Bericht von der Sitzung des Parteivorstandes am 11.11.2018

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FÜR ODER GEGEN DIE EU – DAS IST HIER DIE FRAGE

 

Am Tag, an dem anderswo die Karnevalist*innen ihre Session beginnen, tagte auch der Parteivorstand der LINKEN in Berlin. Es waren Zweidrittel der gewählten PV-Mitglieder anwesend, allerdings nahm die Anwesenheit, wie immer, wenn eintägig sonntags getagt wird, gegen Ende rasant ab, so dass zum Schluss keine Beschlussfähigkeit mehr gegeben war.

 

In der Debatte zur aktuellen politischen Lage wurden die Wahlergebnisse in den USA, mit sowohl einer Stärkung des Trump-Lagers als auch bemerkenswerten Einzelergebnissen für linke Kandidat*innen bei den Demokraten, sowie die dramatische Rechtsentwicklung in Brasilien gewürdigt.

Eine differenzierte Diskussion gab es über die weitere Entwicklung innerhalb der CDU nach dem Einstieg in den Ausstieg aus der Merkel-Ära. Die große Partei der bürgerlichen Klassenherrschaft in Deutschland ist sichtbar in Turbulenzen. Dass in einer solchen Partei gleich 20 Bewerber*innen für den Vorsitz antreten, von denen dann immer noch drei in den Hofberichterstattungsmedien als „ernsthaft“ angesehen werden, ist sicherlich eine Novität. Die Unterschiede zwischen dem Lobbyisten des Finanzkapitals Merz, dem selbsternannten Jungkonservativen Spahn und der Frau fürs Weiter-so Kramp-Karrenbauer werden von der Presse viel zu sehr als Alternativen dargestellt. In der großen Linie bleibt sich die CDU als Verwalter der Kapitalinteressen treu. Vor allem die Frage, ob auf eine Koalition mit den Grünen (und der FDP als rechter Korrekturkraft) oder gar eine Öffnung in Richtung AfD orientiert wird, ist strittig.

Der Teilerfolg der kämpfenden Belegschaft bei Ryan-Air wurde gewürdigt. Ein weiterer Baustein dafür, wie sich das konkrete Gesicht der Klassenkämpfe von heute verändert. Die LINKE hat diesen Kampf vorbildlich unterstützt.

 

Thies Gleiss wies auf eine bemerkenswerte Neuausrichtung der SPD in der Bewertung der Novemberrevolution 1918 hin. Statt wie bisher die Rätedemokratie, die Revolution und den Kommunismus als historische Vergehen, als Gegenmodell zur Sozialdemokratie und Wegbereiter des Faschismus zu verteufeln, wird heute in der Rede des SPD-Bundespräsidenten und in zahlreichen Kommentaren und Leitartikeln, die Novemberrevolution in einer Kette mit der 1848 Revolution und der deutschen Staatsgründung als Wegbereiterin der „Demokratie“ abgefeiert und vereinnahmt. Der revolutionäre Bruch mit der kapitalistischen Eigentumsordnung und der feudalen Herrschaft, für den die Namensgeber der LINKEN-Einrichtungen von heute Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht standen, wird schamlos gestrichen, der verbrecherische Verrat der Sozialdemokratie verschwiegen und die Erzählung der Novemberrevolution der Linken geraubt. Es wird an einer angeblichen historischen Kontinuität der „deutschen Demokratie“ gearbeitet, die angesichts der Krise der EU und der Bemühungen aller Parteien für ein „Make Germany great again“ auch tagespolitisch einzuordnen ist.

Leider haben sich auch die Fraktionsvorsitzende der LINKEN und ihre neue Initiative „Aufstehen“ in gleicher, verzerrender Weise anlässlich des 100. Jahrestages der Revolution geäußert.

 

Einstimmig gegen die Immobilien-Konzerne

 

Bei den Sitzungen des Parteivorstandes kommen häufiger routinemäßige und verwaltende Beschlüsse vor, die einstimmig vorgenommen werden. Bei den großen inhaltlichen Fragen nach längeren Debatten ist dies sehr selten der Fall, wie es bei einer lebendigen linken Partei auch nicht anders zu erwarten, sondern gesund und normal ist.

Umso erfreulicher ist, dass ein Antrag von Lucy Redler, die Forderungen der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zu unterstützen und allen Landesverbänden zu empfehlen, ähnliche Initiativen zu ergreifen oder zu unterstützen, den sie zusammen mit dem als Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ eingeladenen Rouzbeh Taheri begründete, einstimmig angenommen wurde.

