Zum Ausgang der Landtagswahlen in Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg

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DIE BEKANNTEN LEGITIMATIONSMÄNGEL UND LICHT UND SCHATTEN BEI DER LINKEN

Von Thies Gleiss und Marion Morassi

Die beiden ersten Wahlen – über die gleichzeitigen Kommunalwahlen in Hessen liegen noch nicht genügend Endergebnisse vor, um auf sie einzugehen – im „Superwahljahr“ 2021 haben einige spezielle, aber mehr noch allgemeine politische Erkenntnisse hervorgebracht.

GRÜNE, CDU UND SPD, die im letzten Jahrzehnt die Regierung gestellt haben, haben in Baden-Württemberg an absoluten Stimmen verloren. Insbesondere die Mit-Regierungspartei CDU hat mit 278.717 Stimmen mächtig Federn gelassen und stürzt auf unter 25 Prozent ab. Die jüngsten Korruptionsskandale bei der CDU/CSU haben dazu noch einiges beigetragen – auch wenn die 50 Prozent Briefwähler*innen (in Rheinland-Pfalz sogar 65 Prozent) die nicht mehr mitbekommen haben werden.

Die GRÜNEN profitieren massiv vom Ministerpräsidentenbonus W. Kretschmanns und verlieren lediglich 37.204 Stimmen. Kretschmann wird als der konservative Landesvater wahrgenommen, der er ist. Selbst die Mehrheit unter den CDU-Mitgliedern und -Anhänger*innen soll ihn für den besseren Ministerpräsidenten halten. Das innerbürgerliche Kräfteverhältnis hat sich somit noch ein bisschen mehr zu Gunsten der GRÜNEN verschoben, die nach Prozenten ihr bestes Wahlergebnis einfuhren.

Im kapitalistischen Musterländle, wo nach wie vor ein Großteil des Industriekapitals seinen Heimatstandort hat, vollzieht sich immer mehr die auch bundesweit auf der Tagesordnung stehende Übertragung der bürgerlichen Politikgeschäfte auf die neue Hauptpartei der Bourgeosie, die GRÜNEN. Wer die Rede von Robert Habeck vor dem Institut der deutschen Wirtschaft und seine darin geäußerte schmalzige Liebeserklärung an den Kapitalismus liest, kennt die Begründung für diesen Wandel.

Die GRÜNEN haben ein Angebot entwickelt, dass aus bürgerlicher Sicht kaum zu toppen ist: Sie versprühen einen ungeahnten und unverbrauchten Optimismus bezüglich einer Modernisierung des Kapitalismus, der neue Perspektiven der gesellschaftlichen Anhangbildung bei der bürgerlichen Klasse und neue Zukunftsvisionen bei den Freund*innen des Kapitals auslöst; sie versprechen und haben in Baden-Württemberg 10 Jahre lang auch garantiert, in der praktischen Politik kein einziges kurz- und mittelfristiges Interesse des Kapitals nach ungestörter Profitmacherei zu stören; sie stellen den die Weltmarktbeziehungen gefährdenden rechts-braunen Schmuddelkram der AfD in den Schatten, ohne die konkreten nationalen Interessen des deutschstämmigen Kapitals zu gefährden.

Ein wenig hat sich in ihrem langjährigen Hochgebiet Baden-Württemberg auch die FDP gerappelt und 62.780 Stimmen hinzugewonnen. Sie hat davon profitiert, dass sie sich – sehr viel glaubwürdiger als es die dumpfbackene AfD geschafft hat – als politische Wortführerin der „Corona-Proteste“ profiliert hat. Aber mehr als ein kleiner moralischer Extraprofit für die FDP bei Wahlen konnte aus den diffusen Protesten gegen die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierung nicht entstehen.

Die Tragödie der SPD setzt sich fort

Aber dieses kleine Frühlingsglimmen bei der FDP hat bei der vor einem tragischen Ende stehenden SPD neue Hoffnungen aufkommen lassen, dass es womöglich mit der Kombination GRÜNE-FDP-SPD eine Fortsetzung als Regierungspartei und Fortsetzung ihrer vollständig den Kapitalinteressen untergeordneten Regierungspolitik geben könne. Und das sogar vielleicht auf Bundesebene.

Die SPD hat in Baden-Württemberg 144.265 Stimmen verloren. Es geht offenbar immer noch weiter bergab. Ob sie ihre Agonie als Juniorpartnerin in einer „Ampel-Koalition“ noch einmal künstlich verlängern kann, spielt für die weitere Entwicklung des deutschen Kapitalismus kaum noch eine Rolle.

Die Politik mit der Angst hat gegen die Angstpolitik verloren

Die AfD hat in Baden-Württemberg mit 336.255 Stimmen fast die Hälfte ihrer Wähler*innen von der letzten Wahl verloren. Sie hat ihre großen Wahlerfolge bei allen Wahlen der letzten Zeit mit einer reaktionären Politik mit der Angst erzielt. Aber es war eine abstrakte Angst, auf die sie sich bezog: Vor Zuwanderung und Flüchtlingen, vor EU-Gigantismus und links-grüne Versiffheit im täglichen Leben. In dem Moment, wo diese abstrakte Angst im öffentlichen Bewusstsein durch eine konkrete Angst bei den Menschen in Folge der Pandemie überlagert wurde, ziehen die politischen Register der halbfaschistischen Rechtskräfte nicht mehr. Die Politik mit der Angst wurde durch die Angstpolitik und das Krisenmanagement der Regierungsparteien abgelöst. Selbst als die AfD die wenig glaubwürdige Notbremse zog und versuchte, sich mit aller Kraft an die Spitze der „Corona-Leugner*innen“ zu stellen, wirkte das nicht.

