Die Barbarei kehrt zurück

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Zur aktuellen Einwanderungsdebatte und linken Konsequenzen

von Jürgen Aust.

In der politischen Debatte um die Begrenzung von Zuwanderung scheinen sämtliche humanitären Dämme zu brechen. So wurde auf der Klausurtagung der CSU Anfang Januar 2018, um die „rechte Flanke zu schließen“, u.a. eine noch rigidere Flüchtlings- und Sicherheitspolitik eingefordert und zu einer verschärften inneren Aufrüstung aufgerufen. Der bayrische Landesgruppenleiter, Alexander Dobrindt, ließ den Ruf nach einer „konservativen Revolution“ erschallen, die durch einen verschärften Antiislamismus, schnellere und vereinfachte Abschiebungen, massive Kürzung der Sozialleistungen und Lagerunterbringung im wesentlichen geprägt ist. Die CSU hat in Bundesinnenminister de Maizière (CDU) einen willkommenen „Bruder im Geiste“ an ihrer Seite, der seit langer Zeit nichts unversucht lässt, die Standards des Asylrechts unentwegt weiter zu schleifen, sei es in Form der ständigen Ausweitung sog. „sicherer Herkunftsstaaten“ oder Steigerung der Repression gegen Flüchtlinge, die angeblich keine „Bleiberechtsperspektive“ haben, sei es in Form des Ausschlusses vom Familiennachzug, sei es in Form von verschärfter Abschiebung oder weiterer und menschenverachtender Kürzung von Sozialleistungen. Aber auch die „zweite Reihe“ der CDU-Repräsentanten scheint sich dieser „Spirale der Inhumanität“ inzwischen anschließen zu wollen, wenn z.B. die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) für die konsequente Abschiebung unerwünschter Flüchtlinge künftig Bundeswehr-Transportmaschinen einsetzen will, weil in wenigen Ausnahmefällen  Piloten privater Fluggesellschaften sich geweigert haben, sich an diesen Abschiebeflügen zu beteiligen. Während in den ersten neun Monaten 2017 ca. 16.700 Menschen auf dem Luftwege abgeschoben wurden, waren es gerade mal 222 Fälle,  bei denen die zuständigen „Flugkapitäne“ sich dieser menschenverachtenden Politik eindrucksvoll verweigerten. Gleichzeitig erhöhen staatliche Stellen den Druck auf Flüchtlingsorganisationen, die lediglich Flüchtlingen durch legale Informationen dabei behilflich sind, sich Abschiebungsmaßnahmen zu entziehen, indem z.B. das bayrische Innenministerium den Vorwurf erhebt, dass sich diese Beratung an der „Grenze zur Strafbarkeit“ bewege. Sogar auf Geistliche und Mitarbeiter*innen von Kirchengemeinden wird inzwischen die Repression erhöht, wenn diese Kirchenasyl gewähren und staatliche Behörden nicht mehr davor zurückschrecken, strafrechtliche Ermittlungsverfahren nahezu flächendeckend einzuleiten.

 

Während weiterhin überwiegend afrikanische Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa im Mittelmeer massenhaft zu Tode kommen, arbeitet man auf EU-Ebene unter deutscher Federführung fieberhaft an der weiteren Aufrüstung der europäischen Außengrenzen und der Auslagerung des Asylrechts. Da die meisten afrikanischen Flüchtlinge vom libyschen Festland mit zumeist prekären Schiffen Richtung Italien aufbrechen, ist Libyen seit längerer Zeit der begehrte Vertragspartner für die Errichtung von Außenlagern, um Flüchtlinge zu zwingen, bereits auf afrikanischem Boden Asyl zu beantragen. Dass in Libyen katastrophale humanitäre Verhältnisse herrschen, stört die EU-Verhandlungsführer dabei in keiner Weise. Selbst die deutsche Botschaft in Nigeria sprach bereits Anfang 2017 von „KZ-ähnlichen Zuständen“ und im neoliberalen Blätterwald war sogar die Sprache vom „täglichen Horror in Libyen“, wie der Kölner Stadtanzeiger vom 29.11.2017 seinen Artikel überschrieb. Die im wesentlichen von der deutschen Bundesregierung forcierte „Festung Europa“ kostete nach einer offiziellen Statistik allein im Zeitraum 2013 bis 2017 bisher ca. 16.300 Menschen das Leben.

