THESEN ZUR AKTUELLEN KRISE DER EU

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AKL-Konferenz vom 28.01.2017 in Düsseldorf

Einleitungsthesen von Thies Gleiss

 

1.

Die EU ist keine „linke Idee“ (wie von vielen Führungsleuten der LINKEN kolportiert), sondern war immer ein Vertragswerk des europäischen Kapitals zur Sicherung der Profite und zur Organisierung des Konkurrenzkampfes. Dieses Vertragswerk hatte immer auch eine mitklingende Note des Kalten Krieges und des Antikommunismus.

2.

Dieses kapitalistische EU-Projekt ist das wichtigste Herrschaftsprojekt des europäischen Kapitals. Mit ihm wurde die Hoffnung verbunden, eine neue lang anhaltende Periode von Wachstum, Kapitalakkumulation und auch – weil das zur Stabilität nun mal dazugehört – Akzeptanz und Legitimation bei der einfachen Bevölkerung zu erreichen.

3.

Dieses Projekt hatte immer große innere Widersprüche. Sie haben die EU die gesamte Zeit begleitet: Die EU ist NICHT die Aufhebung der innereuropäischen Konkurrenz der Konzerne, sondern der stark von außen diktierte Umgang mit ihr, im gewissermaßen das ideelle Gesamtinteresse des europäischen Kapitals. Trotzdem hinkt die Entwicklung eines europäischen Staates als Apparat dieses ideellen Gesamtinteresses immer hinter den politischen Notwendigkeiten zurück.

Die EU hat nicht die tief sitzenden Nationalismen überwunden (die immer wieder auch für kurzfristige Interessen der Einzelkonzerne mobilisiert wurden und werden) und sie hat mit Militär-, Steuer- und Sozialpolitik drei wichtige Felder stark aus den Vereinheitlichungsbemühungen ausgeklammert, beziehungsweise nur schleppend mit entwickelt.

4.

Trotzdem bestand der Druck, die EU immer weiter zu verfestigen. Neben dem ökonomischen Druck der Globalisierung der Ökonomie und der Verschärfung des weltweiten Konkurrenzkampfes , kam ab 1990 der politische Druck hinzu, die EU (einschließlich der Einführung des Euros als Währung) zu beschleunigen, um einen Durchmarsch des vereinigten kapitalistischen Deutschlands zu verhindern.

5.

Dieses auf diese Weise verzerrte und verfrühte EU-Projekt war dennoch fast zehn Jahre ein Erfolgsmodell, vor allem auf Grund der fast schrankenlosen Verschuldung- und Kredit-Ökonomie, die selbst die unproduktivsten Sektoren noch mit den Aufwärtsstrom hineinzogen.

Mit der – auch für das Kapital überraschenden, zumindest überraschend tiefen – weltweiten Finanzkrise wurde dieses Erfolgsmodell abrupt beendet. Die EU geriet in eine existenzielle Krise, die bis heute anhält.

6.

Diese Krise bezieht sich auf die Kernelemente des EU-Projektes: Die Einheitswährung Euro; die Artikulierung eines ideellen Einheitsinteresses beim Kapital und der Aufbau eines europäischen Staates; die Effizienz der europäischen Behörden; das Stocken in der Weiterentwicklung einer europäischen Militärpolitik; der unlösbaren schweren Demokratiedefizite in der EU und als letztes – all diese Krisenfaktoren zusammenfassend – eine fast finale Legitimationskrise bei der europäischen Bevölkerung.

Von einem Hoffnungsprojekt des europäischen Kapitals ist es zu einem Fass mit vielen Löchern im Boden geworden, das in den Augen der Mehrheit der Bevölkerung nicht als Versprechen, sondern als Bedrohung wahrgenommen wird.

Diese Krisenpolitik der EU hat dazu geführt, dass die EU „ihre Unschuld verloren hat“. Gegenüber Griechenland, Portugal, Spanien u.a. hat die EU eine verbrecherische Politik durchgeführt, der durch Massenmobilisierung und linke Aufklärung direkt in den Arm gefallen werden muss.

7.

In dieser Notlage haben die europäischen Regierungen und Einzelkapitale – zwar unterschiedlich heftig, aber eigentlich alle – an der einzigen Notbremse gezogen, die im europäischen Vehikel angebracht wurde: Der Rückgriff auf nationale Entscheidungen und Förderung der jeweiligen Nationalismen, um diese nationalen Entscheidungen abzusichern. Statt Beethoven-Hymne und Sternenbanner der EU wurden plötzlich wieder die Nationalhymnen und Fahnen geschwenkt und verehrt. Die wichtigsten EU-Vertragsversprechen wurden reihenweise gebrochen und der Bruch wurde geduldet: Der Stabilitätspakt; die Spar- und Verschuldungsdiktate; protektionistische Maßnahmen für die heimischen Konzerne; das Schengen-Abkommen, um die Migranten abzuwehren usw.

