Entweder wir wenden uns gegen den Euro, oder der Euro wird sich gegen uns wenden

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Grußbotschaft von Frank Futselaar zur Euro-Konferenz der AKL Ende Januar 2017 in Düsseldorf

Liebe Freunde der Partei Die Linke,

im Namen der Sozialistischen Partei der Niederlande möchte ich mich für die Einladung zu dieser wichtigen Konferenz bedanken. Sie ist von großer Bedeutung, da die mit dem Euro und der aktuellen EU-Politik verbundenen Probleme alle Länder betreffen. Aus diesem Grund sollten die Linken in Europa zusammenkommen, um in der derzeitigen Währungskrise nach gemeinsamen Alternativen zu suchen. In den Niederlanden finden im März allgemeine Wahlen statt. Daher ist die Zukunft des Euro gerade jetzt ein wichtiges Thema für die niederländische Politik.
Die Sozialistische Partei der Niederlande ist der Ansicht, dass der Euro in seiner jetzigen Form nicht zu halten ist. Das liegt zum Teil an der nicht enden wollenden Schuldenkrise, aber auch an dem enormen wirtschaftlichen Ungleichgewicht in der Eurozone. In unseren Augen müssen wir uns entscheiden – zwischen der kontrollierten Abschaffung des Euro oder seinem unkontrollierten Kollaps.
Die Auffassung, der Euro sei nicht zu halten, ist weder neu noch originell: Manche Wirtschaftswissenschaftler vertreten diese Ansicht, seit es den Euro gibt. Und erst kürzlich war von dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz die gleiche Warnung zu hören. Wieder müssen wir erleben, wie Banken in Schwierigkeiten geraten: Nicht nur die italienische Banca Monte dei Paschi di Siena, auch die einst so stolze Deutsche Bank drohen unsere Wirtschaftssysteme erneut in den Abgrund zu reißen. Und wir wissen, dass etwas geschehen muss.
Fast alles, was bisher unternommen wurde, hat den Schaden nur noch vergrößert. Bis jetzt sind die europäischen Banken immer gerettet worden – mit hohen Kosten für die nationale Staatsverschuldung. Aufgrund der in Europa vorherrschenden Sparideologie sind diese Kosten an seine Bürger weitergereicht worden. Das hat zu verheerenden Folgen für die Wirtschaft der Mitgliedstaaten und, schlimmer noch, zu großen Härten für die Menschen geführt. Beobachten lässt sich das in vielen Ländern der EU, am deutlichsten natürlich in Griechenland, wo die Forderungen der Troika eine wahnwitzige Zahl von Kürzungen grundlegender staatlicher Leistungen erzwungen haben.
Und was haben wir diesem Elend entgegenzusetzen? Mittlerweile beläuft sich die griechische Staatsverschuldung auf fast 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ich glaube, kein normaler Mensch erwartet, dass Griechenland diese Schulden wird jemals bezahlen können. Wir hätten schon vor Jahren über Entschuldung reden müssen. Aber europäische Regierungen, allen voran die deutsche und die niederländische, halten – aus zynischen innenpolitischen Gründen – an der Lüge fest, Griechenland werde seine Schulden bezahlen.
Das Kernproblem des Euro sind jedoch Handelsüberschüsse und -defizite. Die Handelsüberschüsse nordeuropäischer Länder gegenüber Ländern Südeuropas sind gewaltig. Einfach gesagt: Der Wert des Euro ist so hoch, dass südliche Volkswirtschaften nicht konkurrieren können. Das bedeutet, dass der Handel Exportunternehmen in Nordeuropa reich macht, während südeuropäische Ökonomien leiden und ihre Regierungen sich immer weiter verschulden.
Der Handelsüberschuss der Niederlande gegenüber Italien beträgt derzeit 11,4 Milliarden Euro, gegenüber Spanien 8,5 Milliarden. Mittlerweile wird Mozzarella von Nordeuropa nach Italien exportiert. Man stelle sich vor: Mozzarella nach Italien! Das ist Irrsinn!
Wir sind in einem Teufelskreis aus Handelsüberschüssen im Norden und Handelsdefiziten im Süden gefangen, die dann mit ‚Darlehen‘ und dem möglicherweise gesetzwidrigen Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) ausgeglichen werden. Und so geht es immer weiter.
Was können wir tun? Wie durchbricht man einen solchen Teufelskreis? Tatsächlich gibt es mehrere mögliche Szenarien. Ein drastischer Schritt bestände darin, dass alle Länder Europas zu ihren Währungen zurückkehrten. Ich denke aber nicht, dass das derzeit möglich oder erstrebenswert wäre. Alternativ könnten einige Länder die Eurozone verlassen, entweder freiwillig oder unfreiwillig. Ein geregelter Austritt sollte zumindest möglich gemacht werden, wäre aber vermutlich nur mit Zustimmung des betreffenden Landes wünschenswert, das sich zu Recht von den anderen im Stich gelassen fühlen könnte. Eine weitere Option könnten mehrere separate Euroblöcke sein, etwa ein nördlicher und ein südlicher. Das gäbe den Ländern in Südeuropa wenigstens die Chance, ihre neue Währung abzuwerten, um wieder mit nördlichen Ländern konkurrieren zu können.
Keines dieser Szenarien wird allerdings funktionieren, wenn wir nicht mehrere radikale Veränderungen an der Politik der Eurozone vornehmen. Zuallererst muss es einen Schuldenerlass geben, für Griechenland, aber eventuell auch für andere Länder. Zweitens muss ein Ende der Sparpolitik Investitionen in die Realwirtschaft ermöglichen, denn solche Veränderungen sind in einer Zeit des Wirtschaftswachstums wesentlich leichter umzusetzen. Hierfür sollten wir auch die EZB gegenüber den politischen Kontrollgremien rechenschaftspflichtig machen. Was den Ländern in Europa ebenfalls mehr finanzpolitische Bewegungsfreiheit verschaffen würde, wäre das Schließen von Steuerschlupflöchern, die derzeit von multinationalen Unternehmensgruppen in Europa genutzt werden – Schlupflöcher, in deren Zentrum, und ich schäme mich, das zu sagen, die Niederlande und Luxemburg stehen. Vor allem jedoch müssen wir mit einem der Kernprinzipien der Europäischen Union brechen, dem freien Kapitalverkehr. Denn sobald ein Land an seinem Eurostatus etwas ändert, und seien es nur entsprechende Gerüchte, würde es unter Garantie eine massive Kapitalflucht in andere EU-Länder erleben. Und das würde das Mutterland und seine weniger wohlhabenden Bürger in große Schwierigkeiten bringen.
Meine Freunde, ich habe keine Blaupause für eine Stabilisierung des Euro. Viele der Entscheidungen, die wir treffen, werden vom Willen der Menschen in den einzelnen EU-Ländern abhängen. Aber wir können und wir sollten wenigstens Bedingungen schaffen, unter denen eine ordnungsgemäße, relativ schmerzlose Änderung des Eurostatus möglich ist. Wenn wir das nicht tun, werden wir keine Wahl mehr haben. Entweder wir wenden uns gegen den Euro, oder der Euro wird sich gegen uns wenden.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

Frank Futselaar ist ehemaliger Europaabgeordneter der Niederländischen Sozialistischen Partei.