 

Zuwanderung in der Nachkriegszeit

 

Verstärkte Zuwanderung nach Deutschland war zunächst in der Nachkriegszeit in keiner Weise von einer derart hysterischen rassistischen Aufladung geprägt, wie wir sie seit 2015 wieder verstärkt erleben. Trotz knapper finanzieller Ressourcen war es in den ersten Nachkriegsjahren möglich, ca. 12 Mio. (!) Kriegsflüchtlinge und Heimat-Vertriebene zu integrieren. Ab 1955 folgte eine weitere Einwanderungswelle in Form von sog. „Gastarbeitern“, die aufgrund von zahlreichen Anwerbeabkommen als billige Arbeitskräfte nach Deutschland kamen und bis 1973 die Zahl von 2,6 Mio. erreichte. 1973 wurde diese Form von Arbeitsmigration  jedoch jäh gestoppt, als die erste größere Wirtschaftsrezession („Ölkrise“) eintrat und die SPD-geführte deutsche Bundesregierung die sog. „Anwerbestop-Ausnahmeverordnung“ erließ, um die Anwerbung von ausländischen Arbeitsmigranten zunächst zu beenden. Die in der Folgezeit deutlich wachsende ausländische Bevölkerung wurde hauptsächlich durch Familiennachzug und den Kindern der „Gastarbeiter“-Familien geprägt. Von 1954 bis 2006 zogen mehr als 36 Mio. (!) Menschen nach Deutschland, von denen ca. 80% ausländischer Herkunft waren. Im selben Zeitraum verließen jedoch ca. 27 Mio. das Land, so dass ein positiver Wanderungssaldo von 9 Mio. Menschen bestand.

 

Bezeichnenderweise wird in der aktuellen Einwanderungsdebatte nahezu tabuisiert, dass z.B. vor dem ersten Weltkrieg für die Bürger*innen Europas überhaupt kein Visumszwang existierte, so dass grundsätzlich eine unbegrenzte Einreise und Zuwanderung innerhalb Europas erfolgen konnte. Erst kriegsbedingt wurde in in den kriegführenden Staaten der Visumszwang eingeführt, der allerdings in den 20er Jahren in den meisten Staaten wieder aufgehoben wurde. Der Visumszwang wurde dann wieder mit Beginn des zweiten Weltkriegs von der NSDAP und auch von den meisten europäischen Ländern erneut eingeführt. In den Nachkriegsjahren wurde das Visumsrecht von den meisten europäischen Staaten deutlich liberalisiert, so dass z.B. insbesondere junge Arbeitsmigrant*innen aus Nordafrika ohne weiteres nach Spanien oder Frankreich einreisen konnten, um dort eine Beschäftigung zu suchen bzw. aufzunehmen. Auch in Deutschland existierte ab Mitte der 50er Jahre zunächst eine weitestgehende Visafreiheit für die meisten europäischen Einwanderer. Erst zu Beginn der 80er Jahre erfolgte eine Verschärfung des Visumsrechts z.B. für Staatsangehörige der Türkei, die bezeichnender Weise zeitgleich mit dem Militärputsch erfolgte, um eine stärkere türkische Einwanderung grundsätzlich zu unterbinden. Erst 1986 führte Frankreich aufgrund von sog. Terroranschlägen die Visumspflicht für alle Ausländer mit Ausnahme der EG und der Schweiz ein. Auf europäischer Ebene gab seit dem 1982 erfolgten Regierungswechsel in Deutschland mit dem neuen Innenminister Wolfgang Schäuble ein ausgesprochener Hardliner in Europa den Takt an und er erreichte, dass die meisten Staaten wie Spanien, Frankreich oder Großbritannien eine grundsätzliche Visumspflicht einführten. Erst seit dieser Zeit nahm u.a. das „Grab Mittelmeer“ für nordafrikanische Einwanderer gewissermaßen Gestalt an. In Deutschland wurde spätestens 1990 im Rahmen der von Schäuble forcierten Neuregelung des Ausländerrechts („Deutschland ist kein Einwanderungsland“) der Visumszwang nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip eingeführt, wovon nur Bürger*innen aus den USA, der Schweiz bzw. wenigen anderen Ländern ausgenommen waren.

