Wofür steht Laiki Enotita?

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Die Plattform Laiki Enotita ist eine politische Bewegung in Griechenland, die nach der Kapitulation von SYRIZA gegenüber der Eurozone entstand.

Veröffentlicht am 2. September und erstmals in englischer Übersetzung vorliegend, wurde das Grundsatzprogramm der Laiki Enotita (Popular Unity, deutsch „Volkseinheit“) von fünfzehn Organisationen der radikalen Linken dieser Bewegung unterzeichnet, die den Bruch mit der Austeritätspolitik und der Eurozone anstreben.

Gewöhnlich als Abspaltung von SYRIZA dargestellt, umfasst Laiki Enotita eigentlich eine Vielfalt von Kräften, von linken Sozialdemokraten über Aktivisten aus sozialen Bewegungen bis zu linksextremen Strömungen. Verschiedene dieser Kräfte stammen aus der SYRIZA: die beiden Elemente der Linken Plattform (der Zusammenschluss des linken Flügels der Partei, geführt von Panagiotis Lafazanis, sowie das rote Netzwerk um die DEA (Workers Internationalist Left)), die das Rückgrat der Bewegung bilden.

Daneben gibt es die Communist Tendency, die der Internationalen Marxistischen Tendenz nahesteht, und die Movement for the Radical Left, ein Netzwerk von Aktivisten, die im Wesentlichen in den antirassistischen, migrantenfreundlichen und LSBT-Bewegungen mitwirken, die vordem zur inzwischen nicht mehr bestehenden Bewegung „53+“ gehörten.

Weitere Organisationen stammen aus Antarsya (The Left Recomposition/ARAN und die Antikapitalistische Linke, die beiden historisch Althusser verbundenen Gruppierungen der griechischen extremen Linken) oder aus Strömungen, die mit Antarsya kooperieren (Leftwing Intervention, Communist Renewal und Plan B, geführt vom früheren SYRIZA-Präsidenten Alekos Alavanos).

Wieder andere Gruppen stehen in der Tradition der KKE (Communist Group Reconstruction) oder in Ablegern von Pasok-Kadern, die sich in den 1990er Jahren bzw. in den letzten fünf Jahren von der Partei lösten (DIKKI, eine griechische Partei der sozialistischen Linken, bzw. Young Militant/Left Socialists, ein Netzwerk von Gewerkschaftern, die einige wichtige Teile der Arbeiterbewegung steuern).

Laiki Enotita haben sich ferner einige prominente Persönlichkeiten und Netzwerke auf eher unabhängiger Basis angeschlossen, darunter Zoi Konstantopoulou, die scheidende Parlamentspräsidentin, Nadia Valavan, die frühere stellvertretende Finanzministerin, sowie das Netzwerk „the OXI lasts a long time“ („Das NEIN hat lange Bestand“), dem Aktivisten mit linkem eurokommunistischem Hintergrund um Eleni Portaliou angehören.

Diese vielgestaltige Sammlung von Gruppen, Persönlichkeiten und Strömungen eint das Eintreten für die Ablösung der Sparpolitik durch ein fortschrittliches Programm weitreichender Sozialreformen. „Unsere Alternative“, unterstreicht Laiki Enotita, „sprengt Griechenlands Ketten.“

Den Anstoß für Laiki Enotita bildet das schallende „oxi“ (nein) der Griechen zum Referendum vom 5. Juli. Angesichts der Angstmacherei der dominierenden Kräfte in der Europäischen Union (EU) und in Griechenland lehnte sich die große Mehrheit der Gesellschaft mit Beteiligung der dynamischen Kräfte in der jüngeren Generation in einem wahren Volksaufstand auf.

Die Grundlage der Laiki Enotita bildet der an Beharrlichkeit und zahlenmäßiger Stärke beispiellose Widerstand der Griechen, vor allem in den ersten beiden Jahren der ihnen zugemuteten Memoranden. Dieser Kampf brachte allgemeinen Widerstand gegen den strategischen Plan zum Ausdruck, Griechenland eine dauerhafte Austeritätspolitik zu verordnen, Arbeitnehmer aller Rechte zu berauben, Eigentum zu beschlagnahmen, die Demokratie auszuhöhlen und ein Regime begrenzter Souveränität zu installieren.

