Die Partei DIE LINKE, die AKL und alles weitere

Print Friendly, PDF & Email

Noch 90 Tage bis zur Bundestagswahl. Von Thies Gleiss

1.

Das Sommerhochwasser, die notorischen Probleme der Deutschen Bahn und sonstige Verschwörungen haben nicht verhindern können, dass die Partei Die Linke am 14.-16. Juni in Dresden ihren Bundesparteitag zur Vorbereitung der Wahlen von 2013 durchgeführt hat. Neben der Verabschiedung des Wahlprogramms war dies auch der Bundesparteitag, auf dem der parteiinterne Zusammenschluss „Antikapitalistische Linke“ (AKL) zum ersten Mal nach seiner offiziellen (Neu)-Konstituierung gemäß der Satzung der Partei Die Linke mit Änderungsanträgen  und Redebeiträgen auftrat.

Die AKL ist als politische Strömung älter als die LINKE selbst. Sie wurde 2006 im Zuge der Annäherung der beiden Vorläuferparteien PDS und WASG als lockeres politisches Netzwerk von knapp 2000 UnterstützerInnen aus allen Bundesländern und innerhalb und außerhalb der beiden Parteien gebildet.  Aber bis Anfang 2012 hatte sich die AKL bewusst dafür entschieden, nur ein loses Netzwerk von EinzelunterstützerInnen zu sein. Ihr Ziel war nie – und ist es auch heute nicht – eine Partei in der Partei zu gründen, mit eigenen Strukturen, Finanzen und Leitungen. Ihr Ziel war und ist die inhaltliche Befruchtung der Parteidebatten, die aktive Mitarbeit in den Parteistrukturen und deren Ausrichtung auf eine konsequente antikapitalistische Haltung – dafür wurde eine Form gewählt mit so wenig organisatorischen Strukturen wie nötig und so viel argumentativem Freiraum der einzelnen UnterstützerInnen  wie möglich.  Die AKL hat sich auch nie – so wie andere Zusammenschlüsse in der LINKEN – als ein Forum zur besseren Absicherung von Parteikarrieren Einzelner verstanden.

Anfang 2012 beschloss eine Mehrheit der AKL, sich jetzt doch, wie die anderen politischen Strömungen (Sozialistische Linke, Emanzipatorische Linke, Forum demokratischer Sozialismus u.a.) gemäß der statutarischen Möglichkeiten der LINKEN zu konstituieren. Sie erwirbt damit ein kleines „Strömungsbudget“ aus der Parteikasse und das Recht, Delegierte zu Parteitagen zu wählen.

Um diese Neukonstituierung zu begründen wurde der Gründungsaufruf der AKL aus dem Jahr 2006 komplett überarbeitet. Er wird nach einer 18-monatigen Diskussion in Kreis-, Länder- und Bundestreffen der AKL demnächst verabschiedet.

2.

