Was kommt nach SYRIZA?

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Sparpolitik ohne Ende. Zur Situation in Griechenland. Von Dimitris Mitropoulos, LAE (Linke „Volkseinheit“ Griechenlands)

Die erste Frage, die wir beantworten müssen: Aus welchen Facetten setzt sich das aktuelle Bild zusammen und wie lässt sich die Entwicklung in Griechenland beschreiben?

Erstens wird Griechenland über Jahrzehnte hinweg eine neuzeitliche Schuldenkolonie der EU bleiben.

Die jüngste Übereinkunft zwischen der griechischen Regierung und der Troika hat nicht zu einer Entscheidung über die griechischen Staatsschulden geführt, sieht aber bis zum Jahr 2060 einen Haushaltsüberschuss zwischen 2,5 und 3,5% vor, um die erforderlichen Mittel zur Rückzahlung einer Schuldenlast aufzubringen, die in erster Linie von den Banken selbst geschaffen und vermehrt wurde, um ihr eigenes Überleben zu sichern.

Dies bedeutet Sparpolitik ohne Ende, wenn auch in geringerem Maße, als wir dies in den vergangenen sieben Jahren erlebt haben. In jedem Fall aber ein Sparprogramm, das auf den Ruinen einer Volkswirtschaft errichtet wird, die 25% ihres BIP verloren hat.

Das Hauptopfer der Sparpolitik ist der Sozialstaat: die Schulen, die Krankenhäuser, die Sicherheitskräfte. Der Mangel an Personal und Infrastruktur zeigte sich bereits bei den jüngsten Waldbränden im Sommer. Drei Flugzeuge taten ihr Möglichstes, um mehr als 80 Brände in ganz Griechenland zu löschen. Andere Maschinen waren nicht flugfähig, da der Staat nicht bereit war, in ihre technische Instandhaltung zu investieren.

Es zeichnet sich deutlich ab, dass Griechenland infolge der anhaltenden Sparmaßnahmen Gefahr läuft, zu einem zerfallenden Staat zu werden.
Überdies bedeutet die Existenz als neuzeitliche Schuldenkolonie zugleich einen Verlust an Staatshoheit und Volkssouveränität.

Griechenland wird für einen Zeitraum von fast 40 Jahren fortwährend unter Aufsicht gestellt – eine Aufsicht, die strenger ausfällt als diejenige, die im Stabilitätspakt für die übrigen Mitgliedsstaaten des Euroraums vorgesehen ist. Die Gründe dafür sind, dass die Haushaltsauflagen verschärft wurden, um Überschüsse zu erzielen, und dass die griechischen Schulden nicht tragfähig sind.

Die Märkte werden die geringste Abweichung bei der Tilgung der Schulden mit Zinserhöhungen ahnden. Die Gefahr einer neuerlichen Blockade durch die Märkte und neuer Memoranden wirkt wie ein ständiger und fast automatischer Aufsichts- und Disziplinierungsmechanismus.

Dennoch wird Tsipras die Gelegenheit erhalten, eine weitere Erfolgsgeschichte zu präsentieren, vergleichbar derjenigen, die Samaras im Jahr 2015 präsentiert hatte: Erstmals ein leichter Aufschwung nach acht Jahren Rezession, begleitet von einer Vereinbarung zu Schuldentilgung nach den Bundestagswahlen, insbesondere mit Blick auf die Jahre 2021- 2024, wenn die fälligen Staatsanleihen die wirtschaftlichen Fähigkeiten übersteigen, was selbst bei einem jährlichen Haushaltsüberschuss von 5-6% der Fall sein dürfte.

Auf diese Weise wird Tsipras versuchen, bei den nächsten Wahlen seine Haut zu retten, nach Ablauf von einem bis eineinhalb Jahren. Der entscheidende Punkt an dieser Stelle ist aber, dass die Regierung das dem Land auferlegte neokoloniale Regime faktisch bis zum Jahr 2060 verlängert hat.

Zweitens ist ein prägendes Merkmal der aktuellen Lage in Griechenland eine eigentümliche gesellschaftliche und nationale Depression nach der Niederlage der Anti-Memorandums-Bewegung im Jahr 2015.

