DAS RECHT AUF MIGRATION, EINWANDERUNGSGESETZ UND SONSTIGE AKTUELLE PROBLEME DER „LINKEN“

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Ein Kommentar von Thies Gleiss.

Die LINKE diskutiert wieder einmal über MigrantInnen, Geflüchtete und die Antworten, die eine linke Partei darauf geben sollte. Der Kapitalismus erzeugt immer wieder und in der Regel schubweise soziale Erosionsprozesse. Volkswirtschaftlich gesehen handelt es sich um Schwankungen in der Zusammensetzung einer nationalen, aber immer mehr auch weltweiten industriellen Reservearmee. Aus der Sicht der Beschäftigten und ArbeiterInnenklasse sind diese Menschen KonkurrentInen um Arbeitsplätze, Wohnungen und Transferleistungen. Aber sie sind auch Klassenbrüder und Klassenschwestern, die überall unter der Politik im Interesse ein und derselben Klasse von ProduktionsmittelbesitzerInnen und Superreichen leiden. Ein gemeinsames Interesse über Landes- und Sprachgrenzen hinweg ist keine Fiktion, sondern Realität – völlig unabhängig davon, ob dieses gemeinsame Interesse auch sofort einsichtig ist oder wie einflussreich die politischen Bemühungen der Herrschenden sind, dieses gemeinsame Interesse zu vernebeln.

Linke Politik, die sich vorrangig auf das Mitgestalten und Mitverwalten der kapitalistischen Realität konzentriert und die grundsätzliche Opposition gegen die kapitalistische Eigentumsordnung hintanstellt, hat es schon in Zeiten schwer, in denen der Kapitalismus funktioniert und in denen genügend ökonomischer Spielraum für materielle Zugeständnisse an die Unterklassen existiert. In Zeiten, in denen das kapitalistische Funktionieren Aussetzer hat – zum Beispiel durch den Druck von Millionen Menschen, die in die reichen Länder drängen, weil sie es in den arm gemachten Regionen der Welt nicht mehr aushalten – muss solche Mitmachpolitik der LINKEN schon im  Ansatz scheitern und teilweise grausame Randerscheinungen mit sich führen:

„Deutschland kann nicht das Sozialamt der Welt sein“; „Hilfsbereitschaft einer Nation ist genauso beschränkt, wie die einer Einzelperson“; „Begrenzung der Zuwanderung, insbesondere durch Flüchtlinge ohne politische Motive, ist auch aus linker Sicht nötig“ – all diese wortgleichen Ausrufe von Rechts und Links drücken in erster Linie Ratlosigkeit und Unkenntnis darüber aus, wie der Kapitalismus funktioniert und in zweiter Linie eine besondere Ausweglosigkeit, weil nicht etwas im Kapitalismus repariert werden sollte, was nicht repariert werden kann.

Die LINKE sollte sich deshalb ausschließlich darum kümmern, wie diese Fehlentwicklungen und  Erosionen des Kapitalismus in eine politische Oppositionsbewegung gegen das System insgesamt verstärkt werden können. Ökonomische Reparaturversuche können nur im Gegenteil dessen enden, was angestrebt wurde.

Die LINKE sollte sich deshalb nicht an der Ausarbeitung eines Einwanderungsgesetzes beteiligen, das immer in eine Separierung von realen Menschen in nützliche und unnütze MigrantInnen münden wird und schon kurzfristig nur durch Polizeistaatsmethoden umgesetzt werden kann.

Die LINKE sollte sich noch weniger an einem Nicht-Einwanderungsgesetz beteiligen, das sich zwangsläufig an der humanitären Katastrophe verheben wird, nicht nur ökonomisch (im Sinne der Kapitalinteressen), sondern schon vorgelagert politisch zu entscheiden, wer Geflüchteter und notgedrungen willkommen und wer „Wirtschaftsasylant“ ist, der oder die leider nicht bleiben darf. Auch ein solches Flüchtlingsbegrenzungsgesetz ist kurzfristig nur durch Polizei und Militär umzusetzen.