Warum eine Partei, die sich ziemlich anmaßend – schließlich gibt es genügend Linke auch außerhalb dieser Partei – DIE LINKE nennt, eine Extra-Strömung für den „Antikapitalismus benötigt, wird den linken und vielleicht ein wenig puristischen Theoretiker möglicherweise verwundern, weil doch  „die Linke“ im Zeitalter des Spätkapitalismus mit Sicherheit per se „antikapitalistisch“ sein muss, um links zu sein.  Für die politischen Praktiker ist dies jedoch sofort einleuchtend. Mit der LINKEN ist erstmals seit dem Verbot der KPD von 1956 wieder eine linke Massenpartei entstanden. Sie macht nicht nur vereinzelt in zugespitzten Konflikten, wie die linken Kleinorganisationen, oder thematisch beschränkt, wie die verschiedenen sozialen Protestbewegungen, und auch nicht nur mittels einer programmatischen Maskerade, wie die Grünen in ihrer linken Anfangszeit, sondern täglich und auf allen gesellschaftlichen Ebenen Politik, die von hunderttausenden und Millionen Menschen mehr oder weniger wahrgenommen wird. Politik mit unmittelbaren praktischen Auswirkungen. Für eine solche Partei mit einer solchen politischen Praxis gibt es nicht wie bei einer kleinen linken Propagandagruppe einen Anfangsbeschluss „Jetzt wollen wir mal alle AntikapitalistInnen sein“, sondern sie muss fast in jeder Minute und in jeder Entscheidung immer wieder die Frage beantworten, wie wirkt meine Politik – klärt sie über den Charakter der kapitalistischen Gesellschaft auf oder verkleistert sie – immer von gutem Willen gesteuert – die wirklichen Machtverhältnisse?  Verstärkt sie im Sinne einer konstruktiven Überwindung die Krise des Kapitalismus oder wirkt sie gar systemstabilisierend?  Ist die Politik eine sozialistische Politik, das heißt die praktische Propaganda und partielle Vorwegnahme neuer gesellschaftlicher Verhältnisse, die zumindest die Ausführung der normalen kapitalistischen Verhältnisse behindern, wenn nicht gar neue Formen von Gegenmacht und Selbstermächtigung als Keimzelle einer völlig anderen gesellschaftlichen Verfasstheit hervorbringen? Oder ist sie nur Sozialpolitik zu Linderung des Schicksals der Ärmsten?

Ein Kampf um höhere Löhne, die Verteidigung der Arbeitsplätze in einer von Stilllegung bedrohten Autofabrik, Vorschläge für mehr Rechte für die Rechtlosen oder das Programm zum Erhalt der ökologischen Vielfalt – all das und alles andere sind immer ambivalent. Ein Kapitalismus, der die Menschen zufrieden stellt, wird kaum ernsthaft in Frage gestellt. Eine Partei, die jedes Problem in den Schredder der kleinschrittigen Tagespolitik wirft, wird kaum Botschafterin einer neuen Gesellschaftsordnung werden.  Es kommt also entscheidend darauf an, die Ausweglosigkeit des Kapitalismus nicht herbeizuwünschen, sondern in einer Form zu organisieren, die den daran beteiligten Menschen gleichzeitig, und mit jedem neuem Widerstand mehr, neue Hoffnung gibt und praktische Modelle einer alternativen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vermittelt.

Deshalb benötigt eine linke Massenpartei, die in das praktische tägliche Leben und Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft eingreift, immer eine „antikapitalistische Strömung“ – die darauf achtet, die Gesamtperspektive nicht zu verlieren.

3.

Die LINKE selbst ist ein historisches Produkt und damit selber ambivalent und einer steten Veränderungsdynamik ausgesetzt. Sie ist vor allem Produkt einer realen gesellschaftlichen Protestbewegung gegen Hartz IV und Agenda 2010. Millionen Menschen hatten die Nase voll von Schröder und seiner Bande – dem „Lügenpack“, wie es später im Streit um Stuttgart 21 immer so treffend genannt wurde – und sie setzten in die LINKE, die „neue soziale Idee“, einen Großteil ihrer Hoffnungen.  Diese „neue Hoffnung“ traf – so dialektisch unglücklich ist die Geschichte leider regelmäßig –auf politische Kräfte, die in der Summe eher hoffnungslos waren: Enttäuschte SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen; PDS-Verbände, die nach einem tiefen Absturz bei den Wahlen von 2002 ratlos und mutlos waren; verstörte ostdeutsche Kader, denen buchstäblich eine komplette Biographie gestohlen wurde; westdeutsche Altlinke, die heftig daran krankten von Morgens bis Abends nur  noch Taktik im Kopf zu haben, aber keine Leidenschaft und keine Strategie. Ein solcher Trupp von Ausgelutschten, der nur von seelenlosen, synthetischen Politikformen lebt, ist nicht wirklich antikapitalistisch. Er wirkt von Ferne vielleicht so, und mancher Kommentator der bürgerlichen Medien kann ihn noch für Schreckensbilder benutzen. Aber er ist wie der Scheinriese Turtur in Michael Endes Lummerlandgeschichten. Aus der Ferne sieht er groß und gefährlich aus, je näher er kommt, desto niedlicher und harmloser wird er. Gerade dieser historische Entstehungsprozess der LINKEN auf dem Trümmerhaufen einer im Handstreich weggewischten DDR und einer zur brutalen kapitalistischen Krisenpartei abgestürzten SPD macht die Existenz eines antikapitalistischen Pols in dieser Partei unerlässlich.

