, weil es eine gewisse Rolle spielt, was für eine Partei neu gestartet werden soll, wann das genau geschehen soll und welche Bedingungen im Umfeld herrschen. Stellen wir uns bequemerweise vor, die Bedingungen seien die heutigen, das Land das unsere und der Zeitraum das Jahr 2021. Bleibt die Frage nach der Substanz, den Zielen und den Menschen, die diese Partei zieren sollen. Ein kleines Bisschen ist auch noch wichtig, wer die Idee hat und was diese Personen für sich damit erreichen wollen. Der letzte Punkt wird m.E. eher überschätzt, weil die zwangsläufig entstehende Dynamik solchen Vorhabens die Initiatoren zwingt, ebendiese zu berücksichtigen. Dabei kommt es zu Unvorhersehbarem, auf welches Rücksicht genommen werden muss, Intention hin oder her. Entsteht keine Dynamik, ist das Vorhaben sowieso gescheitert. Versuchen die Initiatoren gegen eine entstandene Dynamik Kontrolle und Steuerung durchzusetzen, wird es bald scheitern. Das ist so ein bisschen wie beim Goetheschen Zauberlehrling – nur ohne rettenden Meister.

Zu Zielen und Substanz: Stellen wir uns weiter vor, es ginge den InitatorInnen um die Überwindung der „Schwäche der Linken“. Hier meine ich noch nicht die mit den Großbuchstaben, sondern die illustre Gemengelage von Menschen in der Republik, die sich mehr soziale Gerechtigkeit, aktive Antikriegspolitik, angemessene Klimapolitik und eine vernunftgesteuerte Wirtschaft wünschen. Das Wunschgemenge ist in der Realität natürlich vielfältiger. Ich arbeite hier mit Vereinfachungen, damit der Artikel überschaubar bleibt.
Für dieses Vorhaben (Überwindung der Schwäche der Linken) finden sich so viele Rezepte, wie es Unterschiede zwischen Ansichten von Linken gibt – also mehrere Millionen. Nicht jeder versteht, von außen betrachtet, jeden Unterschied auf Anhieb und viele auch nicht nach ganz vielen Hieben. Zu der Gruppe gehöre ich auch.

Das macht schon mal auf ein Problem aufmerksam: Sollte die „Schwäche der Linken“ irgendwas mit diesen Unterschieden zu tun haben, braucht die Propaganda für eine neue Partei dringend Abgrenzungsmunition zu den anderen Rezepten. Weil es davon so viele gibt, ist es nötig eine Grenze zwischen „falsch“ und „richtig“ zu ziehen, die dann zur Grenze zwischen den „Richtigen“ und den „Falschen“ werden soll. Grenzziehungen brauchen Begriffe, mit denen sie propagiert werden können. Das muss also frühzeitig in Gang gebracht werden. Einmal entstanden, sind sie hilfreich, um das nötige Klientel für eine neue Partei zu akquirieren – und umso leichter zu verfestigen, je mehr sie bereits vorhandenen Disputen folgen.

Kommen wir nun zu der LINKEN mit den Großbuchstaben. Da taucht mit dem letzten Buch von S. Wagenknecht ein Begriff auf, der diese nützlichen Kriterien prima erfüllt. „Linkskonservativ“ soll das neue Zauberwort heißen, mit dem es gelingen kann, die seit Jahren von ihr beklagte „Entfremdung der Linken“ von „ihrem Klientel“ zum Sammelpunkt des „eigentlichen“, also des von ihr definierten Klientels zu machen. Hinter der „Grenze“ befinden sich, dem zu Folge alle, die „Klientel der Linken“ anders definieren als Sahra Wagenknecht, umgangssprachlich auch schon mal „Gedöns – Anhänger“ genannt. Solche Grenzen nicht als Diskursanlässe zu nehmen, sondern zur Vertiefung der Gräben zu nutzen, z.B. durch schiere Nicht – Präsenz in der Partei dafür umso größerer Präsenz in den Medien, macht den Verdacht auf die Intention verständlich.