Nur einen Monat nach dem „Oxi“ der Griechen im Referendum beschert die Annahme des dritten Memorandums der politischen Landschaft tiefgreifende Veränderungen. Die führenden Regierungspolitiker, durch die Wahlen vom 25. Januar gestärkt, verletzten eben jenen Gesellschaftsvertrag, der sie mit der Mehrheit der Bevölkerung verband, sodass Ernüchterung um sich griff und Ängste wiederauflebten. Die Regierung wechselte die Seiten und gehört nun zu den neoliberalen Kräften, die Beschäftigte und Mittelschichten mit neuen volksfeindlichen Maßnahmen überschütten.

Durch diese Entwicklung gelang den Gläubigern ein politischer Coup, der Verfassung und Volkssouveränität in jeder Hinsicht verletzt. Die internationale Bevormundung wird noch erdrückender, wobei das herausragende Beispiel der Demütigung die Einrichtung des wohlbekannten Privatisierungsfonds ist, der den gesellschaftlichen Reichtum noch über viele Generationen hinweg belasten wird.

Aber das dritte Memorandum ist nur der Anfang. Geplant sind schon: eine weitere Demontage der Tarifautonomie, neue Kürzungen der bereits entwürdigend niedrigen Renten sowie eine Blitzaktion für die Besteuerung von Einkommen von Landwirten und der unteren und mittleren Gesellschaftsschichten – neben einer Vielzahl anderer Maßnahmen, die in den kommenden Monaten umgesetzt werden sollen.

Es ist genau diese Entwicklung in Verbindung mit dem Versuch, die Bildung einer alternativen, gegen die Memoranden gerichteten politischen Bewegung zu vereiteln, durch die sich die Regierung genötigt sah, vorgezogene Neuwahlen anzusetzen. Es ist ein Versuch, sich des Wählervotums zu bemächtigen, bevor die Wählerschaft sich überhaupt ein Bild von den Konsequenzen des dritten Memorandums machen, geschweige denn sie erfahren kann. Ein Versuch, der sich der uneingeschränkten Unterstützung der europäischen Aufseher — Merkel, Juncker, Moscovici, Dijsselbloem — gewiss sein konnte, die zwei Monate zuvor geflissentlich übersahen, dass die demokratischen Selbstbestimmungsrechte der Griechen im Falle einer Annahme des Referendums konterkariert werden.

Kein klar denkender Mensch vermag sich auch nur vorzustellen, dass diese sozial verhängnisvollen Maßnahmen sich selbst unter strikt finanziellem Blickwinkel als wirksam erweisen könnten. Im Ansatz zum Scheitern verurteilt, werden sie nur zu neuen volksfeindlichen Maßnahmenbündeln führen, die den Memoranden-Teufelskreis früherer Regierungen in Gang halten.

Arbeitnehmer, Landwirte, junge Menschen, Selbständige und Kleingewerbetreibende werden in den Ruin getrieben, bloß um der Sicherung der nächsten Tranchen des „Rettungspakets“ willen, von dem 99 % an die Gläubiger oder die Banken fließen. Davon bleibt nichts für die Realwirtschaft oder die Bürger übrig, die vor der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz stehen.

Es ist kein Witz sich vorzustellen, dass diese Regierung, die das dritte Memorandum unterzeichnet hat und seitdem von den Vertretern der Gläubiger und den lokalen Oligarchen gerühmt wird, sich – irgendwie, irgendwann – aus dieser Situation herausretten könnte.

Wer in den falschen Zug steigt, kommt nie ans Ziel. Es ist realitätsfern zu glauben, dass eine Regierung, die ohne Zögern einer Kürzung des Einkommens der Ärmsten der Armen um monatlich 93 Euro zugestimmt hat (wodurch die Mindestrente auf armselige 393 Euro monatlich sinkt), in der Lage wäre, sich den Interessen des Kapitals entgegenzustellen.

Für eine breite Front des Neins – wie lange auch immer

Aus all diesen Gründen ist es dringend notwendig, eine Volkseinheit, die Laiki Enotita, zu bilden, eine soziale und politische Bewegung gegen die Memoranden, gegen die räuberische Sparpolitik, gegen die Aufhebung der Demokratie und die Verwandlung Griechenlands in eine europäische Kolonie mithilfe der Verschuldung.

Wir brauchen eine breite patriotische Bewegung, die sich durch Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Selbstlosigkeit auszeichnet, eine politische Front, die den Enttäuschten wieder Hoffnung gibt, Ängste überwindet und Aussicht auf eine erfolgreiche Bestätigung des klaren „Nein“ vom 5. Juli bietet.

