„Wir mobilisieren damit von uns weg“

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Bericht von Video-Konferenz des Parteivorstandes der LINKEN vom 16.05.2020,

von Lucy Redler und Thies Gleiss, Mitglieder des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN

 Corona-Krise und strategische Festlegungen der LINKEN

Die ordentliche PV-Sitzung fand „Corona-bedingt“ wieder als Video-Konferenz statt. Es nahmen bis zu 33 Mitglieder des 43-köpfigen PV-Gremiums teil.

Als Gäste waren die fünf Abgeordneten des Europaparlaments, Cornelia Ernst, Martina Michels, Özlem Demirel, Helmut Scholz und Martin Schirdewan, sowie der Präsident der Europäischen Linken, Heinz Bierbaum, anwesend.

Der PV gratulierte der als Mitglied des Präsidiums des Bundesausschusses anwesenden Barbara Borchardt zu ihrer Wahl zur Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern.

Aktuelle politische Lage

Der ToP wurde durch einen Tagungsordnungsantrag von Lucy Redler mit dem geplanten Punkt zur „Strategiediskussion“ zusammengefasst und verlängert. Er wurde in vier Teile aufgeteilt: Allgemeine politische Situation; die „Hygiene- und Grundgesetzdemonstrationen“; der Mitgliederentscheid in der LINKEN zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“; die Strategiedebatte der LINKEN.

Die aktuellen „Grundgesetz- und Hygiene-Demonstrationen“

Martina Renner gab dazu eine eigene Einführung. Die Demonstrationen sind sehr heterogen, aber ihr Zulauf nimmt zu. Es werden darin sowohl reale Ängste von durch die Corona-Krise akut gefährdete Kleingewerbetreibende, Soloselbstständige und Marginalisierte auf die Straße gebracht, als auch eher ihren Individualismus ausleben wollende Menschen, die diesen Individualismus und abstrakten Freiheitsanspruch gegenüber staatlichen Regulierungen zum Schutz der Gesundheit schon länger mit dem Recht auf Individualität verwechseln, das auch für Linke eine hoher Wert ist (damit soll nicht gesagt werden, dass wir die Art der staatlichen Maßnahmen zur Einschränkung der Grundrechte teilen). Ergänzt werden diese Kräfte durch ein buntes Gemisch von durchgeknallten Weltverschwörungsbeschwörer*innen. In vielen Orten und auch durch bundesweite Bemühungen versuchen die harten Rechten aus der Pegida-Bewegung und dem AfD-Umfeld an den Demonstrationen anzudocken, in manchen Orten wie in Sachsen dominieren sie bereits die Demos. Der Unmut, der sich auf den Demonstrationen äußert, ist in Teilen richtig, die Antworten sind falsch.

Es gibt gegenüber diesen Demonstrationen zum jetzigen Zeitpunkt kein geschlossenes „Anti-Programm“, es wäre sowohl falsch auf diese Demos zu orientieren als auch alle Teilnehmer*innen als Rechts zu stigmatisieren. Alle im Parteivorstand waren sich einig, dass nur ein eigenes, sichtbares Auftreten der LINKEN, mit ihren Analysen der Krise, ihrem Aktionsprogramm und Forderungen zu Überwindung der Krise die Antwort sein kann. Das KL-Haus hat dazu bereits eigene Materialien und Mustertexte vorbereitet. Lucy schlug vor, angelehnt an die von Winfried Wolf, der AKL und anderen Kräften herausgebrachten Zeitung „Faktencheck Corona“, eine eigene Massenzeitung der LINKEN zu erstellen und unter Einhaltung der Abstandsregelungen wieder flächendeckend Infotische durchzuführen. Ein Verteilen eigener Materialien am Rande der „Hygiene-Demonstrationen“ ist dabei nur sinnvoll, wenn DIE LINKE deutlich macht, dass sie nicht Teil der Demos ist. Schwerpunkt der LINKEN sollte aber die Organisierung eigener Proteste und die Beteiligung an sozialen und linken Protesten sein, wie es die Partei im Ansatz im Bereich Gesundheit am Tag der Pflege oder bei der Aktion gegen die Klage der CDU gegen den Berliner Mietendeckel vorgemacht hat. Wichtig ist aktuell auch, dass DIE LINKE Eltern von Kindern im Kita-Alter anspricht und Angebote zur gemeinsamen Aktion macht, weil die Frustration über die Widersprüchlichkeiten der Lockerungen (Autohäuser offen, Kitas für viele noch geschlossen) hier besonders groß sind und Erziehende an ihre Grenzen kommen.

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE).

Die Initiative für einen Mitgliederentscheid der LINKEN zum BGE hat ausreichend Unterschriften in der Mitgliedschaft gesammelt. Es wurde mit den Initiator*innen und einer Abordnung des Parteivorstandes ein Verfahren ausgehandelt, wie und wann dieser Mitgliederentscheid in der Partei durchgeführt wird. Es wird nicht vor der nächsten Bundestagswahl sein.

Strategische Festlegungen der LINKEN in der Krisenzeit bis zur nächsten Bundestagwahl

Die vier Mitglieder aus dem geschäftsführenden Parteivorstand, Katja Kipping, Bernd Riexinger, Harald Wolf und Jörg Schindler, hatten zwei Tage vor der Parteivorstands-Videokonferenz ein 14-seitiges Papier zu den notwendigen strategischen Festlegungen in der kommenden Zeit an die PV-Mitglieder versandt. Wie in der LINKEN leider fast immer üblich, wurde es auch gleich an den „Spiegel“ und andere Medien weitergereicht. Weder der gesamte geschäftsführende Parteivorstand noch der übrige Parteivorstand waren in die Beratungen dieses Textes miteinbezogen. Das Papier wurde als Informations- und nicht als Abstimmungsvorlage eingereicht. Es ist hier nachzulesen: https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-eine-solidarische-zukunft-nach-corona/.

