Nach den Landtagswahlen in NRW

Print Friendly, PDF & Email

Eine etwas andere Wahlauswertung oder was ist eine siegreiche Niederlage?

Eine Stellungnahme von Thomas Zmrzly

  1. Allgemeine Stimmung vor den einzelnen Landtagswahlen war und ist, dass in verschiedensten Umfragen zwischen 60 – 80% der Befragten mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation zufrieden oder sehr zufrieden sind. Im Gegensatz dazu haben bis zu 80% der Wählerinnen und Wähler in Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen geäußert mit ihrer Situation unzufrieden zu sein. Hier wird deutlich wie sonst nirgends, dass Deutschland Gewinner der Krise und des €uro-Regimes ist, während selbst Frankreichs Ökonomie darunter grundsätzlich leidet. Obwohl es einigen Wechsel der Wählerinnen und Wähler aus dem Nichtwählerlager und zwischen den Parteien gegeben hat, ist dies nicht einfach in Stimmen für die Linke umzusetzen. Der Wechsel hat allein überwiegend im bürgerlichen Lager statt gefunden. Zwischen rotgrün und schwarz-gelb. Erstaunlich ist, dass fast keine Stimmen von der Linken zur AfD gewandert sind.
  2. Trotzdem ist die Armut bzw. relative Armut in NRW und hier im speziellen im Ruhrgebiet nirgendwo so groß und konzentriert im Westen der Republik. Beispielhaft sei angeführt , das jedes vierte Kind von Sozialtransfer abhängig ist, in NRW die größten Schulklassen, die Studierenden mit den wenigsten Lehrpersonal auskommen müssen etc.. Die meisten Städte des Ruhrgebiets sind solche mit abnehmender Wohnbevölkerung. Neben den Hartz – IV Betroffenen, den Niedriglöhnern und den prekär Beschäftigten gibt es in den Ruhrgebietsstädten eine räumliche Trennung zwischen abgehängten Stadtteilen und denen der Mittel – und Oberschicht.
  3. Landtagswahlen sind generell schwieriges Terrain für Linke. Es ist generell leichter auf städtischer bzw. kommunaler Ebene und auf Bundesebene Wahlen zu organisieren. Wenn nicht wirklich landesspezifische Themen in der Luft liegen, was bei den meisten Wahlen nicht der Fall ist, dann kann eine grundsätzlich antagonistische Kraft sich nicht wirklich profilieren und geht im nicht themenbezogenen Wahlkampf unter. Oft reduziert sich dieser dann noch medial auf Regierung und größte „Oppositionskraft“, also einen „Wechsel“ im bürgerlichen Lager.
  4. NRW ist das mit Abstand größte Bundesland. Fast ein Viertel aller Menschen Deutschlands leben in NRW. Um ein Vorstellung davon zu entwickeln wie groß und gleichzeitig wie politisch schwierig die Organisation einer Wahl ist sei nur folgendes angemerkt: Österreich hat 6.5 Millionen Wahlberechtigte, Belgien 8 Millionen, und selbst die Niederlande hat mit 12,9 Millionen weniger als NRW, das knapp mehr als 13 Millionen Wahlberechtigte hat. Obwohl allein 10 Millionen Menschen in der Metropolenregion Rhein -Ruhr leben ist der Anteil der ländlichen Bevölkerung nicht unerheblich, und hat letztlich entscheidend dazu bei getragen, dass die Linke aufgrund von fehlenden 8500 Stimmen nicht in den Landtag eingezogen ist.
  5. Die LINKE NRW konnte ihr Ergebnis verdoppeln von ca. 200 000 Stimmen in 2012 auf 415 000 (2,6% auf 4.9%). Dies gelang vor allem in den Städten und weniger auf dem Lande. Die Schwerpunktsetzung des linken Landesverbandes auf soziale Themen haben diesen Erfolg erst ermöglicht, ein weitgehend auf Eigenständigkeit setzender Wahlkampf wie auch der Einsatz der bekanntesten Linken Sahra Wagenknecht auf Kundgebungen, wie auch als Cover der zentralen Wahlzeitung. „Bildung, Erziehung, Pflege, öffentliche Verwaltung – überall gibt es großen Personalmangel. Wir wollen dafür streiten, dass mehr tarifgebundene Arbeitsplätze geschaffen werden, dass es ein Investitionsprogramm für NRW gibt, der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut und für die Menschen günstiger wird, dass die öffentliche Hand 100 000 Wohnungen baut, in denen Mieten bezahlbar sind und dass es Gebührenfreiheit in der Bildung gibt.“ (Repräsentatives Interview mit Özlem Demirel: http://www.rundschau-online.de/politik/nrw-landtagswahl2017/linken-spitzenkandidatin-demirel–frau-kraft-will-uns-doch-nur-provozieren–26251248) Darüber hinaus wurde ein Mindestlohn von 12€ gefordert und auch flächendeckend plakatiert. Die Unterscheidungsmerkmale zu allen bürgerlichen wie auch zur rechtspopulistischen AfD waren gut sichtbar. Die Linke konnte jeweils 60000 Stimmen von ehemaligen Grün und SPD-Wählern gewinnen und 40000 aus dem Nichtwählerlager.