Wer dieses Bemühen von vornherein schlechtmachen will, indem er es als Fahnenflucht darstellt, die angeblich die „erste Linksregierung“ zu Fall bringen kann, verschwendet nur Zeit. Die wirklichen Deserteure der Linken, die ihre programmatischen Versprechen gebrochen haben, sind jene, die sich lieber zur Marionettenregierung des dritten Memorandums machen.

Laiki Enotita ist weder eine bequeme Wahlalternative noch ist sie bereit, bloß ein weiteres Anhängsel des heruntergekommenen Parteiensystems zu werden. Sie repräsentiert eine Umgruppierung politischer Organisationen, Bewegungen und unabhängiger Bürger, die durch Initiativen der Selbstorganisation die authentische Volksbewegung zum Ausdruck bringen, sie inspirieren und stärken will.

Wir wollen die Stimme jener sein, die derzeit keine Stimme haben, zur Macht jener werden, die jetzt ohnmächtig sind. Wir wollen eine politische und gesellschaftliche Bewegung in Gang setzen, die das Bündnis von Beschäftigten, Arbeitslosen, Landwirten, Selbstständigen, städtischen kleineren und mittleren Gewerbetreibenden, Intellektuellen und Künstlern vertritt, im gemeinsamen Bemühen um eine tragfähige Alternative für die griechische Gesellschaft.

In dieser Initiative gibt es keinen Raum für starre Denksysteme und absoluten Wahrheitsanspruch. Raum hat dagegen eine Vielfalt gesellschaftlicher Befindlichkeiten, politischer Traditionen und Ideologien. Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit dieser Bewegung ist, dass sie demokratisch funktioniert und auf dem Handeln der Aktiven selbst, ihren Forderungen und ihren Vorschlägen fußt.

Die in Laiki Enotita mitwirkenden Kräfte, die Aktivisten, die Männer und Frauen – verbunden sind sie durch einen starken politischen Konsens, der eine sofortige, dringend notwendige Alternative zur Tragödie der Memoranden anstrebt, eine Lösung zum Wohle der Volksschichten und auf Kosten des Großkapitals, die Griechenland von der tödlichen Oberherrschaft der imperialistischen Zentren befreien wird.

Was uns eint ist die gemeinsame – über unterschiedliche Wege angestrebte – Verwirklichung einer neuen Gesellschaft, die von den Fesseln der Ausbeutung und jeder Form der Unterdrückung befreit ist, einer Gesellschaft der Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit auf dem Weg zum Sozialismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Sofortmaßnahmen für einen Weg aus der sozialen Katastrophe

Das wesentliche unmittelbare Ziel der neuen Volkseinheit ist es, durch soziale Bewegungen und politische Massenaktionen die Voraussetzungen für eine grundlegende Alternative zur Katastrophe der Memoranden zu schaffen.

Die wesentlichen Merkmale des alternativen Weges sind bereits von zahlreichen linken Gruppierungen, radikalen Bewegungen und fortschrittlichen Wissenschaftlern beschrieben worden. Die von uns angestrebte alternative Lösung soll Antworten auf alle zentralen Probleme von Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Außenpolitik bieten. Sie beschränkt sich natürlich nicht auf Geldpolitik, wie von jenen Schwindlern und Verleumdern behauptet, die von einer  „Drachmenlobby“ reden.

Das Problem dieser alternativen Lösung besteht nicht in der angeblich inadäquaten „fachlichen“ Ausarbeitung, sondern in ihrer unzureichenden politischen Vorbereitung: Dass sie nämlich nicht so gründlich diskutiert wurde, wie es unter den Menschen und sozialen Organisationen angebracht wäre – mit anderen Worten unter jenen, die aufgerufen sind, zu ihrer Durchsetzung einen harten Kampf gegen ungeheure Kapitalinteressen zu führen.

Wir wollen diese Lücke sofort schließen: durch eine groß angelegte Kampagne des öffentlichen Dialogs und damit im Gegensatz zu jenen, die ein neues „idionymon“ (das Gesetz gegen Abweichler aus den 1930er Jahren) erlassen und diese „unzulässige“ Diskussion verteufeln und sogar bestrafen wollen.