Linke Politik kann sich nur darauf beschränken, erstens aufzuklären, was ist und wer verantwortlich für all die unmenschlichen und ungerechten Erscheinungen in unserer Gesellschaft ist; zweitens eine massive Bewegung des Willkommens und der Solidarität aller Opfer des Kapitalismus zu organisieren und eine ad-hoc-Umverteilung für ein Arbeits-, Wohnungs- und Investitionsprogramm zu fordern; drittens alle Geflüchteten, so wie alle hier Lebenden, als Menschen und als politische Subjekte anzusprechen und sie in eine politische Einheitsfront gegen das Kapital einzubeziehen; uns schließlich viertens eine internationale politische Bewegung gegen Kriege, Freihandel, Klimazerstörung und den Kapitalismus allgemein aufzubauen – als Voraussetzung einer wirklichen Bekämpfung von Fluchtursachen.

Wie der Kapitalismus funktioniert und was im Zentrum linker Aufklärung und Widerstandspraxis stehen muss, dazu im Folgenden ein paar Ideen.

1.

Das Kapital hat immer und überall Interesse an billigen Arbeitskräften. Deswegen sorgt es bewusst dafür, dass sich der Wert der Ware Arbeitskraft (und davon abgeleitet der Preis, also die Löhne der Arbeitskraft) nicht wirklich ausgleicht. Weder zwischen Männern und Frauen, noch zwischen Stadt und Land, noch zwischen Jung und Alt, noch zwischen BerufsanfängerIn und erfahrenen Arbeitskräften und schon gar nicht zwischen europäischem Zentrum und Peripherie und überhaupt schon gar nicht zwischen den armen Ländern und den reichen. Damit diese Spaltungsversuche des Kapitals minimiert werden, sind die ArbeiterInnenbewegung und die Linke schon immer für eine weitest gehende Freizügigkeit der Arbeitskräfte und eine Abschaffung aller Grenzen eingetreten (nicht nur der, zu deren Übertritt ein Pass benötigt wird). Es waren immer die rechten Kräfte in der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung, die diese Kampf um weltweite Mobilität und die Willkommenskultur gegenüber EinwandererInnen zu unterlaufen versucht haben.

Dass Grenzenlosigkeit und Weltoffenheit für das Kapital schon seit langem existiert, ist so unstrittig, wie die gleichzeitigen Versuche des Kapitals, dennoch immer wieder Extraprofite und politische Vorteile im Konkurrenzkampf durch nationale Sonderregelungen und Protektionismus zu erzielen.

2.

Die Unterschiede in den Löhnen liegen deshalb nicht daran, dass die eine Arbeitskraft weiblich ist, oder aus Ostfriesland stammt, oder aus Bangladesh oder Syrien, oder dass sie jünger ist – sondern einzig und allein daran, dass es dem Kapital gelingt, sie billiger zu machen. Linke Politik muss deshalb eine weitest mögliche Einheitsfront schmieden, um diese Entwertungs- und Spaltungspolitik des Kapitals zu durchbrechen. In dieser Frage sind alle auf der gleichen Seite der Barrikade: Der türkische Produktionsarbeiter, die kurdische Büglerin, der ägyptische Arzt, die Praktikantin aus Oberammergau, der Leiharbeiter aus Berlin und die Arbeitsmigrantin aus Portugal. Ihre Nationalität hat mit der ökonomischen Ungleichbehandlung nichts tun. Gleichwohl versuchen das Kapital und seine Medien alles, das Gegenteil in die Köpfe der Menschen zu zwingen.

3.

Die armen Länder unterliegen seit Jahrhunderten einer ökonomischen Ausplünderung und Zurichtung. Dabei ist der „Brain Drain“, also auch die bewusste Abwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus den armen Ländern in die reichen,  nur ein winziger Aspekt. Die Kolonialisierung; der Sklavenhandel; die Ausbeutung der Rohstoffe mit der entsprechenden Verzerrung der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung; nicht die Abwerbung, sondern die ökonomische Verdrängung und Anziehung von Fachkräften; und heute vor allem der ungleiche Tausch (unterschiedlich wertiger Waren) führen zu einer permanenten ungleichen, aber immer mehr auch kombinierten Entwicklung. Die Armut ist organisch weltweit mit dem Reichtum verknüpft.

