Niedersachsen braucht eine sozialistische Opposition!

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Zum Entwurf für das niedersächsische Landtagswahlprogramm der LINKEN

von Heino Berg

Der heute mit der Einladung zu einem landesweiten Ratschlag an die Mitglieder des Landesverbandes verschickte Entwurf für das Landtagswahlprogramm ist aus meiner Sicht eine sehr gute Grundlage für die weiteren Beratungen. Das gilt für die meisten Detailforderungen zur Landespolitik.

Im wichtigen Bereich der Flüchtlingspolitik sollte jedoch in Zeile 1120 die „Aussetzung der Abschiebung Geflüchteter“ in die „Ablehnung jeglicher Abschiebungen“ und „ein Bleiberecht für alle Geflüchteten“ entsprechend dem beschlossenen Leitantrag des Osnabrücker Landesparteitags geändert werden.

Im Kapitel zur Europapolitik fällt der beschönigende Hinweis, dass sich die „EU immer weiter von unserer Vorstellung eines solidarischen Europas entfernt“, weit hinter die Beschlusslage der Gesamtpartei zurück. An dieser Stelle sollte zumindest die vom Magdeburger Bundesparteitag beschlossene Charakterisierung der EU als „neoliberal, antidemokratisch und militaristisch“ aufgenommen werden.

Im Kapitel zum Kampf gegen rechtspopulistische Bewegungen und Parteien gibt es ebenfalls Ergänzungsbedarf, da hier die AfD kaum erwähnt oder gar Strategien für ihre Bekämpfung skizziert werden. Die Unterstützung „für breite gesellschaftliche Bündnisse, die sich Nazis in den Weg stellen“ reicht hier keinesfalls aus. Wir müssen deutlich machen, dass die regierenden Parteien mit ihrer ausländerfeindlichen und unsozialen Politik den Nährboden für den Aufschwung von rechtsradikalen Parteien geschaffen haben und daher – trotz ihrer Konkurrenz zur AfD – als solche keine Bündnispartner für den Kampf gegen diese Tendenzen darstellen können.

Auffällig ist ferner, dass der WP-Entwurf zwar die ungerechte Verteilung des Reichtums kritisiert und dagegen richtigerweise Bundesratsinitiativen für Änderungen in der Steuerpolitik verlangt, die Quelle für die wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und fast alle anderen angesprochenen Probleme, nämlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln, also die Systemfrage jedoch unerwähnt läßt. Die LINKE sollte als sozialistische Partei zu den Wahlen antreten. Ihr Ziel ist nicht nur die Abwehr von weiteren Privatisierungen und die Übernahme von Einrichtungen der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand. Das gilt – wie der Bundesvorstand gerade erst auf Antrag der AKL für das Bundestagswahlprogramm beschlossen hat – auch für die Schlüsselindustrien, zu denen der für Niedersachsen besonders wichtige Automobilsektor gehört.

Die Rolle der rotgrünen Landesregierung im sog. „Abgasskandal“ von VW wird im bisherigen Entwurf weitgehend ausgeblendet. Hier sollten Forderungen zur vollständigen Überführung der Automobilkonzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle durch die Beschäftigten und Umweltverbände ergänzt werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Beschäftigten bei VW und in den Zulieferindustrien mit ihren Arbeitsplätzen für die Verbrechen der Manager und Aufsichtsräte (auch in der rotgrünen Landesregierung) bezahlen müssen.

Das Hauptproblem des WP-Entwurfs besteht jedoch nicht in seinen Forderungskatalog, sondern in fehlenden Antworten darauf, wie Die LINKE unter den gegebenen gesellschaftlichen und parlamentarischen Kräfteverhältnissen deren UMSETZUNG angehen will. Genau das ist aber die zentralen Frage, die uns nicht nur an den Infoständen von unseren potenziellen WählerInnen, sondern auch durch die Presse gestellt werden wird. Hier bleibt der Wahlprogrammentwurf Antworten schuldig und weicht in Beliebigkeit aus, wenn im Vorwort lediglich Folgendes zu lesen ist: „DIE LINKE Niedersachsen hat seit ihrer Gründung bewiesen, auf welcher Seite sie steht und welche Interessen sie vertritt- nicht an der Seite der Privilegierten in dieser Gesellschaft sondern auf der Seite der Benachteiligten. Daran wird sich auch nichts ändern, egal, ob die LINKE im Parlament in der Opposition ist, Regierungsmitverantwortung übernimmt oder eine Minderheitsregierung tolerieren sollte.“