 

Erstmaliger Anschlag auf das Grundrecht auf Asyl im Jahre 1993

 

Als ab 1991 verstärkt Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland einwanderten und mit ca. 440.000 Flüchtlingen die höchste Zahl nach dem zweiten Weltkrieg erreicht wurde, kam eine zunehmend rassistisch geprägte Hetzkampagne auf, die medial von Parolen wie „Das Boot ist voll“ oder „Wir dürfen die deutsche Bevölkerung nicht überfordern“ begleitet und angeheizt wurde. Nachdem erste Flüchtlingsheime brannten und Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda stattfanden, wurde der Ruf insbesondere aus den Reihen von CDU/CSU und den meisten neoliberaler Politik verpflichteten Medien nach Begrenzung der Zuwanderung und insbesondere der Einschränkung des Asylrechts immer lauter. Um für eine Grundgesetz-Änderung die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu erhalten, brauchte man auch die Stimmen der SPD, in deren Reihen sich zunächst noch deutlicher Widerspruch regte. Doch es gelang der Parteiführung nach kurzer Zeit, in ihrer Bundesfraktion die Reihen zu schließen, so dass am 26.05.1993 der Deutsche Bundestag das in Artikel 16 GG verankerte Grundrecht auf Asyl weitestgehend einschränkte und seiner grundsätzlichen Substanz beraubte. Die in Art. 16a GG neu aufgenommene Regelung von sog. ‚Sicheren Herkunftsländern‘ und ‚Drittstaaten‘ verhinderte zukünftig, dass alle politisch verfolgten Flüchtlinge, die auf dem Landweg einreisten, auf deutschen Boden einen Asylantrag stellen konnten  und auf ihr Durchreiseland (Italien, Frankreich, Österreich, etc.) verwiesen bzw. rücküberstellt wurden.In Folge dieser repressiven Politik nahm die Einwanderung in den Folgejahren deutlich ab und pendelte sich bis zum Jahre 2005 auf weniger als 50.000 Flüchtlinge ein (1995 ca. 167.000, 2000: ca. 118.000 und 2005: ca. 43.000).

 

 

Wachsender Rassismus aufgrund erneut verstärkter Zuwanderung

 