Um diesen neuen Weg einschlagen zu können, sind die folgenden Dringlichkeitsmaßnahmen zu ergreifen:

  • Aufhebung der sozial und wirtschaftlich ruinösen Memoranden und der damit verbundenen kolonialistischen Kreditverträge, die eine Hypothek auf unsere Zukunft sind.
  • Aussetzung der Schuldentilgung – deren Untragbarkeit sogar vom Internationalen Währungsfonds (aus eigener Sicht) eingeräumt wird – im Hinblick auf das Erwirken eines umfassenden Erlasses der Schulden oder zumindest eines Großteils derselben. Die Aussetzung der Zahlungen wird auf internationaler Ebene verbunden mit politischen und rechtlichen Maßnahmen, unter Verwendung der einschlägigen Erkenntnisse der Wahrheitskommission des Parlaments zu den griechischen Schulden.
  • Unabhängig von den Maßnahmen auf internationaler Ebene, jedoch parallel dazu, wird es unverzügliche und nachdrückliche Forderungen – auf politischer und rechtlicher Grundlage sowie gestützt durch die Bewegung – nach Rückzahlung der deutschen Kriegsschulden aus der Besatzungszeit, nach Wiedergutmachung  für die Opfer und nach Entschädigungen für die Nazi-Greueltaten geben.
  • Ein sofortiges Ende der Sparpolitik und Umsetzung einer Strategie der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zum Wohle der Beschäftigten und auf Kosten der Oligarchen. Besondere Beachtung ist den von der Krise am schlimmsten betroffenen sozialen Schichten zu schenken, mit Einkommensbeihilfen und einer schrittweisen Erhöhung des Mindestlohns und der Mindestsätze für Renten und Arbeitslosengelder, in Verbindung mit der Deckung von Arzt- und Arzneimittelkosten sowie der Sicherung der Grundversorgung (Strom, Wasser, Heizung) für alle.
  • Allgemeiner: Zuschüsse für Löhne und Renten sowie Sozialausgaben für kostenloses öffentliches Bildungswesen, Gesundheitswesen und Kultur. Den Wachstumsraten entsprechend sollen schrittweise Lohnerhöhungen gefördert werden. Strafsteuern und andere in den Memoranden vorgesehene Maßnahmen gegen Landwirte und Selbstständige sollen rückgängig gemacht werden. Die Einheitliche Immobiliensteuer wird abgeschafft und statt dessen ein Steuersystem eingeführt, das nur sehr großes Grundvermögen betrifft.
  • Verstaatlichung von Banken und ihrer Aktivitäten unter einem System gesellschaftlicher Kontrolle, mit rechtssicheren Garantien für die Ersparnisse einfacher Leute. Das neue verstaatlichte Bankensystem, von der Schutzherrschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mehr gedeckt, soll den dringend notwendigen Schuldenerlass für von der Krise betroffene Haushalte sowie die gleichermaßen notwendige Liquidität der von der Schließung bedrohten kleinen und mittleren Unternehmen garantieren. Zu diesem Zweck nehmen die Agrotiki Trapeza (Bank für Landwirtschaft) und die Tachydromiko Tamieftirio (Post-Sparbank) ihre Aktivitäten wieder auf, in Verbindung mit einer Untersuchung der Skandale um ihre Veräußerung. Die Verstaatlichung der Banken ermöglicht eine unverzügliche eingehende Untersuchung der an Monopolgruppen ausgezahlten fragwürdigen Kredite, ganz zu schweigen von der Steuerflucht der Personen auf verschiedenen Steuersünder-Listen wie der  „Lagarde-Liste“.

Wirtschaftliche Neuordnung und kultureller Neubeginn

In Verbindung mit diesen Dringlichkeitsmaßnahmen, die zunächst Erleichterungen für die Wirtschaft und die einfachen Leute bringen sollen, werden tiefgreifende Reformen gefördert, um das bankrotte Entwicklungsmodell und das Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte zugunsten der Menschen und zuungunsten der Oligarchen und der Vetternwirtschaft zu verändern.