4.

Jede linke Massenpartei ist einem Prozess ausgesetzt, der mit den Worten „Dialektik der partiellen Errungenschaften“ bestens beschrieben ist. Parteiapparate und Vermögen erhalten ein Eigengewicht und entwickeln Eigeninteressen. Fortschrittliche Kräfte, einmal in parlamentarische oder andere gesellschaftliche Funktionen gewählt oder gerutscht, mutieren zu Bremskräften, die mit der eigenen angeblichen Wichtigkeit  und dem jeweiligen Amt schon das Ende aller Träume erreicht zu haben glauben.

Die Ausgangsbedingungen bei der LINKEN, diesem Ensemble von Enttäuschten und Ausgelutschten, einem solchen Prozess der Dialektik der partiellen Errungenschaften Stand zu halten, sind leider nicht die besten. Die LINKE hat immer nur in den Kisten des Bestehenden gekramt, um Politik zu machen. Ihre Funktionsträger und Mehrheit der Mitglieder können sich Politik nur als professionelles Handwerk, angeleitet von bezahlten Funktionären und in Form, Stil und Materialmächtigkeit stets im Wettbewerb mit anderen ähnlich strukturierten Politikkräften vorstellen. Die LINKE ist leider ein Hort der Phantasielosigkeit und der selbst gewählten Langweiligkeit, dessen EntscheidungsträgerInnen aus Angst vor dem Tod lieber zweimal wöchentlich Selbstmord begehen; die nicht anecken wollen und die etwas verändern wollen, sogar viel und grundsätzlich verändern wollen, aber ohne, dass es jemand merkt und am besten solide gegenfinanziert.

Der Partei DIE LINKE sowohl Geschichtsbewusstsein, und wenn nur für die eigene kleine Geschichte, als auch Leben zu spenden – das ist die Aufgabe einer Antikapitalistischen Linken.  Ihr Dasein hat sich in den ersten sieben Jahren des linken Turturs als notwendig und erfolgreich erwiesen, das wird in den nächsten Jahren nicht anders sein.

5.

Überall auf der Welt erleben wir eine sich vertiefende Legitimationskrise der kapitalistischen Herrschaft. Die großen Studentenmobilisierungen in Chile; die Massenproteste in Israel gegen Wohnungsnot und Armut; die Streiks und Widerstände gegen die Politik der Troika in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal; die Massenproteste der letzten Tage in der Türkei und aktuell in Brasilien und viele Ereignisse mehr beweisen, wie mühsam die kapitalistische Klassenherrschaft ihr Gerede vom Ende der Geschichte aufrechterhalten kann. Es ist vor allem die von Zukunftsangst und Verarmungsdruck geplagte „Mittelklasse“ und ihre Söhne und Töchter, die aufbegehren. Der Weg zu einem Bündnis mit der „alten Arbeiterklasse“ und den Millionen Prekarisierten ist aber vorgezeichnet. Die Herrschaft des Kapitals wankt, aber fallen wird sie nur, wenn sie von politischen Kräften bewusst zum Fallen gebracht wird.  Man sollte annehmen, dass diese sich vor den eigenen Augen abspielende politische Entwicklung der LINKEN in Deutschland nicht nur die Pflicht zur massiven Solidarität abverlangt, sondern auch die Augen dafür öffnet, wie sich gesellschaftliche Auf- und Umbrüche entwickeln. Überall entwickeln sich die Dinge genau so, wie es die deutsche LINKE für überholt und nicht mehr realistisch hält. Die Solidarität übersteigt selten die Grenzen der rhetorischen Formalität, aber schlimmer noch ist, dass sich die LINKE an Vorstellungen der parlamentarischen Abschaffung des Kapitalismus klammert. Sie nebelt sich mit Begriffen wie „nicht vermittelbar“,  „nicht bündnisfähig“ die Birne zu und traut sich nicht, selbst Dinge in das Wahlprogramm zu schreiben, die seit Jahrzehnten populär sind, wie radikale Arbeitszeitverkürzung, Mindestsicherung für alle, Verbot der Leiharbeit, kostenlosen Nahverkehr usw.  Und von dieser Haltung ist es nicht weit zur völligen Verträumtheit, dass die Legitimationskrise des Kapitalismus erst einmal gemeinsam behoben werden muss, um ihn  dann umso besser bekämpfen zu können. Politik darf dann nur noch in kleinen Schritten und im Zweifel gar nicht geschehen. Dass Bewegungen in der Realität komplett anders verlaufen, dass politisches Bewusstsein sich nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen – und leider auch mal rückwärts, wenn eine Linke mal wieder alles vergeigt hat – entwickelt, das wollen maßgebliche Kräfte in der LINKEN partout nicht sehen.

