Sachsen braucht keine SPD 2.0

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Gründungsaufruf des Liebknecht-Kreises Sachsen (LKS), DIE LINKE. Landesverband Sachsen

Nach einer längeren und intensiven Vorbereitungsphase, die unmittelbar nach den Landtagswahlen vom 31. August 2014 begann, konstituierte sich am 14. März 2015 der Liebknecht-Kreis Sachsen als Zusammenschluss innerhalb des sächsischen Landesverbandes der Partei DIE LINKE. Auf dieser Gründungsveranstaltung wurde das nachfolgende Dokument verabschiedet.

1. Zur Situation im Landesverband Sachsen der Partei DIE LINKE

In zunehmendem Maße gibt es in unserem Landesverband erhebliche Differenzen über Grundsatzfragen sozialistischer Politik, die uns in unserer Sorge bestärken, dass wir als Partei in einer neuen Qualität bisherige Alleinstellungsmerkmale abschwächen oder ganz verlieren scheinen und uns zunehmend in den herrschenden Politikbetrieb einordnen.

Über zehn Jahre hinweg hat die sächsische LINKE von Wahl zu Wahl deutlich Prozentpunkte und geradezu dramatisch auch absolut Wählerinnen und Wähler in fast allen Bevölkerungsschichten verloren. Diese Entwicklung war schon weit vor dem Wahltag am 31. August 2014 erkennbar. Die Mehrheit des Landesvorstandes hat auf diese Entwicklung mit einer Abschwächung des Oppositionsprofils reagiert und – von tiefschürfenden inhaltlichen Aussagen eher Abstand nehmend – vor allem die Orientierung auf eine rot-rot-grüne Landesregierung als Kernbotschaft der LINKEN in Sachsen formuliert. Diese Ausrichtung war eine strategische Fehlentscheidung, deren Voraussetzungen und Folgen gründlich analysiert werden müssen. Angesichts einer nicht gegebenen Wechselstimmung und der Verweigerungshaltung möglicher Koalitionspartner fehlte ihr jegliche Wirklichkeitsnähe.

Unsere Wählerverluste und damit der Rückgang unseres Einflusses auf das politische Geschehen in Sachsen haben mindestens zwei Hauptursachen: Zum einen gibt es objektiv schwierige strukturelle Probleme der Gesellschaftsentwicklung, die mit neuen Herausforderungen an unsere Partei einhergehen, die sie derzeit unzureichend bewältigt. Dazu gehören Tendenzen einer zunehmenden Individualisierung im Alltagsleben, eine Aktivierung der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gruppen der abhängig Arbeitenden, eine sich allgemein ausbreitende Verachtung gegenüber „den Politikern“, eine längst gespaltene soziale Demokratie mit ansteigen-der Wahlverweigerung insbesondere seitens der sozial Benachteiligten und ein wachsender Einfluss des neoliberalen Zeitgeistes. Zum anderen sind wir mit politischen und sozialen Entwicklungen konfrontiert, die eigentlich für die Stärkung unserer Partei neue günstige Bedingungen schaffen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass wir uns konsequent als Interessenvertretung an die Seite derjenigen stellen, die sich von diesen Entwicklungen bedroht sehen. Zu diesen Bedrohungen gehören die anwachsende Kriegsgefahr, die Explosion sozialer Ungleichheit, neue gravierende Umweltgefährdungen und der Abbau von Demokratie. Diese Voraussetzung erfordert aber aktives Handeln als Oppositionspartei und bleibt dann ungenutzt, wenn die Anpassung an andere Parteien überwiegt. Stattdessen sollten wir uns stärker als in der jüngeren Vergangenheit bemühen, wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale und weitere Verhältnisse, die zu Missständen führen, aus einer sozialistischen Perspektive zu analysieren und aktiv zu bekämpfen. Diese Ansprüche müssen wir aber nicht nur formulieren, sondern tatsächlich auch umsetzen. So können wir unseren Charakter als Partei, die im Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sieht und für eine „Gesellschaft der Freiheit, der sozialen Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität“ (Erfurter Programm 2011, Seite 77) eintritt, bekräftigen und betonen.

