„Es ist nicht nachvollziehbar, dass Linke der Grundgesetzänderung zustimmen“

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Interview des Portals „Die Freiheitsliebe“ mit Johanna Scheringer-Wright

Vor zwei Wochen wurden im Bundestag und im Bundesrat Grundgesetzänderungen verabschiedet, die eine Privatisierung der Autobahn ermöglichen. Im Bundestag stimmte die Linke dagegen, im Bundesrat dafür. Wir sprachen mit Johanna Scheringer-Wright, Landtagsabgeordnete aus dem rot-rot-grün regierten Thüringen, über die Gesetzesänderungen, Privatisierungen und Regierungsbeteiligungen im Kapitalismus.

Die Freiheitsliebe: Am vergangenen Freitag wurde im Bundesrat die Änderung des Grundgesetzes verabschiedet, was genau sieht die Veränderung vor?

Johanna Scheringer-Wright: Es wurde ja eine Reihe von Grundgesetzänderungen verabschiedet. Diejenige, die die Gemüter am meisten erhitzte, war die Änderung, mit der gewährleistet wird, dass die Autobahnen und Bundesfernstraßen in eine Bundesfernstraßengesellschaft privaten Rechts überführt werden können.

Die Freiheitsliebe: Diese Regelung bietet die Möglichkeit dass Autobahnen privatisiert werden, wie kann eine Linke Partei dem zustimmen?

Johanna Scheringer-Wright: Ja, diese Änderung macht die Tür auf für die Privatisierung der Autobahnen und Bundesfernstraßen und daher ist es nicht verständlich, dass linke Ländervertreter so etwas zustimmen. DIE LINKE ist generell gegen die Privatisierung von Infrastruktur und Einrichtungen der Daseinsvorsorge und möchte im Gegenteil solche Schlüsselindustrien und Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Telekommunikationsinfrastruktur etc. wieder in gesellschaftliches Eigentum zurückführen.

Die Freiheitsliebe: Welche Alternativen hätte es gegeben und warum wurden diese nicht gewählt?

Johanna Scheringer-Wright: Im Vorfeld wurde sich innerhalb der Partei DIE LINKE darauf verständigt, dass die Länder mit linken Regierungsbeteiligungen den Vermittlungsausschuss anrufen, um die unlautere Verquickung, die die Bundesregierung in dem zusammengehäuften Gesetzespaket gemacht hat, indem nämlich der Länderfinanzausgleich ebenso eingeordnet war, wie die Änderung zu den Autobahnen und Bundesfernstraßen, entflechten zu lassen. Sollte der Vermittlungsausschuss nicht kommen, sollten sich die Landesregierungen mit linker Beteiligung, so wie in ihren Koalitionsverträgen festgeschrieben, enthalten. Zu dieser Enthaltung ist es nicht gekommen, Thüringen, Berlin und Brandenburg haben geschlossen für das Gesetzespaket gestimmt. Das war falsch und das hätte es nicht gebraucht. Abgesehen davon, dass das Paket im Bundesrat auch bei Enthaltung von den drei Ländern durchgegangen wäre, muss man doch auch einmal feststellen, dass der Föderalismus in dieser Republik so angelegt ist, dass es immer Länderfinanzausgleiche geben wird. Und es darf bei Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich nicht vergessen werden, dass gerade Bayern 35 Jahre, nämlich von Anfang an bis 1986 mehr Mittel erhalten hat als eingezahlt. Also die Forderungen der westlichen/südlichen Länder, dass die östlichen Bundesländer nun endlich mal nichts mehr kriegen dürften ist auch eine Verdrehung von Geschichte..

Die Freiheitsliebe: Du hast in einem Beitrag geschrieben, dass die Erpressung die begrenzten Möglichkeiten des linken Parlamentarismus zeigt, was genau meinst du?

Johanna Scheringer-Wright: Im Landesvorstand der Partei DIE LINKE vor der Abstimmung im Bundesrat haben linke Regierungsvertreter die Kopplung von unterschiedlichen Grundgesetzänderungen an den Länderfinanzausgleich als Erpressung dargestellt und sicherlich das auch so empfunden. Dies Akzeptanz der Schäuble-Erpressung zeigt das Dilemma in dem sich die Partei DIE LINKE befindet, wenn sich „ihre“ Regierungsvertreter so einer realen oder gefühlten Erpressung ergeben. Es zeigt auch die begrenzten Möglichkeiten Linker im Parlamentarismus auf, wenn die Mehrheit der Fraktionsmitglieder oder Regierungsmitglieder so einen neoliberalen Kurs mitträgt. In der Theorie sind manche Genossinnen und Genossen stark, in der Praxis unterwerfen sie sich den anderen Parteien und deren Führungen. Dieses Dilemma zeigt aber auch die Notwendigkeit, dass man sich als Linke so nicht erpressen lässt, wenn man glaubwürdig bleiben will.