Die AfD war die Hauptprofiteurin der großen Zunahme bei der Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen. Diese Entwicklung ist bei den Wahlen vom Wochenende zu Ende gegangen.

 

Die alte und neue Wahlsiegerin

Wie in der Zeit vor dem kurzzeitigen Aufschwung der AfD sind die Nichtwähler*innen auch bei den Wahlen in Baden-Württemberg die größte Fraktion. Die Wahlbeteiligung stürzte um zehn Prozent ab, auf die für Landeswahlen im Südwesten vor dem AfD-Aufschwung üblichen 64 Prozent. Die Legitimationsdefizite der Regierungsparteien waren die ganze Zeit über nicht behoben und brechen jetzt wieder hervor. Selbst die zeitweilig – bis zur immer dichter werden Abfolge von Pannen – gehegte Hoffnung, das Krisenmanagertum der Minister der Regierungsparteien würde zu neuer Anhangbildung für die bürgerliche Politik führen, erfüllte sich nicht.

Fast das gleiche Bild in Rheinland-Pfalz

Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz haben im Wesentlichen das gleiche politische Ergebnis hervorgebracht. Augenfälliger Unterschied ist, dass hier die SPD die bürgerliche, staatstragende Hauptregierungspartei ist und den Amtsbonus der Ministerpräsidentin Dreyer voll absahnen konnte.

Die SPD verlor dennoch 80.793 Stimmen. Die CDU verlor 142.162 Stimmen. Die FDP verlor 25.459 Stimmen und die AfD 108.335.

Allein die GRÜNEN gewannen 66.641 Stimmen.

In Rheinland-Pfalz wird die alte Regierungskoalition weitermachen können. Die Berliner SPD-Chefriege wird darauf bestehen, um das letzte Fünkchen Hoffnung auf eine „Große Koalition“ ohne CDU nach der Bundestagswahl im September zu schüren.

 

Die LINKE und die Linke

In Rheinland-Pfalz traten kleine Parteien an, die zumindest auf dem ersten Blick nicht zum üblichen reaktionär-rechten Gedöns auf dem Wahlzettel zählen. Die „Partei“ errang 20.527 Stimmen; die Piraten 10.400; die Klimaliste 13.694, die Tierschutzpartei 32.516; VOLT 19.277.  Das macht zusammen 96.414.

In Baden-Württemberg bekamen die Piraten 2.878 Stimmen, die PARTEI 59.440 Stimmen, DKP 107 Stimmen, die Klimaliste 42.686 Stimmen, Volt 22.720 Stimmen. Das sind zusammen 127.831Stimmen.

Zusammen mit den Stimmen der LINKEN hätte dies in beiden Ländern für den Einzug der Linken + LINKEN in die Länderparlamente gereicht.

Aber das sind wohlmöglich zu weit gehende Einheitsträumereien.

Die LINKE hat in Baden-Württemberg 17.055 Stimmen hinzugewonnen und insgesamt 173.295 Stimmen erhalten. Das sind 3,6 Prozent und sind – auch das ist eher selten bei der LINKEN bei Wahlen – am oberen Rand der letzten Umfragen für die LINKE und entsprechen somit solide den Erwartungen. Anlass für übermäßigen Frust ist das nicht.

Dazu kommt eine sehr große Spreizung der Ergebnisse in den großen Städten und auf dem Land. In den Städten hat die LINKE überall respektable Ergebnisse eingefahren, mit dem – wenn es denn gewollt und gemacht wird – ein wirklicher Aufbau der Partei vor Ort angepackt werden kann. 173.000 Stimmen müssen in aktive Mitglieder verwandelt werden – das ist die Aufgabe der Zukunft. Unsere Genossin Ursel Beck hat mit 7,0 Prozent im Wahlkreis Stuttgart IV das viertbeste Einzelergebnis der LINKEN in BaWü eingefahren. Darüber freuen wir uns sehr.

In Rheinland-Pfalz sieht die Lage deutlich düsterer aus. Der Landesverband der LINKEN in Rheinland-Pfalz ist seit Jahren, eigentlich schon immer, durch das Wirken einer kleinen Clique, die ihre Posten und Pfründe verteidigt, zugrunde gerichtet.

Die Erwartungen waren deshalb sehr niedrig, sie wurden allerdings mit dem weiteren Verlust von 11.760 Stimmen gegenüber der letzten Landtagswahl auf jetzt nur noch 48.210 unterboten.

Die AKL in Rheinland-Pfalz hat nach den Wahlen einen Aufruf veröffentlicht, der einen radikalen Neubeginn auf allen Ebenen, einschließlich Absetzung der alten Führungsclique um Alexander Ulrich, fordert.

Dem können wir uns hier nur anschließen.