Neue linke Sammlungsbewegung

Print Friendly, PDF & Email

Saarländischer Schmarrn

Von Thies Gleiss.

Die Partei DIE LINKE hat bei den letzten Bundestagswahlen eine halbe Million Stimmen hinzugewonnen; im letzten Jahr sind 8000 neue Mitglieder eingetreten und haben die Mitgliederzahl auf 63.000 erhöht; in aktuellen Umfragen liegt die Partei bei zehn Prozent – und doch tun eine Reihe von linken Spitzenleuten so, als ob die LINKE in einer Krise stecken würde und zu den WahlverliererInnen zählt. Insbesondere das Ehepaar aus dem Saarland, Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht und Ex-Parteivorsitzender Oskar Lafontaine lassen keine Gelegenheit aus, der aktuellen Parteiführung mit den Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger Fehler und Versagen vorzuwerfen.

Der einzige inhaltliche Vorwurf lautet, die LINKE hätte in der Flüchtlingsfrage genau wie alle anderen Parteien, außer der AfD, die Sorgen und Nöte der kleinen Leute nicht genügend ernst genommen. Ein Staat, so Oskar Lafontaine, könne ebenso wie eine Einzelperson nur begrenzt Hilfe für Geflüchtete leisten.

Diese Positionierung in der Frage von Flucht und Migration stößt bei einem großen Teil der Mitgliedschaft – durchaus von bisher sehr unterschiedlichen politischen Strömungen – auf harsche Kritik. Zurecht. Es würde nicht nur eine Verletzung des Grundsatzprogramms der LINKEN bedeuten. Wenn politische Positionen überholt sind, können und sollten sie geändert werden. Die Forderungen aus dem Erfurter Programm der LINKEN nach Solidarität mit den Geflüchteten, offenen Grenzen und Bleiberecht  sind allerdings alles andere als überholt. Deshalb würde eine Änderung in der Geflüchtetenpolitik in der Praxis eine Konfrontation mit tausenden AktivistInnen in der Solidaritätsbewegung bedeuten, von denen sich viele in der LINKEN organisieren oder sich an ihr orientieren und  – schlimmer noch  – der Ausrufung eines Konkurrenzkampfes der Unterschichten gleichkommen, bei denen die Opfer des realen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, die aus armen Ländern in die reichen Länder drängen, zu unerwünschten TäterInnen erklärt werden, die hier leider keinen Platz haben. Jede und jeder weiß, dass eine solche Politik schon kurzfristig nur durch Polizeistaatsmethoden, Abschiebung und Separierung der MigrantInnen nach ökonomischer Nützlichkeit durchzuführen ist.

Eine andere inhaltliche Begründung, warum die LINKE in der Krise sein soll, wird nicht vorgetragen. Dafür wird – wieder unter der Führung von Oskar Lafontaine – als neueste Marotte erklärt, die Form der Partei DIE LINKE wäre überholt und müsse durch eine neue linke Sammlungsbewegung ersetzt werden, die das gesamte Spektrum von alter Sozialdemokratie bis zu neuen linken Jugendlichen abdecken würde. Sie müsste sich – so Lafontaine – an PODEMOS im spanischen Staat, an France Insoumise von Jean Luc Mélenchon  in Frankreich, oder auch an den Kampagnen von Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Britannien orientieren.

Es wäre leicht, diesen Vorschlag von Oskar Lafontaine zu belächeln und ihn mit dem Hinweis, „in Deutschland nicht möglich“ abzutun. Solche Sammlungsbewegungen sind dann erfolgreich, wenn eine oder auch mehrere linke politische Parteien weitgehend erodiert oder – wie in den USA  – historisch noch gar nicht entstanden sind. Da solche Sammlungsbewegungen  – bei Lafontaines Vorstellungen sogar mehr als anderswo – über Wahlen aufgebaut werden, ist ein Land mit Mehrheitswahlrecht, wie Frankreich, Britannien, USA, dafür leichter zu benutzen. Selbst im autoritätsgläubigen Deutschland wären in kürzester Zeit mehrere mit einander konkurrierende „FührerInnen“ auf dem Plan, die solche Sammlungsbewegung bestimmen wollen. Sein zusätzlich erwähntes Vorbild „PODEMOS“ in Spanien hat eine völlig andere Geschichte und ist stark an die Existenz großer, neuer sozialer Protestbewegungen gekoppelt. Dieses Modell ähnelt  der Entstehungsgeschichte der Grünen in Deutschland und ist bereits heute in den gleichen Vorstufen einer tiefen Krise wie die Grünen ab 1986, weil sie den radikalen Impuls einer Bewegungspartei durch eine undemokratische, auf das Parlament und Regierungsoptionen fixierte Reformpartei ersetzen will oder – schlimmer noch – ohne es bewusst zu wollen ersetzt hat.