Die Antikapitalistische Linke, die AKL, ist deshalb letztlich auch allein deshalb notwendig, damit die LINKE nicht zum einem fleischgewordenen Desaster der Irrealpolitik verkommt.

6.

Der Wahlparteitag der LINKEN in Dresden und die dort getroffenen Entscheidungen sind ein letztes Beispiel für diesen ambivalenten Zustand der LINKEN.  Aus der Ferne betrachtet, ist das Wahlprogramm so linksradikal, dass keine der anderen Parteien auch nur auf die Idee käme, mit der LINKEN zusammen gehen zu wollen. Und da die meisten Menschen das Getue einer 10-Prozent-Partei nur aus der Ferne und gefiltert durch pauschalisierende und in der Regel verunglimpfende Kommentare der Medien zur Kenntnis nehmen, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Aber schaut man sich das Programm aus der Nähe an, als konkrete Handlungsanweisung für die Mitglieder und AnhängerInnen der Partei, dann kann man schon verzweifeln. „Nur nicht auffallen“, „Nur nicht anecken“, „Wer weiß, wer unser Programm alles liest“ und „Wer weiß, ob nicht die SPD doch noch radikal wird“  – das waren die Leitbilder vom Parteitag. Langweiligkeit pur. Und überall dort, wo es in diesem Land reale soziale Bewegungen gibt – bei den Erwerbslosen und Hartz-IV-Bezieherinnen; bei der Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung, bei der Friedensbewegung; bei den linken GewerkschafterInnen – werden diese Bewegungen nicht damit gefördert, dass man ihre Forderungen unverfälscht oder sogar mal radikalisierend aufgreift, sondern sie werden stets abgemildert oder gar ignoriert, zugunsten einer sterilen sozialdemokratischen Lehrbuchmeinung, dass alles seine Schritt-für-Schritt-Ordnung haben müsse.

Damit diese LINKE kämpfen lernt – und seien es nur echte Wahlkämpfe, statt papierne Materialschlachten – ist eine antikapitalistische Strömung nötig. Je schneller und heftiger, umso besser.

7.