Die Freiheitsliebe: Wenige Tage vorher hast du Liebknecht zitiert: “ Heutzutage, unter der Herrschaft des Kapitalismus, kann eine Regierung, selbst wenn sie voll Philanthropie und den besten Absichten beseelt ist, nichts Ernsthaftes für unsere Sache sein. Man muß sich vor Illusionen (Selbsttäuschungen) hüten.“ Welche Spielräume siehst du für eine Landesregierung?

Johanna Scheringer-Wright: Ja, ich habe Wilhelm Liebknecht zitiert, der 1899 geschrieben hat: „Ein Sozialist der in eine Bourgeoisieregierung eintritt, geht entweder zum Feind über, oder er gibt sich in die Gewalt des Feindes. In jedem Fall trennt ein Sozialist, der Mitglied einer Bourgeoisieregierung wird, sich von uns, den kämpfenden Sozialisten. Er mag sich noch für einen Sozialisten halten, ist es aber nicht mehr, er kann von seiner Ehrlichkeit überzeugt sein, aber da hat er nicht das Wesen des Klassenkampfes begriffen – nicht begriffen, dass der Sozialismus den Klassenkampf zur Grundlage hat.
Dieser Teil des Zitats war mir persönlich wichtiger, weil ich in der Fraktionssitzung am 24. Mai bei der Bodo Ramelow zu Gast war, nach der kommenden Bundesratsabstimmung gefragt hatte. Da hatte Bodo Ramelow schon erklärt, dass er zwar für die Anrufung des Vermittlungsausschusses sei, wenn dieser aber nicht durchkommen würde, würden seine Regierungsvertreter mit ja stimmen. Das sei er dem Land schuldig und auch den anderen Ministerpräsidenten, mit denen er den Länderfinanzausgleich verhandelt hätte. Ganz offensichtlich waren ihm schon zu dem Zeitpunkt und wie sich zeigte auch bei der späteren Abstimmung im Bundesrat das gute Verhältnis zu den neoliberalen Ministerpräsidenten wichtiger als das Verhältnis zu seinen eigenen Genossinnen und Genossen und zu dem Programm seiner Partei.
Klassenkampf bedeutet doch, dass man sich nicht einlullen lässt vom politischen Gegner, weil man durch eine Regierungsposition jetzt am selben Banketttisch sitzt, sondern die eigenen Inhalte auch gegen diese durchsetzt, oder als zumindest bei den „Schweinereien“ nicht mitmacht.
Mir stellte sich jedoch damals auch die Frage, ob die linken Regierungsmitglieder überhaupt noch für sozialistische Inhalte in ihrer Regierungsarbeit kämpfen. Ich habe da wirklich Zweifel, wenn ich mir die Regierungsbilanz nach zweieinhalb Jahren anschaue.

Die Freiheitsliebe: Hältst du es unter diesen Bedingungen für sinnvoll in eine Regierung zu gehen?

Johanna Scheringer-Wright: Na ja, die Bedingungen sind, wie sie sind. Es ist schon so, dass sozialistische Ideen in unserem Land nicht besonders gefragt sind. Es ist aber sicher auch so, dass sich unter bestimmten Umständen und mit den geeigneten Führungspersönlichkeiten, die Klassenkampf und sozialistische Ideen verinnerlicht haben dies auch sehr schnell ändern könnte. Ein Beispiel ist Jeremy Corbyn in Großbritannien. Da hatte sich durch das Brexit Referendung plötzlich die Stimmungslage geändert und Corbyn hat traditionelle Labour Inhalte wieder gesellschaftsfähig gemacht.
Jedoch die Lage hier in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig so, dass ich eine Regierungsbeteiligung insbesondere auf Bundesebene ablehne. SPD und Bündnis90/Die Grünen sind ihrem neoliberalen Politikkonzept verhaftet, und deshalb sehe ich überhaupt keine Chance mit diesen Parteien einen echten Politikwechsel, also eine andere Politik, durchzusetzen. Ich lehne Verhandlungen zu möglichen Regierungsbeteiligungen gegenwärtig auch ab, weil die Protagonisten unserer Partei, die „rot-rot-grün“ wollen, meiner Beobachtung nach alle linken Inhalte aufgeben würden, nur um Teil vom „Club“ zu werden und gleichzeitig dafür kämpfen würden, dass kein kritischer Geist, keine kritische Persönlichkeit überhaupt in die Nähe der Sondierungsverhandlungen kommen könnte. Dies kann man wirklich auch aus den Erfahrungen aus Thüringen mitnehmen.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Zuerst erschienen auf www.diefreiheitsliebe.de, hier zu finden.