Gleichberechtigung im Kapitalismus? Eine bürgerliche Illusion

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Ansätze zum Kampf gegen bestehende Geschlechterrollen. Von Yannic Dyck

Wer will denn im Jahr 2015 in einer so modernen, humanen und sozialen Nation wie Deutschland bitteschön noch ernsthaft von Geschlechterdiskriminierung und auch noch so geringen Ansätzen von patriarchalen Strukturen sprechen? Spätestens seit Angela Merkel wissen wir doch alle, dass Frauen – wenn sie nur wollen und sich anstrengen – alles erreichen und sogar Bundeskanzlerin werden können. Von der aktuellen Bundesverteidigungsministerin haben wir darüber hinaus gelernt, dass es möglich ist, als Frau Karriere zu machen und dabei sogar bis zur höchsten Befehlshaberin der deutschen Armee aufsteigen zu können und gleichzeitig auch noch mehrfache Mutter zu sein. Die Bundeswehr als Hort hegemonialer Männlichkeitsinszenierung? Das war gestern – schließlich akzeptiert sie mittlerweile sogar eine Frau ihrer Spitze. Ist damit die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen im kapitalistischen Deutschland verwirklicht?

Es könnte alles so schön sein, gäbe es da nicht diese unverbesserlichen Nörgler*innen und Besserwisser*innen, die Probleme konstruieren, welche doch eigentlich gar nicht mehr existieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Mär der scheinbaren Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Allerdings kann man sich hierbei glücklicherweise auch stets auf bürgerliche Medien wie die FAZ verlassen, welche die wahren Motive dieser Fundamentaloppositionellen entlarven:

„Allmählich nervt es, und zwar richtig. Dauernd dieses Gejammere junger Frauen, es sei so unheimlich schwierig, sich heutzutage für Kinder zu entscheiden. Diese Frauen sind meist um die 30 und Teil einer am liebsten selbstdefinierten Bildungselite. Seitenweise nörgeln sie Zeitungen und Blogs voll: Die Gesellschaft, das System oder die doofen Politiker machten es ihnen unmöglich, Kinder in diese Welt zu setzen. Das ist lächerlich. Und allerhöchstens eine schlechte Ausrede. In Wahrheit sind diese Frauen Selbstoptimierer, permanent auf der Suche nach dem perfekten Leben. Deshalb treffen sie lieber keine Entscheidungen und setzen keine Prioritäten.“ (Fritzen/Rösmann 2014 – online)

Solche Argumente, wie ich sie oben zugespitzt darstelle und wie sie im FAZ-Artikel aufgezeigt werden, begegnen uns nahezu überall. Ob in Talkshows, in Sonntagsreden von Politiker*innen, am Arbeitsplatz, in der Schule, beim Einkaufen oder in der Kneipe. Überall schallt uns entgegen, in was für einer gleichberechtigten Gesellschaft wir doch leben würden und dass Frauen sich mal nicht so anstellen sollten.

Mit der Realität haben solche Aussagen allerdings wenig zu tun. Vielmehr sind sie Ausdruck bestehender sozialer und ökonomischer Verhältnisse, verinnerlichter Rollenbilder und kapitalistischer, sexistischer Denkweisen. Der Kapitalismus ist von der Trennung in Produktions- und Reproduktionssphären geprägt. Diese Trennung der beiden Sphären benachteiligt weiblich sozialisierte Personen auf mehreren Ebenen. Gender Pay-Gap (das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen bei gleicher Arbeit) oder der geringe Anteil von weiblich sozialisierten Menschen in kapitalistischen Führungspositionen sind dabei nur Indikatoren eines viel weitreichenden Problems, mit dem sich dieser Text auseinandersetzen soll.

Produktion und Reproduktion

Die kapitalistische Produktion ist gekennzeichnet durch den Privatbesitz der Kapitalisten an den Produktionsmitteln. Lohnabhängig Beschäftigte verkaufen ihre Arbeitskraft an Kapitalisten und produzieren Waren für die Eigentümer der Produktionsmittel, welche diese – möglichst mit Gewinn auf das vorgeschossene Kapital – verkaufen, indem der Mehrwert, den die Arbeiter*innen produzieren, einbehalten wird. Dadurch eignen sich die Kapitalist*innen den Gewinn, der durch fremde Arbeit entsteht, an und akkumulieren (vermehren) Kapital, das zu Teilen wiederum in neue Produktivkräfte investiert wird, um in Konkurrenz zu anderen Kapitalisten eine vorteilhafte Position einnehmen zu können.

