For the many, not for the few

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Ein Kommentar zur Bundestagswahl 2017

von Jürgen Aust

Ein nahezu erdrutschartiger Verlust der beiden neoliberalen Regierungsparteien im Verhältnis zur Bundestagswahl 2013: während die CDU in absoluten Zahlen 2.476.045 Mio. WählerInnen verlor, versagten 1.713.848 Mio. der ehemaligen WählerInnen der SPD ihre Zustimmung. Angesichts dieses Desasters breitet sich im bürgerlichen Lager verständlicherweise nahezu Alarmismus aus, weil mit der AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei den Einzug in den deutschen Bundestag schaffte. In den Reihen von CDU und SPD herrscht überwiegend Hilf- und Kopflosigkeit, wenn mit Begriffen wie „Entsetzen“ oder „Schock“ tiefe Betroffenheit geheuchelt wird, obwohl seit den Landtagswahlen 2016 alles dafür sprach, dass die AfD auch bei der Bundestagswahl 2017 ein vergleichbares Ergebnis erreichen würde. Dieser Rechtsschwenk in der deutschen Parteienlandschaft wurde ergänzt durch einen deutlichen Aufwärtstrend bei der FDP, die im Verhältnis zu 2013 einen Zuwachs von ca. 2,9 Mio. Stimmen verbuchen konnte, so dass mit den von den Grünen erreichten 8,9% WählerInnen das neoliberale Lager, sei es rechts- und linksliberal (CDU,SPD,Grüne und FDP) oder national-chauvinistisch und rechtspopulistisch (AfD) mit ca. 85% aller WählerInnen ein stabiles Fundament für ein „Weiter so“ für eine Politik der weiteren Prekarisierung der Arbeitswelt, der Militarisierung der Außenpolitik und des Abbaus rechtsstaatlicher Sicherungen besteht.

Demgegenüber hat die LINKE mit 9,2% zwar ein unbestreitbar achtbares Ergebnis erzielt, aber ihre wesentlichen Wahlziele: 10% plus, drittstärkste Oppositionskraft im Bundestag und stärker als die AfD zu werden, deutlich verfehlt. Während im Westen die LINKE respektable Zuwächse erzielte, wurde sie im Osten in allen neuen Bundesländer (bis auf Berlin) massiv abgestraft. Selbst in den beiden „Vorzeigeprojekten“ in Thüringen und Brandenburg versagten die WählerInnen ihnen deutlich die Zustimmung: in Thüringen stimmten 6,5% weniger Wählerinnen für die LINKE, die nur noch 16,9% erhielt (2013: 23,4%), während sie bei der Landtagswahl 2014 noch 28% der WählerInnen erreichen konnte. Ähnlich in Brandenburg, wo sie einen Einbruch von 5,2% der Stimmen hatte und nur noch 17,2% verbuchen konnte (2013: 22,4%). Ähnliche Stimmenverluste sind in Mecklenburg-Vorpommern (-3,7%), Sachsen (-3,9%) und Sachsen-Anhalt (-6,1%) zu verzeichnen.

Brüche im rechts- und linksliberalen Lager

Der deutliche Einbruch im „christlichen“ Lager war aufgrund der lange Zeit relativ stabilen Umfragewerte nicht zu erwarten, was die populistische These immer wieder bestätigt, dass ein Fußballspiel erst nach 90 Minuten zuende ist. Während das nahezu hauseigene Umfrageinstitut Allensbach noch am 22.09.2017, also zwei Tage vor der Bundestagswahl, CDU/CSU bei 36% und SPD bei 22% verortete, erreichten beide Parteien am Wahlsonntag lediglich insgesamt nur noch die Zustimmung von 53,5% der WählerInnen (CDU/CSU 33% und SPD 20,5%). Dieser Absturz in der Wählergunst beruhte im Wesentlichen auf einem unerwarteten Einbruch der CSU, die mit 10,5% weniger Stimmen im Verhältnis zu 2013 ein historisches Tief erreichte und erwartbar interne Machtkämpfe auslöst, aus denen der überwiegend AfD-affine Finanz- und Heimatminister Söder möglicherweise zum neuen CSU-Superstar hervorgeht. Demgegenüber ist die „mächtigste Frau der Welt“, Angela Merkel, trotz der Wahlniederlage noch unangefochten, aber es bedarf keiner Glaskugel-Prognosen, um festzustellen, dass dies ihre letzte Amtsperiode sein wird.

SPD am Abgrund

Der Absturz der SPD mit lediglich noch 20,5% der WählerInnen-Stimmen hat zu einer bisher kaum erwartbaren Entscheidung ihrer Parteiführung geführt. Nachdem sie seit 1998 bis auf eine kurze Unterbrechung 2009 – 2013 die Regierungsgeschäfte führte, trat sie bereits am Wahlabend die Flucht nach vorn an und ließ durch ihren Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden, Martin Schulz, die interessierte Öffentlichkeit wissen, dass sie nunmehr die Oppositionsrolle einnehmen werde. Zweifellos ein taktisch kluger Schachzug, da sie damit zumindest die Voraussetzung für eine personelle Erneuerung schaffen könnte, was mit Andrea Nahles als neue Fraktionsvorsitzende eine erste Konsequenz aus der Wahlniederlage darstellt. Denn mit lediglich 20,5% erzielte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte.