Ein allgemeines Merkmal der Anpassung an den herrschenden Politikbetrieb und der damit verbundenen Abkehr von einer systemverändernden Perspektive kommt gerade in Sachsen durch ein Abweichen von den Grundsätzen des Erfurter Programms zum Ausdruck. So spielten die „roten Haltelinien“ im Zusammenhang mit einer Regierungsbeteiligung im Landtagswahlkampf kaum eine Rolle. Unsere Alleinstellungsmerkmale als Antikriegspartei, als Partei, die sich nicht devot den Interessen der Wirtschaftsmächtigen unterwirft, als Partei der sozialen Gerechtigkeit, als Partei, die sich der Privatisierung der Daseinsvorsorge und der Umverteilung von unten nach oben widersetzt, die die Interessen der Ostdeutschen im Kampf um gleiche Löhne und Rentenwerte vertritt, wurden in Frage gestellt, weil diese angeblich keine Landesthemen seien. Stattdessen mehrten sich Bekenntnisse zur „Sozialpartnerschaft“ und zum angeblichen Charakter unserer Partei als „Mittelstandspartei“. Das konterkarierte unseren Grundanspruch als Interessenvertreterin der abhängig Arbeitenden und Benachteiligten.

Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und sozialen, systemkritischen Bewegungen ist aus dieser Einstellung heraus schwächer geworden. Als Zentralachse der Politik erscheint auch nach den Landtagswahlen der Kurs auf eine Regierung mit SPD und Grünen als der Schlüssel zur Lösung aller Probleme.

Wir haben insgesamt nicht den Eindruck, dass die Mehrheit im aktuellen Landesvorstand und in der Landtagsfraktion bislang an einer ernsthaften Debatte zu notwendigen Schlussfolgerungen aus der Wahlniederlage vom 31. August 2014 interessiert ist. Dabei wäre sie gerade jetzt dringend notwendig, um eine klare linke Strategie zu entwickeln. So hätte es eigentlich eines zeitnahen Landesparteitages bedurft, um auf der Basis einer kritischen und selbstkritischen Analyse die Weichen in Zukunft richtiger stellen zu können. Wenn DIE LINKE künftig auch in Sachsen ernst genommen werden und wirken will, sollte sie auf ein Profil als kämpferische und deutlich vernehmbare Opposition mit linkssozialistischer Orientierung in einem gesellschaftlichen Reformbündnis setzen, das dezidiert über die Grenzen des Parlamentarismus hinausweist und mithin in die Gesellschaft wirkt.
2. Wer sind wir?

Wir stellen in unserer Zusammensetzung in gewissem Sinne ein Spiegelbild der Mitgliederstruktur unserer Partei dar. Viele von uns haben bereits in der DDR gewirkt, den Prozess des Umbruchs 1989/1990 bewusst erlebt und die Entwicklung der PDS und dann der LINKEN aktiv mit gestaltet. Gerade deshalb ist es durchaus verständlich, wenn uns die Sorge umtreibt, dass sich die Entwicklung unserer Partei gerade in Sachsen in eine Richtung bewegt hat und weiter zu bewegen scheint, die wir so nicht akzeptieren können.

Das betrifft beileibe nicht nur jene von uns, die man zur Gründergeneration der PDS zählen könnte, sondern zunehmend auch Jüngere, die erst im Verlauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte zu unserer Partei gestoßen sind. Auch unter uns gibt es zu einer Reihe von Detailfragen unterschiedliche Antworten, zumal ein Teil zugleich anderen Zusammenschlüssen innerhalb unseres Landesverbandes angehört. Uns eint aber, dass wir fest auf dem Boden des Erfurter Programms stehen und seine Grundpositionen gegenüber jenen zu verteidigen gedenken, die in der politischen Praxis eher für einen Kurs der Annäherung an Positionen der SPD und der Regierungsbeteiligung um jeden Preis stehen.
3. Was wollen wir?

Sozialistischer Pluralismus, zu dem wir uneingeschränkt stehen, ist dann produktiv, wenn auf demokratische und kulturvolle Weise um Standpunkte und Mehrheiten gerungen wird. Wir verhehlen nicht, für unsere inhaltlichen Positionen, insbesondere wenn es um die strategische Ausrichtung unserer Partei geht, um Mehrheiten zu ringen. Da Inhalte stets von Personen entwickelt, vertreten und umgesetzt werden, können wir nicht dabei stehen bleiben, uns lediglich angemessen in Debatten einzubringen. Wir streben daher entsprechende Funktionen in den Führungsgremien an, wohl wissend dass Personalfragen inhaltliche Debatten nicht überlagern oder gar verdrängen dürfen. Auch deshalb wollen wir gerade durch Impulse, die von der Basis ausgehen, Debatten zu den politischen und organisatorischen Zukunfts- und Überlebensfragen unserer Partei anstoßen. Wir laden zu breiter Beteiligung ein, in ganz Sachsen und über alle Strömungen hinweg.

