Inklusion geht nur sozialistisch

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von Margit Glasow

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

Ihr denkt, die Glasow kann nur Inklusion?

Ja, ich gebe Euch recht. Aber nicht als Interessensvertreterin einer einzelnen Gruppe von Menschen. Ich engagiere mich seit vielen, vielen Jahren für dieses Thema – in verschiedenen politischen Zusammenhängen und beruflich als Journalistin, seit etwa vier Jahren ganz konkret auch als Inklusionsbeauftragte der Partei DIE LINKE. Immer im Verständnis darüber, dass Inklusion weit über die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hinausgeht. Inklusion als Gegenentwurf zu Rassismus, Neofaschismus und Ausgrenzung. Inklusion als tiefgreifenden Prozess zum Abbau von gesellschaftlichen Ungleichheiten, der sich auf all die Menschen bezieht, die von Teilhabe ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden: Diskriminiert und stigmatisiert ohne gerechte Zukunftschancen. Insofern: Inklusion bleibt mein Schwerpunktthema.

Ja, Inklusion schließt alle Menschen gleichberechtigt ein. Doch die letzten Wochen und Monate haben bewiesen, dass eine immer massivere neoliberale Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum stattfindet und immer mehr Menschen aus vielen Lebensbereichen ausgeschlossen werden. Sie werden weiter in die Armut und Perspektivlosigkeit, oftmals in die Vereinsamung getrieben. Statt Solidarität zu üben, wird Angst geschürt. Es geht zunehmend um die Durchsetzung von Einzelinteressen. Der Kapitalismus zeigt deutlicher denn je seine fiese Fratze und Corona wird dabei als Brandbeschleuniger benutzt.

Das besorgt mich sehr. Es zeigt mir aber auch, dass wir – wenn wir gesellschaftliche Ungleichheiten abbauen und mehr Gerechtigkeit für alle wollen – eine andere Gesellschaft brauchen. Die Entwicklung einer Gesellschaft, in der ich leben möchte – nicht fremdbestimmt diktiert, sondern demokratisch, sozialistisch verfasst – muss mit allen gemeinsam geschehen. Das heißt auch, denjenigen, die eine andere, vielleicht unbequeme Meinung haben, zuzuhören, sie verstehen zu wollen, um Lösungsansätze zu streiten, respektvoll miteinander umzugehen. Die Mehrheit zu erreichen, für die wir stehen. In diesem Verständnis kann ich nur sagen: Die Glasow kann NUR Inklusion.

Und deshalb möchte ich in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen. Ich möchte mich hartnäckiger in Richtungsentscheidungen unserer Partei einmischen. Deshalb kandidiere ich für den neuen Parteivorstand. Da ich am 27. Februar nur zwei Minuten Zeit zur Vorstellung haben werde, möchte ich an dieser Stelle ein paar konkrete Gedanken und Standpunkte darlegen, für die ich als linke Sozialistin stehe.

Ein politisch denkender und handelnder Mensch

Das bin ich seit vielen, vielen Jahren – im Prinzip, seit ich denken kann. Ich hatte unter anderem das Glück, mich bereits in der Schule intensiv mit dem Freiheitskampf der lateinamerikanischen Völker zu beschäftigen. Ich war begeistert vom Wirken Ernesto Che Guevaras und Tamara Bunkes, Fidel Castros, Salvador Allendes. Nicht zuletzt die persönliche Begegnung mit Luis Carlos Prestes, dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Brasiliens, ließ mich begreifen, was Solidarität tatsächlich bedeutet.

Ich studierte letztendlich Lateinamerikawissenschaften und träumte davon, einmal in Havanna durch die Straßen zu streifen. Ein Traum, der sich bisher nicht erfüllte, der aber in mir die Überzeugung zurückließ, dass der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft kein Kampf ist, der an irgendwelchen Grenzen endet, sondern immer internationalistisch geführt werden muss.

Klar bin ich eine Ostfrau

Was mich besonders geprägt hat, ist meine Sozialisierung als Frau in der DDR. Ich empfinde es als ein Privileg, dass ich eine Gesellschaft erleben durfte, in der es tatsächliche Selbstbestimmung und Gleichberechtigung gab. Eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür war das Recht der Frauen, über gewünschte oder ungewünschte Kinder selbst zu entscheiden. 1990 verloren DDR-Frauen dieses Recht.