  • Einschneidende Änderungen des Arbeitsrechts, um Tarifverträge wieder einzuführen und die Tarifautonomie wiederherzustellen, hartes Durchgreifen gegen ungerechte Behandlung durch Arbeitgeber, engere Grenzen und negative Anreize für Entlassungen sowie Aktivierung und Stärkung der Gewerbeaufsicht. Eine staatliche, soziale und aufgewertete Arbeitsbehörde in Verbindung mit der Abschaffung privater Leiharbeitsfirmen.
  • Schaffung eines dauerhaften, sozial gerechten und im Sinne der Umverteilung wirkenden Steuersystems, damit die Krisenlasten letztendlich nicht mehr von den üblichen Packtieren, sondern von den besitzenden Klassen getragen werden.
  • Beendigung der räuberischen Privatisierungen von Unternehmen, Netzen und Infrastruktureinrichtungen (staatliche Stromversorgungsgesellschaft (PPC), Erdgas, Häfen, Flughäfen, Immobilien im öffentlicher Sektor usw.). Sofortige Auflösung des Hellenischen Vermögensentwicklungsfonds (Hellenic Republic Asset Development Fund, HRADF). Entschädigungslose Wiederbeschaffung (mit Ausnahme kleinerer Anteilseigner) des öffentlichen Eigentums, das an private Kapitaleigner veräußert wurde, unter Zurücknahme des illegalen und verfassungswidrigen Veräußerungsbeschlusses. Verstaatlichung, Neuordnung und Wiederaufnahme aller strategischen Unternehmen, Netze und Infrastruktureinrichtungen unter einem System der Arbeitnehmer- bzw. gesellschaftlichen Kontrolle, denen die Rolle der wirtschaftlich treibenden Kräfte zukommt. Ziel ist die rasche wirtschaftliche Wiederbelebung, die Arbeitsplätze schaffen, die Position der Beschäftigten stärken und die Umwelt schützen soll.
  • Umbau des zerstörten nationalen Gesundheitswesens und der staatlichen Krankenhäuser zu einem erstklassigen, hochwertigen Gesundheitssystem, das für alle in Stadt und Land zugänglich ist.
  • Eine Politik gegen den Niedergang der Kultur, die den öffentlichen Charakter kultureller Einrichtungen bewahrt und den umfassenden Zugang der Bevölkerung zum Kulturschaffen sichert. Öffentliche Unterstützung für alle kreativen Initiativen der Kulturschaffenden und der Bürger.
  • Wiederaufbau der Wirtschaft und der Produktion mit Nachdruck auf der Umstellung a) vom Konsum importierter Güter auf die Erzeugung (vor allem industriell und landwirtschaftlich erzeugter hochwertiger Produkte) und b) von der Senkung der Lohnkosten zu gesteigerter Wertschöpfung. Unser Ziel ist letzten Endes der Übergang von einer Entwicklung, die den Ausbeutern von Arbeitskraft und Natur dient, hin zu einer Entwicklung, in deren Mittelpunkt jene stehen, die vermittels ihrer Kenntnisse und Erfahrung, ihres Einfallsreichtums und ihrer Kreativität den gesellschaftlichen Reichtum schaffen. Dazu bedarf es Strategien der demokratischen zentralen und regionalen Planung unter Beteiligung und Mitentscheidung der Kommunen sowie der Einbeziehung einer klaren Umweltdimension.
  • Großzügige Finanzierung der öffentlichen und gebührenfreien Bildung und Forschung, die abgesehen von allem anderen eine Grundvoraussetzung für eine fruchtbare Wende hin zu einem neuen und funktionierenden Sozialmodell ist.
  • Ein wesentlicher Aspekt des wirtschaftlichen Wiederaufbaus ist die Stärkung des „tertiären“ Sektors (neben dem staatlichen und privaten), mit dem Teilsektor der Sozialwirtschaft (Genossenschaften, selbstverwaltete, von ihren Eignern aufgegebene Unternehmen, Solidaritätsnetzwerke usw.). Dabei ist die großzügige Finanzierung durch staatliche Mechanismen und das öffentliche Bankwesen unabdingbar.
  • Eine Politik der Solidarität und Humanität für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten. Wir wenden uns nachdrücklich gegen jede Form fremdenfeindlichen und rassistischen Verhaltens – wie es in seiner Extremform die faschistische Goldene Morgenröte zeigt –, das den gesellschaftlichen Krieg des Kapitals gern zu einem ethnischen „Bürgerkrieg“ unter den Beschäftigten verdreht. Wir wehren uns gegen die imperialistischen Kriege, die das Flüchtlings- und Migrantenproblem nur verschärfen. Wir fordern von der EU die unserem Land und den anderen Ländern „an vorderster Front“ zustehende Unterstützung und bestehen gleichzeitig auf der Abschaffung der Dublin-Verordnungen, die Griechenland zu einem Migrantengefängnis machen.

