Kommunalpolitik ist wichtig – löst aber nicht die Systemfrage

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Wir fordern eine komplette Neuverteilung der öffentlichen Finanzen. Von Mario Kühne

1. Ist – Situation

Das Leben in der Kommune prägt in allen großen Fragen des Daseins und seiner Vor- und Nachsorge die Menschen, die darin wohnen. Energie- und Wasserversorgung, öffentliche Verkehrsangebote, ein kommunales Gesundheitswesen, die Entsorgung von Abfall, Schulen und weitere Bildungseinrichtungen, Sport- und Kulturangebote und auch eine bürgerfreundliche und flexible öffentliche Verwaltung – das sind die großen Alltagsthemen in der Kommune. Es sind dies auch die großen Themen einer linken Partei. Die Arbeit in der Kommune ist Arbeit mit den wirklichen Menschen und zu deren wirklichen Problemen.
Die kommunale Arbeit muss für die LINKE deshalb am Anfang, am Ende und im Zentrum der alltäglichen Politik stehen. Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass unsere Kritik am Kapitalismus und unsere daraus abgeleitete Politik für einen Aufbruch zu einer demokratischen und sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung weder im Gegensatz zu kommunalen Arbeit stehen, noch in einer zeitlichen Abfolge irgendwann „später“ zum Zuge kommen. Unser sozialistisches Modell ist konkret und aktuell. Unsere kommunale Arbeit muss die Wege zu einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderung bereiten, die Menschen zu Widerstand und politischer Selbstbestimmung ermutigen und alle unsere Mitglieder müssen als aktive Kräfte in diesem Prozess mitmachen und Ideen einbringen.

Schon mit dem Beschluss zu den Kommunalpolitischen Leitlinien im Jahr 2005 wurde eines immer deutlicher: Die Landkreise, Städte und Dörfer hängen am Finanztropf der Gesellschaft und werden gnadenlos geschröpft. Die Finanzen sind auch nicht besser geworden, obwohl das Statistische Bundesamt schon im vergangenem Jahr die Steigerung der Einnahmen vermeldete. Heute vermehren sich die Meldungen, dass die steuerlichen Einkünfte der Landkreise , Städte und Dörfer so hoch wären, wie noch nie und trotzdem steigen KITA Gebühren, die direkten Steuern in der Grundsteuer A und B, werden andere Gebühren nach oben geschraubt und öffentliche Gebäude und Straßen verfallen oder werden geschlossen.

Nach wie vor gelten die maximale Kongruenz bei Steuersätzen, bei der Ansiedlung von Gewerbe bzw. der Schaffung von Gewerbeflächen, werden Millionen von Euro an Steuergelder in unsinnige Investitionen verschwendet und es gilt ein Rechtssystem in der Kommunalpolitik, welches die Demokratie einschränkt, die Selbstverwaltung der Kommunen als fast unerreichbares Ziel definiert und die Kommunen werden gegängelt, an der kurzen Leine gehalten und als machtpolitische Spielzeug missbraucht.

Seit der Wiedervereinigung sind nun schon linke Mandatsträger in den Amtsstuben, Verwaltungen und Räten vertreten. Von einer sozialistischen, wie in den kommunalpolitischen Leitlinien von 2005 gefordert, Politik ist nichts zu sehen oder spüren. Da werden frei weg, Millionen von Wohnungen verkauft, ganze Entsorgungsunternehmen und Krankenhäuser verkauft, komplette Wasserversorgung und Wasserkraftwerke werden privatisiert oder die PPP Projekte schlagen riesige Finanzlöcher in die Kassen der Landkreise und Städte. Die ländlichen Regionen werden vom öffentlichen Nahverkehr abgehängt, die Daseinsvorsorge in Form von Schulen und Kindergärten bzw. Arztpraxen oder einer simplen Filiale einer Sparkasse sind nicht mehr vorhanden und Straßen bzw. Wege sind dem Verfall preisgegeben.

Die Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist bei den Kommunalwahlen nur noch bei 30 – 40 % der Einwohner angekommen und immer weniger Einwohner scheint es zu interessieren, wer sich dort mit ihren Probleme herumschlägt. Dabei greifen immer mehr europa- und bundesrechtliche Regelungen direkt in die Kassen der Landkreise, Städte und Dörfer und mit TTIP und CETA schwebt ein Damoklesschwert über dem bisschen Demokratie, welche sich in den Kommunen erhalten hat.

 

2. Der Wunsch und die Realität

Die Forderungen der Kommunalpolitischen Leitlinien sind für eine Partei mit dem Anspruch eines Systemwechsels logisch, jedoch haben diese Forderung selten etwas mit der Realität zu tun.

Weil dies so ist, kann nur ein kleiner Teil der kommunalen Arbeit darin bestehen, Wahlkämpfe zu bestreiten und Mandate in Stadt-, Kreis- und Beiräten wahrzunehmen. Die gesamte bestehende kommunale politische Selbstverwaltungsstruktur leidet an drei grundsätzlichen Mängeln: Sie ist erstens für ihre Aufgaben völlig unterfinanziert. Nicht eine der kommunalen Aufgaben kann im Sinne der Menschen in der Kommune befriedigen gelöst werden, weil das Geld dafür fehlt. Linke Politik darf sich damit niemals abfinden, darf niemals „linkes“ Sparen und Kürzen beginnen oder sich als demütiger Vollstrecker von Sachzwängen begreifen. Wir fordern eine komplette Neuverteilung der öffentlichen Finanzen.