Eine weitere Errungenschaft war, dass die Frauen weitgehend gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhielten und nicht wie heute 21 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen, selbst bei gleicher Qualifikation. Frauen und Männer hatten die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten. Heute werden Bildungsbeteiligung und Bildungschancen durch die soziale Lage eines Kindes bestimmt wie in kaum einem anderen Land. Rund 6,2 Millionen der deutsch sprechenden Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Die UNESCO macht darauf aufmerksam, dass es trotz internationaler Anstrengungen weltweit nach wie vor 750 Millionen Analphabeten gibt, zwei Drittel davon sind Frauen. Weltweit können etwa 130 Millionen Mädchen nicht in die Schule gehen. Doch die Fähigkeit, richtig lesen und schreiben zu können, ist eine Grundvoraussetzung zur beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Teilhabe. Wir sehen: Nicht nur Armut entscheidet darüber, wer Bildung erhält, sondern auch das Geschlecht

Deshalb habt bitte Nachsicht mit mir, wenn mir das Gendern gelegentlich schwerfällt. Lasst uns den Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen nicht in die Sprache verlegen. Ja, ich weiß, dass viele von Euch – inzwischen auch viele Menschen aus dem Osten – erwarten, dass wir alle – und natürlich auch ich als Inklusionsbeauftragte – mehr gendern. Wichtiger als das Gendern wäre mir, dass wir den jungen Frauen davon berichten, dass eine tatsächliche Emanzipation in der Realität möglich ist. Dass wir – meine Generation – sie kennen gelernt haben. In diesem Sinne habe ich meine Kinder erzogen und diese Überzeugung möchte ich weitertragen.

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?

Wenn es um die Frage geht, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, treibt mich die aktuelle Lebenswert-Diskussion um. Denn viele Menschen – besonders alte, kranke und behinderte – sind zutiefst besorgt darüber, dass eine Einteilung in „lebenswertes“ und „lebensunwertes“ Leben wieder möglich werden könnte. Ich teile diese Befürchtung, denn ich begreife die Ereignisse, die rund um die COVID-19-Pandemie zur Debatte um die Triage führten, als ein Ausdruck dessen, was sich gegenwärtig insgesamt in der Gesellschaft vollzieht: Tausende von Existenzen werden weiter an den Rand gedrängt. Menschen werden zunehmend entsolidarisiert. Unsere Meinungs- und Pressefreiheit sowie Bürger- und Menschenrechte werden eingeschränkt. Alte und Junge, Gesunde und Kranke, Deutsche, Migrant*innen und Flüchtlinge, Gläubige und Ungläubige werden gegeneinander ausgespielt und verstärkt nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit beurteilt. Der Schutz individueller Gesundheit wird über die Würde des Menschen gestellt.

Wir müssen deshalb Priorisierungsüberlegungen vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren verschärften Ökonomisierung des Gesundheitswesens in Deutschland betrachten. Wie kann es zum Beispiel sein, dass sogar während der Pandemie Krankenhäuser geschlossen werden? Teil der Daseinsvorsorge des Staates ist es, dafür zu sorgen, dass wir gar nicht erst vor solche Entscheidungen gestellt werden. Die Politik darf sich nicht aus ihrer Verantwortung zurückziehen. Es braucht – vor allem angesichts der deutschen Geschichte, die besondere Sensibilität verlangt – eine breite gesellschaftliche Debatte aller Beteiligten, um Selektion, Euthanasie und faschistischen Entwicklungen konsequent entgegenzutreten. Lasst uns deshalb diese Entwicklungen viel stärker in der Partei aanlysieren. Lasst uns klar machen, dass es einen Systemwechsel braucht. Und lasst uns die Pandemie viel stärker als Chance begreifen, klar unser Ziel zu definieren: eine gerechte, eine sozialistische Gesellschaft für alle zu erkämpfen.

Apropos sozialistische Gesellschaft

Den Kapitalismus ein bisschen reparieren und ein bisschen besser machen zu wollen, Reichtum ein bisschen gerechter zu verteilen, wird nicht reichen. Wir würden dann – getreu Rosa Luxemburgs Vorhersage – wie Don Quichote scheitern. Deshalb lasst uns nicht weiter der Illusion aufsitzen, dass wir durch die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen, die Auslandseinsätze, Aufrüstung und Hartz IV verantworten, in den Sozialismus hineinwachsen könnten. Dass wir dadurch mehr Gerechtigkeit für die Menschen aushandeln könnten. Das ist nach meiner Überzeugung ein Irrweg. Was wir brauchen, ist eine grundlegende Umwälzung der Produktionsverhältnisse. Dafür lasst uns kämpfen und konsequent unser Parteiprogramm umsetzen. Dafür lasst uns stark sein in der Opposition.

Denn die große Aufgabe der Gegenwart ist doch, ob es uns angesichts der immer stärker werdenden Widersprüche des Systems gelingen wird, für die beiden globalen Herausforderungen unserer Zeit humane Lösungen zu finden: die Existenz der Menschheit zu bewahren und den Klimawandel zu stoppen.

Herzlich, Eure Margit Glasow