Heraus aus dem Finanzgefängnis der Eurozone

Wir sind uns völlig bewusst, dass die Aufhebung der Memoranden an sich – und um so mehr der beschriebene tiefgreifende Strukturwandel – auf den erbitterten Widerstand der dominierenden Kräfte in der EU stoßen wird. Sie werden sofort versuchen, dieses Bemühen im Keim zu ersticken, wobei ihnen als wichtigstes Instrument dienen wird, unseren Banken die Liquidität durch die EZB zu sperren. Dies haben wir bereits im letzten halben Jahr erfahren, selbst unter der viel gemäßigteren Syriza-ANEL-Regierung.

Daher kommt die Frage eines Ausscheidens aus der Eurozone und des Bruches mit der neoliberalen Politik der EU, die einen stets reaktionäreren und antidemokratischeren Kurs verfolgt, auf die Tagesordnung – nicht als Produkt irgendwelcher ideologischer Obsessionen, sondern eines elementaren politischen Realismus.

Die bitteren Erfahrungen der letzten Monate haben auch eingefleischten Skeptikern gezeigt, dass die dominierenden Kräfte in der EU keine „Verbündeten“ oder „Partner“ sind: Es sind finanzielle Erpresser und politische Auftragsmörder, die nicht zögern, einem ganzen Volk die rabiateste Form kollektiver Bestrafung aufzuerlegen, wenn seine Beschlüsse nicht in ihrem Sinne ausfallen.

Eine neue geldpolitische Souveränität und – auf einer neuen demokratischen, sozialen und entwicklungsorientierten Grundlage – die Schaffung  einer Landeswährung ist kein Selbstzweck. Es ist eines der notwendigen Instrumente für die von uns beschriebenen grundlegenden Veränderungen, deren Bürge letztendlich nicht die Währung, sondern der Kampf der Volksmassen sein wird.

Was immer die unausweichlichen Schwierigkeiten der ersten Monate sein mögen – nichts rechtfertigte die Haltung jener Kassandrarufer, die diese Schritte mit wirtschaftlicher Katastrophe und dem Ruin des Landes gleichsetzen. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts sind weltweit 69 Währungsunionen zusammengebrochen, ohne dass dies das Ende der Welt bedeutet hätte. Die Einführung einer Landeswährung als Voraussetzung für die Verwirklichung eines fortschrittlichen Programms für den Wiederaufbau und einen alternativen Weg ist nicht nur eine tragfähige Lösung – es ist eine Option der Hoffnung, mit dem Potenzial, das Land auf einen neuen Entwicklungsweg zu bringen.

Wir sehnen uns nicht ins kapitalistische Griechenland der Drachme zurück. Wir wissen, dass die Verhältnisse in unserem Lande vor dem Euro alles andere als paradiesisch für die Ausgebeuteten war. Doch waren die dreizehn Jahre mit dem Euro in keiner Weise besser. Die ersten sieben waren für gewisse Teile der Bevölkerung ein kreditfinanzierter Konsumrausch auf den Trümmerfeldern der Produktionsbasis des Landes. In den folgenden sechs Jahren aber war der Rausch plötzlich verflogen, es folgte der Sturz in die Hölle der Memoranden, ohne dass sich ein Hoffnungsschimmer gezeigt hätte. Die Zeit für einen emanzipatorischen Ausweg ist gekommen.

Geldpolitische Souveränität mit einer Entkopplung der griechischen Notenbank von der EZB und der Übergang ihrer Aktivitäten in staatliche, öffentliche und soziale Verantwortung, mit Ausgabe einer Landeswährung, bietet uns die nötige Liquidität in der Wirtschaft, ohne die drückende Last der Kreditverträge.

Dies wird für die Steigerung der Exporte, für den begrenzten und schrittweisen Ersatz von Einfuhren durch regionale Produkte und für die Stärkung der Produktionsbasis und des Tourismus eine große Hilfe sein.  Es wird zudem die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern: durch ein Programm notwendiger staatlicher Anlageinvestitionen, durch Entwicklungsinitiativen der großen Unternehmen in öffentlicher Hand, durch Förderung des sozialwirtschaftlichen Sektors und durch Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Abschaffung der ungerechten Besteuerung und anderer Lasten für die Haushalte mit geringem Einkommen, deren Zweck nur in der Bedienung der untragbaren Schulden besteht, stärkt die Nachfrage und fördert die Entwicklung.

