Die Berliner LINKE vor dem Landesparteitag: Jubelstimmung statt ernsthafter Analyse

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Stellungnahme der AKL Berlin zum Landesparteitag der LINKEN am 16./17.01.2021

Am 16./17.01. wird der Landesverband die Berliner Linkspartei seinen Parteitag als Online-Event durchführen. Fast auf den Tag genau vor 102 Jahren wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von rechten Freikorps-Soldaten mit Unterstützung des SPD-Bluthundes Noske ermordet. Es scheint allerdings, dass DIE LINKE in Berlin wenig bis nichts aus Rosa Luxemburgs Thesen gelernt hat. Der Leitantrag vom Landesvorstand zum Parteitag liest sich wie eine selbstverliebte Überhöhung der eigenen Regierungspolitik. „Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat“, ist einer der prominentesten Zitate Luxemburgs. Damit wollen wir anfangen: Die Senatsbeteiligung der LINKEN war längst nicht so gut, wie es der eingereichte Text vermuten lässt.

In ihrem Leitantrag wird die Berliner Landespolitik nicht auf einen kritischen Prüfstand gestellt. Sich selbst auf die Schulter zu klopfen, verschleiert den Blick auf die Realität: Die Senatspolitik ist in vielen Punkten weit weg von linker Politik, die positiven Aspekte wiegen die negativen nicht auf, von einem Politikwechsel im Interesse der arbeitenden Menschen und sozial Benachteiligten kann nicht gesprochen werden. Im vorgelegten Leitantrag ist zu lesen: „DIE LINKE hat in den letzten Jahren im Senat in vielen Politikfeldern den Unterschied gemacht“ oder „Wir haben die Stadt und ihre Politik sichtbar verändert. Wir haben deutliche soziale Verbesserungen für die Berlinerinnen und Berliner erreicht und sind der Motor für eine Politik, die der wachsenden Spaltung in Arm und Reich entgegentritt.“ Hier überschätzt sich die Linkspartei. Noch deutlicher wird es im Kapitel zur Corona-Pandemie. Dort heißt es: „Es war und ist DIE LINKE, die in diesen schweren Zeiten den Fokus immer wieder auf die Bewältigung der sozialen Folgen der Pandemie gelegt hat.“ Wo unterscheidet sich die Politik in Berlin grundlegend von der in anderen Bundesländern, wenn man die offenen Buchläden als geistige Tankstellen mal beiseite lässt? Allein die Tatsache, dass der Senat in den letzten Wochen Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen mit seinen unverantwortlichen Plänen der Schulöffnung gegen sich aufgebracht hat, zeigt die Selbstüberschätzung.

Zudem führt eine Fokussierung auf die anstehenden Wahlen, auf eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung in Berlin und auf die bisherigen Koalitionsparteien und auf Parteien überhaupt, die angeblich der Motor einer Veränderung der Berliner Politik sein sollen, in die Irre. Wenn wir den Slogan „Wem gehört die Stadt?“ wirklich ernst nehmen, brauchen wir eine erheblich größere stadtgesellschaftliche Mehrheit, um eine Veränderung in der Größenordnung zu erreichen, die für die Mehrheit der Berliner*innen zu einer spürbaren Verbesserung führt. Hierzu müssen wir auch die Akteure in den Mittelpunkt stellen, die diesen Prozess auf den Weg bringen können: Die vielen Berliner*innen, die sich in fortschrittlichen sozialen und politischen Initiativen und Bewegungen engagieren und organisieren, die Kolleg*innen in den Betrieben und in Gewerkschaften! Wenn dies wirklich zum Kernpunkt unserer Landespolitik im Sinne des bereits häufig propagierten Slogans einer „Partei in Bewegung“ gemacht werden soll, müssen wir vor allem strategisch diskutieren und einen Beitrag dazu leisten, diese Bewegungen zu stärken. Eine wichtige Frage wird sein, wer für die Kosten der Corona- und Wirtschaftskrise zur Kasse gebeten wird. DIE LINKE könnte einen Beitrag leisten, gemeinsam mit anderen (Gewerkschaften, Seebrücke, Unteilbar, Initiativen von Mieter*innen, Fridays for Future und vielen mehr) eine Großdemonstration unter dem Motto „Öffentlich statt privat!“ vor den Wahlen auf die Beine zu stellen, mit der die Forderungen der Mieter*innen, CFM-Beschäftigten, S-Bahn-Kolleg*innen und vielen mehr unterstützt würden.
Eine andere wichtige strategische Frage ist, wie der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ im Falle eines positiven Ausgangs angesichts des vehementen Widerstands der SPD durchgesetzt werden soll. Wie kann verhindert werden, dass der kommende Senat die Umsetzung blockiert, verschleppt oder offen bekämpft? Beide Beispiele zeigen: konsequent linke Politik und Unterstützung von Protesten steht im Widerspruch zu einer Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen.