Die um sich greifende Armut, die Ausweglosigkeit, der sich viele Familien wegen hoher Arbeitslosigkeit oder Steuererhöhungen gegenübersehen, trifft sich hier mit dem völligen Fehlen einer positiven Zukunftsperspektive.

Die Griechen sind von der EU bitter enttäuscht, glauben jedoch nicht daran, dass es eine Lösung geben wird. Mehrere Umfragen lassen eine positive Einstellung gegenüber dem politischen Anliegen erkennen, das Land aus der Eurozone zu führen. Die Griechen sind jedoch nicht der Ansicht, dass es politische Kräfte gibt, die das Land verlässlich leiten könnten, ohne es ins Chaos zu stürzen.

Die Machtusurpation von Tsipras im Jahr 2015 hat nicht nur zu einem weiteren Memorandum von Sparmaßnahmen geführt. In der Folge wurde vor allem der Kampfgeist der kleinen Leute niedergedrückt, die anfangs den Mut hatten, den Märkten und dem antidemokratischen Monster der EU ihr lautes „Nein“ entgegenzuschleudern.

Es ließ die Menschen in dem Glauben, dass es keinen anderen Ausweg und keine andere Lösung gebe als die der beschämenden Aufsicht und der nicht enden wollenden Sparpolitik. So versucht sich jeder allein mit diesen Lebensumständen abzufinden.

Damit nicht genug, führte dies zur Demütigung der Linken. Im Zeitraum zwischen 2010 und 2015, fünfundzwanzig Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, war Griechenland die Chance der europäischen Linken, ihre verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, den Imperialismus zu bekämpfen und die nationale Würde und Volkssouveränität zugunsten der Völker und gegen Projekte der imperialistischen Integration wie beispielsweise die EU zu behaupten.

Dies ist Tsipras’ größtes Verbrechen, nicht etwa die von ihm umgesetzte neoliberale Politik. Im Jahr 2015 stieg das griechische Volk auf die Barrikaden, kampfbegierig und bereit zur Konfrontation. Heute sind dieselben Menschen beschämt und enttäuscht.

Der dritte Aspekt ist ein politisches System, das sich irgendwo zwischen Lächerlichkeit und Dekadenz bewegt. SYRIZA und Nea Dimokratia gehen aufeinander los wie zwei Boxkämpfer im Ring, nur um eine falsche Polarisierung zu belanglosen Themen zu erzeugen wie etwa der Frage, wo Spitzenpolitiker ihren Urlaub verbracht haben oder ob Sekundarschüler vor dem Unterricht ein Gebet sprechen sollten.

Andererseits sind sie fast völlig einer Meinung in Fragen der Privatisierung, Destabilisierung von Arbeitnehmerrechten, Einschnitten bei der Altersversorgung, Außenbeziehungen und der NATO- und israelfreundlichen Ausrichtung des Landes. Die Rechte lässt sich niemals die Chance entgehen, die neoliberale Gegenrevolution bis an ihre Grenzen zu treiben, solange sie niemand anderen als SYRIZA zum Gegner hat. Sie setzt antikommunistische Rhetorik ein und bezieht extreme Positionen, unterstützt beispielsweise die Privatisierung von Wäldern oder die Abschaffung antineoliberaler Hürden für Unternehmen, die in Griechenland investieren wollen.

Die Folge ist, dass wir es hier mit einem politischen System zu tun haben, das die Menschen vor den Kopf stößt und vor allem bei jungen Leuten für Politikverdrossenheit sorgt. Denn all diese Querelen im Parlament und in den Medien haben nicht das Geringste zu tun mit Lösungen für gravierende Probleme wie Arbeitslosigkeit, unerträglicher Steuerlast, Niedriglöhnen, der Zerschlagung des Gesundheitssystems und einem Parlament, das die Forderungen der Gläubiger nur noch abnickt.

Was sind in dieser Lage die Aufgaben der Linken und der Widerstandskräfte?

Wir befinden uns in einem anderen Zeitalter, eine Zeit geht zu Ende. In den vergangenen Jahren, im Zeitraum von 2010 bis 2015, gelang es im Kampf gegen die Memoranden, das Volk zu einen und dem Widerstand gegen die EU und die Oligarchie eine Stimme zu verleihen.