Alles in allem werden wir ein besonderes Konzept für Griechenland vorlegen und zur Diskussion stellen: einen Plan zur Verwirklichung eines radikalen, fortschrittlichen Programms in Verbindung mit einer Landeswährung.

 Gleichberechtigung für Griechenland

Der Ausbruch aus dem ökonomischen Gefängnis der Eurozone bedeutet weder nationale Autarkie noch internationalen politischen Isolationismus, wie unsere Gegner behaupten. Im Gegenteil: Ein neuer Kurs des grundlegenden Wandels ist ein Fanal der Hoffnung auch für andere Völker Europas und der Welt, stiftet die notwendigen Beziehungen, sichert Unterstützung und schafft Verbündete.

Durch diese von uns vorgeschlagene Alternative verliert Griechenland nur seine Ketten: die Zahlungsverpflichtungen, die das Land auf europäisches und atlantisches Grundvermögen reduzieren. Hingegen wird sie das Potenzial freisetzen, wechselseitig nutzbringende Beziehungen mit allen Ländern aufzubauen, die Griechenlands Souveränität und seine Entscheidung für eine Freundschaft mit allen Völkern der Welt respektieren, ohne irgendeiner Großmacht zu dienen.

Unser grundlegender Kurs führt in eine neue unabhängige Politik mehrdimensionaler internationaler Beziehungen in den Bereichen Energie, Wirtschaft und Politik –  zu Auslandsbeziehungen, die nicht in der Zwangsjacke der EU stecken. Wir streben eine Energiepolitik der Zusammenarbeit mit den Ländern des Mittelmeers, des Balkans und des Nahen Ostens an. Eine Politik, die neue Möglichkeiten für wechselseitig nutzbringende Kooperationen mit den Schwellenländern der BRICS-Staaten, Lateinamerikas und anderer Regionen bietet.

Wir sind gegen den neuen „Kalten Krieg“ und eine Spaltung Europas mit dem Bau neuer Mauern gegen Russland. Wir lehnen die imperialistischen Optionen und die militärische Abenteuerpolitik der NATO ab. Wir sind dem Austritt Griechenlands aus diesem Bündnis verpflichtet, einer Kriegsmaschinerie, die Staaten zersetzt, Völker gewaltsam unterdrückt und die gesamte Region von der Ostukraine bis zum Nahen Osten destabilisiert. Wir treten ein für die Schließung der US-amerikanischen NATO-Stützpunkte und für die Nichtbeteiligung Griechenlands an jedweder imperialistischer Organisation.

Um die durch die Forderungen Ankaras verursachten Probleme in den griechisch-türkischen Beziehungen zu bewältigen, streben wir einen friedlichen Dialog an – auf der Grundlage gewissenhafter Erfüllung internationaler Abkommen, des Völkerrechts und insbesondere des Seerechts.

Wir wenden uns nachdrücklich gegen jeden Versuch, die Grenzen in unserer Region zu ändern. Wir lehnen jegliches Schüren nationalistischer und chauvinistischer Tendenzen ab. Wir machen uns stark für eine gerechte und tragfähige Zypern-Lösung auf der Grundlage der UN-Resolutionen und für ein unabhängiges Zypern ohne Besatzungsarmeen und ausländische Stützpunkte. Wir halten es für notwendig, die militärische Zusammenarbeit mit Israel – das in unserer Region fremdes Gebiet besetzt hält – zu beenden und den palästinensischen Staat umgehend anzuerkennen. Wir sind solidarisch mit jenen Völkern der Welt, die nach Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung streben.

Ein Ausscheiden aus der Eurozone und die Verwirklichung eines radikalen alternativen Programms mithilfe des organisierten Volkes als zentralem Akteur läuft auf eine Kampfansage an die Konzepte der EU und ihrer antidemokratischen supranationalen Einrichtungen hinaus. Bereits mit dem Vertrag von Maastricht diente das Projekt der europäischen Integration neoliberalen Zielen, stärkte die imperialistischen Neigungen der dominierenden Kräfte und untergrub die Volkssouveränität.

Angesichts der unausweichlichen Angriffe seitens des Finanzkapitals und seiner politischen Vertreter muss sich das Volk auf alles einstellen. Die Frage des Ausscheidens Griechenland aus der EU kann de facto und jederzeit auf die Tagesordnung kommen. In diesem Fall rufen wir die Bevölkerung auf, auf der Durchsetzung des von ihm gewählten fortschrittlichen Programms zu bestehen und über den Verbleib in der EU genau wie andere europäische Länder durch Volksentscheid zu befinden.

