„Bleiberecht für alle“ die Zweite: Die Finanzierungsfrage

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Erst das Fressen, dann die Moral. Von Meike Brunken, Andreas Brändle,  Edgar Schu und Peter Strathmann

Es gibt „Fragen und Antworten“ in Sachen „Bleiberecht für alle“, die nun auf der Website des Landesverbandes DIE LINKE. Niedersachsen veröffentlicht sind. Ein Teil des Autorenkreises der vorliegenden, zweiten Wortmeldung war daran beteiligt.
Gerade nach den Ergebnissen der Landtagswahlen des vergangenen Sonntags, 13. März 2016, halten wir es für notwendig, zu der „Finanzierungsfrage“ (Kann die Bevölkerung in Deutschland die anfallenden Kosten tragen?) einige Impulse zu ergänzen. Über diese Punkte hatten wir uns schon Gedanken gemacht, hatten sie aber in die vorige Veröffentlichung aus redaktionellen Gründen nicht aufgenommen.
In drei Landtage ist die AfD mit 2-stelligen Prozentzahlen eingezogen. Eine Umfrage des ZDF sagt, dass ein sehr großer Anteil der AfD-Stimmen von den Wähler*innen als „Protestwahl“ gemeint war.
Das Thema Flucht und Migration („Flüchtlinge“) beherrschte den gesamten Wahlkampf. Daher betrachten wir nun die Finanzierungsfrage noch einmal genauer.
Stichwort Protestwahl: Es fragt sich, in welcher Richtung DIE LINKE deutlich Farbe bekennen sollte und auch ruhig etwas frecher auftreten könnte.

1. Natürlich entstehen Kosten!
Wahrscheinlich ist es nicht richtig, zu behaupten, dass durch die Aufnahme von Flüchtlingen keine Mehrkosten entstehen würden und dass sie noch nicht einmal übergangsweise entstehen würden.
10 bis 20 Mrd. Euro pro Jahr – Zahlen, die durch die Medien geistern, etwa hier – sind zwar in Relation zu gesamten Staatshaushalten oder auch dem Vermögen der reichsten Deutschen nicht viel Geld. Dies kann aber nicht unsere alleinige Position sein, wenn wir gegenüber einem Hartz-IV-Empfänger oder anderen Menschen mit niedrigen Einkommen dazu Stellung nehmen sollen. Wie unmöglich es seit Jahren erscheint, dass nur ein Bruchteil dieser 10 bis 20 Mrd. Euro pro Jahr z. B. für eine deutliche Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf mindestens 500 statt 400 Euro oder für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt würde!
Hierfür können natürlich die Geflüchteten nichts. Aber es wird deutlich, dass wir nicht einfach Antworten können, ihre Aufnahme würde keine Kosten verursachen, 10 bis 20 Mrd. Euro seien doch nichts.

2. Geflüchtete: Lohndumping durch Entrechtung
Natürlich wissen wir, warum diese 10 bis 20 Mrd. nun da sein sollen: Es gefällt zur Zeit den Arbeitgeberverbänden, einige Tausend mehr Arbeitskräfte auf den Markt zu bekommen. Sie wollen vermutlich dem – wenn auch geringfügigen, aber doch allgemein das Lohnniveau stabilisierenden – Effekt des gesetzlichen Mindestlohns einen Dämpfer verpassen. Zusätzlich eignen sich Geflüchtete, wenn sie möglichst entrechtet sind, dazu, sie als Pariaschicht für besonders niedrige Löhne arbeiten zu lassen, unter Aussetzung von Mindestlohn und Tarifen. Immer wieder kommen entsprechende Vorstöße für Gesetzesvorhaben, besonders aus den Reihen der CDU. Dies sind Spaltungsstrategien, die eine enorme Sprengkraft gegen die Durchsetzung von gleichen Rechten für alle Lohnabhängigen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, haben. Darauf muss DIE LINKE Antworten formulieren.

3. Solidarität mit wem?
Diese drei Landtagswahlen haben gezeigt, dass es Stimmungen in der Bevölkerung gibt, die wir nicht weiter ignorieren können. Diese Stimmungen haben sich schon seit vielen Jahren in Form von Wahlergebnissen für die FDP, danach – auch, als die Unterstützung für die FDP schwand – als eine große Stabilität für die CDU und nun aktuell als ungeheuerliche Zuwächse für die AfD manifestiert.
Tatsächlich ist – das zeigt leicht ein Blick auf die Steuerpolitik – unterm Strich den Niedrig- und Normalverdienenden schon seit vielen Jahren sehr viel „Solidarität“ abverlangt worden – nämlich mit dem Kapital. Sie müssen seit Jahren dessen gewaltigen Steuersenkungen finanzieren. Das ist Fakt, auch wenn es so nicht durch die Bevölkerung durchschaut wird. Vorher waren die Sündenböcke, die ihr vor die Nase gehalten wurden, „die faulen Arbeitslosen“, nun sind es „die Flüchtlinge“.
Wenn DIE LINKE erreichen will, dass sie für die Mehrheit der Bevölkerung wählbar wird, darf sie sich nicht auf den rein moralischen Appell für den Humanismus und gegen Rassismus verlassen, sondern muss der Bevölkerung deutlich und unübersehbar mitteilen, dass es einen Bruch bei der „Solidarität“ mit dem Kapital geben muss. Dann sind ein paar „Brotkrumen“ für die Klassenbrüder und -schwestern, die aus anderen Ländern hier her kommen, keine Last mehr, weil unterm Strich sogar mehr bleibt:
Was sind die paar Milliarden, die mindestens vorübergehend für die Integration der Geflüchteten notwendig sind, im Vergleich zu den hohen dreistelligen Milliardenbeträgen, die die Steuergeschenke fürs Kapital bisher kosten und die nun stattdessen zur Verfügung stehen?
Wichtig ist ja für potentielle Wähler*innen, was sie am Ende des Monats auf ihrem Konto haben.

4. Notwendige Forderungen für DIE LINKE
Natürlich müssen schwerpunktmäßig die Reichen für die Finanzierung der mindestens vorübergehend durch Flucht und Migration entstehenden Kosten (z. B. für Sprachkurse, sozialen Wohnungsbau und zusätzliche Sozialleistungen) zur Kasse gebeten werden. Normal- und Niedrigverdiener*innen, also die große Mehrheit der Bevölkerung, zahlen schon seit Jahren zu viel Steuern, wie unsere Partei mit ihrem Beschluss zum steuerfreien Mindestlohn zur Kenntnis genommen hat. Es ergeben sich folgende Forderungen:

– Steuern bei Niedrig- und Normalverdiener*innen senken, Steuern bei Reichen und vor allem Superreichen massivst anheben, damit alle öffentlichen und sozialen Aufgaben finanziert werden können!
– Keine Ausnahmen beim Mindestlohn, keine Ausnahmen bei den Tarifen und gemeinsamer Kampf gegen Prekarisierung!
– Bleiberecht für alle!

Die Mehrheit der Bevölkerung hat die Steuergeschenke für die Reichen und Superreichen finanziert: Steuerverteilung_11