Um den dauerhaften, reibungslosen Ablauf dieser Produktionsweise aufrecht zu erhalten, benötigen die Kapitalisten stets neue, leistungsfähige Arbeitskräfte. Diese sind nur dann effizient einsetzbar, wenn das für den Profit benötigte Menschenmaterial – also die Ware Arbeitskraft – in ausreichendem Umfang reproduziert wird. Ein Überangebot der Ware Arbeitskraft nutzt den Kapitalisten dabei, die Konkurrenz um Jobs anzuheizen und die Löhne zu drücken. Reproduktion meint in diesem Zusammenhang also Aufgaben, die zur Aufrechterhaltung und Erneuerung der Ware Arbeitskraft notwendig sind. Dazu zählen neben dem zeugen/adoptieren(…) von Kindern sowohl Aspekte wie Schlafen, Essen, Trinken, physische und psychische Erholung als auch Aufgabenbereiche wie Pflegeleistungen, Erziehungstätigkeiten oder Arbeiten im häuslichen Bereich.

Innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise ist es objektiv zunächst nicht relevant, welches soziale oder biologische Geschlecht die Produktivkräfte aufweisen und ob Reproduktionsarbeit von Männern oder Frauen verrichtet wird, da der Prozess der Profitmaximierung bzw. Kapitalanhäufung theoretisch nicht an das Geschlecht gebunden ist.

Sphärentrennung dient Kapitalinteressen

„Doch wie kommt es dann, dass heute vor allem weiblich sozialisierte Menschen die Reproduktionsaufgaben wahrnehmen? Wenn der Kapitalismus darauf setzt Gewinne zu maximieren, scheint er doch keine ausreichende Erklärung für eine bipolare Sphärentrennung liefern zu können…“

Hierzu sei zunächst einmal darauf verwiesen, dass Geschlechtercharaktere bereits in der vorkapitalistischen Gesellschaft existierten. Auch ist die (Re-) Konstruktion von Geschlecht keine Neuerfindung des bürgerlichen Staates. Das Patriarchat ist dementsprechend älter als der Kapitalismus und wurde von diesem einerseits als ideologische Rechtfertigung übernommen, andererseits aber auch ausdifferenziert. Im Zuge der westlichen Modernisierung und dem Zeitalter der Aufklärung entwickelte sich der Einfluss der Religion als herrschaftslegitimierendes Element zunehmend zurück und wich mehr und mehr einer entwicklungsgeschichtlich bzw. biologisch konstruierten „Natur“ der Geschlechter, die als Erklärungsmuster für ihre Rolle in den gesellschaftlichen Verhältnissen herangezogen wurde. Bezogen auf Geschlechterrollen bedeutet dies, dass die Diskriminierung der Frau in westlichen Ländern nicht mehr primär religiös, sondern vor allem mit der Behauptung der scheinbaren Natur der Frau (die mit Attributen wie Emotionalität, Fürsorglichkeit, Unterwürfigkeit etc. versehen wurde) begründet werden konnte. Darüber hinaus bildete sich im Kapitalismus – trotz begrenzter und ungleichwertiger Einbeziehung von Frauen (sowie von Jugendlichen und Kindern) in die Erwerbsarbeit – im 19. Jahrhundert erstmals eine ausdifferenzierte Trennung der Erwerbsarbeit und der unbezahlten häuslichen bzw. erzieherischen Arbeit heraus, die es so im Feudalismus nicht gegeben hat.

„Das bedeutet die Geburt der Hausarbeit. Es ist nicht überraschend, dass diese Rolle den Frauen zufällt, denn der Kapitalismus hat sich auf präexistierende Organisations- und Herrschaftsweisen gestützt, in diesem Fall das Patriarchat, nicht ohne diese jedoch zu verändern. Nachdem die traditionelle Familie auf den Kopf gestellt und die Vaterfigur entstellt wurde (bei den Proletariern durch die Arbeit in der Fabrik), wird das bürgerliche Familienmodell gepriesen: Entstehung der privaten Sphäre (welche mit den Frauen assoziiert wird), also der Intimität, Stärkung des Begriffs des Kindes (und der Mutterliebe), sogenannte Liebesheirat, Autorität des Familienoberhaupts, wachsendes Eindringen des Staates in den Prozess der Reproduktion der Arbeitskraft (Bildung, Medizin) usw. Diverse Elemente neuer sozialer Normen, die damals aufkamen und sich während des gesamten 20. Jahrhunderts entwickeln.“ (La bande d’Incendo 2012 – online)

An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, die historischen Entwicklungen und von Geschlechterrollen umfassend nachzuzeichnen, sondern darum, dass der Kapitalismus als System – und mit ihm die Kapitalist*innen als herrschende Klasse – von geschlechterspezifischer Sphärentrennung und damit einhergehenden Rollenbildern profitieren.

