Eindrücke vom Parteitag von einigen AKL-Bundessprecher*innen

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Lucy Redler:

Meine erste Bilanz des Parteitags in sechs Punkten:

1. DIE LINKE hat ein gutes Programm mit vielen klaren und kämpferischen Forderungen beschlossen, mit denen wir jetzt in den Wahlkampf ziehen können. Manche Positionen könnten deutlicher auf die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse gerichtet sein, andere sind widersprüchlich, aber das Programm ist linker als 2013. Wenn man es ernst nimmt, ist es eine Absage an r2g, denn nicht mehr als 10 Prozent davon sind mit SPD und Grünen umsetzbar.

2. Sahra Wagenknecht hat in ihrer Rede die Verantwortlichen für die herrschende Politik klar benannt und mit ihrer deutlichen Kritik an der Politik von CDU/CSU, SPD und Grünen den Delegierten aus dem Herzen gesprochen. Sie sagte treffend: „Kein normaler Mensch nimmt Schulz noch ab, dass er für einen Politikwechsel steht“ und „Besser gute Oppositions- als schlechter Regierungsarbeit.“ Ich finde diese Linie richtig. Das ganze Gerede von „Weder Oppositions- noch Regierungswahlkampf“ verwirrt Mitglieder und Symphatisant*innen. Wir können nicht von Montag bis Donnerstag auf kämpferische Rhetorik setzen, um dann ab Freitag mit dem Schulzzug ins Wochenende zu verreisen. Lasst uns also selbstbewusst und offensiv für unsere Forderungen streiten, ohne Illusionen in SPD und Grüne zu schüren. Wenn der Druck so groß wird, dass andere Parteien unsere Forderungen übernehmen, umso besser.

3. Trotz hohem Aufgebot an Redebeiträgen für eine angeblich schönere und buntere EU (Höhepunkt: „Die EU ist meine beste Freundin“) konnten sich die Reformer nicht damit durchsetzen, das Kapitel zur EU in ihrem Sinne zu ändern. Die Überschrift des Kapitels „Für ein Europa der Menschen statt der Banken und Konzerne“ bleibt der wesentliche Tenor des Abschnitts. Ich bleibe dabei: Ein Nein zu dieser EU ist nicht nationalistisch. Unsere Alternative zur EU ist kein Zurück zum Nationalstaat, sondern der Kampf gegen Austerität, Frontex und Militarisierung und ein Ja zu einem demokratischen sozialistischen Europa von unten.

4. Sehr knapp ist unser Anliegen gescheitert, die Haltelinie „keine Beteiligung an einer Regierung, die Kampfeinsätze zulässt“ in eine Ablehnung von „Auslandseinsätzen“ zu ändern. Nachdem der Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn behauptet hatte, eine Annahme der Änderungsanträge würde zu einer Änderung des Grundsatzprogramms führen, votierten die Delegierten extrem knapp mit 213 (48 Prozent) zu 203 (46 Prozent) dagegen (bei 26 Enthaltungen), an der Textstelle etwas zu ändern. Natürlich hätte eine Annahme nicht das Grundsatzprogramm geändert, sondern das Wahlprogramm. Meine Annahme: Ohne diese Beeinflussung durch das Tagungspräsidium hätten wir die Abstimmung gewonnen.

5. Noch knapper war es dann bei der Abstimmung über die beiden vorliegenden Anträge zum Thema Autobahnprivatisierung. Bei Stimmengleichheit (168 zu 168) wurde ein Antrag abgelehnt, der die Entscheidung der Vertreter*innen der Bundesländern, in denen DIE LINKE mitregiert, dem Bund-Länder Gesetz zuzustimmen, missbilligt. Dafür wurde dann mit großer Mehrheit ein Antrag angenommen, der ebenfalls die SPD angreift, die Ausgangslage für die Vertreter*innen von Thüringen, Brandenburg und Berlin als Dilemma aber ihr Abstimmungsverhalten als falsch bezeichnet.

6. Ich wünsche mir Parteitage, die mehr working class und weniger Medientheater sind. Zwei konkrete Vorschläge: Erstens: Keine Zirkus-Musik und Discobeleuchtung mehr nach dem Auftritt der Vorsitzenden und Spitzenkandidat*innen. Es wirkt aufgesetzt und man kommt sich wie in einer Gameshow mit Frank Elstner vor. Zweitens: Ein Großteil der Delegierten kann sich kein Mittagessen von zehn Euro leisten. Ich hab Verständnis dafür, dass es feste Verträge mit den Caterern in diesen Kongresszentren gibt. Aber dann muss die Partei das Essen für alle um die Hälfte subventionieren.