Im Leitantrag weist die Berliner Linkspartei voller Stolz daraufhin: „Wir haben als einzige Regierungspartei das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ unterstützt und im Senat durchgesetzt, dass die Initiative das Volksbegehren im Frühjahr fortsetzten kann.
Das ist gut. Nicht gesagt wird aber, dass der Berliner Senat (mit unseren Parteienvertreter*innen im Boot) ganze 441 Tage zur Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Volksbegehrens brauchte und der Volksentscheid blockiert wurde.
Für wenig Sympathien bei allen Betroffenen und kritisch-engagierten Berliner*innen dürften auch die mit unverhältnismäßig großem und martialischem Polizeiaufgebot durchgeführten Räumungen zugunsten von Immobilienspekulant*innen gesorgt haben. Es wurde hierbei ein völlig falsches und fatales Signal ausgesandt: nämlich die Durchsetzung des Eigentumsrechts einzelner Spekulanten um jeden Preis – der rot-rot-grüne Senat als Erfüllungsgehilfe des Immobilienkapitals. Das ist keine linke Politik! Ob Räumungen von Projekten oder Zwangsräumungen einzelner Mieter*innen: Damit muss in Zukunft endlich Schluss in Berlin sein – ansonsten wird der Slogan „Die Stadt gehört euch!“ zur zynischen Farce. Wir wollen nicht verschweigen, dass der Mietendeckel eine gute wohnungspolitische Maßnahme ist. Von der Tatsache abgesehen, dass der Mietendeckel noch einigen rechtlichen Überprüfungen standhalten muss, ist allerdings auch die Jubel-Stimmung der Linkspartei diesbezüglich fehl am Platz. Der Text im Leitantrag lautet: „Wir haben mit dem Mietendeckel den Mietenwahnsinn gestoppt und den Mieterinnen und Mietern eine Verschnaufpause verschafft.“ Der Mietenwahnsinn ist nicht gestoppt. Bezahlbaren Wohnraum findet man in Berlin in etwa genauso einfach wie die Nadel im Heuhaufen.

Eine negative Wirkung entstand durch die Unterstützung der Signa Holding bei ihrem Projekt eines Karstadt-Neubaus am Hermannplatz durch den Senat in Form eines sogenannten letter of intent (einer positiven Absichtserklärung). Die Initiative Hermannplatz misstraut dem Investor nicht ohne Grund, weil sie meint, er sei weniger an den Karstadt-Warenhäusern und dem Erhalt von Arbeitsplätzen interessiert als an der Spekulation mit Immobilien. Der Senat beugte sich dabei jedoch dem Diktat der Signa Holding gemäß dem Motto „Ohne Abriss keine Jobs“. In diesem Zusammenhang sei an die wenig hilfreiche Äußerung in einem rbb-Interview des Spitzenkandidaten unseres Landesverbands, Klaus Lederer, erinnert: „Ich kann das nicht beurteilen, ob der Deal gut ist oder ob er schlecht ist“. Zum Glück wurde der Deal vom Landesparteitag letzten Jahres abgelehnt, denn eine Mehrheit der Delegierten wollte sich zurecht der Erpressung des Investors nicht beugen und hielt den Deal sehr wohl für schlecht. Das zeigt einmal mehr, dass innerhalb unserer Partei auf Landesebene (aber auch insgesamt) eine politische Abstimmung, die die Mehrheit der Partei (vor allem ihre Basis) in die Entscheidungen einbezieht mehr denn je notwendig ist, ehe an der Spitze einfach Fakten geschaffen werden.