Als Gegenargument hierzu wird immer wieder herangezogen, dass Erziehung, Bildung und Kinderbetreuung heutzutage in der bürgerlichen Gesellschaft zu großen Teilen an staatliche Institutionen übertragen werden und weiblich sozialisierte Personen deshalb die Möglichkeit eröffnet würde, die Reproduktionsaufgaben weitgehend abzugeben und stattdessen Produktionsaufgaben nachgehen zu können. Daraus wird dann abgeleitet, dass Frauen heutzutage selbstständig entscheiden könnten, ob sie eine Familie gründen, sich auf eine berufliche Karriere fokussieren oder beides parallel machen möchten (siehe Einleitung). Dieser Behauptung sollte entgegnet werden, dass die institutionalisierten Reproduktionsaufgaben fast ausschließlich von Frauen verrichtet werden, woraus ersichtlich wird, dass weiblich konnotierte Eigenschaften der Fürsorge und Mütterlichkeit sowohl die Sphäre der Reproduktion als auch Rollenbilder, die mit Reproduktion verbunden werden, nach wie vor prägen. Der Kapitalismus hat also – besonders in seiner aufsteigenden Phase und mit der Aufklärung – die Rolle der Frauen zwar ideologisch „emanzipiert“ und von religiösen Schranken befreit. Das gilt für die Proklamierung von Rechten und Freiheiten, keineswegs jedoch für die Einlösung dieser Ansprüche in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Hinzu kommt, dass Frauenrechte keine logische Konsequenz aus bürgerlichen Ideologien sind, sondern von der Arbeiter*innen bzw. Frauenbewegung erkämpft wurden. Trotzdem haben Frauen auch heute noch eine deutlich geringere Chance auf verhältnismäßig gut bezahlte Berufe; sie verdienen für dieselbe Arbeit im Schnitt erheblich weniger als ihre männlichen Kollegen und sind bevorzugt in denjenigen (meist unterdurchschnittlich bezahlten) Berufsfeldern tätig, die mit weiblichen Geschlechterstereotypen zusammenpassen. In heterosexuellen Beziehungen bleibt die Reproduktionsarbeit, die nicht institutionalisiert ist (bspw. die Arbeit im Haushalt) in aller Regel den Frauen vorbehalten, die damit häufig eine doppelte Arbeitsbelastung haben und zu ihrer regulären Tätigkeit quasi zusätzlich unbezahlter Erwerbsarbeit nachgehen. Diese unbezahlte Tätigkeit von Frauen ist objektiv Teil der Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Sie senkt den Anteil des „variablen Kapitals“, das der Produktionsmittelbesitzer aufwenden muss, um beim Verkauf von Waren Profit zu erzielen.

Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass Frauen besonders häufig in prekäre Beschäftigungsverhältnisse, befristete und Teilzeitstellen gedrängt und bei Bewerbungsgesprächen direkt und indirekt diskriminiert werden (z.B. aufgrund der Tatsache, dass potenzielle Schwangerschaften und damit einhergehende Berufspausen für die die Kapitalisten ein ökonomisches Risiko darstellen oder weil Rollenbilder suggerieren, dass weibliche Bewerberinnen im Gegensatz zu männlichen Bewerben weniger durchsetzungsfähig und belastbar wären). Nur weil Frauen heute die theoretische Möglichkeit haben, selbst in einflussreiche gesellschaftliche und ökonomische Positionen vorzustoßen, und es prominente Beispiele (wie die eingangs erwähnte Angela Merkel) gibt, die dies verkörpern, werden Geschlechterdiskriminierung, Sexismus und patriarchale Strukturen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit keineswegs überwunden. Die theoretische Möglichkeit, dass im Kapitalismus auch der berühmte Tellerwäscher ein Millionär werden kann, ändert ja auch nichts an der Tatsache, dass die große Mehrheit der Menschen für den Profit einer kleinen Minderheit ausgebeutet wird und das Frauen aus der Arbeiterklasse davon oft in besonderem Ausmaß betroffen sind.