 

Thies Gleiss:

UND SIE WAR – GERADE ERST ZEHN JAHR’…

Vier Tage Parteivorstand und Bundesparteitag der LINKEN in Hannover sind vorbei. Ein paar erste Eindrücke:

1. Die LINKE hat sich ein Wahlprogramm gegeben, das ihrem Namen entspricht. Sollte es JournalistInnen geben, die die gut 120 Seiten lesen (die von Spiegel Online gehören bisher nicht dazu), dann erübrigt sich bei denen die Frage, ob dieses Programm vielleicht schon das altersbedingt zur Pflichtübung eingeschmolzene Langweilerelaborat ist. Nein, hier haben sich engagierte Leute viele Gedanken darüber gemacht, was schlecht in dieser Welt ist und wie es besser sein könnte. Das gibt es weder personell noch inhaltlich in irgendeiner anderen Partei. Diese schöpferische Kraft ist in der LINKEN immer noch um Längen stärker als die – in ihren Reihen leider auch durchaus vorhandenen und sogar stärker werdenden – Pappnasen, die Politik als Broterwerb ansehen und denen politische Prinzipien am Arsch vorbeigehen, und die jede andere Partei prägen.

2. Aber wie immer macht sich die LINKE kaum Gedanken, wie und vor allem wer all die schönen Dinge und Forderungen anpacken und einlösen kann. Breiten Raum nehmen die angeblich „durchgerechneten“ und „gegenfinanzierten“ Steuereinnahmen und -ausgabenkonzepte, Rentenmodelle und Investitionsprojekte ein. Deren Bedeutung für eine gesellschaftsverändernde Politik einer linken Kraft ist aber umgekehrt proportional zu ihren Platz in der Programmdebatte. Um es mal überspitzt zu sagen: Eine sozialistische Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft wird am wenigsten am fehlenden Geld scheitern. Der politische Wille, die Mobilisierung der Entschlossenen und der Aufbau dauerhafter Strukturen von Selbstorganisation – das sind die entscheidenden Währungen im Kampf.

3. Keine Programmdiskussion ohne Pipi ans eigene Knie. Da beschließt eine klare Mehrheit der Delegierten, dass die LINKE die Staatsverträge mit den Großkirchen aufkündigen will. Sicher ein unglücklicher Beschluss, weil er weder den ideologischen Aberglauben von Millionen KirchgängerInnen bekämpft noch die Millionen an Staatsknete an die Kirchen wirklich reduzieren kann. Ein Beschluss also, der keinerlei praktische Bedeutung hat, von denen es – mit Verlaub – eine ganze Reihe im Programm gibt. So ist sie halt die zehn Jahre junge LINKE.
Aber dass dann eine ganze Kompanie von „Betroffenen“ und „BedenkenträgerInnen“ aufläuft, die diesen Beschluss wieder rückgängig machen will und sich einen Dreck um innerparteiliche Demokratie kümmert, das macht betroffen; die dabei angeführten „Argumente“, die LINKE würde die Gläubigen verletzen und die Seelsorge zerstören, gar die jüdischen Gemeinden ein weiteres Mal zerschlagen, das lässt verzweifeln.
Nichts dergleichen wäre passiert. Und wenn am Montag der liebe Gott einen Dachziegel auf Bodo Ramelow fallen gelassen hätte, so wäre dies wahrscheinlich entweder dem Zufall oder eher seiner Autobahnprivatisierungs-Entscheidung als den Kirchenbeschlüssen des Parteitags geschuldet.
Der Schaden an der parteiinternen Demokratie bleibt indes länger bestehen.

4. Die LINKE hat zwei „SpitzenkandidatInnen“, die beide schön kämpferische Reden halten können. Die eine kombiniert das zusätzlich mit klugen radikalen Inhalten, wo der andere flaue Standardtextbausteine im Stil von „Merkel muss weg“ skandiert. Rhetorisch ist die zweite Übung wahrscheinlich schwieriger, politisch ist die erste natürlich viel sinnvoller und nützlicher.
Die LINKE hat zwei Vorsitzende, die auch schöne Reden halten können, aber sie sollten – wenn es schon die bescheuerte Arbeitsteilung „KandidatInnen – Vorsitzende“ gibt, diese Fähigkeit dann auch wirklich vorrangig zur Mobilisierung der Mitglieder und AnhängerInnen einsetzen und nicht den – dann doch langweilig werdenden – Wettkampf mit den Spitzenvögeln suchen.

Also in Kürze: Der Wahlkampf kann kommen.