Die großen GewinnerInnen bei dieser Notbremsung waren die deutsche Regierung und das deutsche Kapitals. Von nun an wird in Europa Deutsch gesprochen.

8.

Gleichzeitig wurden die schon immer bestehenden Demokratie-Defizite der EU in der Krise rücksichtslos verschärft: Die EU wandelte sich zu einem Kombinat der Banken und Konzerne, das mit Dekreten, Sondervereinbarungen, die im stillen Kämmerlein abgeschlossen wurden und mit permanenten Ausnahmeregelungen operierte. Treibende Kraft war dabei die deutsche Regierung.

Diese Entdemokratisierung kennt keine Grenze. Selbst souveräne Parlamentsentscheidungen einzelner Mitglieder wurden faktisch umgangen oder gar politisch als unerwünscht erklärt.

9.

Auf diesem Hintergrund, und in dieser Reihenfolge, wurde den rechten und nationalistischen Parteien und Gruppen in Europa ein Jahrhundertthema auf dem Präsentierteller gereicht. Der Aufschwung der rechten Parteien – die in einer immer offener und globalisierter werdenden Welt jahrelang ein Kümmerdasein als Gestrige geführt haben – ist durch die Krise der EU und die Reaktion der EU-Architekten auf diese Krise erst ermöglicht, oft sogar direkt gepuscht worden. Dabei sind viele der rechten Parteien gar nicht gegen die EU, sondern nutzen nur die Krise der EU aus.

Mit der großen Anzahl von Flüchtenden haben die EU-Regierungen die letzten Hemmungen zur Rückkehr zum Nationalismus abgelegt. Sie arbeiten mehr oder weniger offen mit den Ultra-Nationalisten und Rassisten Hand in Hand, um die letzten Reste der Festung Europa vor dem Ansturm der Armen aus aller Welt abzuschotten.

10.

Die aktuelle Kritik an der EU, schon gar nicht die von links, ist deshalb keine „Rückkehr“ zum Nationalismus, sondern die Mobilisierung der sozialen Kräfte, die dem zentralen Projekt des europäischen Kapitals den Todesstoß verpassen können.

Die Kritik der Rechten an der EU ist deshalb im Grunde auch keine Rückkehr zum Nationalismus (obwohl sie natürlich gerne und viel historische Bezüge aufgreifen), sondern das klassische Angebot kleinbürgerlicher, prä-faschistischer Kräfte an die große Bourgeoisie, das von ihr selbst angeleierte Krisenmanagement viel konsequenter und rücksichtsloser durchführen zu wollen und zu können.

11.

Die Protestbewegungen der Menschen gegen die EU, die Referenden in diversen Ländern, einschließlich des Brexit in Britannien, haben deshalb heute immer auch ein fortschrittliches Element. Es ist Aufgabe der Linken, dieses fortschrittliche Element zu stärken und sich mit dieser Zielsetzung an den Bewegungen gegen die EU zu beteiligen. Keine der Protestbewegungen gegen die EU hat den Einfluss der Rechten ausgelöst und auch nur wenige haben die rechten Kräfte nachhaltig gestärkt.

12.

Aufgrund dieser Entwicklung ist heute absolut klar:

– Die EU kann nicht reformiert oder demokratisiert werden. Das ist der große Irrtum vieler in der LINKEN oder bei DIEM25 und „Europa neu denken“.

– Die EU kann auch nicht „neu gestartet werden“ durch ein paar Vertragsänderungen und eine Währungssystem mit Schwankung-Korridor, wie es Lafontaine, Flassbeck u.a. vorschlagen.

– Die EU muss stattdessen gestoppt und aufgelöst werden, weil die weitere Krisenpolitik der EU weiteres Elend bedeutet. Dazu sind Massenmobilisierungen notwendig, aber auch Maßnahmen des Ausstiegs aus den Verpflichtungen der Verträge von Maastricht und Lissabon.

– Das könnte – wie Varoufakis so treffend formuliert und dafür Schelte bei seinen DIEM25-Freunden bezogen hat – eine Art der „Rebellion gegen die EU“ sein, aus der neue Formen der europäischen Zusammenarbeit und Konturen eines Europa von unten erwachsen.

– Eine „neutrale und abwartende“ Haltung gegenüber der EU, nach dem Motto „Lass uns mal in aller Ruhe über ein neues EU-Projekt nachdenken“ kann sich die Linke nicht mehr leisten. Die aktuelle Politik der EU kostet jeden Tag Menschenleben – im Mittelmeer, in den armen Stadtvierteln, in den De-Facto-Kolonien, in den von der EU unterstützten Kriegen. Diese Politik muss gestoppt werden.