  6. Wer mit AktivistInnen der Partei in den Zentralregionen spricht, dem fällt auf, dass die Kampagne („Zeig Stärke“) überwiegend positiv bewertet wurde, und dass sie weitgehend landespolitisch entschieden und durchgeführt wurde. Die Unterstützung aus Berlin hielt sich in Grenzen. Ist die LINKE NRW doch inhaltlich der Antagonist zum rechten Parteiflügel in Berlin. Wird die Orientierung auf Rot-rot-grün,wie vom rechten Parteiflügel (Bartsch FDS, Kipping EmaLi) und Mittelerde (Axel Troost,SL) als einzige Perspektive für einen progressiven Politikwechsel propagiert, mehrheitlich abgelehnt. Im Punkto Euro/EU wie auch in der Antikriegspolitik steht die Partei in NRW klar auf den Positionen, die der letzte Bundesparteitag bzw. Landesparteitag formuliert hat, und ist im Gegensatz zu Berlin und den Ostverbänden nicht bereit, dies auf dem Altar einer Regierungsbeteiligung zu opfern.
  7. Wahlen werden nicht im Wahlkampf entschieden, sondern können in diesen nur zugespitzt oder vergeigt werden. In diesem Sinne ist das Ergebnis durchaus repräsentativ und die fast 5% sind als ein enormer Fortschritt zu bewerten, ohne öffentlich damit von einem Erfolg ohne gleichen sprechen zu können, da schließlich die 5% Hürde nicht genommen wurde.
  8. Es zeigen sich einige klassische Tendenzen der Parteientwicklung ab. Da wäre zum einen die Tendenz vor Ort den Aktivismus auf Dauer nicht halten zu können. Die abnehmende Unterstützung in den sozial benachteiligten Stadtteilen nimmt zu und konnte nur dort durchbrochen werden, wo entweder der Aktivismus erneuert oder wo zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit kein Widerspruch existiert. Die „Verparlamentarisierung“ hat auch in NRW schon in einigen Städten wie z.B. in Duisburg dazu geführt, dass es schon Parteigliederungen gibt, welche nahezu überwiegend im Parlament arbeiten und nur noch ein wenig Parteianhang besitzen.
  9. An die AfD wurden fast keine Stimmen mehr abgegeben. Nur mehr dort, wo DIE LINKE de facto nicht mehr präsent ist, konnte die AfD als Anti-Mainstreampartei in den abgehängten Stadtteilen punkten. Die AfD hat den Abgehängten nichts anzubieten. In diesem Sinne war die Konzentration auf die soziale Frage doppelt richtig, weil sich diese Strategie in NRW gleichfalls gegen den progressiven Neoliberalismus (Nancy Fraser) von SPD/Grünen wie auch gegen die neoliberale Rechte (AfD) richtete. Im Wahlkampf gab es eine politische Positionierung gegen Rotgrün, wie sie selbst in antifaschistischen Bündnissen oder in der Gewerkschaftsarbeit nicht stattfindet, wo sich alles immer einer dubiosen Einheit unterordnen muss.
  10. Die verschiedensten Kritiken von rechts wie von links, die z.B. weniger oder mehr Antirassismus fordern, haben selbst immer noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie einer größerer Teil der Gesellschaft für eine andere Perspektive gewonnen werden kann. Die Flüchtlingsfrage selbst hat im Wahlkampf keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt Wie übrigens auch im Wahlkampf in Schleswig-Holstein). Die CDU hat in den letzten 10 Tagen nochmals den Sicherheitsdiskurs hoch gefahren, aber auch hiermit nicht fundamental punkten können. Eine Verschiebung in dieser Frage geben die vor und -nachwahlbefragungen jedenfalls nicht her (https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-gesellschaft.shtml).
  11. Eine Bewertung, die die letzten Wahlen als Rechtsrutsch oder institutionellen Rechtsschwenk bewertet, weil in Folge die CDU – Regierung im Saarland bestätigt, in Schleswig-Holstein und in NRW rotgrüne Regierungen durch CDU/FDP abgelöst wurden, setzt aber voraus, dass es elementare Unterschiede zwischen Links (SPD/Grüne) und – Rechtsliberalen (CDU/FDP) existierten, und die Rechtsliberalen mit Angriffen auf soziale Errungenschaften gewonnen hätten. Weder das Eine noch das andere ist aber der Fall. Insofern bleibt nur die Tatsache, dass die AfD in alle drei Landtage eingezogen ist zur Untermalung obiger These. Diese hat aber auf absehbare Zeit keine Chance auf Umsetzung ihrer Politik in Landesregierungen oder gar Bundesregierung. Eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts hat in Folge der Bewegung von Pegida und des politischen Aufschwungs der AfD im 2016 gegeben. Die Bewegung ist vorbei und der zumindest demoskopische Aufstieg der AfD vorläufig zu Ende. Die Parteiführung selbst ist auf der Suche nach neuen Themen, und die Eigendarstellung als Anti – Mainstreampartei gelingt immer weniger. Diese gilt es zu erkennen und eben politisch zu bekämpfen, wie es die Die Linke NRW in der Wahlkampagne mit der Konzentration auf soziale Themen aufgezeigt hat.
  12. Auch wenn die Kampagne also insgesamt politisch richtig und erfolgreich war, ist es aber entscheidend, ob sie die richtigen Lehren aus der „siegreichen Niederlage“ zieht. Weder darf sie zu einer verlängerten Arm des progressiven Neoliberalismus werden wie es die Parteirechte in NRW ,vertreten durch die Strömung Sozialistische Linke, gebetsmühlenartig fordert , noch darf sich der linke Flügel einigeln, weil die undemokratische 5% nicht übersprungen wurde.