Das überragende Thema von heute, und sicherlich auch noch das ganze Jahr 2013 bis zur Bundestagswahl, ist die tiefe Krise der Europäischen Union in Folge der Banken- und Kapitalverwertungskrise.  Der Wahlkampf 2013 wird als Wettkampf vor allem zwischen SPD und CDU, bei dem sich FDP und Grüne klaglos einreihen, um die Frage gehen, wer das beste kapitalistische Rezept zur Rettung der für den internationalen Konkurrenzkampf unerlässlichen EU hat. In der grundsätzlichen Zielsetzung und bei den wesentlichen Instrumenten sind sich alle vier Parteien völlig einig. Sie vollziehen bereits geraume Zeit eine „Regierung der nationalen Einheit“.  Deshalb werden die vier etablierten Parteien das zentrale Thema zu ihrem Leidwesen nicht als Wahlkampfthema nutzen können. Sie reden alle denselben Unsinn – darunter leidet aktuell vor allem Peer Steinbrück. Allein die LINKE teilt weder die Ziele noch die Mittel. Die Forderungen aus unserem Programm, dass die Banken und Finanzkonzerne entmachtet und vergesellschaftet werden müssen, ist heute keine abstrakte Losung für fernere Zeiten. Sie sind die tagesaktuelle Zuspitzung in der Krisendebatte und unsere praktische Alternative zu den Maßnahmen der „Einheitsregierung“.  Gleichzeitig wollen wir die Krise der EU nicht dadurch beheben, dass sie so „normal“ wie früher funktioniert, vielleicht noch ein wenig besser, sondern wir sehen die EU-Krise als Anfang eines verdienten Endes dieses kapitalistischen Projektes. Wir wollen eine völlig andere EU, die komplett neu definiert und aufgebaut werden muss. Diese „neue EU“ entsteht heute vor allem aus den Kämpfen gegen die barbarischen Krisenlösungen der Troika und der Regierungen in der EU. Deshalb sollte für die LINKE die Solidarität mit den Opfern der Troika in Griechenland, Spanien, Portugal und überall sonst die wichtigste Achse im Wahlkampf werden. Darin liegen die Wurzel einer Wiederbelebung des „proletarischen Internationalismus“ ebenso wie die Grundrisse einer neuen solidarischen Gesellschaft.  Die LINKE muss diese Solidarität in ihrem Wahlkampf in den Mittelpunkt stellen, auch wenn es leider gut sein kann, dass sie sich damit bei den WählerInnen mit durchschnittlichem politischen Bewusstsein nicht beliebt macht.

Die Frage „Für oder gegen den Euro“ wird nicht von WirtschaftswissenschaftlerInnen, sondern politisch entschieden. Sollte zum Beispiel in Griechenland die Linke die Mehrheit bei Neuwahlen bekommen, und die LINKE sollte sich dies wünschen und Syriza und die übrige griechische Linke dabei massiv unterstützen, dann wäre sie sofort zu Notmaßnahmen gegen die Banken, zu Kapitalverkehrskontrollen und anderen „diktatorischen“ Maßnahmen im Interesse der Mehrheit gezwungen. In dieser Situation wird nicht die Frage anstehen, ob „Griechenland aus dem Euro austritt oder nicht“, sondern es steht die konkrete Maßnahme an, dass Griechenland aus dem Euro-Kontext ausgeschlossen wird und die deutsche LINKE alles tun muss, um die damit angestrebte Abwürgung eines unabhängigen linken Griechenlands zu verhindern.

8.

Das zweite große Thema ist die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Alle Parteien werden sich darauf stürzen und versprechen, alles wieder gut zu machen, was sie in den letzten Jahren verbrochen haben. Die LINKE hat angesichts dieser wenig überraschenden Charmeoffensive drei einfache Aufgaben: Sie muss die Heuchler und Lügner aus den anderen Parteien angreifen und ihre wahren Taten in Erinnerung rufen. Sie muss zudem aufzeigen, wie unzureichend und kontraproduktiv die praktischen Vorschläge der anderen sind. Und sie muss drittens aus ihrem großen Arsenal an eigenen programmatischen Vorschlägen zugespitzte Forderungen in den Mittelpunkt stellen.  Wir sollten einen sofortigen gesetzlichen Mindestlohn fordern, der so hoch ist, dass er nicht die gleiche lohnsenkende Wirkung hat wie die Hartz-Gesetze, also eher 12 als 10 Euro betragen muss. Wir fordern weiterhin die Abschaffung der Hartz-Gesetze; das Verbot der Leiharbeit. Statt Prekarisierung der Beschäftigten fordern wir die Umverteilung der Arbeit auf alle durch eine Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit ohne Einkommenseinbußen. Wir wollen die Rückkehr mindestens zur alten Rentenformel und eine Mindestrente von 1050 Euro sowie die Einführung einer Vermögens- und Millionärsteuer.