Doch mit der Agenda-Politikerin Andrea Nahles wird die SPD mit Sicherheit das in den letzten Jahren verlorene Terrain nicht zurückerobern können. Die SPD ist ganz offensichtlich nicht bereit und in der Lage, sich an „Haupt und Gliedern“ zu erneuern, da sie glaubt, sie müsse nur die Köpfe austauschen, ohne sich von ihrer neoliberalen und kapitalorientierten Politik zu verabschieden. Sie scheint nach wie vor die Zeichen der Zeit nicht verstanden zu haben, die in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass sich die sozialdemokratischen Parteien in Holland, Frankreich oder Griechenland aufgrund ihrer neoliberalen Politik nahezu pulverisiert haben. Sie könnte sich jedoch an ihren Schwesterparteien in Portugal oder Großbritannien orientieren, um zu erkennen, dass eine Absage an die Austeritätspolitik und eine antikapitalistische Orientierung, wie sie sehr offensiv von Jeremy Corbyn in Großbritannien vertreten wird, der Grundstein für eine Erneuerung wäre. Doch dazu wird sie mit ihrem alten Agenda-Personal nicht in der Lage sein. Es geht ihr bisher statt einem Aufbruch zu neuen Ufern lediglich um Schadensbegrenzung, was in keiner Weise dazu reichen wird, dem rechten Block eine deutliche und machtpolitische Alternative entgegen zu setzen.

Zeichen der Hoffnung für linke Politik ?

DIE LINKE geht vor allem aufgrund eines deutlichen Zuspruchs im Westen gestärkt aus der Bundestagswahl hervor. So konnte sie im größten Bundesland in NRW und dort insbesondere in den Großstädten erhebliche Zuwächse erzielen: sie erreichte z.B. in Köln, Bochum, Dortmund,Münster oder Wuppertal Ergebnisse von 10% und darüber.

Dass sie bundesweit lediglich 9,2% erzielte und ihr zentrales Wahlziel nicht erreichte, liegt an einem massiven Einbruch in nahezu sämtlichen Bundesländern des Ostens, in denen sie bisher bei nahezu allen Bundestagswahlen bei weit über der 20%-Marke lag. Dieses Ergebnis mag vordergründig überraschen und bleibt von der Parteiführung bisher nahezu unkommentiert. Aber es ist zweifellos Ausdruck dafür, dass eine linke Partei, die sich in ihrem Grundsatzprogramm als eine sozialistische Partei versteht, die die kapitalistischen Verhältnisse überwinden will, schlechterdings sich nicht der Illusion hingeben darf, dass sie das in Regierungskoalitionen mit den Kapitalismus verwaltenden Parteien auch nur ansatzweise bewirken kann. Ihr entscheidendes Problem besteht jedoch seit ihrer Parteigründung darin, dass sie im Osten mit einem nahezu alles dominierenden FDS-Flügel die Illusion verbreitet, dass der Kapitalismus reform- und friedensfähig sei, so wie sie es sehr demonstrativ im Rahmen der 2010/11 geführten Debatte um das Parteiprogramm vertreten hat. Eine solche Politik kann zwar temporäre Erfolge erreichen, wie der Erfolg in Thüringen 2014, aber sie ist langfristig zum Scheitern verurteilt, was wir durch die massiven Stimmenverluste gerade in den Bundesländern, wo sie wie in Thüringen und Brandenburg an der Regierung ist, vorgeführt bekommen.

Es wird deshalb für DIE LINKE kein Weg daran vorbei führen, dass sie den seit Beginn existierenden „Richtungskampf“ in ihren Reihen offensiv austrägt: ob sie eine Partei sein will, die wie in Frankreich oder Italien aufgrund einer (gescheiterten) Orientierung auf Regierungsbeteiligung mit dem bürgerlich-neoliberalen Lager setzen will oder ob sie sich als eine radikale antikapitalistische Alternative à la Corbyn, Sanders oder Melenchon versteht. Die Entwicklungen in der britischen Labourpartei dürften deutlich machen, wie es gehen kann: eine konsequente antikapitalistischen Orientierung gegen das Establishment ist gegen den neoliberalen und insbesondere Rechtstrend erfolgreich. Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Linkspartei sich im Sinne des nachstehenden Zitats des Autors des Buches „Ein unanständiges Angebot ?“, Thomas Goes, als lernfähig erweist:

DIE LINKE müsste eine starke Kraft der Organisierung von lokaler Gegenmacht werden: 60 Prozent Energie auf die Arbeit vor Ort, 20 Prozent interne Arbeit (Bildungsarbeit, um Mitglieder zu fördern), 20 Prozent auf die parlamentarische Arbeit. Ich muss wohl niemandem sagen, dass es eine innerparteiliche Kulturrevolution bräuchte, um zu einer solchen Arbeitsweise zu kommen.“