Die meisten Aussagen in diesem Text der Vier trafen auf breite Zustimmung im PV, entsprechen sie doch den Beschlüssen des PV aus den letzten Monaten. Umso heftiger war die Kritik an dem Kapitel aus dem Papier, dass offen und direkt für ein Regierungsbündnis mit SPD und GRÜNEN und einen entsprechenden Wahlkampf 2021 aufrief. Nur ein Diskutant aus dem PV neben den vier Autor*innen ergriff in der Debatte das Wort im Sinne dieses Kapitels. Alle anderen verwarfen mehr oder weniger heftig diese Orientierung. Thies Gleiss hatte seine erste spontane Kritik bereits am Vorabend der Videokonferenz veröffentlicht: https://akl.minuskel.de/?p=3608#more-3608.

Lucy Redler und Thies Gleiss unterstrichen in ihren Wortbeiträgen, dass wir aktuell in einer hochpolitisierten Phase sind, in denen das weltweite kapitalistische System sich selbst in Frage stellt und von diversen politischen Akteur*innen in Frage gestellt wird. In dieser Situation muss auch die LINKE die Systemfrage stellen und ein klares, radikales Programm gegen die Krise und für eine sozialistische Alternative in die Öffentlichkeit tragen. Das ist nicht nur die wichtigste politische Vorbereitung auf die harten Verteilungskämpfe, die unweigerlich nach dieser außerordentlichen Phase der Vorherrschaft der Politik über die Ökonomie, kommen werden. Eine Bundesregierung mit SPD und Grünen würde nicht nur einen Ausverkauf der antimilitaristischen Positionen der LINKEN zur Folge haben, sondern auch harte Sparpakete auferlegen. Die Vorstellung, die in dem Papier der Vier angesprochen wird, man könnte eine solche Regierung an der Seite von Bewegungen aufbauen, ist angesichts der drohenden Wirtschaftskrise und der realen Politik von SPD und Grünen naiv. Die stellvertretende Parteivorsitzende Janine Wissler fasste die irrige Auffassung, mit einer Orientierung auf SPD und GRÜNE unsere Anhänger*innen aufrütteln zu können, mit der Prognose zusammen: „Wir mobilisieren damit von uns weg“. Besser können auch wir es nicht zusammenfassen.

Die Debatte ging ohne Beschluss zu Ende und wird sicher weitergeführt werden.

Solidarität mit den Beschäftigten von Galeria-Kaufhof-Karstadt

Am Tag vor der PV-Konferenz wurden die Pläne des Mehrheitsgesellschafters Benko der Warenhauskette Galeria-Kaufhof-Karstadt bekannt, 80 der Warenhäuser zu schließen, tausende Arbeitsplätze abzubauen und weitere harte Einschnitte für die Beschäftigten durchzudrücken. Es ist ein dreister Versuch, im Zuge der Corona-Krise die Kosten für die Bewältigung der Krise auf die Beschäftigten abzuwälzen und schon länger existierende Kahlschlagspläne beschleunigt umzusetzen. Der Parteivorstand nahm als Dringlichkeitsantrag eine Solidaritätserklärung mit den Beschäftigten an. Sie wird in Kürze auf den Seiten der LINKEN zu finden sein.

Bericht zur Lage der GUE/NGL und EL

Die Gäste aus der Europäischen Linken und der Europa-Fraktion mit dem immer noch sperrigen Namen GUE/NGL berichteten über die Arbeit der Fraktion und der europäischen Partei.

Sowohl die Fraktion als auch die EL haben jeweils ein längeres Papier zur europäischen Solidarität in Zeiten der Corona-Krise verfasst. Das erste Papier ist bereits auch auf deutsch erschienen (zum Download hier: https://www.dielinke-europa.eu/de/article/12711.das-heilmittel-hei%C3%9Ft-solidarit%C3%A4t.html) Das Papier der EL folgt in Kürze in deutscher Übersetzung.

In der Debatte wurde auf die Bedeutung der wachsenden Staatsverschuldung eingegangen sowie auf die Bedeutung des Urteils des deutschen Verfassungsgerichtes. Der PV wird auf der nächsten Sitzung über die Frage der Staatsschulden ausführlicher beraten.

Der Zustand der EL hat sich nicht wesentlich gebessert. Ein kleines positives Zeichen ist vielleicht, dass La France Insoumise, die größte linke Kraft in Frankreich, sich wieder als offizieller Beobachter bei der EL betrachtet.

Weitere Beschlüsse

– Der PV nahm einen Unterstützungsaufruf für die „Woche des Kampfes gegen den Imperialismus“ an, die vom 25.-31. Mai 2020 auf Initiative des Forums von Sao Paulo und vieler anderer Organisationen, die sich in Havanna getroffen haben. Auch die EL unterstützt diese Initiative. Die LINKE wird eine Online-Veranstaltung zum internationalen Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit durchführen.

Eine Beschlussvorlage von Cuba-Si und anderen zur Forderung die Sanktionen als Mittel der Außenpolitik zu beenden, wurde auf die nächste Sitzung vertagt.

Köln, Berlin 17.05.2020 Lucy Redler, Thies Gleiss