Heute trifft dies nicht mehr zu; die Realität sieht so aus, wie sie oben geschildert wurde. Wir brauchen neue Initiativen und eine gewaltige Anstrengung, um die griechische Volksbewegung wiederaufzubauen.

Erstens brauchen wir einen neuen Einigungsprozess zwischen den anti-neoliberalen Kräften, der Linken und dem breiteren demokratischen Spektrum, die sich darin einig sind, dass Anti-Neoliberalismus ohne einen Plan für den Austritt aus der EU und dem Euroraum, ohne Rückforderung der Staatshoheit und Volkssouveränität nicht bestehen kann. Als LAE (Partei der Volkseinheit) sind wir bereit, diese Initiative gemeinsam mit anderen politischen Kräften zu ergreifen.

Zweitens brauchen wir einen Plan für die gesellschaftliche Mobilisierung. Keine politische Entwicklung ist jemals ohne Widerstandsbewegungen möglich. Im Laufe des Jahres 2017 hat die Regierung bereits Schritte für den Verkauf des Hafens von Thessaloniki unternommen. Weitere Privatisierungen sind im Gange. Die Zwangsversteigerung von Privathäusern durch die Banken steht ebenfalls bevor. Unternehmen und Fabriken werden derweil an multinationale Konzerne verkauft. Griechischer Grund und Boden wird 99 Jahre lang unter der Aufsicht der von der Troika verwalteten Privatisierungsfonds stehen! Das ganze Land wird verkauft. Entlang dieser Achse muss sich die Widerstandsbewegung im Grunde orientieren.

Drittens brauchen wir ein vom Volk getragenes Sofortprogramm für Nachforderungen und Änderungen. Die drei Bausteine unseres Programms (Einstellung des Schuldendienstes, Austritt aus der Eurozone, Verstaatlichung der Banken) sind und bleiben unser Herzstück, doch das Volk stellt heute die Frage nach dem Austritt nicht mehr. Daher reichen die alten Forderungen nicht mehr aus.

Wir brauchen ein Sofortprogramm gesellschaftlicher Forderungen im Hinblick auf Löhne, Altersversorgung, Arbeitnehmerrechte, ein Programm zur Stärkung des Sozialstaats und ein Programm zur Wiedererlangung unserer Staatshoheit und Volkssouveränität von Brüssel und Berlin.

Viertens: Sämtliche oben genannten Punkte sind zwecklos, wenn wir vergessen, dass das Grundproblem der Linken nach 2015 ihre mangelnde Glaubwürdigkeit ist. Das griechische Volk traut heute niemandem mehr, ja betrachtet alle politischen Kräfte mit Argwohn, nachdem es von SYRIZA getäuscht wurde. Die Menschen sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Linke zwar schöne Worte macht, praktisch jedoch genauso handelt wie die Neoliberalen.

Daher genügt es nicht, sich auf ein bestimmtes Programm zu einigen. Ohne Programm steuern wir auf den Opportunismus zu, und ohne Einheit können wir nichts bewirken; wir sollten also beide nicht außer Acht lassen. Aber zugleich müssen wir begreifen, dass das Hauptproblem der griechischen Linken unsere mangelnde Glaubwürdigkeit ist, die wir so schnell nicht wiedergewinnen werden, so enttäuscht wie die Menschen von uns sind.

Die Kommunistische Partei kümmert sich darum nicht im Geringsten. Sie begnügt sich mit einem Stimmenanteil von rund 5-6%, was vor allem historisch bedingt ist. In Wahrheit beteiligt sie sich bewusst nicht am politischen Kampf. Sie lehnt jegliche Zusammenarbeit ab, hält die Anerkennung des Sozialismus für eine unabdingbare Voraussetzung und hat das Ringen um staatliche Unabhängigkeit unterschätzt.

Die Mehrheit der ANTARSYA (Partei Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz) hat bereits klar zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Raum für eine politische Zusammenarbeit sieht. Vor zwei Jahren geschah dies unter dem Vorwand, wir als LAE seien nicht eindeutig gegen die EU. Nach unserem Landesparteitag, auf dem wir unsere Position für einen Austritt aus der EU klargestellt hatten, lautete die Ausrede, wir würden nicht gegen den Kapitalismus kämpfen.