Bevor ab Mitte 2015 die Flüchtlingszahlen erheblich zunahmen, wurde die Migrationsdebatte jedoch bereits ab 2010 von einem neu aufkommenden Rassismus geprägt, der diesmal die nach Deutschland eingewanderten Menschen aus Rumänien und Bulgarien betraf. Es handelte sich dabei überwiegend um sog. „Arbeitsmigration“, da durch die EU-Erweiterung 2007 Rumänen und Bulgaren durch das Recht auf Freizügigkeit sich in jedem EU-Staat ohne Visum rechtmäßig aufhalten konnten und ab 2014 für sie auch der Arbeitsmarkt ohne jegliche Beschränkung, wie sie z.B. das sog. Vorrang-Prinzip für alle Drittstaatler vorsieht, geöffnet wurde. Obwohl rumänische und bulgarische Zuwanderer im Verhältnis zu den meisten Zuwanderern der EU 28 nahezu die höchste Beschäftigungsquote mit über 60% aufweisen, entlud sich ein Trommelfeuer an rassistischen Stellungnahmen, die in den Jahren 2013/14  hauptsächlich sowohl die Verhinderung der Inspruchnahme von Sozialleistungen, als auch den grundsätzlichen Mißbrauchsvorwurf zum Ziel hatten. Während von der Bundespolitik nahezu im Wochenrythmus  Äußerungen wie „Wer betrügt, der fliegt!“, wie der ehemalige Innenminister der CSU, Hans-Peter Friedrich, im Jahre 2013 unwidersprochen verlautbaren durfte, stimmten auch Lokalpolitiker wie der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link in diesen rasstistisch geprägten Chor mit Sprüchen wie  „Ich hätte gern das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte“ bereitwillig ein und forderte im Stile eines CSU-Politikers eine lebenslange Wiedereinreise-Sperre für Straftäter aus diesen Ländern. Vor diesem Hintergrund war es nur eine konsequente Fortsetzung dieser rassistisch aufgeladenen Stimmung, dass bereits kurz nach der verstärkten Einreise vornehmlich syrischer, irakischer und afghanischer Flüchtlinge der Ruf nach erneuter Einschränkung des Asylrechts lauter wurde und in dem bereits im Oktober 2015 beschlossenen „Asylpaket I“ seinen rassistischen Ausdruck fand. Es wurden sowohl der Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern bestimmt, als auch für die Flüchtlinge aus diesen Ländern u.a. ein unbefristetes Arbeitsverbot, eine Absenkung der finanziellen Leistungen des AsylblG und ein unbefristeter Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung angeordnet. Bereits im März 2016 erfolgte mit mit dem Asylpaket II eine nochmalige Verschärfung, indem nunmehr beschleunigte Asylverfahren für Flüchtlinge aus sog. ‚Sicheren Herkunftsländern‘ eingeführt wurden, für einen großen Teil von Flüchtlingen die Asylverfahren sogar eingestellt werden können, falls sie z.B. wegen des Besuches eines Verwandten in einem anderen Bundesland gegen die sog. Residenzpflicht verstoßen oder aber der Familiennachzug für lediglich subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich ausgesetzt wurde.

 

Die Ablenkung bzw. Tabuisierung von Fluchtursachen

 

Es gehört seit vielen Jahrzehnten zweiffellos zum ideologischen Standardrepertoire rechts-konservativer und neoliberaler Politik, von den eigentlichen Fluchtursachen abzulenken und stattdessen den angeblichen Mißbrauch von Asyl und das Stigma des „Wirtschaftsflüchtlings“ zum beherrschenden Thema zu machen. In Allianz mit dem herrschenden Medienkartell gelingt es auf diese Weise, rassistische Stimmungen in der Bevölkerung zu schüren, die sich nicht nur in rechtsradikaler Weise in Form von massenhaften Anschlägen auf Flüchtlngsheime entladen, sondern bis ins herrschende Parteienspektrum hinein eine grundsätzliche Bereitschaft für die Absenkung oder Ausschluss von Sozialleistungen erzeugen, wie es z.B. mit dem von der SPD-Ministerin Andrea Nahles zu verantwortenden EU-Bürger-Ausschlussgesetz, welches seit dem 01.01.2017 in Kraft ist, erreicht wurde. Damit wurden sämtliche EU-Bürger*innen für die Dauer von 5 Jahren nach der Einreise von jeglichen Hartz IV-Leistungen ausgeschlossen, es sei denn, dass sie eine zumindest geringfügige Erwerbstätigkeit ausüben und dadurch „aufstockende“ Leistungen vom Jobcenter erhalten. Während damit zumindest eine Krankenversicherung, Übernahme der Mietkosten und sowie ein Mindestmaß an Geldleistungen sichergestellt sind, lebt ein großer Teil dieser Zuwanderer in absoluter Verelendung, ohne Krankenversicherung, ohne menschenwürdige Wohnverhältnisse und einem täglichen Kampf ums nackte Überleben, was von der herrschenden Politik bewusst in Kauf genommen wird.