Wir wollen, dass DIE LINKE in Sachsen wieder deutlicher als in letzter Zeit ihren Platz in dieser Gesellschaft und in der Auseinandersetzung mit anderen Parteien bestimmt. Dabei müssen wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Außerparlamentarischem und Parlamentarischem finden. Bei der Bestimmung unserer Schwerpunkte muss es weitaus mehr als bisher um die Hervorhebung von Alleinstellungsmerkmalen gehen, die nicht beliebig gewählt werden können, sondern sich aus dem sozialistischen Charakter unserer Partei herleiten. Erst die Schärfung des linken Markenkerns verschafft uns die Möglichkeit, politisch erfolgreich zu agieren und damit auch entsprechende Themen zu setzen, statt lediglich auf Ereignisse oder Prozesse zu reagieren. Solche Alleinstellungsmerkmale ergeben sich in der Regel im Vergleich zur SPD und den Grünen. Auf folgende sei ohne Anspruch auf Vollständigkeit und lediglich thesenhaft verwiesen:

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Friedenspartei, die gegen jegliche deutsche Militäreinsätze und jegliche Rüstungsexporte ist und die Auflösung der NATO verlangt.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die konsequent für soziale Gerechtigkeit und die Umverteilung von oben nach untern kämpft, selbst wenn das angesichts der Macht- und Eigentumsverhältnisse in Deutschland nicht umgehend zu spürbaren Veränderungen für die Mehrheit der Bevölkerung, ins-besondere für Menschen in prekären Lebensverhältnissen führt. Sie versteht sich als Anti-Hartz-IV-Partei. Sie vertritt vor allem die Interessen der Lohnabhängigen. Sie nimmt sich insbesondere der Sorgen von Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen an.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die für die Überwindung des Kapitalismus für eine „anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus“ (Erfurter Programm 2011, Präambel) eintritt.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die für ein Bildungssystem eintritt, das allen, unabhängig von Herkunft und Einkommen, offen steht und gleiche Chancen gewährt.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die bei den notwendigen Veränderungen im Klima-, Umwelt- und Energiebereich darauf ach-tet, dass diese nicht zu Lasten der sozial Bedürftigsten gehen.

• Die LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die konse-quent eine weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Daseinsvor-sorge ablehnt und ihren Charakter als Antiprivatisierungspartei weiter ausprägt.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und im Landtag vertretene Partei, die für mehr demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Wirtschaft eintritt.

• DIE LINKE ist die einzige im Bundestag und Landtag vertretene Partei, die für die sozialen und politischen Interessen der Ostdeutschen kämpft. Sie fordert gleiche Löhne und gleiche Rentenwerte in Ost und West. Sie tritt für eine differenzierte Erinnerungspolitik zur Geschichte der DDR ein, als einem Sozialismusversuch unter schwierigen historischen Rahmenbedingungen. Ihr geht es um die Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach 1945, der DDR wie der Alt-BRD, in ihren Wechselbeziehungen und im Kontext zu den internationalen Rahmenbedingen.
Sachsen braucht keine SPD 2.0. Inhaltliche Trivialisierung linker Politik und Regierungsbeteiligung um den Preis der Anpassung machen uns überflüssig. Oppositionspolitik bedarf, wenn sie Besseres entwickeln soll, stärkerer Aussagen als den ständigen Ruf nach „Mehr“. Sie bedarf einer tragfähigen Gesellschaftsstrategie. Soll unser Handeln über die kapitalistische Gesellschaft hinausweisen, so muss sie auch über „rot-rot-grüne Regierungen“ hinausweisen. Regierungsbeteiligung hat nur dann Sinn, wenn sie tatsächlich eine politische Wende gegen die neoliberale Kapitaloffensive herbeiführt. Analysieren wir die Missstände und Zustände gemeinsam und auf zeitgemäße Weise. Suchen wir nach den besten Wegen, um gemeinsam mit den Ausgebeuteten, Entrechteten und Entmündigten für politische und soziale Verbesserungen sowie für eine alternative Gesellschaft zu kämpfen. Beachten wir die geschichtlichen Erfahrung, dass dies nur möglich wird, wenn sich dafür gesellschaftliche Kräfte im zureichenden Maße und mit der notwendigen politischen Organisiertheit einsetzen.

Leipzig, 14. März 2015 

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