Wie Jean Ziegler sagt, kommt es heute weniger darauf an, den armen Ländern mehr zu geben, als ihnen weniger wegzunehmen. Dennoch ist eine weltweite gigantische Umverteilung Teil und Ergebnis einer aktuellen linken Politik für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.

4.

Die Antwort der Linken kann darauf nur eine umfassend politische Antwort sein: Erstens konsequent internationalistisch, für weltweite Umverteilung von Reich nach Arm. Zweitens, eine Politik in Richtung internationalen Ausgleichs des Wertes der Ware Arbeitskraft (also: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit weltweit), einschließlich internationaler gewerkschaftlicher Kämpfe. Drittens, Kampf für das Recht auf internationale Mobilität der Arbeitskraft, weil dies unerlässlich ist, zum Ausgleich des Wertes und weil das Kapital schon lange international ist und überall offene Grenzen hat.

5.

Es gibt heute 65 Millionen Flüchtlinge. Die Ursachen sind Krieg, Freihandel und Klimazerstörung. Die Ursachen sind nicht: Dunkle Haut und schwarze Haare, Religion, nicht-deutscher Pass, Alter, Geschlecht oder Dienstalter. Die Ursachen sind also allesamt mit Name und Adresse zu benennen: Nicht Staatsversagen, nicht Lug und Trug, sondern die kapitalistische Normalität und Eigentumsordnung.

Die Flüchtlingsbewegung ist  ökonomisch betrachtet akuter Ausdruck der Vorgänge in der weltweiten industriellen Reservearmee. Ihr – um mit Marx’ Begriffen zu sprechen – latenter und ihr stockender Bestandteil schwellen aufgrund der internationalen Auflösungserscheinungen intakter Ökonomien an und treffen auf einen durch den systematischen Aufbau eines Niedriglohnsektors durchstrukturierten fließenden Teil der industriellen Reservearmee. Linke Politik kann das nicht reparieren, sondern nur anprangern und eine grundsätzliche Opposition gegen die kapitalistischen Strukturen aufbauen.

6.

Wenn von diesen 65 Millionen ein paar – und wir alle wissen, dass es nicht die ärmsten Schweine sind – nach Deutschland kommen, Dann sind sie alle willkommen. Wir fragen nicht nach ökonomischer Nützlichkeit. Wir belehren sie nicht, dass sie doch lieber den „Brain Drain“ in ihrer Heimat stoppen und heimkehren sollen. Stattdessen nehmen wir sie als politische Subjekte und ganze Menschen ernst und versuchen, sie als Bündnispartner in unserer Einheitsfront gegen das Kapital einzubinden.

Das Geld für eine menschliche und solidarische Aufnahme dieser Menschen ist allemal da. Der DGB – in einer Stunde klarer Ideen – hat 2015, angesichts des „Sommers der Migration“ zurecht gesagt, dass allein die Haushaltsüberschüsse des Herrn Schäuble ausreichen, ein solches menschliches Willkommen zu finanzieren

7.

Die politische Rechte in Deutschland und Europa hat das Thema „Flüchtlinge“ zum Mittelpunkt ihrer Mobilisierungen und Wahlkämpfe mit der Angst gemacht. Sie ruft nach mehr Staatskontrolle und Polizei und mobilisiert alte nationalistische, völkische, identitäre und rassistische Vorurteile.Teilweise gelingt es der Rechten, hegemoniale Positionen im gesellschaftlichen Diskurs zu besetzen, insbesondere bei jungen Menschen, die sich berechtigt Sorgen um die Zukunft im Kapitalismus machen.

Linke Politik muss aufgrund dieser politischen Verhältnisse nicht nur ihre Anstrengungen verdoppeln, die Menschen ausführlich und genau über die wirklichen Verhältnisse und das Funktionieren des Kapitalismus aufzuklären, sondern sie muss ihre Worte und Begriffe, die Assoziationen und Schlussfolgerungen sehr sorgfältig überprüfen und korrigieren, wenn sie Gefahr laufen, mit dem rechten Diskurs gemein zu werden.  Begriffe wie „Obergrenzen“, „Scheinflüchtlinge“, „Staatlicher Kontrollverlust“; „Ausbau des Sicherheitsstaates“, „bessere innere Sicherheit“ und viele andere verbieten sich für jegliche linke Politik und Aufklärung.