Die erste Idee dazu war 2018, aus einer Sammlung von den Sozialdemokraten bis zu Grünen und dazu bereiten LINKEN, eine Masse zu formen, die wir unter dem Begriff „Aufstehen“ kennengelernt haben. Aufzustehen ist eine Tätigkeit. Das Substantiv dazu lautet „Aufstand“. Weil der Aufstand nicht stattfand, ist von dem Versuch nichts weiter geblieben als tiefe Gräben bei der LINKEN.
Nun soll es offenbar in die zweite Runde gehen. Dazu haben die übriggebliebenen „Aufsteher“ eine Befragung angekündigt, aus der sie Kriterien für die Bundestagswahl 2021 ableiten möchten. Beworben wird das mit dem Aufruf zu einer basisdemokratischen Sammlung von Forderungen, die in einem 21 Punkte umfassenden Katalog zusammengestellt werden. Der Slogan lautet: „Bürgertagswahl statt Bundestagswahl“. Der Aufruf startet mit einem Zitat von Sahra Wagenknecht, welche Überraschung!

Warum machen die das? Mit „die“ meine ich hier die Parteimitglieder der LINKEN, die unter den verbliebenen „Aufstehen – Begeisterten“ deutlich die Mehrheit stellen. Die LINKE hat ein Bundestagswahlprogramm, über das in der Partei heiß diskutiert wird. Wozu also die 21 Forderungen? Weil es so doch viel demokratischer zugeht als bei den LINKEN? Dann schlagt der Partei doch eine bessere Partizipation vor. Mein Beifall wäre euch gewiss, denn das könnte die Partei voranbringen, die in der Tat an vielen Stellen schon reichlich „verklüngelt“ wirkt. Also, warum nicht?

Nun, möglicherweise, weil es darum nicht mehr geht. Parteien bilden sich so gut wie immer (die Gründung der GRÜNEN war eine Ausnahme) auf dem gärenden Haufen einer bereits bestehenden Partei. SPD – USPD – KPD, CDU – AFD, GRÜNE – Klimaliste(n), SPD – WASG – LINKE, das ist das dominante Muster der erfolgreicheren Versuche.

Eine wichtige Erfolgskomponente für eine neue Partei ist Präsenz im Bundestag. Um das hinzukriegen, bevor sie überhaupt existiert, ist eine Gruppe von Abgeordneten, die sich von ihrer bisherigen Fraktion abkoppelt, ein wirkungsvolles Mittel. Diese Gruppe braucht einen Gründungsbezug. Da eignete sich so ein basisdemokratischer Forderungskatalog ganz gut. Je nach Verlauf der Aktion kann so ein Katalog auch niederschwelliger eingesetzt werden, um eine besondere Legitimation für eigene politische Forderungen herzuleiten.

Soweit das Gedankenexperiment.

Ich möchte darauf hinweisen, dass der Inhalt des aktuellen Buches von Sahra Wagenknecht noch eine Reihe weiterer Anlässe bieten wird, über Sinn und Zweck seiner Veröffentlichung unmittelbar vor den Bundestagswahlen nachzudenken. Die Unterscheidung von „Unternehmern“ und „Kapitalisten“ und die deutliche Haltung gegen Migration sind für die LINKE, so sie noch an ihrem Erfurter Programm hängt, gelinde gesagt, ziemlich inkompatibel. Die Diskussionsbeiträge von Sahra sind m. E. völlig OK – wenn sie denn auch diskutiert werden. Insofern fände ich es schön, wenn das geschähe. Dazu gehört auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Thesen, die ich mir dringend wünsche. In meinem Sprachgebrauch bedeutet „ernsthafte Auseinandersetzung“ zweierlei: Erstens ein Ernstnehmen der Thesen als politischen Vorschlag einer Genossin, aber auch der darin steckenden tiefen Widersprüche zum Parteiprogramm und Zweitens das Weglassen jeder Art von Empörungsgeschrei. Die LINKE braucht inhaltliche Auseinandersetzung dringender denn je. Wir sind Zeuge einer Zeitenwende, in der die Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlage durch das blinde Wirken neoliberaler Konzepte auf dem Programm steht. Bisher hat, trotz vieler guter Ansätze auch die LINKE kein klares Alternativmodell. Das wird jedoch dringend gebraucht.

Dieser Artikel ist zuerst auf www.scharf-links.de erschienen.