Nein zur Dämonisierung der DDR – ja zu einer differenzierten, gerechten Sicht auf DDR-Geschichte

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Dokumentiert: Erklärung zu den Sondierungsgesprächen zwischen Linke, SPD und Grünen in Thüringen

Wir haben mit großer Sympathie den Wahlkampf der Linken in Thüringen verfolgt. Er war sehr engagiert. Die Forderungen entsprachen den Interessen der abhängig Arbeitenden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aber was dann kam, macht uns wütend. Die Führung der Linken unter Bodo Ramelow, Susanne Hennig-Wellsow, Birgit Keller und Steffen Dittes hat in Koalitionssondierungsgesprächen mit der SPD und den Grünen einem Papier zugestimmt (Anlage 1 zum Protokoll des 2. Sondierungsgespräches) und eine eigene Erklärung herausgegeben (»Erklärung DDR-Geschichte« vom 26.9.2014), die eine Unterwerfung der Linken unter die offizielle Erinnerungspolitik der Dämonisierung und Kriminalisierung der DDR zum Inhalt haben.

Wie im Kalten Krieg

In der Anlage 1 heißt es: »Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.«

Dieses Zerrbild der DDR steht in einem krassen Gegensatz zum Denken der Menschen in Ostdeutschland über die DDR. Umfragen in den neunziger Jahren belegen, dass deutlich mehr Menschen der Meinung waren, dass man in der DDR eher »zu seinem Recht« kommen konnte als im vereinigten Deutschland. Noch im April des Jahres 2009, 23 Jahre nach dem Untergang der DDR, waren nach einer Umfrage von Emnid 47 Prozent der Befragten in Ostdeutschland der Meinung, die DDR habe mehr gute als schlechte Seiten gehabt, und acht Prozent sagten, die DDR habe nur gute Seiten gehabt.

Natürlich gab es Unrecht in der DDR. Aber der Begriff »Unrechtsstaat« ist ein politischer Kampfbegriff des Kalten Krieges. Seine Akzeptanz durch die Besiegten bedeutet deren politisch-moralische Unterwerfung unter das Urteil der Sieger im Kalten Krieg. Das ist mit uns nicht zu machen.

Wir brauchen eine differenzierte und gerechte Sicht auf die DDR. Dazu brauchen wir eigene Begriffe wie den Begriff der Demokratie als individuelle und kollektive Selbstbestimmung der Menschen im Rahmen der gegebenen sozioökonomischen Verhältnisse und geschichtlichen Umstände sowie ein Verständnis des Rechts als Maß der Politik. Die Übernahme der politischen Kampfbegriffe »Unrechtsstaat« oder auch »totalitäre Diktatur« macht dagegen eine gerechte und differenzierte Analyse und Bewertung der DDR unmöglich, weil damit die DDR kriminalisiert wird.

Warum solch ein Papier?

Die vier Vertreter der Linken haben in den Sondierungsgesprächen augenscheinlich jede eigenständige politische Position aufgeben. Sie haben sich über die eigenen Parteibeschlüsse hinweggesetzt. Indem sie dieser und weiteren Passagen zustimmten, haben sie nicht etwa nur die Positionen der Grünen anerkannt. Sie haben sie übernommen. Gemeinsame Erklärungen sind nun einmal immer Willensübereinstimmungen und eben nicht unverbindliche »Protokollnotizen«, wie Bodo Ramelow nunmehr beschwichtigend erklärt.

Offenbar haben die Vertreter der Linken nicht einmal das Unrecht der »Abwicklung« der DDR zur Sprache gebracht, das heißt die Verscherbelung des Volkseigentums durch die Treuhand, die massenhaften Entlassungen aus politischen Gründen aus dem öffentlichen Dienst, die Auswechselung des wissenschaftlichen Personals an den Universitäten und Hochschulen bis zu 85 Prozent und die Negierung des Grundrechts auf Arbeit für zwei Millionen Menschen durch Deindustrialisierung. Sie haben sich ohne Not zu einem Kniefall vor den Herrschenden und deren politisch-ideologischen Leitbildern entschlossen, offenbar um »anzukommen«, um Zugang zum allgemeinen Politikbetrieb mit seinen pekuniären und machtpolitischen Privilegien zu bekommen.

»Aufarbeitung der Alltagsdiktatur«

Die Verunglimpfung der DDR soll augenscheinlich nach der Anlage 1 unter einem Ministerpräsidenten der Linken in Thüringen erst so richtig losgehen. Es gehe nicht nur um »Zusammen- oder Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit«, steht in der Anlage 1. Vielmehr gehe es nunmehr »um eine konsequente und schonungslose Aufarbeitung der Alltagsdiktatur«: »Nicht nur die heute gut dokumentierte Einflussnahme der Staatssicherheit, die ›Schild und Schwert der SED‹ war, auf den Lebensweg und die Freiheit eines einzelnen Menschen, sondern die unerträgliche Einflussnahme in allen Bereichen des Lebens in der DDR durch den von der SED geführten Staat wollen wir aufarbeiten.«

Hier wird das Denken von Menschen deutlich, die nie in der DDR gelebt haben, und sich nun heute ihr realitätsfernes »DDR-Horrorbild« aus der geschichtlichen Ferne und inspiriert von der Propaganda der Mainstreammedien zurechtbasteln. Und die Linken stimmen dem noch zu.

Der Verunglimpfung der DDR folgt auf dem Fuß ein Kontaktverbot gegenüber all denjenigen, die nicht bereit sind, dies mitzumachen: »Wir verständigen uns darauf, nicht mit Organisationen, die das DDR-Unrecht relativieren, zusammenzuarbeiten.«

Gemeint sind offensichtlich Zusammenschlüsse in der Linken wie die KPF und das Marxistische Forum, auch die DKP, aber ebenfalls ostdeutsche Organisationen wie der RotFuchs-Förderverein oder die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, die die DDR als Sozialismusversuch unter sehr schwierigen geschichtlichen Bedingungen und als eine Alternative zum deutschen kapitalistischen Staat begreifen.

»Gemeinsame Erinnerungskultur« mit SPD und Grünen

In der Erklärung der vier Politiker der Linken heißt es: »Die gemeinsame Erklärung zur DDR-Geschichte ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Regierung von Linken, SPD und Bündnis90/Die Grünen. Sie bildet die Basis für eine gemeinsame Erinnerungskultur.«

Was für eine Erinnerungskultur soll das sein? Eine Kultur im Sinne einer »Alltagsdiktatur«, in deren Mittelpunkt die politischen Kampfbegriffe des Kalten Krieges stehen, 25 Jahre nach dessen Ende? Uns fällt zu all dem der Satz von Erich Kästner ein: »Nie werde ich so tief sinken, von dem Kakao, durch den man mich zieht, auch noch zu trinken.«

 

Siegfried Kretzschmar, Prof. Dr. Ekkehard Lieberam, Herbert Münchow und Prof. Dr. Bernd Koenitz (Vorstand Marxistisches Forum des Stadtverbandes Die Linke Leipzig)

Edmund Pelzer und Rolf Kasper (Vorstand RotFuchs-Förderverein e.V., Regionalgruppe Leipzig)

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