Die Realität der griechischen Linken erschwert uns die Arbeit und verstärkt zugleich das wenig vertrauenswürdige Image der Linken. Das Problem ist jedoch nicht nur die Einheit. Dies ist tatsächlich nur ein Aspekt. Der andere ist die Art und Weise, mit der wir Politik betreiben. Schauen wir doch, wie Podemos, La France insoumise oder Grillo, trotz aller Unterschiede, das politische Terrain erobert und es geschafft haben, eine politische Dynamik zu entfesseln. Das Potenzial war vorhanden, es wurde nur von den Kräften der revolutionären Linken nicht genutzt. Warum?

Gestatten Sie mir drei Bemerkungen, die aus unserer Sicht für Griechenland entscheidend sind und anhand derer wir versuchen, die folgende Frage zu beantworten: Was kommt nach SYRIZA?

Erstens gibt es keine politische Kraft, die aus einer links-progressiven Richtung politisch intervenieren kann, ohne die zentrale Frage nach dem Verhältnis zur EU aufzuwerfen. Das wiederum bedeutet, auch die Frage nach der Zersetzung von Staatshoheit und Volkssouveränität zu stellen. Wenn es darum geht, stellt sich die europäische Linke taub.

Nichts brauchen wir heute dringender als ein Bündnis gegen die EU, begleitet von einem Plan zur Wiedereinführung unserer eigenen Landeswährung.

Zweitens sind es nicht nur die Arbeitnehmer, die vom Voranschreiten der neoliberalen Globalisierung und von der EU betroffen sind. Schauen wir uns an, was mit der EU selbst im Laufe der Krise geschehen ist.

Die Arbeitnehmer haben verloren, der Mittelstand hat verloren, zugleich aber wurden ganze Länder vom deutschen Kapital und den Märkten gedemütigt. Es bleibt Raum genug, um ein breites Bündnis der „Globalisierungsverlierer“ zu schmieden.

Wir sprechen nicht über ein linkes oder antikapitalistisches Bündnis, das direkt auf den Sozialismus zusteuert, sondern von einem Bündnis demokratischer Kräfte, das sich auf den Kampf gegen den Imperialismus von heute konzentriert und dessen zentrales Anliegen die Frage der Souveränität von Nationalstaaten ist, die wir an unkontrollierbare Zentren und internationale Organisationen verloren haben.

Dies gilt umso mehr für die südlichen Länder. Das Souveränitätsproblem und seine Lösung sind offensichtlich mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden. Dazu genügt ein Blick auf die Situation in Griechenland oder auch in Venezuela.

Drittens müssen wir feststellen, dass der altmodische politische Diskurs und die alten Gewohnheiten heute nicht mehr funktionieren. Neue Gesichter, eine verlässliche Führung, neue Persönlichkeiten und eine einfachere Sprache sind notwendig, um die so genannten Globalisierungsverlierer anzusprechen. Wenn sich die Linke mit dem üblichen Tempo bewegt, werden andere Kräfte auf den Plan treten und den politischen Raum für sich einnehmen.

Das ist die Debatte, die wir heute in Griechenland führen sollten, um ein neues, befreiendes politisches Anliegen zu formulieren, das mehr beinhaltet als nur die Wiederverwertung alter Führungsriegen und Figuren der SYRIZA der Vergangenheit.

Historische Analogien sind nicht immer gelungen. Da wir in diesem Jahr aber den hundertsten Jahrestag der Oktoberrevolution feiern, sollten wir uns daran erinnern, dass die Niederlage von 1905 gefolgt war von einer langen Phase der Enttäuschung und dem Rückzug der Volksbewegung.

Wir können zwölf Jahre lang warten. Noch besser wäre es aber, wenn wir jetzt damit beginnen würden, das politische Anliegen voranzubringen, das wir brauchen, um unser Land, ein als Schuldenkolonie unterjochtes Land, zu befreien. Wir als Volkseinheit werden uns für dieses Ziel einsetzen.