 

Vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen ca. 65% der Menschen, die im „goldenen Westen“ Asyl beantragen bzw. nach der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz suchen und vornehmlich aus den von Krieg und Bürgerkrieg geprägten Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan oder Eritrea sowie aus dem Iran, wo größere Volksgruppen erheblicher religiöser oder ethnischer Diskrimierung ausgesetzt sind, stammen. Darüberhinaus stellen die ruinösen Folgen des westlichen Freihandels insbesondere in zahlreichen afrikanischen Staaten einen weiteren bedeutsamen Grund der Fluchtursachen dar, wobei es sich dabei auch um eine  erhebliche Zahl von Binnenflüchtlinge handelt. 15,4 Mio. Binnen-Flüchtlinge leben allein in Subsahara-Afrika. Weitere 14,9 Mio. Flüchtlinge werden in Nord-Afrika und Nahen Osten gezählt. Während die EU-Repräsentanten mit gekonnter propagandistischer Inszenierung immer wieder die angeblich unverhältnismäßig hohe Flüchtlingszahl in den europäischen Staaten und insbesondere Deutschland für ihre menschenverachtende Politik instrumentalisieren, wird diese Propaganda durch offizielle Zahlen deutlich widerlegt: laut UNHCR stehen den 6,3 Mio. Flüchtlingen in Europa allein 7,7 Mio. geflüchtete Menschen in den USA und 8,7 Mio. Flüchtlinge in Asien und Ozeanien gegenüber. Demgegenüber haben in Deutschland gerade einmal 0,3% der Bevölkerung einen Flüchtlingsstatus.

 

Flüchtlingsabwehr oder -begrenzung ist keine linke Politik

 

Da die EU ihre vorrangig an Konzerninteressen orientierte neokoniale Politik in den nächsten Jahren noch weiter forcieren wird (siehe „Partnerschaftsabkommen“ mit Afrika), werden auch weiterhin trotz hermetischer Abriegelung der EU-Außengrenzen Menschen massenhaft den afrikanischen Kontinent verlassen wollen, um in Europa Schutz zu suchen, in der Hoffnung auf eine besseres Leben. Ebenso werden die westlichen Rüstungsexporte insbesondere in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens bzw. Afrikas nicht nachlassen und zu weiteren ruinösen Konflikten und Vertreibungen führen. Alternativen sind dazu bisher leider nicht in Sicht. Wenn vor diesem Hintergrund auch linke Repräsentanten in den Ruf nach Begrenzung von  Flüchtlingszahlen einstimmen, dann hat das nur noch wenig mit linker Politik zu tun. Angesichts der obigen Zahlen ist ein reiches Land wie Deutschland alles andere als überfordert. Es grenzt an Zynismus, wenn einerseits der Rüstungshaushalt von ca. 35 Mrd. Euro in den nächsten Jahren auf ca. 65-70 Mrd. Euro aufgrund der von NATO und USA geforderten 2% Haushaltsanteil am BSP aufgestockt werden soll, aber ein deutlich zurückgegangener Teil von Flüchtlingen (2015/16: ca. 880.000; jedoch von Jan.-Sept. 2017: ca. 175.000) den deutschen Sozialstaat angeblich überfordert. Deshalb ist es auch mit linker Politik völlig unvereinbar, wenn z.B. Oskar Lafontaine (und sinngemäß Sahra Wagenknecht) in ständiger Neuauflage von einer angeblich „falschen Flüchtlingspolitik“ der Linkspartei spricht und sie inzwischen mit dem herrschenden neoliberalen Parteienkartell in einen Topf wirft (Interview in der „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 30.12.17). Auch Andreas Wehr vom linken Flügel sekundiert ihm und meint: „Die Linke braucht eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik, und zwar dringend!“ Die wenigen konkreten Positionen Lafontaine’s erschöpfen sich in dem Vorwurf an die Linkspartei, deren Vorsitzender er noch vor wenigen Jahren war, dass „eine linke Partei…….bei der Hilfe für Menschen in Not das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit nicht außer Kraft setzen“ dürfe und konkreter erklärte er, da eine Gesellschaft ebenso wie jeder Einzelne nur begrenzt helfen könne, „kommt auch die Linke an einer Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nicht vorbei.“ Die Aufnahme von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen sei zwar eine „moralische Verpflichtung“, betonte aber gleichzeitig: „Bleiberecht und 1050 Euro für alle, die zu uns kommen, sind wirklichkeitsfremd“ (Saarbrücker Zeitung vom 10.11.2017). Derartige Positionen verlassen den Boden kapitalismuskritischer Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik, da sie nicht mehr in erster Linie die kapitalistisch bedingten Fluchtursachen in den Blick nehmen, sondern sich an überwiegend nationalen bzw. fiskalischen Interessen orientieren, bei denen der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit nahezu verschwindet. Es ist deshalb grundsätzlich eine zutiefst reformistische Sichtweise, wenn die Interessen deutscher Arbeiter*innen gegen die Interessen ausländischer Immigranten ausgespielt werden und suggeriert wird, dass die von Lafontaine beschworenen Sozialleistungen dann nicht mehr finanzierbar wären. Diese Sichtweise stellt nicht mehr gemeinsame Klasseninteressen in den Vordergrund, sondern beschwört den angeblich überforderten Staatshaushalt bzw. Sozialstaat und instrumentalisiert dafür die von der herrschenden Politik vernachlässigten Menschen, seien es Beschäftigte oder Erwerbslose, ohne deutlich zu machen, dass das absolut nichts mit der Zuwanderung, sondern alles mit einer an Spaltung und Prekarisierung orientierten neoliberalen Politik der herrschenden Besitz- und Machteliten zu tun hat.