Der Kapitalismus sucht nach immer neuen und günstigeren Arbeitskräften, um der Logik der Profitmaximierung nachkommen zu können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Öffnung der Erwerbsarbeit für weiblich sozialisierte Personen nicht auch dem Zweck dienen sollte, die Löhne der Arbeiter*innenklasse insgesamt zu drücken und darüber hinaus geschlechtsspezifische Spaltungslinien zu schaffen.

Nun mag man argumentieren, dass eine Vergesellschaftung von Reproduktionsaufgaben durch Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Schulen usw. doch prinzipiell erstrebenswert und als ein wesentlicher Schritt hin zur Befreiung der Frau von einem rein häuslich definierten Dasein zu bewerten ist. Solche Einrichtungen sind auch mit Recht von der Arbeiter*innenbewegung unterstützt und zum großen Teil erst durch ihren Kampf durchgesetzt worden. Dennoch handelt es sich hier zunächst nur um Aufgaben, welche die bürgerliche Revolution nicht oder nur unzureichend erfüllt hat – und nicht um eine Vergesellschaftung, im Sinne einer Übertragung häuslicher Aufgaben und Zwänge auf die Gesellschaft (unter demokratischer Verwaltung und in Kooperation der Arbeiter*innenklasse). Im Kapitalismus wird eine teilweise Verlagerung der Reproduktion auf staatliche bzw. private Träger realisiert. Das heißt, dass es aus Sicht der Herrschenden in erster Linie darum geht, die Reproduktion zu verbilligen und ihre Herrschaft zu stabilisieren. Denn der Kapitalismus muss sich sozial, ideologisch und ökonomisch reproduzieren. In den vom Kapital und seinem Staat kontrollierten Reproduktionsinstanzen werden den Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden heterosexuelle Normen, zweigeschlechtliche Rollenbilder, Leistungs- und Konkurrenzlogiken sowie zahlreiche weitere staats- und systemtragende Denkmuster eingeimpft, was dazu führt, dass sie nicht nur leistungstechnisch auf die Produktion vorbereitet werden sollen, sondern auch die rechtfertigende herrschende Ideologie aufsaugen. Darüber hinaus wird dadurch auch die Sphärentrennung im häuslichen Bereich normalisiert, da sie als Teil gesellschaftlicher Normalität vermittelt wird.

Bürgerlicher Feminismus als Antwort auf Geschlechterdiskriminierung?

Wie können Rollenmuster aufgebrochen und Geschlechterdiskriminierung überwunden werden?

Zunächst einmal wäre es denkbar, den Kampf für die Rechte von Frauen aus einer bürgerlich-feministischen Perspektive getrennt von der System- und Eigentumsfrage zu betrachten. Daraus ergäben sich Ziele, wie die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt aufzuheben oder die Reproduktionsaufgaben verstärkt zu institutionalisieren und/oder von Männern und Frauen gleichermaßen verrichten zu lassen. Zusammenfassend sagt dieser Ansatz also nichts weiter aus, als dass Frauen und Männer im gleichen Maße ausgebeutet werden bzw. ausbeuten sollen.