Für die kommende Legislaturperiode – aber auch schon jetzt – stellt sich nicht nur die Frage „Wem gehört Berlin?“, sondern auch die Frage „Wem gehört die S-Bahn?“. Wurde nicht im Koalitionsvertrag eine Rekommunalisierung von outgesourcten Unternehmen bzw. Unternehmensteilen als wichtiges Ziel formuliert? Stattdessen soll jetzt die S-Bahn zerschlagen und privatisiert werden, geht es vor allem nach der neoliberalen grünen Koalitionspartnerin im Senat, die auf Wettbewerb setzt. Ziel unseres Landesverbandes sollte stattdessen sein: Keine Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn, S-Bahn in öffentlichem Eigentum unter demokratischer Kontrolle, eine S-Bahn für alle und sofortiger Ausstieg aus der Ausschreibung. Der Antrag aus Neukölln (und anderer Bezirke und Zusammenschlüsse), der sich gegen die Ausschreibung wendet, wird aller Voraussicht nach auf dem kommenden Parteitag nicht behandelt – es scheint wichtiger, dass die Parteiprominenz Redezeiten von 30 Minuten erhält, für eine dreiminütige Abstimmung fehlt dann die Zeit…

Auch die Beschäftigten der CFM (Charité Facility Management) haben immer noch keinen Tarifvertrag und der Senat hat dieses Versprechen nicht eingehalten. Was nützen da solidarische Worte, wenn diese zu keiner realen Verbesserung der Lage der betroffenen führen?
Das Thema Innenpolitik ist für uns nicht nur im Zusammenhang mit Räumungen von erheblicher Bedeutung, denn weitere ungelöste Probleme tun sich hier auf: Zum Beispiel die konsequente Aufklärung und Verfolgung des Nazi-Terrors in Neukölln mit der fortlaufenden Anschlagsserie und die rechten, rassistischen Tendenzen in der Berliner Polizei. DIE LINKE muss sich dafür einsetzen, dass umgehend ein unabhängiger Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Klare Kante gegen das Rumeiern vor allem des sozialdemokratischen Koalitionspartners mit seinem Innensenator Geisel.
Die Unfähigkeit, Rechte in die Schranken zu weisen, stellt sich in eine Reihe mit Repressionen gegen Linke: Die mit eskalierender Gewalt durchgesetzten Räumungen vom Syndikat, der Friedel54 oder der Liebig34 wird von einem Senat, dem DIE LINKE angehört, ebenso mitverantwortet wie die Angriffe der Polizei auf die Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 10.01. Hier wird erneut klar, der Feind steht für die Regierenden (ganz gleich welcher Koalition) links.

Im Leitantrag steht: „Menschenwürde ist für uns nicht an Herkunft oder Geldbeutel geknüpft.“ Bei jeder Abschiebung wird die Menschenwürde suspendiert. Wenn also der Satz im Leitantrag nicht nur schön klingen, sondern auch inhaltlich richtig sein soll, muss DIE LINKE bei jeder einzelnen Abschiebung zivilen Ungehorsam leisten und die Koalition in Frage stellen. Lieber den Koalitionsvertrag brechen als das Rückgrat der Geflüchteten!

Insgesamt muss Schluss sein mit faulen Kompromissen im Rahmen der Berliner Koalition, die unser linkes Profil in Frage stellen.
Wenn wir uns die Erfolge der Senatsbeteiligung ansehen und das in Relation zum Glaubwürdigkeitsverlust der LINKEN setzen, sehen uns bestätigt darin, eine Regierungsbeteiligung der LINKEN grundsätzlich abzulehnen. Schlussfolgerung für die Zukunft kann nur sein: Keine Fortsetzung der Koalition nach den Abgeordnetenhauswahlen im September und ein sofortiger Kurswechsel zu sozialistischer Oppositionspolitik.

Die Linkspartei meint „Berlin ist anders“. Mag sein, allerdings wird Berlin nicht anders als woanders regiert. Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, bedarf es der außerparlamentarischen Bewegung, gewerkschaftlicher Kämpfe, der Selbstermächtigung der Vielen und Ausgegrenzten.