Auf jeden Fall bedeutet ein Verlassen der Eurozone und ein Bruch mit den einschnürenden Auflagen der EU keine Absonderung Griechenlands vom europäischen Umfeld. Wir richten uns insbesondere an andere Völker, die sozialen Bewegungen und die fortschrittlichen Kräfte in den EU-Mitgliedsländern, mit denen wir durch langjährige wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen verbunden sind. Wir wollen zur Bildung einer paneuropäischen Bewegung beitragen, die jenen Zielen verpflichtet ist, die den gemeinsamen Interessen der Beschäftigten ungeachtet ihrer Nationalität innewohnen.

Ein Höhepunkt in der reaktionären Transformation der EU ist die zurzeit ausgeheckte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Dies ist ein Abkommen, das öffentliche Güter (Wasser, Bildung, Gesundheit usw.) multinationalen Unternehmen preisgibt, genveränderten Nahrungsmitteln Tür und Tor öffnet und gleichzeitig Arbeitnehmerrechte und nationale Souveränität restlos abschafft, Felder, auf denen dem verantwortungslosen Handeln von Anlegern noch Grenzen gezogen werden könnten.

Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun – gemeinsam mit den fortschrittlichen Bewegungen in Europa –, um die Ratifizierung dieses ungeheuerlichen Freihandelsabkommens zu verhindern.

Demokratie überall, die Macht des Volkes

Ein wesentliches Element unserer Alternative ist der grundlegende Umbau von Staat, Justiz und öffentlicher Verwaltung. Die dringendsten Maßnahmen in dieser Hinsicht sind die folgenden: Wiederherstellung und Ausbau der demokratischen Freiheiten, von Arbeitnehmerrechten bis zum Demonstrationsrecht; Auflösung der „Bereitschaftspolizei“ MAT und allgemeiner ein umfassendes Vorgehen gegen die Mechanismen der Unterdrückung des „Feindes im Innern“; Demokratisierung und Transparenz im Bereich der Massenmedien; und eine entschlossene Haltung gegen Korruption und Kapitalinteressen.

Dabei überprüfen wir die Rolle und Ausrichtung „unabhängiger Behörden“ in den für die Kontrolle des Bankwesens, der Telekommunikation, Energie, Information usw. zentralen Bereichen. Selbstverständlich werden andere unabhängige Einrichtungen, die eine sinnvolle gesellschaftliche Rolle spielen können – etwa der Hohe Rat für die Auswahl von Zivilbediensteten (ASEP) –, beibehalten und gestärkt, wobei wir Transparenz und gesellschaftliche Kontrolle verbessern wollen.

Des Weiteren werden wir einen umfassenden gesellschaftlichen Konsultationsprozess zur gründlichen Überarbeitung der Verfassung und des politischen Systems durch eine aus den folgenden Wahlen hervorgehende neue verfassungsgebende Versammlung in Gang setzen. Ein Kernziel dieser Revision ist die Schaffung einer neuen, viel weiterentwickelten Demokratie, die repräsentative mit direkten Elementen verbindet und erheblichen Raum für Volksinitiativen und Eigeninitiative vorsieht, ebenso für die Mitwirkung der Bevölkerung und direkte Volksentscheide auf der Grundlage internationaler bewährter Verfahren und Erfahrungen.

Für uns ist der Anspruch auf Regierungsmacht kein Selbstzweck. Sie ist dem allgemeineren Ziel untergeordnet, politische Macht für ein breites Volksbündnis zu erlangen. Sie dient einem Programm für einen direkten Ausweg aus der heutigen ausweglosen Situation, einem Programm, das eine Regierung aufzulegen vermag, die von der Macht der organisierten Bevölkerung und ihrer eigenen besonderen Institutionen gestützt wird, in der Arbeiter- und Jugendbewegung, von lokalen und Umweltbewegungen sowie Solidaritätsbewegungen und Formen der Selbstorganisation der Bevölkerung.

Die Realisierung eines solchen Programms birgt das Potenzial, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, eine neue griechische Gesellschaft unter sozialistischer Perspektive aufzubauen.

Aus dem Griechischen ins Englische von Wayne Hall.