Die Forderung der Enteignung der großen privaten Immobilienkonzerne – allen voran Deutsche Wohnen und Vonovia – soll expliziter als bisher Bestandteil der Mieten-Kampagne der LINKEN sein und gleichberechtigt neben der Forderung nach 250.000 Sozialwohnungen in öffentlicher Hand die Kampagne bestimmen. In Berlin ist die Enteignungsforderung auf große Resonanz gestoßen und prägt mittlerweile die öffentliche Diskussion über die Wohnungsnot und die Mietenexplosion in der Stadt.

Die im Parteivorstand vertretenen Genoss*innen mit guten Beziehungen zum „Rot-Rot-Grünen“ Senat in Berlin versicherten, dass auch der Landesverband Berlin der LINKEN diese Forderung unterstützen werde.

Mehr nachlesen und den Newsletter der Initiative zu bestellen kann man hier: https://www.dwenteignen.de/

 

Die „kleinen“ Punkte und Beschlüsse

 

Dem PV wurden die Rahmenwerte des Partei-Haushalts 2019 vorgetragen, die auf der kommenden Sitzung des für solche Beschlüsse zuständigen Bundesausschusses angenommen werden sollen. Insgesamt wird das Niveau der Einnahmen und Ausgaben aus dem laufenden Jahr gehalten werden.

 

Es wurde ein Beschluss zur Einführung eines elektronischen Dokumentmanagementsystems gefasst, damit in mittlerer Zukunft sämtliche Bereiche und Ebenen der Partei ein einheitliches Beleg- und Dokumentmanagement im Finanz- und Geschäftsgebahren anwenden können.

 

Der Ältestenrat der LINKEN wurde in neuer Besetzung berufen und der bisherige Vorsitzende, Hans Modrow, wurde auch zum neuen Vorsitzenden des Ältestenrates ernannt.

 

Ein überwiesener Antrag vom Parteitag zur Einführung einer Impfpflicht für Kinder wurde nach kontroverser Diskussion erneut vertagt. Es wird ein neuer Antrag formuliert, der auch den ökonomischen Aspekt der privaten Interessen der Pharmaindustrie an einer Ausweitung der Impfpraxis thematisiert und eine genauere Eingrenzung vornimmt, um welche Impfungen für Kinder es geht.

 

Ein von Mitgliedern der BAG „Grundeinkommen“ an den PV herangetragener Antrag, den Beschluss des PV zur Initiative eines Mitgliederentscheides zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“ vom Juni 2018 zurückzunehmen, wurde abgelehnt. Der anwesenden Antragstellerin wurde versichert, dass der Beschluss des PV in keiner Weise das Recht einschränkt oder sanktionieren soll, eine solche Initiative für einen Mitgliederentscheid nach Satzung der LINKEN zu ergreifen.

 

Der PV beschloss die Unterstützung der großen Klima-Demonstrationen am 1. Dezember 2018 in Berlin und Köln.

 

Dem PV wurde mitgeteilt, dass über die Frage einer eigenen Kundgebung der Berliner LINKEN im Rahmen der Liebknecht-Luxemburg Ehrung im Januar in der kommenden Woche mit den Veranstaltern der LL-Demonstration gesprochen werden soll.

 

EU-Wahl im Mai 2019

 

Der Parteivorstand berief den Parteitag zur Verabschiedung des EU-Wahlprogramms und die Vertreter*innen-Versammlung zur Wahl der Liste der Kandidat*innen für das Europaparlament für den 22./23. beziehungsweise den 24. Februar 2019 in Bonn im World Conference Center Bonn ein.

 

Dem PV lag eine überarbeitete Fassung einer „Strategie zur Europawahl“ vor. Sie wurde mit einigen Änderungen, die allesamt die Kritik an der realen EU schärfer formulieren sollten, mehrheitlich angenommen. Es gab 8 Enthaltungen und eine Gegenstimme von Thies Gleiss (Lucy Redler musste die Sitzung vor der Abstimmung verlassen, sie hätte auch dagegen gestimmt, wäre sie noch da gewesen).

 

Die strategische Verortung der LINKEN vor und bei dieser Europawahl will den Spagat versuchen, sich einerseits als scharfe Kritikerin der realen EU und ihrer vertraglichen Grundlagen, andererseits aber auch als Befürworterin einer europäischen Vereinigung im Rahmen einer veränderten EU darzustellen. Letzteres wollen in Teilen auch die anderen Parteien – der Begriff „Neustart der EU“ wird ja längst nicht mehr nur von der LINKEN, sondern auch von CDU, SPD und großer Teile der EU-Funktionärselite benutzt, auch wenn damit jeweils unterschiedliche Sachen verstanden werden. Die GRÜNEN zelebrieren sich selbst – gerade geschehen auf dem zeitgleich stattfindenden Europa-Parteitag in Leipzig – als die fröhlichste Pro-EU-Partei aller Zeiten. In der Diskussion wurde deshalb mehrfach darauf verwiesen, dass die GRÜNEN die Hauptkonkurrentin in unserem Wahlkampf sein werde und müsste.