9.

Es gibt ein drittes großes Thema: Wie wird die Energiewende umgesetzt und wer muss was dafür bezahlen? Es ist offensichtlich, dass die großen Energiekonzerne und die von ihr gelenkten Netzbetreiber zurzeit viel tun, den Ausstieg aus der Atomenergie einerseits zu blockieren oder gar umzudrehen und andererseits die Situation schamlos für ein paar satte Extraprofite auszuschlachten. Die Forderung aus dem Programm der LINKEN, diese Konzerne zu entflechten und unter demokratische politische Kontrolle zu stellen, erhält dadurch ebenfalls den Charakter einer tagespolitischen Sofortforderung. Eine Umsetzung der Energiewende und damit die Einlösung des Wunsches einer breiten Mehrheit in der Gesellschaft werden ohne diese Maßnahmen nicht möglich sein.

10.

Die Entwicklung der politischen Diskurse der letzten Monate hat Themen in den Vordergrund geschoben, die sich die LINKE und ihr Erfurter Programm kaum als Tagesschlagzeile hat vorstellen können. Umso mehr müssen wir sie im Wahlkampf aufgreifen. Das betrifft zunächst die erfreuliche Krise der bundesdeutschen Geheimdienste in Folge der barbarischen Nazi-Mordserie. Wann, wenn nicht jetzt, durch wen, wenn nicht durch uns, soll die Forderung nach einer Auflösung der Geheimdienste aufgestellt werden? Sie muss deshalb im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen.

Die Debatte um die Quotierung der Geschlechter in Aufsichtsräten, die bleibende Ungerechtigkeit bei Löhnen und Einkommen zwischen Männern und Frauen, der Streit um das Betreuungsgeld, der Ablauf der Frist bis zu  einen Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung der ganz Kleinen 2013, die Wut der Erzieherinnen und Pflegerinnen über Löhne, Arbeitsbedingungen und Wertschätzung ihrer Arbeit – all das und einiges mehr liefern die Themen für einen eigenständigen „Frauenwahlkampf“ durch die LINKE.

11.

Alle diese Themen haben eine gemeinsame Klammer: Da sich die herrschenden politischen Eliten und ihre Parteien weigern, die offensichtlich notwendigen und allein Erfolg versprechenden Maßnahmen zu ergreifen, sind sie immer wieder und immer mehr dazu bereit, die demokratischen Strukturen und Traditionen zu brechen, um ihre Politik zu Gunsten einer Minderheit in der Gesellschaft durchzusetzen. Die Krisen des Kapitalismus haben immer als erstes Opfer die Demokratie. Deshalb ist die Umsetzung der Forderungen der LINKEN gleichzeitig die beste Verteidigung der Demokratie. Auch das müssen wir in diesem Wahlkampf aufzeigen und darüber hinaus erklären, dass die herrschende Form des Parlamentarismus offenkundig nicht in der Lage ist, den Klassenkampf von oben und die diktatorische Politik der Konzerne (gerne wird an dieser Stelle die irreführende Formulierung von der „Macht der Märkte“ benutzt) zu beenden.

12.