Doch das ist die unwichtigste Kritik an Lafontaines Vorschlägen. Viel gravierender ist es, dass er auch damit – wie mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, bei denen er auch von Sahra Wagenknecht unterstützt wird – einen Rückschritt weit hinter die Positionen von Marx und Engels vollzieht, die damit zu ihrer Zeit die moderne sozialistische oder zumindest antikapitalistische ArbeiterInnenbewegung begründeten.

Lafontaine ähnelt sehr dem großen Gegenpart von Marx, Ferdinand Lassalle. Dessen Vorstellung einer straff von ihm allein geführten Sammlungsbewegung mit Stützpunkten höchstens in einzelnen Arbeitervereinen, war schon damals nicht in der Lage, die Aufgaben eines politischen Klassenkampfs der Arbeiterinnen und Arbeiter zu bewältigen. Das trifft auf die heutigen – bisher immer nur vage angedeuteten – Ideen von Lafontaine noch viel mehr zu. Seine Idee einer Sammlungsbewegung auf Basis einer national beschränkten, etatistischen Kritik am Kapitalismus in Kombination mit den proudhonistischen Wirtschaftsvorstellungen seiner Ehefrau Sahra Wagenknecht, bedeuten in jeder Hinsicht einen politischen Rückschritt.

Die seit Marx’ Zeiten entwickelte Konzeption einer demokratischen und aktivistischen Mitgliederpartei, die von unten nach oben aufgebaut ist, die einen pluralen und umfassend demokratischen innerparteilichen Diskurs pflegt und die vor allem auf einem Programm der vollständigen politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnenbewegung von den bürgerlichen politischen Kräften und Parteien aufbaut , ist ein großer politischer Fortschritt, der unzählige Erfolge der demokratischen und sozialistischen Bewegung – einschließlich revolutionärer Brüche – überhaupt erst möglich gemacht hat.

Lafontaines Vorschläge bedeuten gerade in Deutschland, dem Mutterland einer politischen ArbeiterInnenbewegung, einen großen theoretischen und praktischen Rückschritt, der zu einer Partei oder einem parteiähnlichen Gebilde führen wird, das undemokratisch und beliebig den Störmanövern der bürgerlichen politischen Gegenkräfte ausgesetzt ist und von ihnen manipuliert werden kann.  Die Entstehung der Partei DIE LINKE ist zum Teil die Geschichte einer linken Sammlungsbewegung auf dem Fundament einer nicht sehr starken sozialen Bewegung. Sie muss diese Bewegungsverankerung stärken und den Charakter einer Sammlungsbewegung gerade in Richtung einer „echten demokratischen Mitgliederpartei auf einem klaren Programm verlassen.

Es gibt zu einer demokratisch verfassten Partei, bei denen die Mitglieder alles entscheiden, die politische Strömungen und Debatte zulässt und organisiert und die jeden Tag die Gefahren einer Versumpfung im bürgerlichen Parlament erfasst und bekämpft, keine Alternative – wenn nicht das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden preisgegeben wird.

Das sollte selbst dann breit diskutiert und verworfen werden, wenn die Ideen von Lafontaine schon viel früher und vordergründiger am Scheitern sind.

Thies Gleiss, Köln, 07.12.2017

Dieser Artikel ist in der Sozialistischen Zeitung SoZ erschienen.