Diese Perspektive ignoriert nämlich, dass die warenproduzierende, kapitalistische Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, Menschen nach ökonomischen Nützlichkeitskriterien zu bewerten. Ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das seinem Wesen nach auf der Produktion von Mehrwert und Kapitalakkumulation beruht, rückt die Produktivität der Produktivkräfte in den Mittelpunkt und bewertet Menschen nach ihrem Nutzen bzw. ihrer Effizienz für den Prozess der Profitmaximierung, zugunsten der Eigentümer der Produktionsmittel. Chauvinistische, nationalistische, rassistische,(…) Spaltungslinien legitimieren diese Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse ebenso wie sexistische Geschlechterrollen. Dadurch wird die Arbeiter*innenklasse in einzelne Gruppe gespalten, die andere Arbeiter*innen anhand bestimmter (zugeschriebener, konstruierter) Merkmale ausschließen. Diese Gruppenkonstruktionen und die daraus abgeleiteten Gegensätze verwischen die gesellschaftlichen Klassen- und Ausbeutungsstrukturen und ersetzen sie durch falsche Feindbilder. Gleichzeitig wird dadurch sozialer, politischer Protest gegen die Auswirkungen des grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit – oder, um ein konkretes Beispiel zu nennen: gegen die Folgen neoliberaler Politik wie Stellen- und Sozialabbau – erschwert und dessen Ablenkung auf konstruierte Sündenböcke („die Ausländer“, „die emanzipierten Frauen“ usw.) gefördert. Dementsprechend würde es, selbst wenn es tatsächlich gelingen würde, Geschlechterdiskriminierung innerhalb des Kapitalismus selbst aufzuheben (was ich für eine fatale Fehleinschätzung halte), an anderer Stelle diskriminierte Gruppen geben, welche das kapitalistische System benötigt, um die Herrschaft einer kapitalbesitzenden Minderheit so dauerhaft zu legitimieren. Aus diesem Grund halte ich diesen Ansatz für einen Irrweg, da er sich auf bestimmte Unterdrückungsmechanismen beschränkt, während er zugleich die Ursachen dieser Unterdrückung nicht nur verkennt, sondern sogar noch fördert. Trotzdem ist es selbstverständlich notwendig, für konkrete Verbesserungen einzutreten und bspw. für Equal Pay (gleiche Bezahlung von Männern und Frauen) zu kämpfen, auch wenn dadurch bürgerlicher Sexismus oder die Diskriminierung von Menschen, deren sexuelle und geschlechtliche Orientierung nicht der Norm entspricht, noch lange nicht überwunden wären. Nur darf ein solcher Kampf nicht an dieser Stelle stehen bleiben und muss immer die Überwindung des Gesamtsystems im Blick behalten.

Antikapitalistische Antworten sind notwendig

Es braucht einen Ansatz, der die kapitalistische Produktion in den Mittelpunkt der Analyse rückt, die Reproduktionssphäre auf die Produktionsverhältnisse zurückführt und für solidarische Kämpfe aller Unterdrückten einsteht. Das heißt konkret, dass ein effektiver Kampf gegen geschlechtsspezifische Unterdrückung niemals isoliert stattfinden darf, sondern sich bewusst gegen die Klassenherrschaft der Bourgeoisie richten muss. Nur als fester Bestandteil von Klassenkämpfen, die unabhängig von Ethnizität, Religiosität, Sexualität oder Geschlecht von allen Teilen der Arbeiter*innenklasse gemeinsam organisiert werden müssen, kann er effektiv und zielführend sein. Das Ziel der Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper kann dabei genauso Teil dieser Kämpfe sein, wie das der gesellschaftlichen Gleichstellung von transsexuellen Menschen oder das der Loslösung der Frauen von Reproduktionszwängen. Gleichzeitig sind diese Kämpfe viel ausdifferenzierter und widersprüchlicher als gemeinhin angenommen. Eine aus dem arabischen Raum in die BRD migrierte Frau, die sich z.B. aus kulturellen oder religiösen Gründen dafür entschieden hat, ein Kopftuch zu tragen, ist in der hiesigen Gesellschaft tendenziell stärker sozial diskriminiert als eine Frau ohne Migrationshintergrund und ohne Kopftuch. Kulturrassistische und chauvinistische Denkmuster reichen bis in die politische Linke hinein. Vertreter*innen des bürgerglichen Feminismus wie Alice Schwarzer fallen immer wieder durch ihren antimuslimischen bzw. antiarabischen Rassismus auf. Dies wiederum führt zu einer Spaltung innerhalb einer Gruppe, die doch prinzipiell gemeinsam gegen Klassenunterdrückung kämpfen sollte. In Wirklichkeit werden Teile dieser Gruppe nur in besonderem Ausmaß unterdrückt. Die herrschende Ideologie der bürgerlichen Klassengesellschaft (Konkurrenzdenken, Leistungsorientierung usw.) beeinflusst nicht nur über die Medien Teile der lohnabhängigen Bevölkerung und behindert den gemeinsamen Kampf gegen die unterdrückende und ausbeutende Klasse.

Ein weißer, heterosexueller, kinderloser, männlicher Universitätsprofessor christlichen Glaubens nimmt gesellschaftlich eine privilegiertere Stellung ein als seine weiße, heterosexuelle kinderlose, christliche Kollegin. Diese wiederum ist von weniger Diskriminierungsfaktoren betroffen als eine lesbische, jüdische, alleinerziehende Fleischereifachangestellte mit vier Kindern. Nichts desto trotz sind objektiv betrachtet alle diese Lohnabhängigen von Unterdrückung und Ausbeutung betroffen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Diese bewusst plakativen Beispiele sollen vor allem zeigen, dass tradierte Geschlechterrollen nur überwunden werden können, wenn sie gemeinsam mit der Überwindung von Ausbeutungsverhältnissen, Rassismus, Nationalismus usw. und letztendlich auch des Kapitalismus gedacht werden.

Um Spaltungsstrategien der Herrschenden entgegenzuwirken und nicht zuzulassen, dass soziale und politische Kämpfe verschiedener Gruppen von Benachteiligten gegeneinander statt miteinander ausgefochten werden, müssen wir die Besonderheiten einzelner Diskriminierungspraktiken herausarbeiten, mit einander verknüpfen und die Profiteure entlarven. Die Diskriminierung von Frauen, Migrant*innen, Erwerbslosen, prekär Beschäftigten usw. nutzt letztendlich immer nur den Herrschenden, den (fast immer männlichen) Chefs und Besitzern der Banken und Konzerne, die dadurch ihre Machtstellung festigen. Um Geschlechtercharaktere nicht nur hinterfragen – sondern auch ändern – zu können, bedarf deshalb einer kritischen Selbstreflektion und einer radikalen, antikapitalistischen Systemkritik. Damit solche Meinungen, wie Focus und Co. sie vorgeben, mehrheitlich als das erkannt werden, was sie sind: als sexistische, antiemanzipatorische, diskriminierende und vor allem prokapitalistische und propagandistische Äußerungen um bestehende Verhältnisse zu stützen und Widerstand klein zu halten. Um den unterdrückenden Verhältnissen den Kampf anzusagen, braucht es eine geschlechtersensible und klassenbewusste Analyse mit dem Ziel einer Gesellschaft, in der die Arbeiter*innen selbst über die Produktion und damit das gesellschaftliche Leben bestimmen. Dieser Zustand kann nur durch die kollektive, bewusste, revolutionäre Aktion der Mehrheit der Menschen, der ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeiter, Erwerbslosen und Jugendlichen erreicht werden. Kämpfe für Geschlechtergerechtigkeit sind Klassenkämpfe und können bspw. an folgenden Punkten ansetzen:
 Gleicher Lohn für gleiche Arbeit; drastische Lohnerhöhungen in frauendominierten Berufszweigen
 Keine Kürzungen und Privatisierungen bei Kindergärten und Kindertagesstätten; kostenlose ganztägige Kinderbetreuung ab dem ersten und bis zum 13. Lebensjahr
 Weg mit den Abtreibungsparagraphen 218 und 219
 Kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln und kostenlose Abtreibungen
 Kampf gegen Sexismus; Einrichtung einer demokratisch gewählten Kommission von Vertreter*innen der Gewerkschaften und von Frauenverbänden zur Unterbindung von Sexismus in Medien und Werbung
 Flächendeckendes Angebot von gut ausgebauten, selbstverwalteten Frauenhäusern und von Frauenberatungsstellen und – notrufen
 Keine Diskriminierung von Prostituierten; für eine gewerkschaftliche Kampagne gegen Zwangsprostitution und Zuhälter; staatlich finanzierte Ausstiegsprogramme für alle Prostituierten mit Aus- und Weiterbildungsprogrammen; Bleiberecht für alle betroffenen Frauen
 Nein zum Kopftuchverbot
 Nein zu Zwangsehen und Kopftuchzwang
 Für eine gewerkschaftliche Kampagne gegen häusliche Gewalt, Vergewaltigung in Ehe und Partnerschaften und gegen Frauendiskriminierung am Arbeitsplatz
 Gegen Haushaltsroutine und -schufterei: Gute und billige Stadtteilrestaurantsund -wäschereien

Yannic Dyck ist Landessprecher der Linksjugend Niedersachsen.

Links:

Fritzen, Florentine/ Rösmann, Tobias (2014) Argumente gegen Kinder. Ruhe, ihr Jammer-Frauen! (14.08.2015)

La bande d’Incendo(2012): Kapitalismus, Gender und Kommunismus. (Capitalisme, genres et communisme) (14.08.2015)