Wenn sich die LINKE auf diese Weise im Wahlkampf positioniert, dann ist kaum noch darüber zu streiten, dass sie in den anderen Parteien dafür keine BündnispartnerInnen finden wird.  Dennoch starren viele, zu viele, in der Partei auf die SPD, ohne deutlich eine Prognose zu wagen, was die SPD uns wohl auftischen wird. Einerseits wird kommentarlos von einem angeblichen Lagerwahlkampf der SPD gesprochen, der für die LINKE neue Ansatzpunkte für Bündnisse liefern könnte, andererseits wird genau dies wieder bezweifelt und von der Notwendigkeit eines klaren Anti-SPD-Wahlkampfes gesprochen. Wir meinen, die Dinge mit der SPD sind so klar und eindeutig, dass sich daran auch im Laufe des  Jahres bis zur Bundestagswahl nichts Wesentliches ändern wird:

a) Die SPD ist weit davon davon entfernt, ihre tiefe politische und Vertrauenskrise mit Verlust der Hälfte der Mitglieder und der WählerInnen überwunden zu haben. Wer nicht nur auf Prozente, sondern auf absolute Stimmenzahlen schaut, sieht dies in fast allen Wahlen seit 2009 bestätigt. In Prozenten gesehen dümpelt die SPD eher unter als über der Grenze zum berühmten 30-Prozent-Ghetto mit Blinkzeichen in Richtung 20 Prozent.

b) In keiner der Wahlen seit 2009 konnte empirisch die „Lagertheorie“ (also die These, dass es zwischen LINKE, Grüne und SPD politische, über den Wahltermin hinaus gehende, dauernde Gemeinsamkeiten und Bündniswünsche existieren) Bestätigung finden. SPD und Grüne wählen ihre KoalitionspartnerInnen nach tagespolitischem Kalkül und führen einen harten Ausgrenzungskurs gegen die LINKE, selbst da, wo eine rechnerische Mehrheit mit der LINKEN möglich gewesen wäre.

c) Nach wenigen kosmetischen und rhetorischen Korrekturen am Hartz-IV-Kurs versammelt die SPD sich heute unter einem neuen Selbstverständnis, dass Hart-IV angeblich die Basis dafür geliefert hätte, dass „Deutschland“ so gut in der Krise bestanden hat. Das alte Personal der Agenda-2010-SPD sitzt nach wie vor an den Schaltstellen der Partei und wird sogar reaktiviert (wie ihr Kanzlerkandidat Steinbrück).

d) Darüber hinaus preist sich die SPD als Mutter einer europäischen Variante der Agenda-2010, mit der sie die Nachbarvölker beglücken will. Nicht ein einziges der Europa-Vorhaben der CDU-FDP-Regierung in diesem Zusammenhang hat die SPD deshalb ernsthaft blockiert. Wie immer in der Geschichte ist die SPD die letzte, die sich „Vaterlandslosigkeit“ vorwerfen lassen will und die erste, die vorauseilend alle internationalen Kapital-Wünsche erfüllt.

e) Mit Peer Steinbrück hat die SPD genau den Kandidaten gewählt, der diese aktuellen Erfordernisse am besten verkörpert. Seine Nominierung ist ein Schlag ins Gesicht der parteiinternen Demokratie der SPD und eine Provokation der GegnerInnen von Agenda-2010 und Hartz-IV sowie eine Kampfansage an die LINKE. Wenn die LINKE diesen Fehde-Handschuh nicht aufgreift, ist sie schlecht beraten. Steinbrück mag zwar gern den Eindruck erzeugen, er würde einen Lagerwahlkampf „Rot-Grün“ gegen „Schwarz-Gelb“ wollen, aber in der Praxis ist und macht er das Gegenteil. Er wird einen personalisierten Wahlkampf nach dem Motto „Ich, der bessere Merkel“ führen und für die LINKE keinerlei Raum für Spielchen und Spekulationen lassen (und wenn’s den gäbe, wäre das auch noch nicht viel besser….).

f) Wie zu befürchten, hat allein ein Teil der gewerkschaftlichen Funktionäre die Mär von der Wandlung der SPD eilfertig geglaubt. Umso fahrlässiger ist es, wenn die LINKE undifferenziert von einem Bündnis mit „den Gewerkschaften“ spricht. Der Wahlkampf – wie die gesamte politische Konstellation von heute – wird auch in den Gewerkschaften ganz wesentlich von einem LINKE oder SPD geprägt sein.

g) Und deshalb zum Schluss eine simple Formel: Bei allen Wahlen seit 2009 hat sich gezeigt, dass die SPD gewinnt, wenn die LINKE verliert und umgekehrt. Einen gemeinsamen Wahlerfolg vom „Lager“ aus LINKE und SPD gab es nicht und wird es nicht geben. Das wird auch 2013 so sein. Wir sind deshalb für einen konsequenten Wahlkampf gegen Steinbrück, gegen die SPD und wir wünschen uns, dass die Menschen mehr und nicht weniger mit der SPD brechen und zu uns kommen.  Auch im Wahlkampf sollten wir sie dazu auffordern.