 

Auch ein ‚linkes Einwanderungsgesetz‘ ist keine Lösung

 

Es wäre für eine am von der Flüchtlingsorganisation ‚Pro Asyl‘ vertretenen Primat ‚Menschenrechte kennen keine Obergrenzen‘ orientierten linken Einwanderungspolitik geradezu ein Anachronismus, in einem Land, das aufgrund seiner Beteiligung an westlicher Kriegs- und Freihandelspolitik die wesentlichen Ursachen für die verstärkte Flucht aus dem Nahen Osten und den afrikanischen Ländern schafft, in den Chor derer einzustimmen, die nach einem Einwanderungsgesetz rufen.

 

Zwar grenzt sich die bisher bekannte ‚Konzeption für ein linkes Einwanderungsgesetz‘ deutlich von entsprechenden Entwürfen des neoliberalen Lagers ab, indem es sich u.a. für eine Wiederherstellung des 1949 geschaffenen Grundrechts auf Asyl ausspricht, gleichwohl spricht sich diese Konzeption ebenfalls für eine Begrenzung der Einwanderung und im Falle der Nichterfüllung der Voraussetzungen für ein Bleiberecht auch für das Recht auf Abschiebungen aus. Während z.B. der SPD-Entwurf ganz im Sinne eines „Nützlichkeits-Rassismus“ grundsätzlich nur für Hochqualifizierte Einreise und Aufenthalt ermöglichen will, orientiert sich die ‚Konzeption‘ an ’sozialen Anknüpfungspunkten‘ wie u.a. Arbeitsverhältnis, Familie oder gemeinwohlorientierten Tätigkeiten. Nach einjährigem legalen Aufenthalt erwächst ein Anspruch auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis). Wer diese Voraussetzungen jedoch nicht (mehr) erfüllt, dessen Aufenthalt soll dann mit der Konsequenz beendet werden, im Falle der nicht  freiwilligen Ausreise letztlich abgeschoben werden zu können.