Zweitens ist die kommunale Politik ein undemokratischer und bürokratischer Anhängsel der politischen Strukturen im Land und Bund. Von einer selbstbestimmten kommunalen Verwaltung in allen Belangen, von einer breiten demokratischen Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger sind wir meilenweit entfernt. Im Zuge der Politik aus Schuldenbremse, Kürzungsmaßnahmen, Privatisierung öffentlicher Güter und der Zentralisierung durch Landes- Bundes- und EU-Politik im Namen des Neoliberalismus ist diese Abkoppelung der Kommune immer umfänglicher und schlimmer geworden.

Die kommunale Politik ist drittens auch kein unabhängiges Werk der gewählten Politiker. Es handelt sich vielmehr um eine kastrierte und entseelte parlamentarische und direkte Beteiligung der Menschen. Die kommunalen Räte sind an der kurzen Leine der Verwaltung, die nicht viel mehr als ein braves Abnicken aller Vorgaben erlaubt.

Der wichtigere Teil der kommunalen Arbeit muss deshalb in der Mobilisierung der Menschen für ihre Interessen liegen. Wir unterstützen und ermutigen die Menschen dort, wo sie leben: In den Stadtteilen, in den Schulen und Betrieben, in den kulturellen Einrichtungen, den vielen Vereinen und Initiativen und den zahllosen und immer wieder nötigen konkreten Protest- und Widerstandsbewegungen. Diese „andere“ kommunale Arbeit“ kann durchaus mal in Widerspruch zur Arbeit in den Institutionen und Parlamenten führen – aber die Entscheidung der LINKEN, auf welcher Seite sie dann steht muss ein für alle mal klar sein; Auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger, der Beschäftigen, der Schüler, der Erwerbslosen und Jobsuchenden, der Migrantinnen und Migranten.“

Eines der größten Probleme der Linken in der Kommunalpolitik ist nach wie vor die Umweltpolitik. Zu oft verweigern hier auch linke Kommunalpolitiker / – innen die Sicht auf wichtige Entscheidungen und oft genug werden Umweltgesetze und Bestimmungen mit Füßen getreten. Ein typisches Beispiel, egal ob in Ost oder West, ist hier sicherlich die Energie – oder besser noch die Kohlepolitik zu nennen.

Ähnlich verhält es sich mit der Durchsetzung der Forderungen durch Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheidungen. Zu eng sind oft genug die gesetzlichen Rahmen, um überhaupt für die Bürgerinnen und Bürger – angefangen von den Fragen der Finanzierung einer solcher Bürgerentscheidung bis hin zur Erfüllung der gesetzlichen Quoren um direkte Bürgerbeteiligung – zu ermöglichen. Und oft genug selbst, wenn diese Hindernisse erfüllt werden können, fehlt es an der Durchhaltekraft der Beteiligten und oft genug werden solche Chancen vertan. DIE LINKE in der Kommunalpolitik kann sich nicht nur darauf versteifen die gesetzlichen Rahmen einzuhalten und diese zu kontrollieren, sie muss zumindest auch versuchen, diese zu ändern. Wie schwer ein solcher Versuch auch immer wieder ist, er ist es wert.

 

3. Chancen nutzen

Die LINKE hat – mittlerweile auch in den Westländern, aber vor allem in den fünf jüngsten Bundesländern – große politische Erfolge auf der kommunalen Ebene. Tausende Mitglieder und UnterstützerInnen der Partei sind in Gremien und kommunalen Parlamenten als gewählte VertreterInnen oder als Beschäftigte rund um die Uhr engagiert. Das ist gut so und die Basis für nachhaltiges politisches Vertrauen in die LINKE. Aber wie jeder Erfolg hat auch dies eine Schattenseite, hat Faktoren hervorgebracht, die am politischen Selbstverständnis der LINKEN zehren und ihre Glaubwürdigkeit schmälern. Menschen erleben auch finanzielle und moralische Abhängigkeiten durch kommunale Ämter. Oft wird das Parteileben diesen Ämtern und Strukturen komplett untergeordnet. Es mehren sich unpolitische Eifersüchteleien und Intrigen um Posten und Mandate. Es mehren sich scheinbar unendliche Amtszeiten und Ämterhäufung. All das ist das Gegenteil von wirklicher kommunaler partizipativer und solidarischer Politik und stehen im Gegensatz zum Selbstverständnis der LINKEN.

Alle demokratischen und linken Parteien überall auf der Welt haben diese Erfahrung der „Dialektik der partiellen Errungenschaften“ erlebt. Es gibt viele praktische und politische Ideen und Vorschläge, wie diese Tendenzen zur Erstarrung im Erreichten und zur bürokratischen Verteidigung partieller Privilegien, bekämpft und abgebremst werden können. In vielen anderen linken Parteien wurden oder werden sie auch in der Praxis angewendet: Befristung aller Ämter, Verbot von Ämterhäufung, Ausbau von Genderdemokratie und von rechten für politische Minderheitsströmungen. Rotation in Leitungsämtern und generell flache bis gar keine Hierarchien, auch gegenüber hauptamtlich Beschäftigten bei Partei oder Fraktionen. Niemand darf sich an der politischen Arbeit bereichern oder persönliche Privilegien aufbauen.

Die Mechanismen müssen auch durch Regelungen in Satzungen und Geschäftsordnungen angestoßen und abgesichert werden. Die wichtigste Sache ist und bleibt aber die politische Einbettung der Arbeit in Gremien und Parlamenten und die im positiven Sinne verstandene, demokratische „Kontrolle“ der Partei.

Wird all dies berücksichtigt, dann kann aus der kommunalen Arbeit eine politisch die Zukunft bereitende „kommunistische“ oder sozialistische Arbeit der Partei werden. Das also, was in den deutschen Kommunen so bitter fehlt.