Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden. Die Linke und das Regieren.

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Buchrezension von Anke Agnelli

Mit Alexandre Millerand, der im Jahr 1899 in Frankreich in die Regierung Waldeck-Rousseau eintrat, fing die Kontroverse an. Für Rosa Luxemburg machte er sich damit als Sozialist zur Geisel einer bürgerlichen Regierung. Seitdem wird die Teilnahme von Linken an bürgerlich dominierten Regierungen als «Millerandismus» oder «Ministerialismus» kritisiert.

Natürlich wollten auch Rosa Luxemburg, W.I.Lenin und Leo Trotzki, dass die sozialistische Linke an die Regierung kommt – aber nur im direkten Zusammenhang mit der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, die mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten verbündeten abhängig Beschäftigten.

Seitdem gibt es eine ganze Reihe von Erfahrungen mit linken Parteien an der Regierung, die die kapitalistische Klassenherrschaft nicht in Frage stellten, und mit linken Regierungsbeteiligungen, die zu herben Glaubwürdigkeitsverlusten und Schwächungen der Linken geführt haben. Am Anfang standen jeweils große Hoffnungen und Erwartungen, so z.B. bei der brasilianischen Arbeitspartei (PT), bei der italienischen Rifondazione Comunista und zuletzt bei der griechischen SYRIZA. Dasselbe gilt auch für die – nach heutigen Maßstäben linkssozialdemokratischen – Anläufe in den skandinavischen Ländern und für die Regierungsbeteiligungen der PDS und später der Partei DIE LINKE auf Landesebene in Deutschland.

Es ist dennoch falsch, mit Verweis auf Massenbewegungen, Massenstreiks und erwünschten Rätebewegungen die politische Ebene rechts liegen zu lassen. Linke sind gut beraten, wo immer möglich, in den Parlamenten zu arbeiten. Dort gilt es, aus der Opposition heraus nicht nur Propaganda zu machen, sondern auch für konkrete Verbesserungen im Interesse der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Ausgegrenzten zu streiten. Linke Mandate müssen nach dem Vorbild von Karl Liebknecht als Mittel der Aktivierung und Mobilisierung der Massen genutzt werden. Das Bedürfnis großer Teile der linken Wählerschaft, dass Linke auch auf die Regierungsebene Einfluss nehmen, ist jedoch unbestreitbar.

Aber wie können Linke auf dieses Bedürfnis eingehen, ohne die eigenen sozialistischen Grundsätze aufzugeben? Die ständige Wiederholung dieser Grundsätze reicht dafür offensichtlich nicht aus. Die Kunst besteht wohl darin, linke Positionen sehr konkret auf Forderungen und Vorschläge für eine grundlegende Verbesserung der Lage und der Zukunftsperspektiven der großen Mehrheit der Bevölkerung zuzuspitzen, deren praktische Verwirklichung mit dem Fortbestehen der Macht des Kapitals nicht vereinbar ist. Zugleich ist es wichtig klarzustellen, dass solche Forderungen nur mit einer breiten Bewegung von unten durchgesetzt werden können.

Der vorliegende Sammelband gibt einen parteiischen  und doch umfassenden Überblick über die Debatte zur linken Regierungsbeteiligung. Deutsche und internationale Autorinnen und Autoren behandeln dort einschlägige Erfahrungen vom Ende des 19.Jahrhunderts bis in die jüngste Zeit. Ein Höhepunkt der Positionsbildung war die Debatte über «Einheitsfront» und «Arbeiterregierung» auf dem III. und IV.Kongress der Kommunistischen Internationale 1921 und 1922, wo es um die Frage ging, wie die Mehrheit der Arbeiterklasse für den Kommunismus gewonnen werden kann.

Der Haltung und dem Handeln der PDS und der Partei DIE LINKE ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Stellungnahmen oder Diskussionsbeiträge verschiedener Vertreterinnen und Vertreter des linken Flügels der Partei (im weiteren Sinne des Wortes) schließen das Buch ab. Außerdem wird der Aufruf der Antikapitalistischen Linken (AKL) vom November 2013 unter der Überschrift «Mittendrin im Widerstand» in Auszügen dokumentiert.

Das  Buch verdient Beachtung in der Linken insgesamt, innerhalb wie außerhalb der Partei. Die geschichtlichen und zeitgenössischen Erfahrungen, die hier nachgezeichnet und ausgewertet werden, sind das Material für die heutigen linken Strategiedebatten. Zwar wiederholt sich Geschichte nicht einfach. strukturelle Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten über Jahrzehnte hinweg gibt es dennoch in ausreichendem Maße.

Die Autorinnen und Autoren wiederholen auch keineswegs dauernd dieselben Argumente. Sie äußern durchaus eine gewisse Bandbreite von Positionen. So wird die Politik der Linksfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen 2010–2012 zumindest teilweise unterschiedlich beurteilt. Überschätzte die Fraktion, was mit SPD und Grünen erreichbar war und machte sie sich letztlich erpressbar? Oder blieb sie sich mit ihrer Taktik der «wechselnden Mehrheiten» treu, anstatt sich an ihre Mandate zu klammern? Das Urteil darüber kann den Leserinnen und Lesern des Buchs überlassen werden.

Zuerst veröffentlicht in: Sozialistische Zeitung SoZ, März 2017