Jeder weiß, dass 99% der Forderungen dieses Wahlprogramms niemals die Unterstützung der Parteien finden werden, welche zur Zeit die rotgrüne Landeskoalition in Hannover bilden. Eben deshalb stehen sie ja im Wahlprogramm der LINKEN. Eben deshalb wird die LINKE auch in Niedersachsen als Oppositionspartei gebraucht: Außerhalb der Parlamente in Widerstandsaktionen gegen die Kürzungspolitik, aber auch, wenn der Wiedereinzug in den Landtag gelingen sollte. Selbstverständlich „kann“ auch eine linke Partei grundsätzlich regieren, aber nur gestützt auf die Mobilisierung der Betroffenen und zusammen mit Koalitionspartnern, die mit uns zumindest in die gleiche Richtung marschieren wollen. SPD und Grüne haben jedoch bewiesen, dass sie im Zweifel nicht auf der Seite der Lohnabhängigen und Arbeitslosen stehen, sondern die Interessen der Konzerne verteidigen. Ihre Führungen stehen – zusammen mit CDU, AfD und FDP – im Klassenkampf, der auch den Hintergrund von Wahlkämpfen bildet, definitiv auf der anderen Seite der Barrikade.

Deshalb kann die LINKE mit ihnen keine Regierungsveranwortung teilen oder dies in Aussicht stellen, ohne ihre im Wahlprogramm aufgelisteten Forderungen zu reinen Lippenbekenntnissen zu degradieren. Dort, wo die LINKE wie in Brandenburg, Berlin oder in Thüringen sogar führend an Landesregierungen beteiligt ist, kann von der Erfüllung der niedersächsischen Wahlprogrammforderungen nicht einmal annähernd die Rede sein. Linke Minister praktizieren dort das exakte Gegenteil: Abschiebungen, Polizeieinsätze gegen Sitzblockaden bei Neonazi-Demos, sogar die indirekte Zustimmung zur Autobahnmaut im Bundesrat. Wir können diese Tatsachen im Bundestags- und im niedersächsischen Landtagswahlkampf nicht ignorieren. Wenn wir – wie im Vorwort versprochen – „immer an der Seite der Benachteiligten stehen“, müssen wir Abschiebungen auch dann verurteilen, wenn sie mit Zustimmung von Parteigenossen erfolgen. Und wir müssen Regierungsbeteiligungen ausschließen, wenn sie nur durch einen Wahlbetrug zu ergattern wären.

Mit der oben zitierten Passage des WP-Entwurfs will die niedersächsische LINKE nicht als Opposition zum neoliberalen Parteienbrei in den Landtag einziehen, sondern sich die Option auf eine Regierungsbeteiligung unter Weil ausdrücklich offen halten. Mit dem gleichen Anspruch ist sie bei den letzten Landtagswahlen rausgeflogen, weil die WählerInnen dann lieber gleich die SPD gewählt haben. Das Vorwort listet unter den – anscheinend beliebigen – Möglichkeiten neben „Opposition und Regierungsmitverantwortung“ auch die „Tolerierung einer rotgrünen Minderheitsregierung“ auf. Sowohl Koalitions-, als auch dauerhafte Tolerierungsverträge mit den neoliberalen Parteien SPD und Grünen wurden jedoch in der fast einstimmig verabschiedeten Entschließung der niedersächsischen Landesvertreterversammlung in Wolfsburg ausdrücklich abgelehnt. Ausgerechnet die von den Basisdelegierten in Wolfsburg befürwortete „Einzelfallunterstützung“ von möglicherweisse fortschrittlichen Maßnahmen einer rotgrünen Minderheitsregierung aus der Opposition heraus, die auf Antrag der AKL übrigens schon in das Landtagswahlprogramm 2013 aufgenommen, aber dann ignoriert wurde, taucht im aktuellen WP-Entwurf bislang nicht mehr auf und sollte daher beim kommenden Landesparteitag zurückgeholt werden.

Mit dieser Schlüsselpassage steht und fällt die politische Glaubwürdigkeit dieses insgesamt durchaus überzeugenden Wahlprogramms der niedersächsischen LINKEN. Denn was nützt die seitenlange Auflistung richtiger Forderungen, wenn sie dem Finanzierungsvorbehalt der Schuldenbremse und dem Plazet von neoliberalen Koalitionspartnern ausgeliefert werden?

Heino Berg, 3.4.17