 

Thies Gleiss verwies darauf, dass der oben beschriebene Spagat nicht gelingen könne. Die Präsentation der LINKEN als eine weitere wenn auch kritische Pro-EU-Partei muss beim großen Angebot der Originale in dieser Frage scheitern. In der Praxis, so die Vorhersage von Thies Gleiss, würde das gesamte Auftreten der LINKEN in diesem Wahlkampf von einer Kritik an der EU bestimmt sein. Deshalb sollte auch offen eine solche strategische Selbstverortung als Ausgangspunkt genommen werden.

Doch selbst wenn die LINKE damit doch Aufmerksamkeit erzielen könnte, so wäre das Projekt EU immer noch ein kapitalistisches Projekt. Die vielfach als steril abgetane Kritik, die EU wäre undemokratisch, neoliberal und militaristisch – entspricht ja heute noch mehr den Tatsachen als vor fünf Jahren. Die Debatten um das Aufrüstungsprojekt PESCO, oder um einen „stärkeren europäischen Militärbeitrag“ und öffentliche Inszenierungen, wie gerade das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges, bekräftigen den Wunsch der EU-Elite, sich als Militärmacht auch in den Augen ihrer Bürger*innen zu präsentieren – Militarismus ist das richtige Wort dafür.

Es gibt in der europäischen Linken eine breite Debatte, aber nicht mehr  zur „Reform“ der EU – an die glaubt fast kein Mensch in der Linken mehr – sondern zur Überwindung der realen EU von heute. An dieser Debatte sollte eine Wahlstrategie gerade der deutschen LINKEN anknüpfen. Nicht nur, weil dies politisch in Deutschland erforderlich ist und von allen anderen Parteien bekämpft wird, sondern auch, weil die Linke und die Menschen in den anderen Ländern Europas das von der deutschen LINKEN erwarten.

 

Es wurde auf dem PV (schon im Rahmen der politischen Allgemeindebatte am Anfang) auch berichtet, dass über diese Fragen harte Debatten innerhalb der EL geführt werden. Ob eine gemeinsame Strategie der Parteien der EL, der Parteien, die schon aus der EL ausgeschert sind und weiterer linker Kräfte in Europa zustande kommt, ist sehr fraglich. Mehr als ein formaler, pluraler Rahmen – das Stichwort heißt „konföderaler Charakter“ – ist kaum zu erwarten.

 

Dem Parteivorstand lag auch eine aktuelle Fassung des Programms zur EU-Wahl vor, um den Fortgang der Arbeiten daran zu dokumentieren. Auch darin spiegeln sich die Unklarheiten, wie die LINKE zur EU steht immer noch sehr stark wider. Über dieses Programm wird in der Dezembersitzung des PV beraten und beschlossen werden.

 

Am Rande

 

Selbstverständlich beschäftigte sich der PV auch mit der angespannten Lage in der Bundestagsfraktion, die nach der Gründung der Initiative „Aufstehen“ und ihrer Aktivitäten in der analogen Welt ja zu erwarten waren. Die meisten Debatten dazu fanden aber informell in den Pausen statt. Es lag ein Antrag und ein Ersetzungsantrag dazu vor, die sich mit dem Verhalten einzelner Abgeordneten und der Fraktionsdisziplin beschäftigten. Beide Anträge wurden nicht befasst. Es gibt eine bestehende Vereinbarung zum Verhalten der Abgeordneten. Ausdrücklich nicht lagen dem PV irgendwelche Anträge oder Initiativen vor, die den Ausschluss oder die Abwahl einzelner Abgeordneter forderten.

 

Und eine persönliche Bemerkung der Berichterstatterin und des Berichterstatters zum Schluss:

Bei den PV-Sitzungen werden die Sitzungsteilnehmer*innen immer mit gutem und ausreichendem Essen und Trinken versorgt. Das gibt sicher Sinn, auch wenn unser Hunger nach politischer Klarheit oft größer ist.

Aber es sollte dringend eine Regelung gefunden, dass bei diesem Catering Mehrwegglasflaschen benutzt werden und dass die Reste des Essens einer Berliner Tafel oder ähnlichen sozialen Einrichtungen zur Verfügung gestellt und nicht weggeschmissen werden. Gerade die hier dokumentierte Sitzung hat dies wegen der personellen Ausdünnung zum Ende sehr deutlich werden lassen.

 

12.11.2018, Lucy Redler, Thies Gleiss

 

 

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