 

Doch nicht nur das Bekenntnis zu einer Selektion bei der Feststellung von Einreisegründen und zur Abschiebung sollte mit einem linken Standpunkt unvereinbar sein, sondern darüberhinaus will diese ‚Konzeption‘ in verschärften neoliberalen Zeiten die Entscheidung über Einreise und Bleiberecht grundsätzlich an eine ‚Einwanderungsbehörde‘ delegieren und hält darüberhinaus an der Visumspflicht fest, deren Voraussetzungen von den deutschen Auslandsbotschaften geprüft werden sollen. Es ist jedoch nahezu illusionär anzunehmen, dass damit eine Liberalisierung von Einwanderung erfolgen würde, da gerade die deutschen Auslandsbotschaften seit Jahrzehnten für die große Masse von Menschen, die z.B. im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland einreisen wollen, überwiegend nahezu unüberwindliche Hürden errichten und Visa im großen Maßstab ablehnen. Der dagegen bei einem deutschen Verwaltungsgericht offene Rechtsweg ist zumeist mit erheblichen Wartezeiten verbunden und die Entscheidungen orientieren sich überwiegend an von den deutschen Botschaften vorgelegten Beweismitteln.

 

Es spricht deshalb alles dafür, dass eine linke Politik sich nicht der Illusion hingeben sollte, von einem solchen ‚linken‘ Gesetz wesentliche Verbesserungen zu erhoffen, zumal angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse ein solches Gesetz auf parlamentarischem Wege keinerlei Realisierungschancen hätte.

 

Linke Alternativen müssen anders aussehen

 

Eine linke Einwanderungspolitik sollte sich deshalb vorrangig daran orientieren, dass sie sich konsequent für ein Ende des stigmatisierenden und ausgrenzenden Sonderrechts für Migranten und Zuwanderern einsetzt, um den für linke Politik unabdingbaren Anspruch nach Gleichheit aller Menschen unabhängig von Herkunft und Hautfarbe einzulösen. Denn das aktuell existierende „Ausländerrecht“ enthält in Gestalt des ‚Aufenthaltsgesetzes‘, der ‚Beschäftigungsverordnung‘ oder zahlreicher Ausschlussklauseln wie z.B. im SGB II grundsätzlich ein Vorrangprinzip für Deutsche auf dem Arbeitsmarkt oder beim Zugang zu Sozialleistungen. Während z.B. das ‚Aufenthaltsgesetz‘ eingangs den grundsätzlichen Gesetzeszweck wie folgt regelt: „(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“, führt das in der ‚Beschäftigungsverordnung‘ geregelte sog. Vorrangprinzip seit Jahrzehnten zum weitgehenden Ausschluss von Zuwanderern aus sog. Drittstaaten vom deutschen Arbeitsmarkt.

 

Daraus müssten sich für eine linke Einwanderungs- und Asylpolitik folgende notwendige Forderungen ableiten:

 

* Abschaffung der Visumspflicht

* Abschaffung des Aufenthaltsgesetzes und des Sonderrechts für Flüchtlinge

und Migrant*innen zugunsten einer grundsätzlichen Freizügigkeit

für alle Menschen, die nach Deutschland einreisen wollen

* Verbot von Abschiebungen

* Gleicher Arbeitsmarktzugang für Deutsche und Ausländer*innen

* Gleicher Zugang zu Sozialleistungen für Deutsche und Ausländer*innen

* Uneingeschränkter Familiennachzug

* Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl und Ausweitung der Asylgründe auf

die wesentlichen Fluchtursachen wie Krieg, Bürgerkrieg, sexuelle Orientierung,

ethnisch bedingter Diskriminerung existenzielle Notlagen,etc. gemäß der ‚Genfer     ‚

Flüchtlingskonvention‘

 

Es geht deshalb für eine linke Migrationspolitik grundsätzlich um Gleichheit und Akzeptanz aller Menschen, die nach Deutschland einreisen und bleiben wollen.  Alles andere bedient bürgerliche bzw. rasstische, aber keine sozialistisch geprägten Grundsätze.

 

Jürgen Aust ist Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE.NRW und im Sprecher*innen-Rat der Antikapitalistischen Linken NRW