13.

In der LINKEN und auf dem letzten Parteitag wird viel von neuer Wahlkampfform, von Mitmachwahlkampf, Offenheit und Transparenz gesprochen. Das hört sich gut an. Wir glauben allerdings, dass dies nicht von oben verordnet werden kann. „Mach mal mit“ ist immer die Parole der Wahlkampfzentralen aller Parteien. Wir halten mehr von einem dezentralen Wahlkampfkonzept, das die Eigenständigkeit von Mitgliedern, Kreisverbänden und Strukturen anregt und ausnutzt. Nicht Mit-Mach-Wahlkampf sollte es deshalb heißen, sondern Mach-Wahlkampf. Die LINKE benötigt ebenso eher aktive und bewegungsorientierte Wahlkampfaktionen und –highlights als Spitzenkandidaten und deren Bilder an den Bäumen.

Der Wahlkampf kommt und geht vorbei. Die Partei DIE LINKE benötigt über aktuelle Wahlkämpfe hinaus, eine umfangreiche demokratische Erneuerung. Die Mitglieder haben in dieser Partei gegenüber Vorständen, und die wiederum gegenüber den Parlamentsfraktionen immer weniger zu sagen. Der Anteil der Parteitagsdelegierten, die gleichzeitig AbgeordneteR, MitarbeiterIn eines solchen oder BeschäftigteR bei der Partei sind, nimmt stetig zu. Diese Partei benötigt eine Tradition und damit eine Zukunft der Ächtung von Ämterhäufung. Alle Ämter, insbesondere die Posten und Mandate in Parlamenten und anderen Schnittstellen zur bestehenden Ordnung müssen befristet sein. Vorstände, MandatsträgerInnen und deren Mitarbeiter sollten nicht gleichzeitig Delegierte für Parteiversammlungen werden, die über die Arbeit der jeweiligen Gremien befinden sollen. Die Trennung zwischen Parlamentsmandaten und Parteiämtern muss strenger umgesetzt werden.

Die AKL hat diese Forderungen und Positionen lange erhoben, aber auch sie lässt sich immer wieder durch angebliche Sachzwänge und personelle Notwendigkeiten zu einer anderen Praxis überreden. Die Gründe sind fehlendes Vertrauen in die eigenen GenossInnen, unkritische Übernahme des von den feindlichen Medien bewusst lancierten Prominentenkults oder eigene Karriereambitionen. Gegen all das hilft nur kollektive solidarische Diskussion, ein Klima der Gleichberechtigung aller Mitglieder  und regelmäßige „Kontrolle“ der Funktionäre durch die Basis.

Auch dafür streitet die AKL.

Die AKL hat also zusammengefasst viel zu kritisieren an der LINKEN. Aber die LINKE ist gleichzeitig die wichtigste politische Änderung im antikapitalistischen Kampf  in Deutschland seit Jahrzehnten. Eine linke Massenpartei mit starker Vertretung in den Parlamenten hätten alle anderen Länder auch verdient.  Bewegungen wie in Griechenland, Türkei oder Brasilien, kompromisslose Gewerkschaften wie in Andalusien, dem Baskenland oder auch in Frankreich und politische Parteien der radikalen, sozialistischen Linken mit Masseneinfluss wie die LINKE:  Das wär’s doch.

20. Juni 2013

Thies Gleiss – Mitglied im BundessprecherInnenrat der AKL in der LINKEN

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert