Skandale als Teil des kapitalistischen Normalzustandes

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Von steuerhinterziehenden Wurstfabrikanten, LINKEN Abschiebepolitikern und rassistischen Benzinpreisregelungen. Von Yannic Dyck 

Deutschland im Januar 2016: Wolfgang Schäuble versucht Autofahrer gegen Flüchtlinge aufzuhetzen, Sigmar Gabriel setzt auf die in rechten Kreisen bewährte „Kriminelle Ausländer raus“-Rhetorik, Alice Schwarzer beschwört einen Krieg integrationsunwilliger Migranten gegen Frauen herauf. Und was tun führende Politiker*innen der LINKEN? Asylrecht zu Gastrecht umdeuten, Obergrenzen fordern und fleißig abschieben. Währenddessen soll der kriminelle Wurstfabrikant und Steuerflüchtling Uli Hoeneß vorzeitig aus der „Haft“ entlassen werden.

Ulli kommt frei! Sonst bleibt alles beim Alten!

159 Milliarden Euro jährlich! Wie viele Kitas, Schwimmbäder und Bolzplätze, Schulen und Wohnungen könnte man dafür bauen. Mit diesem Batzen Kohle könnte man die Armut in Deutschland beseitigen und allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. An dieses Geld zu kommen, wäre gar nicht mal so schwer. Man müsste einfach nur Steuerschlupflöcher dicht machen, Kapitalverkehrskontrollen für Superreiche einführen und Steuerbetrug effektiv bekämpfen. 159 Milliarden Euro sind nämlich genau die Summe, die deutsche Millionäre und Milliardäre Jahr für Jahr an Steuern hinterziehen. Das wohl prominenteste Beispiel ist der ehemalige Manager und Präsident des FC Bayern und Wurstfabrik-Besitzer Uli Hoeneß, der im Sommer 2014 wegen Steuerbetrugs in Höhe von 28,5 Millionen Euro zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nach wenigen Monaten wurde er Freigänger und jetzt soll er – nach Aussagen des Augsburger Landgerichtes – nächsten Monat vorzeitig entlassen werden. „Mit voller Härte des Gesetzes“ will man im bürgerlich-kapitalistischen Rechtsstaat wohl nur gegen „kriminelle Ausländer“ vorgehen…

Dabei ist der Ex-Manager des so unglaublich sympathischen, bodenständigen, kleinen Vereins Bayern München ein absolut seltenes Exemplar innerhalb der Gattung Steuerverbrecher. Der Großteil seiner Hinterzieherkollegen wird nämlich weder erwischt, geschweige denn rechtskräftig verurteilt. Zudem hat man im Big Business der Steuerflüchtlinge immer noch das Ass der straffreien Selbstanzeige im Ärmel, wenn einem die Sache mal zu heiß wird.

62 Menschen besitzen so viel wie 50% der Weltbevölkerung

Die Establishment-Parteien von CDU/CSU bis SPD und Grünen haben kein Interesse daran, gegen die wirklichen Diebe und Schmarotzer unserer Gesellschaft vorzugehen. Sie machen Politik im Interesse einer kleinen Minderheit. Sie kürzen Sozialleistungen und Löhne, verhökern öffentliches Eigentum an private Investoren und erhöhen die Steuern für die Masse der Bevölkerung, während die Steuern und Abgaben für die oberen 10.000 immer weiter sinken. Dieses bürgerliche Parteienkartell macht Politik im Interesse der besitzenden Klasse. Es geht ihnen um Profit, Wachstum, Gewinne für Banken und Konzerne – auf Kosten der arbeitenden und erwerbslosen Mehrheit der Bevölkerung. Das ist der Antrieb der kapitalistischen Profitlogik, die von Gabriel, Merkel und Seehofer umgesetzt wird. Während die systemkonformen Parteien die Gewinne für Bayer, Thyssenkrupp, Daimler und wie sie alle heißen in unvorstellbare Höhen katapultieren, fordern sie, die normale Bevölkerung solle den Gürtel enger schnallen, weil angeblich kein Geld da wäre. Das ist pure Heuchelei! Weltweit ist genug Geld vorhanden, um die ganze Menschheit zu ernähren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Die Wahrheit ist: Die 62 reichsten Menschen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung! Das reichste Prozent besitzt mehr als der Rest der Welt. Und auch in Deutschland konzentriert sich der Reichtum in den Händen einer kleinen Elite. Hierzulande besitzen die reichsten 2% rund 17 mal so viel wie die ärmsten 50%. Würden die deutschen Milliardäre nur ein Viertel ihres Vermögens abgeben, würde das ganze 170 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen.

Die Kosten für eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen betragen nur einen minimalen Bruchteil dieser Vermögen. Trotzdem wollen uns CDU, SPD und Grüne weißmachen, dass wir an finanzielle Grenzen stoßen, wenn „zu viele“ Schutzsuchende ins Land kommen würden. Sie wollen vom eigentlichen Problem ablenken, indem sie uns vorgaukeln, dass die Flüchtlinge Schuld an steigenden Mieten und Kürzungen seien. Sie versuchen, die Wut der Bevölkerung über die von ihnen geschaffenen sozialen Probleme auf die Flüchtlinge umzuleiten und sie zu Sündenböcken zu machen. Finanzminister Schäuble ist gewissermaßen ein alter Hase in puncto Hetze gegen Minderheiten. So weiß er auch genau, wo er ansetzen muss, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen – und zwar beim wohl emotionalsten Thema der Deutschen: Beim Auto. Um Flüchtlinge fernzuhalten und die europäischen Außengrenzen noch gefährlicher zu machen (und somit noch mehr Menschen in den Tod zu treiben) bräuchte man eine Extrasteuer für Benzin, schwadroniert der alte Mann. Welche Botschaft damit vermittelt werden soll, liegt auf der Hand: „Jetzt machen diese Flüchtlinge auch noch unsern Sprit teurer. Irgendwann reicht’s!“.

Reichtum ist Diebstahl!

Die Menschen sollen nicht erkennen, dass sie unabhängig von Fluchtstatus, Herkunft oder Glaube dieselben Interessen nach guter Ausbildung und Arbeit, sozialer Teilhabe und einem Leben ohne Zukunftsängste und Armut haben. Sie sollen nicht erkennen, dass es Leute wie Ulli Hoeneß und andere Kapitalisten sind, die dem im Wege stehen – und das nicht in erster Linie durch Steuerbetrug. Der eigentliche Skandal ist die Art und Weise, wie diese überdimensionalen Vermögen zustande gekommen sind, von denen dann Teile an der Steuer vorbei ins Ausland geschafft werden. Dieser Skandal hat System und ist Teil des kapitalistischen Normalzustandes. In diesem System erwirtschaften die Arbeiter*innen in den Betrieben, Büros und Fabriken den gesellschaftlichen Reichtum. Doch mit ihrem Lohn erhalten sie von ihren Bossen nur einen Teil des Wertes, den sie geschaffen haben, zurück. Den Rest reißen sich die Bosse selbst unter den Nagel und häufen so Millionen und Milliarden an, die sie den Arbeiter*innen und Angestellten einfach vorenthalten. Solange die Maschinen und Fabriken anderen gehören, bleibt den einfachen Beschäftigten keine andere Wahl. Sie müssen irgendwie über die Runden kommen und sind daher gezwungen, dieses Übel mitzumachen. Doch wenn sich die Mehrheit der Arbeitenden und Entrechteten über ihre Stellung im Produktionsprozess bewusst wird und sich gegen die Macht dieser kleinen Elite organisiert, können sich die Eigentumsverhältnisse ändern. Dann können die Menschen selbst Verhältnisse schaffen, in denen der gesellschaftliche Reichtum auch wirklich der Gesellschaft zur Verfügung steht.

Rassistischer Pseudofeminismus der Herrschenden

Das wissen die Kapitalisten und ihre treue Gefolgschaft in SPD, CDU und Grünen auch – und davor haben sie logischerweise Angst. Um gemeinsamen Widerstand zu verhindern, greifen sie immer wieder auf rassistische Spaltung zurück. Bei ihrer Instrumentalisierung der sexuellen Übergriffe von Köln geht es den bürgerlichen Politiker*innen und Medien nicht darum, eine überfällige Debatte über gesellschaftlichen Sexismus und die Diskriminierung von Frauen anzustoßen, sondern darum, die Vorfälle zu nutzen, um verschiedene Gruppen der Bevölkerung gegeneinander auszuspielen. Alice Schwarzer, Sarrazin-Fan und BILD-Kolumnistin – bekannt für ihre kulturrassistischen, antimuslimischen Vorstöße unter dem Deckmantel des Feminismus – ist mal wieder ganz vorne mit dabei. Sie deutet die Vorfälle als Resultat einer scheinbar fehlgeschlagenen Integration, falschverstandener Toleranz und als Kriegserklärung von Migranten gegen Frauenrechte. SPD-Big-Boss Gabriel schlägt in dieselbe Kerbe, indem er gegen kriminelle Ausländer hetzt, die nicht vom „deutschen Steuerzahler“ durchgefüttert werden dürften. Solche Aussagen sind Wasser auf die Mühlen von Pegida, AfD und rechten Stoßtrupps und „Bürgerwehren“, die sich dadurch aufgefordert fühlen, diese verbale Gewalt gegen Flüchtlinge und (vermeintliche) Muslime in die Tat umzusetzen.

LINKE Flüchtlingspolitik auf Abwegen

Umso erschreckender, dass Spitzenpolitiker*innen der LINKEN nun meinen, sich dem bürgerlichen Rassismus anbiedern zu müssen. Anstatt die wahren Interessen der Herrschenden hinter dieser rassistisch aufgeladenen Debatte zu entlarven und der rechten Hetze Widerstand entgegenzusetzen, deuten die neuen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch kurzerhand das Grundrecht auf Asyl zu einem Gastrecht um, dem sich die Flüchtlinge anzupassen hätten. Oskar Lafontaine will Obergrenzen für nach Deutschland flüchtende Menschen. Sollen sie mit neuen Mauern und Stacheldrahtzäunen an den Außen- und Binnengrenzen der EU und mit Gewalt auch für diejenigen durchgesetzt werden, die jenseits dieser „Obergrenze“ Anspruch auf Asyl haben? All das sind Forderungen, die man eigentlich eher bei Bierzeltreden von Horst Seehofer erwarten würde. Von Abschiebe-Bodo, der in Thüringen den Kapitalismus verwaltet, indem er Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen und sie Nachts aus ihrer Wohnung holen lässt, wenn sie ihr „Gastrecht“ verwirkt haben, ganz zu schweigen.

Dieser Anbiederungskurs an prokapitalistische Parteien und ihren Rassismus muss umgehend gestoppt werden, auch wenn DIE LINKE damit für solche Parteien nicht mehr koalitions- und regierungsfähig ist. Stattdessen muss DIE LINKE gemeinsam mit der arbeitenden und erwerbslosen Mehrheit, mit den progressiven Teilen der Gewerkschaften, mit sozialen Bewegungen, Flüchtlingsinitiativen, Migrantenverbänden und globalisierungskritischen Gruppen für eine starke antikapitalistische Massenbewegung von unten eintreten, die sich nicht spalten lässt und die geltenden Eigentums- und Machtverhältnisse herausfordert.

Zuerst erschienen auf der Webseite der „Basisgruppe Revolutionärer Antikapitalist*innen Göttingen“